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E-Book

Bindung und Migration

VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783608108453
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Menschen mit Migrationshintergrund gleich welchen Alters haben ein erhöhtes Risiko für Abhängigkeitserkrankungen, posttraumatische Belastungsstörungen, psychosomatische Leiden und andere psychische Störungen. Die Autorinnen und Autoren des Bandes erklären, • welche Rolle die Bindungspersonen spielen, • welche Faktoren schützen und • wie neue Beziehungen aufgebaut werden. Viele Kinder aus Migrantenfamilien wachsen in einem kulturellen und emotionalen Spannungsfeld auf. In den neuen Gesellschaften und Kulturen erleben sie Stress, Anpassungsdruck, Entbehrungen und manchmal aggressive Anfeindungen. Dadurch wird ihr Bindungssystem erschüttert und das Gefühl von Urvertrauen in Schutz durch liebevolle Menschen kann verloren gehen. Diese Erfahrungen können potentiell traumatisch verarbeitet werden und zu tiefgreifenden Bindungsunsicherheiten führen mit einem Gefühl von extremer Angst. International renommierte Fachleute und Forscher berichten aus ihren Erfahrungen und Studien und zeigen Wege für neue Entwicklungen auf. - Steigende Zahl von PatientInnen mit Migrationshintergrund - Die Besonderheiten der Arbeit mit MigrantInnen werden erklärt - Ansätze für die Behandlung von Kindern und Erwachsenen - International renommierte und erfahrene AutorInnen und Forscher

Karl Heinz Brisch, Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie; Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen; Ausbildung in spezieller Psychotraumatologie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Er war Vorstand des weltweit ersten Lehrstuhls für Early Life Care und leitete das gleichnamige Forschungsinstitut an der PMU in Salzburg. Seine klinische Tätigkeit und sein Forschungsschwerpunkt umfassen den Bereich der frühkindlichen Entwicklung und der Psychotherapie von bindungstraumatisierten Menschen in allen Altersgruppen. Brisch leitete über viele Jahre die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und entwickelte dort das MOSES®-Therapiemodell zur erfolgreichen Intensiv-Psychotherapie von früh traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Brisch entwickelte die Präventionsprogramme »SAFE® - Sichere Ausbildung für Eltern« und »B.A.S.E® - Babywatching«, die inzwischen in vielen Ländern Europas, aber etwa auch in Australien, Neuseeland und Russland Verbreitung gefunden haben. Er ist Gründungsmitglied der »Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit« (GAIMH e. V. - German-Speaking Association for Infant Mental Health) und war dort viele Jahre lang im Vorstand. Die GAIMH ist eine Tochtergesellschaft der WAIMH - World Association for Infant Mental Health. Seit 2000 organisiert er die jährlich stattfindende renommierte Internationale Bindungskonferenz (www.bindungskonferenz.de) so wie seit 2018 die Internationale Early Life Care Konferenz in Salzburg (www.earlylifecare.at). Brisch verbreitet die Inhalte und Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung und -psychotherapie auch durch viele Publikationen, Vorträge und die Teilnahme an zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen (https://www.khbrisch.de). Vom 16. bis zum 18. September 2022 fand die 21. Internationale Bindungskonferenz zum Thema »Gestörte Bindungen in digitalen Zeiten - Ursachen, Prävention, Beratung und Therapie« statt. Die Konferenzleitung obliegt Karl Heinz Brisch. Zur Website der Bindungskonferenz: www.bindungskonferenz.de

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Leseprobe

Einleitung


Das vorliegende Buch umfasst verschiedene Beiträge aus den Bereichen Forschung, Klinik und Prävention, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema »Bindung und Migration« beschäftigen. Neben den Ergebnissen aus der Forschung werden auch anhand von Fallbeispielen Erfahrungen aus der klinischen Arbeit vermittelt, um die therapeutischen Möglichkeiten und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie, Begleitung, Beratung und Prävention bei Migrantinnen und Migranten aufzuzeigen.

