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Das Heilige in der Umbanda

Geschichte, Merkmale und Anziehungskraft einer afro-brasilianischen Religion. Diss. - Kontexte, Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Band 39

AutorSibylle Pröschild
VerlagEdition Ruprecht
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl331 Seiten
ISBN9783767571266
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis52,00 EUR

Innerhalb ihres nunmehr 100-jährigen Bestehens gelang es der synkretistischen Umbanda, sich von einer spiritistischen Sekte zur afro-brasilianischen Religion mit der größten Anhängerschaft zu entwickeln. Dieses Buch skizziert sowohl Geschichte und Grundzüge der Umbanda als auch das Heilige und dessen Erscheinungsformen in dieser Neureligion. Dem Vergleich von Umbanda mit den traditionellen christlichen Kirchen des Landes und mit einer neopentekostalen Gemeinschaft schließt sich der Blick auf das Verhältnis zwischen den Religionen an, um zum Grund der umbandistischen Anziehungskraft vorzudringen.

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Leseprobe

4 Umbanda – Merkmale einer brasilianischen Religion (S. 99-100)

Die Umbanda tritt mit dem Anspruch auf, wie ihre AnhängerInnen nicht müde werden zu betonen, eine brasilianische Religion und offen für alle zu sein. Damit bezieht sie sich auf zweierlei. Zum einen entstand sie auf brasilianischem Boden, was sie von den zahlreichen zu verschiedenen Zeiten eingewanderten Religionen unterscheidet. Zum anderen ist sie „das Ergebnis eines einzigartigen historischen Aufeinandertreffens [...], das sich nur in Brasilien ergab“. Aus der Verschmelzung der Religionen der eingeborenen Indios, der importierten AfrikanerInnen, der erobernden PortugiesInnen sowie des Spiritismus’ der immigrierten EuropäerInnen ging die Umbanda hervor. In dieser vermischten Vielfalt spiegelt sie die drei vornehmlichen Hautfarben der BrasilianerInnen wieder, die darüber hinaus auch die Konzeption der Geister prägen. Demzufolge gibt es Indio-Geister, AfrikanerInnen- Geister und Kinder-Geister (s. 4.2.1.3), die ihrerseits die rote, schwarze und weiße Hautfarbe sowie die indigene amerikanische, die afrikanische und die europäische Rasse und Kultur repräsentieren. Neben diesen drei zentralen Geister- Typen kennt die Umbanda zahlreiche weitere, die häufig ebenfalls auf eine bestimmte regionale und kulturelle Herkunft verweisen, z.B. die bahianischen und die ZigeunerInnen-Geister. Ihr Auftreten belegt, dass die synkretistische Eingliederung u.a. von Elementen anderer Religionen nicht mit der Gründung der Umbanda abgeschlossen wurde, sondern ihre Fortsetzung fand und noch findet, so z.B. durch die Aufnahme von Hindu- oder Buddha-Geistern. Allerdings sind dies nur periphere Wesen, die sich selten manifestieren, weshalb sowohl ihre Bedeutung als auch die Bedeutung ihrer Religionen für das umbandistische System weit hinter den vier konstituierenden Grundpfeilern zurückbleiben.

Trotz ihrer selbst propagierten nationalen Ausrichtung wird die Umbanda von religionswissenschaftlicher Seite als ’afro-brasilianische‘ Religion gehandelt. Die Umbanda ist jedoch weniger afrikanisch geprägt als der Candomblé oder die Quimbanda, was sich bereits an der Kultsprache abzeichnet. Anstatt der afrikanischen Termini beispielsweise für die Ibeji und Eguns verwendet die Umbanda die portugiesischen Begriffe ’crianças‘ und ’sofredores/as‘, um die Geister der Kinder und der leidenden Verstorbenen zu benennen. Auch VertreterInnen von Candomblé und Quimbanda, die ihre eigene Religion als ’afro-brasileiro‘ bezeichnen, lehnen eine solche Charakterisierung bei der Umbanda ab und nennen sie ’brasileiro‘. Tatsächlich ist die Umbanda nicht direkt aus afrikanischen Traditionen hervorgegangen. Diese wurden durch den Candomblé vermittelt, wobei dieser seinerseits den Synkretismus mit dem iberischen Volkskatholizismus bereits vollzogen hatte. Insofern kann die Umbanda als sekundär afrikanisch gelten. Davon abgesehen ging sie aus einem spiritistischen Zirkel hervor, so dass sie auf demFundament des Kardecismus entstand. Auf die Nähe von Umbanda und Spiritismus lassen auch lange nach ihrer Gründung verschiedene Terreiro-Namen schließen.

