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Gesammelte Werke

Vollständige Ausgabe

AutorWilhelm Ostwald
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl1589 Seiten
ISBN9783849632885
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Wilhelm Ostwald war ein deutsch-baltischer Chemiker, Nobelpreisträger (1909) und Philosoph. Dieser Sammelband beinhaltet seine Werke: Grundriss der Naturphilosophie Malerbriefe - Beiträge zur Theorie und Praxis der Malerei Lebenslinien Die Mühle des Lebens

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Zweiter Teil. - Mathetik.


 


 

 

19. Der allgemeinste Begriff.

 

Wenn wir versuchen, den Gesamtbau der Wissenschaft gemäß dem Grundsatze von der zunehmenden Vermannigfaltigung der Begriffe zu erkennen, so ist die erste Frage, die uns entgegentritt, die nach einem Begriff, welcher von allen möglichen der allgemeinste ist, der also bei jeder Begriffsbildung selbst maßgebend wirkt. Um diesen zu finden, gehen wir auf die psychophysische Grundlage der Begriffsbildung selbst, nämlich die Tatsache der Erinnerung, zurück, und fragen uns, welches allgemeine Kennzeichen für diese Tatsache entscheidend ist. Hier nun erkennen wir alsbald, daß für das betrachtete Wesen ein vollkommen gleichförmig verlaufendes Leben keine Erinnerungen hervorrufen kann; es würde kein Anhalt vorhanden sein, um die Vergangenheit von der Gegenwart zu unterscheiden, und somit keiner, beide zu vergleichen. Das "Urphänomen" des bewußten Denkens ist also die Empfindung eines Andersseins, eine Verschiedenheit zwischen Erinnerung und Gegenwart, oder noch allgemeiner, zwischen zwei Erinnerungen.

 

Unsere Erlebnisse zerfallen somit für uns in Anteile, die voneinander unterschieden werden. Um von diesen Anteilen vollkommen allgemein, ohne jede Rücksicht auf ihren besonderen Inhalt, etwas aussagen zu können, müssen wir sie gemäß den Hilfsmitteln des menschlichen Verkehrs mit einem Namen bezeichnen. Nun besteht in dem Zusammenhange zwischen den Begriffen und den ihnen zugeordneten Namen in allen menschlichen Sprachen eine große Willkür und Unbestimmtheit, welche alle genaue Arbeit in der Begriffslehre auf das äußerste erschwert. Es ist also nötig, im einzelnen Falle genau anzugeben, welchen begrifflichen Inhalt ein gegebener Name haben soll. Ein jedes Erlebnis, insofern es von anderen Erlebnissen unterschieden wird, wollen wir eine Erfahrung nennen, wobei gemäß der eben getroffenen Bestimmung kein Unterschied gemacht wird, ob es sich um ein sogenanntes inneres oder äußeres Erlebnis handelt.

 

Von den Erfahrungen bleiben viele vereinzelt, indem sie sich nicht in ähnlicher Gestalt wiederholen und somit nicht in unserer Erinnerung verbleiben. Sie scheiden hierdurch weiterhin aus unserem geistigen Leben aus und haben keine weiteren Folgen und Zusammenhänge. Andere dagegen wiederholen sich mit mehr oder weniger Übereinstimmung und werden so zu dauernden Bestandteilen des geistigen Lebens. Ihre Dauer ist keineswegs unbegrenzt, denn auch die Erinnerungen verblassen und verschwinden; sie erstreckt sich aber jedenfalls über einen erheblichen Teil des Lebens, und das genügt für ihre Kennzeichnung.

 

Die Gesamtheit solcher ähnlicher und daher begrifflich zusammengefaßter Erfahrungen wollen wir Dinge nennen. Ein Ding ist also eine Erfahrung, welche sich wiederholt hat, und von uns daher "erkannt", d.h. als wiederholt und begrifflich erfaßt empfunden wird. Dinge sind mit anderen Worten alle Erfahrungen, von denen wir Begriffe gebildet haben, und der Begriff des Dinges ist der allgemeinste Begriff, da er alle überhaupt möglichen Begriffe gemäß seiner Definition umfaßt. Sein "Wesen" oder entscheidendes Kennzeichen liegt in der Unterscheidbarkeit eines jeden Dinges von anderen. Dinge, die wir nicht unterscheiden, nennen wir gleich oder identisch. Hierbei bleibt dahingestellt, ob dieses Nichtunterscheiden stattfindet, weil wir nicht unterscheiden können, oder weil wir es nicht wollen. Alle Erfahrungen, welche zu einem Begriff zusammengefaßt werden, sind daher bezüglich dieses Begriffes als gleich empfunden oder angesehen worden. Da nun Begriffe sowohl unbewußt wie bewußt entstehen, so hat es sich im ersteren Falle um Gleichheiten gehandelt, die unmittelbar als solche empfunden worden sind. Im zweiten Falle ist dagegen bewußt von vorhandenen Verschiedenheiten abgesehen oder abstrahiert worden, um einen Begriff zu bilden, in welchen diese nicht eingehen. Dieses letztere Verfahren ist so vollständig als möglich zur Gewinnung des Begriffes Ding angewendet worden.

