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E-Book

Lernen

Gehirnforschung und die Schule des Lebens

AutorManfred Spitzer
VerlagSpektrum Akademischer Verlag
Erscheinungsjahr2002
Seitenanzahl528 Seiten
ISBN9783827413963
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,70 EUR

Lernen findet im Kopf statt. Was der Magen für die Verdauung, die Beine für die Bewegung oder die Augen für das Sehen sind, das ist das Gehirn für das Lernen. Daher sind die Ergebnisse der Gehirnforschung für das Lernen so wichtig wie die Astrophysik für die Raumfahrt.

Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, Professor für Medizin, Diplompsychologe und promovierter Philosoph hat - angeregt durch seine Erfahrungen im Baden-Württembergischen Bildungsrat und als Experte bei einer Anhörung zur PISA-Studie im Bundesrat - dieses Buch für einen breiten Leserkreis von Menschen geschrieben, die mit Lernen und Lernenden zu tun haben: Eltern, Lehrer, Schüler, Bildungspolitiker und alle, der seine Lernmaschine im Kopf verstehen und einsetzen möchte.

Spitzers Buch ist ein Plädoyer gegen Vorurteile: "Schüler sind nicht dumm, Lehrer sind nicht faul und unsere Schulen sind nicht kaputt. Aber irgendetwas stimmt nicht." Träumen wir nicht alle immer noch vom Nürnberger Trichter, der uns Lernen ohne Mühe verheißt, uns alles eintrichtert, was wir hören?

Aber was wäre, wenn unser Gehirn tatsächlich alles so aufnehmen würde wie der Nürnberger Trichter, wenn auch aller Unsinn, den wir hören, gelernt würde? Was wäre, wenn wir Fremdsprachen im hohen Alter so leicht lernen würden, wie wir als Kinder die Muttersprache lernen? Und warum ist es gar nicht zu bewerkstelligen, Lernen aus dem Leben zu verbannen? Und wenn Lernen unvermeidliche ist, gibt es dann so etwas wie eine Gebrauchsanleitung zur Lernmaschine in unserem Kopf? Spitzer's Buch kann als Ansatz dazu gelesen werden.  

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Leseprobe

7 Schlaf und Traum (S.121)

Erinnern wir uns an die Experimente mit Ratten, die sich in einem Kasten zurechtfinden mussten, aus Kapitel 2. Ein Jahr, nachdem diese Experimente publiziert waren, kam aus der gleichen Forschergruppe eine weitere wichtige Arbeit.

Das Experiment war im Grund ganz einfach: Man ließ die Ratten nach dem Erlernen des neuen Raums ein Nickerchen halten und leitete weiter Signale von Neuronen des Hippokampus ab. Hierbei zeigte sich, dass während des Schlafs genau diejenigen Neuronen, die unmittelbar zuvor neue Repräsentationen ausgebildet (sprich: gelernt) hatten, nochmals aktiviert wurden. Wozu sollte dies gut sein?

Konsolidierung und Schlafstadien
Vielleicht hat der eine oder andere Leser bei sich selbst schon beobachtet, dass man tagsüber eine Sache lernen möchte, sie aber trotz größter Anstrengung einfach nicht richtig fertig bringt. Enttäuscht vom Ergebnis der eigenen Bemühungen wendet man sich ab, um dann erstaunt festzustellen, dass am nächsten Tag alles „wie geschmiert" klappt.

Ganz offensichtlich spielen sich nach dem Lernen noch weitere Verarbeitungsschritte des Gelernten ab, die zu einer Verbesserung der Lernleistung führen. Man bezeichnet diese seit gut einhundert Jahren bekannte Nachverarbeitung und Verfestigung von Inhalten im Gedächtnis als Konsolidierung (vgl. Lechner et al. 1999). Seit mehr als zehn Jahren bringt man diesen Vorgang mit dem Schlaf in Verbindung, da Schlafentzug nach dem Lernen das Behalten beeinträchtigt (vgl. Gais et al. 2000, Maquet 2000, Stickgold 1998, Stickgold et al. 2000a, b).

Schlaf ist jedoch nicht gleich Schlaf. Seit mehr als 50 Jahren ist bekannt, dass es unterschiedliche Phasen während des Schlafs gibt, die auch als Schlafstadien bezeichnet werden. Der schlafende Mensch selbst bemerkt im Grunde nichts davon, sondern ist abends müde, schläft mehr oder weniger ungestört und wacht morgens ausgeschlafen wieder auf.

Leitet man jedoch Hirnströme ab und misst die Augenbewegungen sowie die Muskelanspannung, findet man ganz unterschiedliche Zustände im Verlauf einer äußerlich betrachtet ganz einheitlichen durchschlafenen Nacht (vgl. Abb. 7.1). Einen dieser Zustände bezeichnet man als Tiefschlaf, wobei verschiedene Tiefen dieses Schlafs unterschieden werden. Die elektrische Aktivität des Gehirns in diesem Zustand ist ganz anders als im Wachzustand, und man schläft (daher der Name) recht tief, d.h. ist nur schwer zu wecken.

