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Deutsche Schienen in osmanischem Boden

Eine virtuelle Reise mit der Anatolischen und Bagdadbahn durch Geschichte, Wahrnehmungen, Raum und Zeit

AutorJgnaz Civelli
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl265 Seiten
ISBN9783640595204
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Geschichte - Asien, , Sprache: Deutsch, Abstract: 'Deutsche Schienen in osmanischem Boden' lädt ein zu einer virtuellen Eisenbahn-Reise mit der Anatolischen und Bagdadbahn durch Geschichte, Empfindungen und Wahrnehmungen, Raum und Zeit. Zeitlich beginnt die Reise im Osmanischen Reich und endet in der Gegenwart, räumlich führt die virtuelle Fahrt von der Stadt der tausend Lichter - Konstantinopel - in die Stadt aus Tausend und einer Nacht - Bagdad. Der Leser wird zum 'Armchair-Traveller' und erlebt durch das imaginäre Wagenfenster den Zerfall des Osmanischen Reiches, wird stiller Zeuge der Armenierdeportationen, sieht die Wirren um die Entstehung der Türkischen Republik und verfolgt die Bildung neuer Staaten. Unterwegs erhascht er einen Blick auf osmanische Sultane, Kaiser Wilhelm II., Eisenbahnpionier Meißner-Pascha, den Archäologen und Abenteurer Lawrence von Arabien, Staatsgründer Atatürk, Premierminister Churchill, Ernst Reuter, den späteren Bürgermeister von Westberlin, den Gründer der PKK, Çürükkaya; die Krimiautorin Agatha Christie und den Tyrannen Saddam Hussein. Auf dieser virtuellen Reise begegnen wir aber auch Steine werfenden Kindern, stolzen arabischen Nomaden, finster erscheinenden kaukasischen Tscherkessen, mittellosen kurdischen Wanderarbeitern, verhungernden armenischen Flüchtlingen, von Entdeckungsdrang beseelten Archäologen, vermeintlichen und tatsächlichen Spionen, übereifrigen türkischen Soldaten und britischen und indischen Zwangsarbeitern. Alle diese Menschen haben irgend etwas mit der Bagdadbahn zu tun. Erstmalig in der Bagdadbahn-Literatur überhaupt werden hier überdies alle über die Jahrzehnte hinweg üblichen Stationsnamen und Schreibweisen zusammengetragen.

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Leseprobe

1. Das Vorhaben: Projekte und Planung


 

1.1. Frisch geplant ist halb zerronnen


 

Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es erste Ideen für eine Bahnverbindung von Kleinasien nach Bagdad und weiter zum Persischen Golf. Zwischen 1830 und 1840 bereiste der britische Oberst Sir Francis Chesney Syrien und Mesopotamien, um mögliche Verkehrswege zum Golf und weiter in Richtung Indien zu erkunden. Da Chesney weder bei der britischen Regierung noch bei privaten Geldgebern Interesse zu wecken vermochte, verfolgte er das Vorhaben nicht weiter.[1]

 

1872 beauftragte die Osmanische Regierung, die sogenannte Hohe Pforte[2], den deutschen Ingenieur Wilhelm von Pressel, welcher - zusammen mit Baron von Hirsch - schon bei Eisenbahnbauten im europäischen Teil des Osmanischen Reiches Erfahrungen gesammelt hatte[3], eine mögliche Streckenführung zu evaluieren. Pressel regte eine Bahn von Suedieh1 (dem heutigen Saida oder auch Sidon) über Aleppo - Urfa - Mardin - Mossul - Kirkuk nach Bagdad und weiter bis rsischen Grenze an.

 

 

Sultan Mehmet V. bei einer Parade im Jahr 1910 in Konstantinopel Bild: Milli Kütüphane, Ankara

 