 

 

 

20. Die Ordnung.

 

Wiederum der Beschaffenheit unserer Erfahrungen im allgemeinsten Sinne entnehmen wir die Erfahrung des Zusammenhanges oder der Beziehung zwischen verschiedenen Dingen. Wenn wir uns an ein Ding A, erinnern, so kommt uns ein anderes Ding B in den Sinn, dessen Erinnerung durch die von A hervorgerufen wird, und umgekehrt. Die Ursache hierzu liegt immer in irgendwelchen Erlebnissen, durch welche A und B gemeinsam den Inhalt irgendeiner Erfahrung gebildet haben. Und zwar muß eine solche Gemeinsamkeit mehrfach stattgefunden haben, da sie sonst sich aus der Erinnerung wieder verloren hätte. Es ist mit anderen Worten die Tatsache der mannigfachen Begriffe, welche in solchen Zusammenhängen zwischen verschiedenen Dingen zutage tritt. Zwei Dinge A, und B, welche auf solche Weise im Zusammenhange stehen, nennen wir einander zugeordnet. Die Zuordnung bedeutet im allgemeinsten Sinne nicht mehr, als daß wir an B denken, wenn wir A im Bewußtsein haben, und umgekehrt. Sie kann aber beliebig bestimmter gestaltet werden, so daß ganz bestimmte Gedanken oder Handlungen mit der Zuordnung von B zu A, verbunden sind. Diese sind dann die gleichen für alle Einzelfälle, die unter die Begriffe A und B fallen.

 

Ordnen wir dem Ding B ein weiteres Ding C zu, so entsteht eine Beziehung von gleicher Beschaffenheit, wie bei der Zuordnung von A zu B. Gleichzeitig aber entsteht eine neue Beziehung, welche nicht unmittelbar vorgenommen worden war, nämlich eine Zuordnung von A zu C. Erinnert uns A, an B, und B an C, so können wir nicht verhindern, daß uns A auch an C erinnert. Dieses psychologische Naturgesetz ist eine Quelle unzähliger besonderer Folgen. Denn wir können es unmittelbar auf den weiteren Fall anwenden, daß dem Dinge C ein weiteres D zugeordnet wird, wodurch dann ebenso notwendig neue Beziehungen zwischen A und D, sowie B und D entstehen. Hier entstehen durch die Setzung der einen Beziehung C:D zwei neue, unmittelbar nicht gegebene, nämlich A:D und B:D. Sie entstehen dadurch, daß C nicht beziehungsfrei angenommen wurde, sondern bereits mit den Beziehungen zu A und B behaftet war, und diese daher in die neue Beziehung mit D mitbrachte.

 

An diesem einfachsten und allgemeinsten Beispiele erkennen wir den Typus des deduktiven Verfahrens (S. 50), nämlich die Aufdeckung von Verhältnissen, die zwar durch die angenommenen Voraussetzungen bereits festgelegt worden sind, die aber bei der Vornahme der entsprechenden Operationen nicht unmittelbar zutage treten. Im vorliegenden Falle liegt allerdings die Deduktion so nahe, daß die Erkennung der fraglichen Zusammenhänge gar keine Schwierigkeiten macht. Doch kann man sich leicht verwickeltere Fälle vorstellen, in denen die Auffindung der tatsächlich vorhandenen Beziehungen sehr viel schwerer ist und deshalb unter Umständen lange vergeblich gesucht wird.

 

 

 

21. Die Gruppe.

 

Die Gesamtheit aller einzelnen Dinge, welche unter einen bestimmten Begriff fallen, oder deren gemeinsamen Beschaffenheiten diesen Begriff ausmachen, nennen wir eine Gruppe, und jedes dieser Dinge ein Glied dieser Gruppe. Je nach der Beschaffenheit der kennzeichnenden Begriffe kann eine solche Gruppe aus einer bestimmten, endlichen Anzahl von Gliedern bestehen, oder unbegrenzt sein. So bilden die natürlichen ganzen Zahlen eine unbegrenzte oder unendliche Gruppe, während die zwischen 10 und 100 liegenden (oder zweistelligen) ganzen Zahlen eine begrenzte oder endliche Gruppe bilden.

 

Aus der Begriffsbestimmung der Gruppe ergibt sich das klassische sogenannte Schlußverfahren des Syllogismus, welches die Form hat: Die Gruppe A ist durch die Eigenschaft B gekennzeichnet. Das Ding C gehört zur Gruppe A. Folglich hat C die Eigenschaft B. Die hervorragende Stelle, welche Aristoteles und seine Nachfolger diesem Verfahren zugeschrieben haben, liegt in der Gewißheit...

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