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E-Book

Anatomie der menschlichen Destruktivität

AutorErich Fromm
VerlagEdition Erich Fromm
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783959120333
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Dass der Mensch (auch) ein aggressives Wesen ist und als einziges Lebewesen eine Lust am Zerstören entwickeln kann, zeigt der Blick in die Nachrichten, wo Berichte über Kriege, Folter und Terror an der Tagesordnung sind. Doch wo liegen die Ursachen für diese Art der Aggressivität beim Menschen - einem Wesen, dass doch eigentlich die Liebe als sein höchstes Ideal ansieht? Tatsächlich versucht Fromm auf der einen Seite, anhand von zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen seinen humanistischen Glauben an den Menschen gegenüber allen Verteufelungen des Menschen durch einen angeborenen Destruktionstrieb zu verteidigen. Andererseits ist es ihm wichtig, bei der Diskussion um die menschliche Aggression auf eine Besonderheit hinzuweisen: nur beim Menschen gibt es eine charakterbedingte Grausamkeit und Nekrophilie, deren Entstehungs- und Wirkungsweise Fromm im einzelnen darlegt. Das Buch analysiert nicht nur diese besonderen Arten der Destruktivität, sondern illustriert sie auch an einzelnen Menschen. So enthält das Buch ein Kapitel über Stalin, Himmler und Hitler, wobei ihm Hitler als Fallbeispiel für einen nekrophil-destruktiven Charakter dient. Darüber hinaus macht dieses Buch wie kein anderes deutlich, wie Fromm sich das Zusammenspiel von individuellen und sozialpsychologischen Faktoren bei der Genese des Charakters konkret vorstellt und wie er zu klinischen Urteilen kommt, ohne dabei auf die Freudsche Triebtheorie zurück zu greifen.

Erich Fromm, Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Autor zahlreicher aufsehenerregender Werke, wurde 1900 in Frankfurt am Main geboren. Der promovierte Soziologe und praktizierende Psychoanalytiker widmete sich zeitlebens der Frage, was Menschen ähnlich denken, fühlen und handeln lässt. Er verband soziologisches und psychologisches Denken. Anfang der Dreißiger Jahre war er mit seinen Theorien zum autoritären Charakter der wichtigste Ideengeber der sogenannten 'Frankfurter Schule' um Max Horkheimer. 1934 emigrierte Fromm in die USA. Dort hatte er verschiedene Professuren inne und wurde 1941 mit seinem Buch 'Die Furcht vor der Freiheit' weltbekannt. Von 1950 bis 1973 lebte und lehrte er in Mexiko, von wo aus er nicht nur das Buch 'Die Kunst des Liebens' schrieb, sondern auch das Buch 'Wege aus einer kranken Gesellschaft'. Immer stärker nahm der humanistische Denker Fromm auf die Politik der Vereinigten Staaten Einfluss und engagierte sich in der Friedensbewegung. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er in Locarno in der Schweiz. Dort entstand das Buch 'Haben oder Sein'. In ihm resümierte Fromm seine Erkenntnisse über die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Am 18. März 1980 ist Fromm in Locarno gestorben.

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Leseprobe

Vorwort


Diese Untersuchung ist der erste Band einer umfassenden Arbeit über die psychoanalytische Theorie.[1] Ich habe mit der Untersuchung der Aggression und Destruktivität nicht nur deshalb angefangen, weil sie zu den grundlegenden theoretischen Problemen der Psychoanalyse gehört, sondern weil die Welle der Destruktivität, die die Welt überschwemmt, diese Untersuchung auch auf praktischem Gebiet höchst bedeutungsvoll erscheinen lässt.[2]

Als ich mit der Niederschrift dieses Buches vor über sechs Jahren anfing, habe ich die Schwierigkeiten, auf die ich stoßen würde, weit unterschätzt. Es stellte sich bald heraus, dass ich die menschliche Destruktivität nicht adäquat behandeln konnte, wenn ich innerhalb der Grenzen meines eigentlichen Fachgebietes, der Psychoanalyse, blieb. Obwohl diese Untersuchung in erster Linie eine psychoanalytische sein soll, brauchte ich doch auch gewisse Kenntnisse auf anderen Gebieten, besonders auf dem der Neurophysiologie, der Tierpsychologie, der Paläontologie und der Anthropologie, um nicht in einem zu engen und daher verzerrenden Bezugsrahmen arbeiten zu müssen. Zumindest musste ich meine eigenen Schlussfolgerungen mit den wichtigsten Daten aus anderen Wissensgebieten vergleichen, um sicherzugehen, dass meine Hypothesen nicht im Widerspruch zu ihnen standen, und um feststellen zu können, ob diese – wie ich hoffte – meine Hypothesen bestätigten.