1878-79 bereiste der britische Entdecker und Marineoffizier Verney Lovett Cameron[4]das Euphrat-Tigris-Gebiet, um die Möglichkeit einer Eisenbahnverbindung zwischen der britischen Kolonie Indien und dem Mittelmeer zu untersuchen. In seiner 1880 veröffentlichten zweibändigen Studie "Our Future Highway" empfahl er den Bau einer Bahn von Konstantinopel über Diarbekir (Diyarbakir), Mossoul (Mossul) und Baghdad bis zum Persischen Golf. Außerdem sollten weitere Stichbahnen das Umland erschließen. Basierend auf diesen Vorstudien erging im Dezember 1882 tatsächlich eine Bahnkonzession für 99 Jahre an Sir Edward Cazalet und den Ingenieur Sir Thomas Selby Tancred für eine Bahnlinie von Tripoli oder Suedieh nach Aleppo - Bagdad - Basra und Kuwait. Die Interessen der britischen Politik hatten sich indes in der Zwischenzeit in den Raum des Suezkanals und nach Ägypten verlagert und das Bahnprojekt wurde nicht weiterverfolgt.[5]

 

 

Links:

 

In heldenhafter Pose: Die zeitgenössische Darstellung zeigt den Planer des SuezKanals, Ferdinand de Lesseps, wie er die Kontinente auseinanderstemmt, um Raum für die Durchfahrt der Handels- und Kriegsschiffe zu schaffen. Bild: Herodote

 

Unten:

 

 

Der osmanische Vizekönige von Ägypten Khedive Ismail - und Ferdinand de Lessep eröffnen 1869 den Suezkanal Bild: Atatürk Kütüphanesi, Istanbul

 

Ein englisches Konsortium unter Seefelder, Alt, Hanson und

 

Zafiropulo schlug Ende der 1870er Jahre der Osmanischen Regierung eine Verlängerung der bereits bestehenden Bahnlinie ab Ismid (Izmit) über Aleppo und dann dem linken Euphratufer entlang bis Bagdad vor.[6] 1880 nahm die Hohe Pforte die Planung selber an die Hand: Hassan Fehmi Pascha, Minister für öffentliche Arbeiten, schlug gleich drei mögliche Streckenvarianten vor: Alle gingen vom asiatischen Ufer Konstantinopels - Haidar Pacha (Haidarpa§a) - aus und endeten in Bagdad. Eine Variante sah eine Streckenführung von Haidar Pacha über Ismid - Eski-Chehir (Eski§ehir), Angora (Ankara) - Sivas - Malatia (Malatya) - Mardin - Nissibine (Nusaybin) nach Mossul und Bagdad vor. Eine weitere Variante zog eine Linienführung von Haidar Pacha über Ismid - Kutahia (Kütahya) - Konia (Konya) - Adana - Alep (Aleppo) und dann dem Euphrat entlang nach Bagdad in Erwägung. Eine dritte Planungsvorlage schließlich sah eine Streckenführung von Haidar Pacha über Ismid - Tokat - Sivas - Malatia (Malatya) - Diarbekir - Nissibine - Mossul bis Bagdad vor. Pressel beurteilte im Auftrage der Osmanischen Regierung die drei Vorhaben und empfahl nach Abwägung aller Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Linienführungen die dritte Variante.[7] Ein französischer Ingenieur namens Dumont schlug 1890 eine Linie von Alexandrette (iskenderun) nach Bagdad vor. 1891/2 lancierte der Bruder des russischen Botschafters in Wien und Zarenvertraute, Graf Wladimir I. Kapnist, Vorsitzender einer österreichisch-ungarisch - russischen Interessengruppe ein weiteres Bahnprojekt. Von der Hafenstadt Tripoli ausgehend sollte eine Bahn über Bagdad bis nach Basra führen. Es blieb jedoch beim "Kapnist-Projekt".[8]

 

 

Die russische Botschaft in Konstantinopel, ca. 1900 Bild: Eski Istanbul

 

1892 empfahl M. Stramsforth als Vertreter einer britischen Gruppe und Nedjick Pascha (unterstützt von der Societe des Acieries d'Angleur) eine Bahnlinie von Ismid über Bolou (Bolu) -Sivas - Diarbekir und Mossul bis nach Bagdad.[9]

 

All diesen Projekten war gemeinsam, daß sie äußerst vage blieben und nie über eine erste Planungsphase hinauskamen.

 

In den Folgejahren gab es drei mehr oder weniger konkrete Vorhaben von Planern und Investoren: Eine italienisch-britische Gruppe unter dem Italiener M. A. Tonietti schlug vor, eine Bahn von Alexandrette oder Souedieh und dann entlang dem Euphrat bis nach Bagdad und weiter bis Basra zu errichten. Auch zog das Konsortium einen Weiterbau in nordwestlicher Richtung bis Konya in Erwägung, wo ein Bahnanschluß zur Anatolischen Eisenbahn hätte geschaffen werden sollen.[10]

 

Ein zweites Projekt stammte von einer französischen Gruppe unter Leitung des französischen Ingenieurs Cottard, der schon einer Bahngesellschaft in der Türkei vorstand.