In einem grundlegenden Beitrag beschäftigen sich Thomas Hegemann und Melisa Budimlic damit, wie eine Form von Psychotherapie bei Menschen mit Migrationshintergrund mithilfe von Dolmetschern organisiert und erfolgreich realisiert werden kann. Dieser Beitrag ist insofern von großer Bedeutung, als jede Form von sozialer Arbeit – bis hin zur Psychotherapie – nur dann gelingen kann, wenn zwischen Helfern und den betroffenen Menschen überhaupt eine Verständigung zustande kommen kann. Welche kulturell spezifischen Unterschiede im Verstehen von Fragen und Antworten aufkommen und wie diese im Prozess der Psychotherapie mit Dolmetschern berücksichtigt werden müssen, wird in diesem beispielhaften Beitrag verdeutlicht.

Gerade kulturelle Differenzen spielen – besonders wenn es um eine Bindungstraumatisierung geht – eine große Rolle bei Menschen, die mehrere kulturelle Identitäten haben. Wie sich diese auf die psychotherapeutische Arbeit, z. B. bei depressiven Erkrankungen, auswirkt, berichtet Visal Tumani anhand ihrer Forschungsergebnisse.

Besonders minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind für jede Form von Begleitung und Psychotherapie eine große Herausforderung. In einer speziellen Flüchtlingsambulanz für jugendliche Flüchtlinge in Hamburg wird diese Arbeit hervorragend in einer exzellenten Kombination aus Psychotherapie und sozialer Arbeit realisiert, wie Carolin Mogk in ihrem Beitrag verdeutlicht.

Welche Bedeutung hat es, wenn durch die Migration die Bindungsbeziehung zu den im Heimatland zurückgebliebenen Familienangehörigen unterbrochen wird? Viele Menschen warten nach erfolgreicher Flucht darauf, dass sie entweder ihre Familienangehörigen auch in ihr neues Heimatland nachziehen lassen können oder nach einer bestimmten Zeit der erfolgreichen Stabilisierung im neuen kulturellen Umfeld durch ihre finanzielle Unterstützung der Familie im Heimatland eine gewisse Prosperität ermöglichen können, oder sie wollen nach einiger Zeit wieder in ihr Ursprungsland zurückkehren. Hieraus entstehen vielfältige Konflikte und Schwierigkeiten, die nicht selten auch innerhalb der Familien zu großen Spannungen und Missverständnissen führen. Der Beitrag von Elaine Arnold beschäftigt sich intensiv mit dieser Thematik, auch aufgrund eigener Erfahrungen mit einer Migration zwischen zwei Welten.

In vielen Kulturen wird Kinderschutz ganz unterschiedlich ausgelegt. Menschen mit Migrationshintergrund werden in unserem Kulturkreis in ihrer Art, Kinder zu erziehen, mit dem Thema »Kinderschutz« konfrontiert. Für professionelle Helfer stellt sich die Frage: Braucht es ein besonders sensibles Vorgehen, um auch Wertschätzung und Respekt für die kulturellen Normen des Herkunftslandes und der Herkunftskultur von Migrantinnen und Migranten zu berücksichtigen? Gülay Teke macht klar, dass die Kulturen so vielfältig sind, dass diese Fragen nicht über Tabellen mit einigen kulturspezifischen Anweisungen zu lösen sind.

Wenn Kinder Gewalt und Vertreibung erlebt haben, sind sie in ihren psychischen Welten extrem erschüttert, ziehen sich entweder zurück oder werden oftmals aggressiv, können sich in kulturellen Gruppen kaum mehr sicher bewegen. Die ganze Welt erscheint für sie als bedrohlich, besonders Erwachsene stehen für sie eher für Gewalt denn für Sicherheit und Unterstützung. Eva Pattis Zoja hat ein psychoanalytisches Konzept entwickelt, mit dem sie auf der Grundlage der Analytischen Psychologie mithilfe der Sandspieltherapie Kindern in Brennpunktgebieten der Welt eine Möglichkeit bietet, begleitet durch Mediatoren am Sandspielkasten rein auf symbolischer Ebene ihre Innenwelten darzustellen und über diese Form der begleiteten expressiven Sandspielarbeit in einen innerpsychischen Entwicklungsprozess zu kommen. Diese beeindruckende und erfolgreiche Arbeit könnte für viele Eltern mit Kindern und auch Jugendliche mit Migrationshintergrund ein neuer wichtiger Zugang sein, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten.