Da bis dahin keine Arbeit existierte, die über die Ergebnisse der Aggressionsforschung auf all diesen Gebieten berichtete und Zusammenhänge herstellte oder sie auch nur auf einem Spezialgebiet zusammenfassend behandelte, musste ich selbst diesen Versuch unternehmen. Ich gedachte auch meinen Lesern einen Dienst zu erweisen, wenn ich ihnen die Möglichkeit bot, mit mir zusammen das Problem der Destruktivität von einem globalen Standpunkt anstatt vom Standpunkt einer einzigen Disziplin aus zu betrachten. Ein solcher Versuch hat natürlich seine Gefahren. Es ist klar, dass ich mir nicht auf all diesen Gebieten die nötige Kompetenz erwerben konnte, am wenigsten auf dem der Neurologie, für das ich nur geringe Kenntnisse mitbrachte. Ein gewisses Maß an Wissen auf diesem Gebiet konnte ich mir aneignen, nicht nur durch eigene Studien, sondern auch durch die [VII-XIV] freundliche Unterstützung einiger Neurologen, die mir nützliche Hinweise gaben, meine vielen Fragen beantworteten und von denen einige den betreffenden Teil des Manuskripts durchgesehen haben![3] Es ist kaum nötig hinzuzufügen, dass, besonders auf dem Gebiet der Paläontologie und Anthropologie, häufig keine Einigkeit unter den Spezialisten besteht. Ich habe mich, nach angemessenem Studium aller Meinungen, auf diejenigen gestützt, die entweder von den meisten Autoren anerkannt sind oder die mich durch ihre Logik am meisten überzeugten, und endlich diejenigen, die am wenigsten von den herrschenden Vorurteilen beeinflusst zu sein scheinen. Die Kontroversen ausführlich darzustellen und zu belegen, hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt; aber ich habe versucht, soweit als möglich widersprechende Ansichten zu zitieren und mich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Wenn Spezialisten feststellen sollten, dass ich ihnen auf ihrem Fachgebiet nichts Neues zu bieten habe, so werden sie vielleicht doch die Gelegenheit begrüßen, anhand der Daten aus anderen Forschungsgebieten über einen Gegenstand von so zentralem Interesse besser informiert zu werden.

Ein unlösbares Problem sind die Wiederholungen und Überschneidungen mit meinen früheren Arbeiten. Ich arbeite an den Problemen der Analyse des Einzelnen und der Gesellschaft nun schon seit über 40 Jahren[4] und habe mich immer wieder auf neue Gebiete konzentriert, während ich gleichzeitig meine Einsichten in ältere Forschungsgebiete vertiefte und erweiterte. Es ist mir unmöglich, über die menschliche Destruktivität zu schreiben, ohne auf Gedanken zurückzugreifen, die ich schon früher geäußert habe, die aber für das Verständnis der neuen Auffassungen, die in diesem Buch entwickelt werden, unentbehrlich sind. Ich habe versucht, Wiederholungen nach Möglichkeit auszuschalten, indem ich auf die ausführlichere Behandlung in früheren Veröffentlichungen verwies; doch waren solche Wiederholungen trotzdem nicht ganz zu vermeiden. Ein besonderes Problem stellt in dieser Hinsicht mein Buch Die Seele des Menschen (1964a) dar, in dem einige meiner neuen Ergebnisse über Nekrophilie und Biophilie bereits im Kern enthalten sind. Ich habe im vorliegenden Buch die Darstellung dieser Ergebnisse sowohl auf theoretischem Gebiet als auch hinsichtlich der klinischen Beispiele stark erweitert. Auf gewisse Unterschiede zwischen den hier und in früheren Veröffentlichungen vertretenen Ansichten bin ich nicht weiter eingegangen, da eine solche Diskussion zuviel Raum beansprucht hätte und für die meisten Leser nicht interessant genug sein dürfte. Es bleibt mir nur noch die angenehme Aufgabe, all denen zu danken, die mir geholfen haben, dieses Buch zu schreiben, vor allem Dr. Jerome Brams, dem ich besonders verpflichtet bin, da er mir bei der theoretischen Klarstellung der Probleme des Behaviorismus und bei der Suche nach relevanter Literatur unermüdlich half.

Dr. Juan de Dios Hernández danke ich für seine Hilfe, die meine neurophysiologischen Studien erleichterte. In stundenlangen Diskussionen klärte er viele Probleme, informierte mich über die umfangreiche Literatur und hat die Teile meines Manuskripts, die sich mit den Problemen der Neurophysiologie befassen, kommentiert.

