Riservatissimo
Das vernichtende Urteil der Banca d’Italia
Verluste in Südtirol größer als in Norditalien
Die Watsche sitzt. Als die Herren und die Dame der Banca d’Italia am 30. Juni 2015 kurz nach 17 Uhr den Hauptsitz der Sparkasse verlassen, um noch den Zug nach Rom zu schaffen, sitzt man im Verwaltungsrat noch fast eine Stunde lang zusammen. Die Stimmung unter den zwölf Anwesenden erinnert an ein Begräbnis.
Gerhard Brandstätter, Carlo Costa, Nicola Calabrò, Marco Carlini, Sieglinde Fink, Stephan Jäger, Hans Krapf, Katrin Rieper, Klaus Vanzi und die Aufsichtsräte Martha Florian von Call, Massimo Biasin und Walter Schweigkofler sitzen an diesem Nachmittag wie begossene Pudel da. Fast drei Stunden lang haben die hohen Vertreter der Bankenaufsicht und die Spitze des Bozner Banca-d’Italia-Sitzes damit verbracht, dem Verwaltungs- und Aufsichtsrat der Sparkasse ein Zeugnis zu überreichen, das vernichtender kaum hätte sein können.
Dass mit Ciro Vacca an diesem Nachmittag auch der Leiter des Inspektions- und Prüfdienstes der römischen Bankenaufsicht in die Sparkasse kommt, zeigt, wie ernst man in Rom die Situation rund um die Südtiroler Traditionsbank sieht. Vacca und die Chefinspektorin der Banca d’Italia, Maria Carla Malinconico, stellen dem Verwaltungsrat einen 13 Seiten langen Bericht vor, der die Geschicke der Sparkasse noch lange beeinflussen wird.
Fünf Monate lang, vom 8. Oktober 2014 bis zum 6. März 2015, haben acht Inspektoren der Banca d’Italia die Sparkasse auf Herz und Nieren geprüft. Es gibt kaum einen Kreditakt, den die Abgesandten der Bankenaufsicht nicht unter die Lupe genommen haben. Dazu hat man alle Abteilungen und Bereiche der Bank auf den Kopf gestellt und analysiert.
Die Ergebnisse der Inspektion werden in 15 sogenannten „Beanstandungen“ im Abschlussbericht der Bankenaufsicht beschrieben, der an jenem Nachmittag Gerhard Brandstätter & Co vorgelesen und überreicht wird.
Was sich die Führung der Südtiroler Bank dabei anhören muss, ist der eindeutig schärfste und härteste Bericht, den die römische Bankenaufsicht jemals einer größeren Südtiroler Bank zugestellt hat. Der Bericht ist dabei nur das Vorspiel für Verwaltungsstrafen in Millionenhöhe gegen die früheren Verwaltungs- und Aufsichtsräte, die noch folgen werden.
Vor allem aber ist der Bericht ein Logbuch der Misswirtschaft und des völligen Versagens der Sparkassenführung in den Jahren zwischen 2009 und 2014. Die Situationsbeschreibung der Bank ist erschreckend, die Eigenständigkeit scheint ernsthaft gefährdet zu sein.
Note 5 – Vorwiegend negativ
Als Aufsichtsbehörde prüft die Banca d’Italia periodisch die italienischen Banken und gibt bei solchen Inspektionen am Ende eine Bewertung ab. Die Bewertungsskala erinnert an Schulnoten und reicht von 1 bis 6, wobei 1 „positiv“ (favorevole), 2 „vorwiegend positiv“ (in prevalenza favorevole), 3 „teilweise positiv“ (parzialmente favorevole), 4 „teilweise negativ“ (parzialmente sfavorevole), 5 „vorwiegend negativ“ (in prevalenza sfavorevole) und 6 „negativ“ (sfavorevole) bedeutet.
Die Prüfung endet für die Sparkasse mit der Note 5. Weiß man, dass die Bewertung 6 automatisch die Ernennung eines Kommissars nach sich zieht, dann wird klar, wie ernst es um die Sparkasse bestellt ist. Bereits in den ersten Zeilen des Berichts heißt es:
„Die Prüfung wurde mit dem Ergebnis vorwiegend negativ [im Original: in prevalenza sfavorevole] abgeschlossen. Dieses Ergebnis ist auf das hohe Kreditrisiko und auf die daraus folgenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche und Vermögenssituation der Bank zurückzuführen, aber auch im Kontext einer unangemessenen Führung der Gruppe zu sehen.“
Weil die Banca d’Italia formal die Sparkasse sowie deren Tochterunternehmen – die Raetia SGR und die Sparim AG – prüft, ist im Abschlussbericht immer wieder von der Gruppe Sparkasse die Rede. Gemeint ist damit aber vorwiegend die Bank. Im Bericht wird die schwerwiegende Situation der Sparkasse sehr nüchtern wie folgt zusammengefasst:
„Die Gruppe Südtiroler Sparkasse ist gekennzeichnet durch das hohe Risiko, das auf den Ausleihungen (Kreditkosten 2014: 336 Millionen Euro) und auf der sich in der freiwilligen Liquidation befindlichen Raetia SGR lastet (Verlust 2014: 22 Millionen Euro). Diese Situation hat aufgrund dieser erheblichen Abweichungen, die im Laufe der Prüfung zu Tage kamen, schwerwiegende Auswirkungen auf die bereits fragile wirtschaftliche Tragfähigkeit der Bank. Die Verluste der letzten zwei Jahre (38 bzw. 232 Millionen in den Jahren 2013 und 2014) haben das zuvor robuste Reinvermögen um ein Drittel reduziert. […]
In der Folge ist die Umsetzung der Kapitalerhöhung um 270 Millionen Euro entscheidend, die im März 2015 beschlossen wurde. Der Hauptaktionär, die gleichnamige Stiftung, hat seine Beteiligung dabei bereits formell zugesichert und am 28.4.2015 die Summe von 120 Millionen Euro für die ‚zukünftige Kapitalerhöhung‘ überwiesen.
