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Höhenrausch

Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker

AutorJürgen Leinemann
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783641010201
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Politikverdrossenheit ist weit mehr als ein Schlagwort: Haben Politiker den Kontakt zur Wirklichkeit nicht längst verloren? Der Journalist Jürgen Leinemann hat die parteipolitische Machtszenerie jahrzehntelang aus nächster Nähe betrachtet, ohne seinen analytischen und gleichzeitig leidenschaftlich wertenden Blick zu verlieren. Das Fazit seiner Beobachtungen und Erkenntnisse ist alarmierend!

Jürgen Leinemann, geboren 1937 in Celle (Niedersachsen), hat Geschichte, Germanistik und Philosophie studiert. Er begann seine journalistische Karriere bei der dpa in Berlin, Hamburg und Washington. Seit 1972 arbeitet er für den SPIEGEL; er war Reporter und Büroleiter in Washington und Bonn, zog 1990 nach dem Fall der Mauer nach Berlin und leitete dort bis 2001 das Ressort Deutsche Politik; bis 2007 SPIEGEL-Autor im Berliner Büro. Kurz nach seinem Ruhestand 2007 erkrankte Leinemann an Krebs.
Leinemann hat zahllose Artikel und eine Reihe von erfolgreichen Büchern veröffentlicht, 2004 erschien sein Bestseller 'Höhenrausch'. Er ist Träger des Egon-Erwin-Kisch-Preises, des Siebenpfeiffer-Preises und 2009 wurde er mit dem Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches Lebenswerk ausgezeichnet.

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Leseprobe
V Die Trümmerkinder (1998–2004) (S. 276-277)

Nachträglicher Ungehorsam

Kurz nach 20 Uhr 30 am Freitag, den 14. November – gerade eröffnete Bundespräsident Johannes Rau mit dem traditionellen Walzer den Bundespresseball 2003 – drang der Berliner Außenminister in die Festsäle des Hotels Intercontinental ein. Mit robustem Körpereinsatz gelang es ihm, unterstützt von seinen rempelnden und schubsenden Leibwächtern, den ersten Ring der Presseleute zu durchbrechen.

Im hektischen Feuer der Blitzlichter bahnte sich Joseph A. Fischer – rechte Hand in der Tasche, linke Schulter vorgeschoben, Kopf gesenkt – mit unbewegt düsterer Miene seinen Weg durch die Sperrwand der Mikrofone. Wo war seine neue Freundin Minu Barati, 28? Würde sie nachkommen? Feierte er allein? Eher wirkte der einstige Streetfighter Joschka so, als wolle er den Saal besetzen.Durch die Gasse, die ihm seine Bodyguards frei drängelten, eilte Deutschlands beliebtester Politiker wortlos an den wartenden Journalisten vorbei in den Saal, in dem die Musik spielte. Was für ein Auftritt für die TV-Kameras. Was für ein Kick fürs eigene Ego.

Wieder einmal hatte der Mann, der seine atemberaubende Karriere von der Frankfurter Sponti-Szene in die obersten Ränge der Welt-Diplomatie auch den Medien verdankte, den Pressemenschen seine Verachtung gezeigt. »Nacht des Lächelns«? Nicht mit Joschka. Eine Freundlichkeitsgrimasse für den amerikanischen Botschafter, an dessen Tisch er Platz nahm, musste genügen. Griesgrämig inhalierte Fischer die Aufmerksamkeit, die er erregte, ein Weltmeister der doppelten Botschaften. Seine Leibwächter schreckten Neugierige ab. Belauert von Kameras und gierigen Reporteraugen hielten sie Frager auf Distanz.

Der Platz an seiner rechten Seite war leer geblieben. Ob er seine geheimnisvolle FreundinMinu, dieDeutschland bis dahin nur aus Fotos der Boulevard-Presse kannte, mitbringen würde wie fünf Jahre zuvor seine künftige vierte Ehefrau Nicola, hatte er vieldeutig offen gelassen. Dass man bei Joschka immer mit allem rechnenmuss, steigert seine Attraktivität. Fischer, der ein Mann des Witzes und des Wortes sein kann, ein Machtspieler von hohen Graden, liebt diesen Schwund von Selbstverständlichkeiten. Wie er das denn fände, dass Dieter Bohlen an diesem Abend in Berlin die politische Prominenz bereichern dürfe, wollte eine Journalistin wissen.

»Joschka Fischer macht sich nicht einmal die Mühe hochzugucken«, notierte die Kollegin. »Er legt die Mutter aller grantigen Tonfälle in seine Stimme und knurrt: ›Vergessen Sie’s!‹« Sollte sich der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, gewandet in Smoking mit roter Weste, um einen hergelaufenen Popstar im Straßenanzug kümmern? Popstar war er selber – der einzige in der Politik, hatte sein Freund Daniel Cohn-Bendit behauptet. Fischer griff zum Handy und telefonierte. Mit wem nur, mit wem? Schon wieder ein Geheimnis. Er tat, als giggele er mit seiner Minu, doch sein Gesprächspartner war der stellvertretende Pressesprecher. Lautstark und feixend teilte er ihm mit, dass er natürlich nicht frei reden könne, mit dem »Kerl vom Spiegel« neben und »dreißig Fotografen« vor sich. Kurz, der Minister amüsierte sich wie Bolle. In der von Fischer selbst diagnostizierten »Entwicklung hin zumKotzbrocken« war er, wie alle Zeitungen und Fernsehstationen mehr oder weniger unverblümt vermerkten, an diesem Abend ein beträchtliches Stück vorangekommen.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
VORWORT5
Einleitung10
Die Berliner Republik36
Das Raumschiff36
Zu viele Wirklichkeiten41
Die Probebühne47
Genschers Generationen52
Viel reden, wenig sagen58
Mediokratie63
Die Wichtigkeitsdroge Politik69
Die Weimarer (1966-1974)78
Inneres Geländer78
Historische Hypothek89
Wirkliche Wirklichkeit105
Bilderwelten112
Abenteuer der Existenz122
Die Soldaten (1974–1982)127
Intensive Feindberührung127
Die Geschlagenen136
Verdammte Pflicht und Schuldigkeit148
Wirklichkeitsoffensiven157
Alte Kameraden171
Die Kriegskinder (1982–1998)184
Dieser unser Staat184
Ein deutscher Typus199
Wirklichkeitseinbruch Tschernobyl204
Unglaubliche Alkoholikerversammlung215
Erfolgsmenschen224
Wirklichkeitseinbruch Mauerfall231
Einig Vaterland239
Langer Abschied255
Heroische Opfer265
Die Trümmerkinder(1998–2004)277
Nachträglicher Ungehorsam277
Tote Hose300
Politik ist nicht alles306
Der alte Nationalplunder316
Zaunkönige324
Staatsschauspieler334
Global Player343
Bruch im Leben351
Tristesse und Tränensäcke363
Ausgebrannt368
Gescheitert371
Abgestürzt378
Die Ostdeutschen(1990–2004)385
Vereinnahmung385
Betriebsunfälle410
Umbruchkompetenz420
Hoffnungsträger441
Sehstörungen441
Volksvertreter445
Versüchtelung453
Gesichtsverdrossenheit461
Lebensamateure465
Anhang472

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