Bei folgenden Neurologen möchte ich mich bedanken, die mir durch zum Teil ausgedehnte persönliche Unterhaltungen und Briefe halfen: bei dem verstorbenen Dr. Raul Hernández Peón, bei Dr. Robert B. Livingston, Dr. Robert G. Heath, Dr. Heinz von Foerster und Dr. Theodore Melnechuk, der die neurophysiologischen Teile meines Manuskripts ebenfalls durchgelesen hat. Bei Dr. Francis O. Schmitt möchte ich mich dafür [VII-XV] bedanken, dass er eine Konferenz mit den Mitgliedern des Neurosciences Research Program des Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) für mich arrangierte, auf der die Mitglieder die Fragen diskutierten, die ich an sie richtete. Ich danke Albert Speer, der mündlich und schriftlich viel zur Bereicherung meines Bildes von Hitler beitrug. Auch Dr. Robert M. W. Kempner bin ich für Informationen verbunden, die er sich im Verlauf seiner Tätigkeit als einer der amerikanischen Ankläger bei den Nürnberger Prozessen erwarb.

Ich möchte ferner Dr. David Schecter, Dr. Michael Maccoby und Gertrud Hunziker-Fromm dafür danken, dass sie das Manuskript lasen, ebenso für ihre wertvolle Kritik und ihre konstruktiven Vorschläge, Dr. Ivan Illich und Dr. Ramon Xirau für ihre hilfreichen Anregungen auf philosophischem Gebiet, Dr. W. A. Mason für seine Bemerkungen auf dem Gebiet der Tierpsychologie, Dr. Helmuth de Terra für seine hilfreichen Kommentare zu den Problemen der Paläontologie, Max Hunziker für seine wertvollen Anregungen bezüglich des Surrealismus und Heinz Brandt für seine wichtigen Informationen und Hinweise über die Praktiken des Naziterrors. Auch Dr. Kalinkowitz bin ich für sein aktives und ermutigendes Interesse an meiner Arbeit verbunden. Ferner bedanke ich mich bei Dr. Illich und Miss Valentina Boresman für ihre freundliche Unterstützung bei der Benutzung der bibliographischen Einrichtungen des Center for Intercultural Documentation in Cuernavaca, Mexiko. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch Mrs. Beatrice H. Mayer meinen warmen Dank aussprechen. Sie hat über 20 Jahre lang die vielen Versionen meiner verschiedenen Manuskripte einschließlich des gegenwärtigen immer wieder neu getippt und hat sie außerdem mit großem Einfühlungsvermögen, Verständnis und einer höchst gewissenhaften Behandlung der sprachlichen Formulierungen mit vielen eigenen wertvollen Anregungen redigiert.

Während der Monate, die ich im Ausland verbrachte, hat Mrs. Joan Hughes sich auf höchst kompetente und konstruktive Weise meines Manuskriptes angenommen, wofür ich ihr meinen Dank aussprechen möchte.

Auch Mr. Joseph Cunneen von Holt, Rinehart & Winston möchte ich für seine vorzügliche und gewissenhafte Arbeit als Lektor und seine konstruktiven Vorschläge danken. Ich danke außerdem der verantwortlichen Lektorin, Mrs. Lorraine Hill, und den Herstellungsleitern, Mr. Wilson R. Gathings und Miss Cathie Fallin, für die geschickte und sorgfältige Koordination der Manuskripte in ihren verschiedenen Stadien. Schließlich bin ich noch Marion Odomirok für ihre gewissenhafte und kompetente Redaktionsarbeit zu großem Dank verpflichtet.

Diese Forschungsarbeit wurde zum Teil unterstützt vom Public Health Service Grant No. MH 13144-01, MH 13144-02 des National Institute of Mental Health. Ich möchte mich auch für die Unterstützung durch die Albert and Mary Lasker Foundation bedanken, die mir die Einstellung eines Assistenten ermöglichte.

New York, Mai 1973
E. F.

Terminologie


Der vieldeutige Gebrauch des Wortes „Aggression“ hat in der umfangreichen Literatur zu diesem Thema große Verwirrung hervorgerufen. Man wandte diesen Ausdruck auf das Verhalten eines Menschen an, der sein Leben gegen einen Angriff verteidigt, auf einen Räuber, der sein Opfer tötet, um zu Geld zu kommen, auf einen Sadisten, der einen Gefangenen foltert. Ja, die Verwirrung geht noch weiter: Man benutzte diesen Begriff für das sexuelle Verhalten des männlichen Geschlechtspartners, für die vorwärtsdrängenden Impulse des Bergsteigers oder Kaufmanns und für den Bauern, der seinen Acker pflügt. Vielleicht ist diese Verwirrung auf den Einfluss...

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