In der Tat wird sich die Bankengruppe in absehbarer Zeit nicht auf die Eigenfinanzierung verlassen können, denn es bestehen strenge Auflagen zur Bereinigung der Aktiva […] und hohe operative Kosten, die nur zum Teil gesenkt werden können. Zudem sind die Muttergesellschaft und die Raetia hohen Prozessrisiken und auch Schäden ihres Ansehens ausgesetzt, die in den folgenden Beanstandungen noch genauer beschrieben werden.“
Im Bericht der Banca d’Italia werden dann detailliert mehrere Verstöße gegen gesetzliche Bankenbestimmungen beschrieben. Dabei geht es sowohl um die Sparkassentochter Raetia SGR – eine Fondsverwaltungsgesellschaft, von der in diesem Buch noch ausführlich die Rede sein wird, – wie auch um unterlassene Meldungen zu Finanzoperationen, die das aufsichtsrechtliche Kernkapital (patrimonio di vigilanza) der Bank betreffen. Der härteste Brocken kommt aber in den Beanstandungen unter dem Titel „Führung und Kontrolle der Gruppe“:
„Der Verwaltungsrat der Sparkasse, wie er bis April 2014 zusammengesetzt war, hat nicht in angemessener Weise die Risiken überwacht, die vor allem im Kreditbereich durch ein Verhalten entstanden sind, das von falsch verstandenem Willen zur Stärkung des Einzugsgebietes geleitet war. Zudem hat der Verwaltungsrat die Rechtmäßigkeit der operativen Tätigkeit in den Tochterunternehmen nur in eingeschränktem Maße überwacht.
Das Fehlen von gemeinsamen Entscheidungsprozessen, die mangelnde Unabhängigkeit des Aufsichtsrates und die Unzulänglichkeit der Geschäftsführung haben sich auf diese Mängel in der Unternehmensführung erschwerend ausgewirkt.
Bericht der Banca d’Italia, Deckblatt: Fünf Monate lang geprüft
Das derzeit hohe Risikoniveau ist die Folge einer Kreditpolitik, die auf einer bedingungslosen Unterstützung von Vorhaben einiger großer lokaler Kreditnehmer fußt, selbst wenn diese reine Spekulationsgeschäfte oder nicht kreditwürdig waren und sich sehr häufig als Verlustgeschäft entpuppt haben. Dazu kommen Fehlentscheidungen bei der Kreditvergabe in den neuen Expansionsgebieten sowie eine Konzentration in Richtung Immobilien- und Gastgewerbesektor.“
Die Inspektion der Banca d’Italia im Winter 2014/15 ist die dritte Prüfung innerhalb der letzten vier Jahre. Die Bankenaufsicht hat die Sparkasse bereits vom 11. Jänner bis zum 27. Mai 2011 geprüft. Vom 13. Juni bis zum 2. September 2011 wurde die Sparkassentochter Raetia SGR unter die Lupe genommen und vom 3. Dezember 2012 bis zum 8. März 2013 wiederum die Sparkasse. Alle drei Prüfungen enden mit demselben Ergebnis: „teilweise negativ“. Note 4.
Im aktuellen Abschlussbericht werden immer wieder Verfehlungen und Mängel angeführt, die die Inspektoren bereits bei ihren vorangegangenen Prüfungen angeprangert haben. Die Sparkassenführung hat es aber anscheinend nicht der Mühe wert befunden, darauf angemessen zu reagieren.
„Trotz der Aufforderungen der Bankenaufsicht und der Verhängung von Verwaltungsstrafen hat der frühere Verwaltungsrat lange Zeit die Aufdeckung der negativen Auswirkungen dieser Ausrichtung verschleppt und dadurch die Folgen noch zusätzlich verstärkt. Als Beispiel für diese zögerliche Haltung kann die mehrmals angekündigte Vorgabe angeführt werden, die branchenmäßige Konzentration [der Kredite – Anm. d. Autors] zu verringern sowie die unsachgemäße Zuerkennung einer geringeren Risikoklasse bei Krediten, die in Südtirol vergeben werden, abzuschaffen.“
Weite Teile des Prüfberichtes beziehen sich auf die mangelnden internen Kontrollen und die Unangemessenheit der Kontrollsysteme innerhalb der Sparkasse. So heißt es:
„Auch hier ist die Beseitigung der Mängel noch nicht abgeschlossen, die bei den vorangegangenen Inspektionen festgestellt worden sind. […] Das interne...