Jede Form der psychotherapeutischen und psychosozialen Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund steht vor der großen Herausforderung, die Bereiche »Bindung«, »Kultur« und »Trauma der Flucht« miteinander in eine komplexe Interaktion zu bringen, denn nur wenn alle Bereiche einigermaßen berücksichtigt und auch in den Prozessen angesprochen werden können, ist eine erfolgreiche Integration in die neue Kultur möglich, wie Jorge Aroche und Mariano Coello aus ihrer Arbeit in Sidney, Australien, berichten.

Wenn Kinder mit Migrationshintergrund, z. B. aus einem arabischen Kontext, in Deutschland zwar mit ihren Familien integriert sind, aber dennoch entwicklungsspezifische Probleme herausbilden, ist es eine besondere Herausforderung, diese in kinderpsychotherapeutischer Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten. Selbst für eine Muslima, die den arabischen Kulturkreis aus eigener Erfahrung kennt und auch die bikulturelle Integration für sich selbst bewältigt hat, ist eine Psychotherapie mit arabischen Familien eine große Herausforderung, wie Imen Belajouza an Fallbeispielen eindrücklich vermitteln kann.

Viele Kinder und Jugendliche auf der Welt sind von Kinderhandel, Verschleppung und Vertreibung bedroht. Dies hat extreme Auswirkungen auf die individuelle psychische Entwicklung der Opfer und auf ihre familiären Beziehungen, die dadurch massiv beeinträchtigt werden. Seit vielen Jahren arbeitet Barbara Schuler in Afrika, hier besonders im Senegal, im Bereich »Kinderschutz und Prävention von Kinderhandel« sowie auch im Bereich »Intervention«. Ihre Erfahrungen und Berichte sind von größter Bedeutung, weil diese Kinder dann häufig auch nach Flucht und Vertreibung in unserer Gesellschaft Asyl suchen und es für alle Helfersysteme wichtig ist, um Kinderhandel und verschiedene Formen der Ausbeutung zu wissen, welche die Kinder oftmals vor ihrer Flucht erlebt haben und die dann in entsprechenden Prozessen der Begleitung, Beratung und Psychotherapie wieder auftauchen können.

Nicht selten verlieren Menschen auf der Flucht andere Familienangehörige, weil sie während der Flucht getrennt werden, so dass sie über lange Zeit nicht wissen, ob jene Familienangehörigen ebenso überlebt haben oder auf der Flucht gestorben sind. Die Suche nach Überlebenden und die Begleitung dieser suchenden Menschen, z. B. durch besondere Programme, ist die Aufgabe von Andrea Perry in London, die seit vielen Jahren mit dem englischen Roten Kreuz Menschen auf der Suche nach verlorenen Familienmitgliedern unterstützt und ihnen hier neue Wege und Perspektiven eröffnet. Dies kann auch den Beginn der Trauerarbeit beinhalten, wenn es sich herausstellt, dass Familienangehörige endgültig verloren sind.

Patrick Meurs aus Leuven und Gül Jullian berichten über ein Präventionsprogramm, das Eltern mit Kleinkindern, die aus anderen Kulturen eingewandert sind, durch eine kulturbewusste präventive Entwicklungsberatung hilft, erste Schritte mit ihren Kindern in der neuen Kultur zu wagen. In diesem Programm werden sowohl kulturelle Eigenheiten der Herkunftskultur integriert als auch Brücken zur neuen jetzigen Kultur gebaut, in der die Menschen nach Flucht und Vertreibung erstmals Fuß fassen und mit ihren Kindern erste Schritte gehen. Es ist beeindruckend, wie eine kulturspezifische und sensible Vorgehensweise Eltern helfen kann, mit ihren Kleinkindern in der neuen Kultur auf diese Art und Weise ihren Weg zu finden und damit auch die Kinder für die neue Kultur aufgeschlossen zu machen.

In einem abschließenden Beitrag schildert Karl Heinz Brisch, wie Kinder und Jugendliche nach den Erfahrungen der Migration durch eine internationale Adoption hoffen, bei deutschen Adoptiveltern eine gesunde Entwicklung nehmen zu können. Oftmals sorgt aber die Traumatisierung, die bereits vor der Adoption in großem Umfange die psychische und körperliche Entwicklung dieser Kinder geschädigt hat, für erhebliche...

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