Wenn man abends einschläft, so verändert sich die Hirnstromkurve zunächst immer mehr in Richtung Tiefschlaf. Nach einiger Zeit jedoch geschieht etwas Eigenartiges: Der Schlaf wird wieder leichter (also weniger tief) und man könnte meinen, der Schläfer wacht gleich wieder auf.

Tatsächlich kommt nun eine Schlafphase, während der die Hirnstromkurve genauso aussieht, als sei man wach. Gleichzeitig jedoch ist man am allerschwersten weckbar (man schläft also sehr fest) und die Anspannung der Muskeln ist noch geringer als im Tiefschlaf: Man ist völlig schlaff.

Nur die Augenmuskeln machen wilde Zuckungen und verursachen rasche Augenbewegungen. Dieser Schlaf ist so eigenartig, dass man ihn früher als paradoxen Schlaf bezeichnet hat. Das Gehirn ist elektrisch wach, lässt aber nichts hinein (höchste Weckschwelle) und nichts hinaus (geringste Muskelspannung).

Der heute für dieses Schlafstadium allgemein verwendete Name ist von den schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements) abgeleitet: Man bezeichnet diesen Schlaf als REM-Schlaf.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort13
1 Einleitung17
Der Nürnberger Trichter17
Internet als Supermarkt19
Aktivität20
Mit Inhalten hantieren20
Lust und Frust25
Angst27
Spuren28
Das Gehirn29
Ein halbes Gehirn31
Der Plan31
2 Ereignisse37
Der Hippokampus38
Ortszellen zur Navigation40
Neuronale Repräsentationen43
Neuronenwachstum für Orte und Vokabeln46
Neuigkeitsdetektor50
Geschichten51
Lernen ohne Hippokampus51
Fazit52
Methodisches Postskript: Funktionelles Neuroimaging53
3 Neuronen57
Impulse und Synapsen57
Repräsentation durch Synapsenstärken60
Anatomie in Zahlen67
Input und Output69
Fazit70
Postskript für Fortgeschrittene: Neuronale Vektorrechnung71
4 Wissen und Können75
Viel können und wenig wissen75
Synapsenstärken können viel78
Synapsen lernen, aber langsam80
Langsames Können-Lernen81
Sprachentwicklung: Regeln an Beispielen lernen84
Vergangenheitsbewältigung89
Tomaten im Kopf91
Regelhafte Welt92
Fazit93
5 Neuronale Repräsentationen95
Mehr als innere Bilder95
Repräsentation in Neuronenpopulationen97
Neuronale Aspekte und Perspektiven98
Von Kanten zu Regeln101
Neuronen für Kategorien102
Neuronen für Regeln106
Neuroplastizität: Sich ändernde Repräsentationen110
Fazit112
6 Plastische Karten115
Karten116
Prinzip der Karten118
Entstehung der Karten120
Plastische Karten121
Plastisches Sprachverstehen123
Wird es eng im Kopf?124
Vom Tasten zum Sprechen126
Weitreichende kortikale Plastizität130
Kognitive kortikale Karten bei Postbeamten131
Zusammenspiel der Karten134
Fazit135
7 Schlaf und Traum137
Konsolidierung und Schlafstadien137
Lernen im Schlaf139
Zebrafinken lernen schlafend singen141
Lernen im Traum?142
Tagesreste im Traum145
Schlafhygiene für Leben und Lernen148
Fazit149
Postskript: Delphine, Vögel und die Frage Warum149
8 Aufmerksamkeit157
Vigilanz158
Selektive Aufmerksamkeit159
Aktivität für das Lernen162
Ort- versus Objektzentriertheit167
Darauf achten oder nicht169
Fazit171
9 Emotionen173
Aufregung: Dabei sein174
Angst essen Seele auf177
Dem Gehirn beim emotionalen Lernen zuschauen181
Stress183
Akuter und chronischer Stress185
Fazit187
Postskript: Wo „Stress“ herkommt188
10 Motivation191
Besser als gedacht192
Dopamin193
Kokain195
Belohnung196
Neuigkeit und Bewertung197
Belohnung und Plastizität199
Schokolade, Musik, Blickkontakt200
Motivation erzeugen?208
Motivation in der Schule209
Fazit: Dopamin, Neuigkeit und Belohnung211
Psychiatrisches Postskript Wahn: Wenn die Bewertung überkocht212
11 Lernen vor und nach der Geburt217
Lernen im Mutterleib217
Angeboren und/oder gelernt221
Kritische Perioden222
Frühes Tuning für Laute225
Prototypen für Gesichter227
Verwirklichung von Möglichkeiten232
Stille Verbindungen233