 

 

Blick auf die Banque Imperiale Ottomae (links) und dem Galataturm (rechts) Bild: Osmanli Bankasi Ar§iv

 

Diese Gruppe plante, in Konya einen Anschluß zur Anatolischen Bahn herzustellen und dann eine Bahnlinie entlang dem Tigris nach Bagdad und Basra zu bauen.[11] Eine dritte Interessengruppe bildete sich um die von britischem undfranzösischem Kapital dominierte Banque Imperiale Ottomane, der generell am Bau einer Bahnlinie nach Bagdad gelegen war.[12]

 

Insbesondere Frankreich und Großbritannien verfügten über einen beachtlichen wirtschaftlichen und politischen Einfluß im Osmanischen Reich. Das Land war im 19. Jahrhundert allmählich auf einen halbkolonialen Status herabgesunken. Für die Großmächte war der Staat hauptsächlich

 

interessant als Absatzmarkt für Industriewaren und als Rohstoffquelle, wobei das Erdöl im nördlichen Irak eine gewichtige Rolle spielte.

 

 

Die von Smyrna (heute Izmir) abgehende, von britischen Investoren betriebene Eisenbahnlinie nach Ayidin galt als typische „Ausbeutungsbahn“ Bild: Aliperdeci

 

Das Osmanische Reich wollte keine weiteren französischen und britischen "Ausbeutungsbahnen", welche als reine Stichbahnen Güter aus dem Binnenland zwecks Verschiffung ins Ausland an die Meerhäfen transportierten, sondern "Erschliessungsbahnen", welche alle Landesteile miteinander verbanden, die wirtschaftliche Entwicklung entlegener Regionen erleichtern und

 

"7.1 / /// srws rasche

 

 

Von Smyrnaaus führten„Ausbeutungsbahnen“ in alle Himmelsrichtungen Bild: Baedeker 1912

 

Truppenverlegungen im Riesenreich ermöglichen sollten.[13]

 

"Der kranke Mann am Bosporus" war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch weder finanziell noch technisch in der Lage, den Bau eines solchen Bahnnetzes selbständig zu realisieren. Deutschland galt unter den Großmächten, welche für die Durchführung eines derartigen Unterfangens überhaupt in Frage kamen, als das kleinste Übel. Uneingeschränktes Vertrauen bestand indes auch gegenüber Deutschland nicht. Insbesondere die unverhohlene alldeutsche Kolonialpropaganda rief nicht nur in London, Paris und St. Petersburg negative Reaktionen hervor, sondern sie verstärkte auch in Konstantinopel das Mißtrauen gegenüber den "uneigennützen deutschen Freunden".[14] "Jetzt ist unsere Freundschaft ja groß, aber ich fürchte, im Grunde seid ihr doch nicht besser als die Russen und Engländer und wollt doch unser Land gleich diesen nehmen. Die Eisenbahn aber wird der Strick sein, mit dem ihr es an euch zieht", kommentierte ein Osmane.[15] Die Osmanische Regierung fühlte jedoch von französischen und britischen Finanz- und Wirtschaftskreisen derart bedrängt, daß sie sich trotz aller Bedenken an Deutschland wandte mit dem Anliegen, bei Planung, Finanzierung und Bau einer Bahnlinie quer durch das Osmanische Reich Unterstützung zu leisten. Im Oktober 1888 übertrug die Hohe Pforte einem Konsortium unter der Leitung der Deutschen Bank die Federführung.[16] Zur Mittelbeschaffung gründete die Deutsche Bank unter Mitbeteiligung der Schweizerischen Credit-Anstalt, des Wiener Bankvereins und der Banque Ottomane am 1. Dezember 1909 in Glarus (Schweiz) die "Societe anonyme pour la construction des chemins de fer en Turquie".

 

 

Auch am Bankenplatz Zürich hatte man ein Interesse an einer Bahnerschliessung des Osmanischen Reiches Bild: Sammlung Autor

 

Dazu bemerkte der britische Botschafter in Bern kritisch, die Firmengründung in der...

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