Sofern man jedoch die Umbanda einem größeren religiösen Kontext zuordnen will, um auf diese Weise die Zusammenhänge zu spezifizieren, erscheint die Bezeichnung als ’afro-brasilianisch‘ noch am ehesten treffend. ’Brasilianisch‘ ist zuwenig aussagekräftig; ’christlich‘ scheidet von vornherein aus, da der Kern des Evangeliums nicht getroffen wird; ’spiritistisch‘ hingegen wäre möglich. Da jedoch trotz der spiritistischen Herkunft und wegen der candomblistischen Mittlerschaft die afrikanischen Elemente in der Umbanda am schwersten wiegen und sie am meisten prägen, ist auch meiner Meinung nach dem Präfix ’afro‘ der Vorzug zu geben. Eine weitere Spezifizierung befürwortet Ingo Wulfhorst, indem er den Begriff ’afro-indo-brasilianisch‘ verwendet und sich damit von der Masse der umbandistischen und religionswissenschaftlichen Literatur absetzt. In diesem Ausdruck stellt er der bedeutendsten, afrikanischen Konstituente die in geringem Grad relevante indianische zur Seite. Um einiges treffender halte ich dagegen den bislang nicht benutzten Begriff ’afro-spiritistisch(-brasilianisch)‘. Je genauer man aber die Art der Umbanda in einer das Gewicht der konstituierenden Faktoren kategorisierenden Wendung zu greifen beabsichtigt, desto länger müsste sie wohl werden. Daher führe ich hier diese Diskussion nicht weiter, sondern schließe mich dem gängigen Begriff ’afro-brasilianisch‘ an.

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort10
1 Einleitung11
1.1 Die Umbanda als Gegenstand der Forschung14
1.1.1 Die Umbanda in der deutschsprachigen Literatur14
1.1.2 Die Umbanda in der nicht-deutschsprachigen Literatur20
1.2 Ansatz und Vorgehen33
2 Das Heilige37
2.1 Definition von Religion37
2.2 Momente des Heiligen44
2.3 Begegnung mit dem Heiligen47
2.3.1 Aufgabe und Methoden der Religionsphänomenologie47
2.3.2 Das Erscheinen des Heiligen in der profanen Welt50
2.3.3 Formen der Manifestation und Realisation des Heiligen53
2.4 Der menschliche Wunsch nach wechselseitigem Kontakt mit dem Heiligen62
3 Religiöse Vielfalt auf brasilianischem Boden65
3.1 Die Versklavung und Missionierung von Indios und AfrikanerInnen66
3.1.1 Das Schicksal der UreinwohnerInnen66
3.1.2 Sklavenimport aus Afrika69
3.2 Immigration und Synkretismus75
3.2.1 Einwanderung aus Europa, Nordamerika und Asien75
3.2.2 Die Vermischung von Religionen78
3.3 Zulauf und Verlust – Der Wandel der religiösen Landschaft89
3.3.1 Vergleich der Anhängerzahlen89
3.3.2 Wachstum der Umbanda?95
4 Umbanda – Merkmale einer brasilianischen Religion100
4.1 Entstehung und Ausbreitung der Umbanda103
4.1.1 Übernommene religiöse Elemente103
4.1.2 Die Entstehung der neuen Religion118
4.1.3 Rassen- und Schichtzugehörigkeit der UmbandistInnen122
4.1.4 Regionale Ausbreitung127
4.1.5 Das Problem der Vielfalt131
4.2 Geister, Linien und Arbeit – das Heilige in der Umbanda134
4.2.1 Der umbandistische Kosmos136
4.2.2 Die Arbeit der Geister und das Handeln der Menschen178
4.3 Gründe für die Anziehungskraft der Umbanda185
4.3.1 Afro-brasilianische Religionen – Widerstand und Erinnerung186
4.3.2 Sicherheit und Aufstieg in der Gesellschaft189
4.3.3 Der Umgang mit dem täglichen Leben195
4.3.4 Die aktive Beeinflussung des Heiligen202
5 Die Manifestation des Heiligen in der Umbanda und in christlichen Kirchen205
5.1 Die Umbanda als Mittlerin des Heiligen206
5.1.1 Der heilige Gegenstand206
5.1.2 Der heilige Ort214
5.1.3 Die heilige Zeit222
5.1.4 Die heilige Zahl227
5.1.5 Der heilige Mensch228
5.1.6 Die heilige Gemeinschaft252
5.2 Heilige Menschen in der traditionellen christlichen Kirche255
5.2.1 Die Gemeinschaft der Heiligen in der evangelisch-lutherischen Kirche256
5.2.2 Die Heiligsprechung in der römisch-katholischen Kirche259
5.3 Der Mensch als Verbündeter Gottes in der neopentekostalen IURD263
5.3.1 Der Bund zwischen Gott und seinem/r Verbündeten264
5.3.2 Anfechtung durch die Dämonen269
6 Die interreligiöse Konkurrenz aufgrund der Anziehungskraft der Umbanda276
6.1 Das Verhältnis zwischen der Umbanda und christlichen Kirchen276
6.1.1 Dialog, Selbstkritik und Lernen – Der Wunsch der evangelisch-lutherischen Kirche278
6.1.2 Verurteilung, Umdenken und Resignation – Die schwankende Haltung der römisch-katholischen Kirche283
6.1.3 Strikte Ablehnung – Der Kampf der IURD290
6.2 Die Begegnung mit dem Heiligen als Grund für die Anziehungskraft der Umbanda293
6.2.1 Wechselseitiger Kontakt mit dem Heiligen?293
6.2.2 Die Anziehungskraft der Umbanda300
7 Schlussgedanken304
Glossar308
Abbildungsnachweis318
Literatur319
Register330

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