Computer im Kinderzimmer?239
Fazit241
12 Kindheit245
Verbindungen reifen245
Areale gehen on-line249
Robuste Kinder und Spracherwerb251
Gebärdensprache253
Evolution: Fit sein versus fit werden255
Fazit: Was Hänschen nicht lernt ...256
13 Lesen259
Erkenntnis260
Verdrahtung261
Diagnose von Mikroverdrahtungsstörungen263
Therapie und Neuroplastizität266
Fazit267
14 Bildung: Mathematik, Natur- und Geisteswissenschaft269
Mathematik269
Einsteins Gehirn271
Mathematik273
Mathematik: Module273
Strahl, Sinn und Modul274
Genau rechnen versus grob schätzen276
Mathematikunterricht283
Naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Bildung288
Fazit290
15 Schnelle Jugend, weises Alter293
Endliche Existenz und angepasste Langsamkeit293
Statistik: Zur Genauigkeit von Mittelwerten295
Langsam zur Weisheit296
Schnelle Physik und langsamer Frieden297
Je mehr, desto besser299
Männer: Erfahrung versus Kraft300
Elefantenfrauen und Fruchtbarkeit302
Warum werden wir alt?304
Fazit: Der Sinn des Alters306
16 Kooperation309
Evolutionsmechanismen für Kooperativität310
Vom Waren- zum Gedankenaustausch312
Gefangen im Spiel313
Dilemma im Scanner316
Die Realität: Viele Spieler und viele Spiele317
Ärger und Strafe319
Der gute Ruf325
Rahmenbedingungen für soziales Lernen329
Wolf oder Schaf?330
Fazit: Die Wurzeln der Kooperation333
17 Bewertungen337
Depression und Manie337
Kohl, Äpfel und Bananen338
Das Trolley-Problem339
Moral im Scanner344
Zur Funktion von Bewertungsrepräsentationen346
Der gute Geschmack349
Katzen, Whiskas und die Moral351
Fazit353
18 Werte355
Werte im Gehirn356
Krankheiten und die Erkenntnis von Modulen357
Der Fall Phineas Gage358
Bewertung und Wert wie Haus und Substantiv360
Kardex und Kodex362
Prinzipien: Linguistik und Ethik365
Entwicklung: Werte als Spätentwickler367
Erfahrene Varianz spannt Räume auf370
Erziehung: Was sollen wir tun?372
Fazit374
19 Gewalt im Fernsehen lernen377
25.000 Stunden Fernsehen378
Macht Fernsehen gewalttätig?379
Wirkungen nach zwei Jahrzehnten380
Lernen am Modell: Gewalt im Labor382
Feldstudien383
Fernsehen macht Gewalt384
Rauslassen oder reinlassen?385
Desensibilisierung386
Kinder vor dem Fernsehapparat387
Auch Mädchen, auch ohne Veranlagung389
Fazit: Gewalt als Umweltverschmutzung392
Postskript: Computerspiele – Learning by doing395
20 PISA403
Hundertachtzigtausend SchülerInnen403
Lesen, Rechnen, Naturwissenschaft405
Ergebnisse: Mittelwerte und Streuungen406
Finnische Schulen aus finnischer Sicht408
Deutsche Schulen aus tasmanischer Sicht409
PISA-E411
Fazit412
Postskript: Die OECD entdeckt das Gehirn413
21 Schule415
Was wirklich geschieht416
Frontalunterricht, Varianz, Jim und ein Wort mit O418
Deutsch im Kindergarten421
Englisch in der Grundschule424
Lernen: Für das Leben, nicht für Klassenarbeiten!426
Disziplin427
Die Person des Lehrers427
Ausbildung der Lehrer430
Vernetzung ...432
... und Ereignisse ...432
... statt Vermittlung433
Lob und Tadel, Angst und Stress434
Computer in der Schule434
Fazit437
22 Religionsunterricht439
Religion und Staat440
Das Schulfach im Grundgesetz441
Der Islam und die neuen Bundesländer443
Neuroplastizität, Frontalhirn und nüchterne Realität445
Aufklärung447
Philosophie, Ethik, Religionskunde448
Ethik in der 7. Klasse?450
Problemfeld Weihnachtslieder451
Fazit: Vom Frontalhirn zur Grundgesetzänderung453
Postskript: Meditation über Gras, die Wurzel aus zwei, Gott und die Welt456
23 Lebensinhalte463
Pokémon oder Naturschutz464
Lebensbedingungen466
Welche Inhalte?468
Strukturen ...469
... Geschichten ...469
... Metaphern ...470
... und Mythen471
Natur ...471
... und Kultur472
Fremdbestimmung ...473
... und Selbstbestimmung473
Postskript: Pisa474
24 Epilog: Terra II477
Literatur503
Index521
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