2. Hollywood, wir kommen!
Das undurchsichtige Geschäft mit den Fernsehinhalten
»Dummerweise war die ganze Geschichte ans Licht gekommen, plötzlich und unerwartet.«
Doris Heinze, ehemalige NDR-Fernsehspielchefin und heute Krimiautorin, in ihrem 2012 erschienenen Roman Höhere Gewalt
Der Absturz des »Ufo« im Skandalsender MDR
Still ruht der See. An diesem Donnerstagabend ist das weitläufige Bassin auf dem riesigen Gelände des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) im Süden von Leipzig spiegelglatt. Hellgelb leuchten die Klinkergebäude des ehemaligen Schlachthofes der Sachsen-Metropole. Es herrscht Windstille. Nur Schwärme von Schnaken tänzeln ruhelos über die Wasserfläche. Kein Mensch, kein Auto – nichts und niemand stört die Friedhofsruhe. Die erst vor anderthalb Jahrzehnten errichtete Zentrale ist in der Zeit zwischen ZDF-Heute und ARD-Tagesschau an diesem Sommertag wie ausgestorben. Die Amtsstuben sind geschlossen. Alle sind offenbar schon zuhause. Nur Karola Wille arbeitet noch. Ihr Arbeitstag im Büro endet selten vor 20 Uhr. Sie ist durchgetaktet. Für die seit November 2011 amtierende Intendantin der Drei-Länder-Anstalt gibt es viel, sehr viel zu. Die gelernte Medienjuristin muss aufräumen im Augiasstall der ARD. Denn der MDR hat sich in den vergangenen Jahren als Skandalsender einen Namen gemacht. Nirgendwo sonst im System von ARD und ZDF kamen mehr Korruption, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft zum Vorschein.
Offiziell ist der MDR seit seinem Sendestart am 1. Januar 1992 Mitglied der ARD und liefert knapp elf Prozent Programmanteil für das Erste. Er versteht sich mit seinem Sendegebiet in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als die »Stimme des Ostens«. Zuletzt hatte die als Schunkelsender veräppelte Anstalt aber nicht durch Programmhighlights, sondern durch Skandale auf sich aufmerksam gemacht.
Prominentester Fall ist »Ufo«.1 So hieß der entlassene MDR-Unterhaltungschef Udo Foht. Der Mann soll sich von Geschäftsfreunden und Produktionsfirmen, die mit dem MDR zusammenarbeiteten, Zehntausende Euro geliehen haben. Er soll auf dem offiziellen Papier des MDR Produzenten um große Geldbeträge gebeten haben. Zu welchen Zweck Udo Foht sein Geldleihsystem betrieb, ist unklar. »Ich habe es nie verstanden«, sagt mir einer seiner früheren Freunde. Der Staatsanwalt ermittelt noch.
Das dubiose Geldleihsystem von Foht erschütterte den Sender zutiefst. Foht, der Erfinder von publikumsträchtigen Volksmusiksendungen und Entdecker des Volksmusikstars Florian Silbereisen, wurde Ende Juli 2011 aus dem Dienst entfernt. Danach haben MDR und Foht einen Vergleich geschlossen. Dem früheren Unterhaltungschef wurde im Januar 2012 rückwirkend gekündigt. Eine Abfindung bekam er nicht. Ob es zu Schadenersatzforderungen durch den MDR kommen wird, ist noch offen.2 Strafrechtlich war der Fall Foht bislang nicht relevant.
Wie konnte ein dubioser TV-Biedermann wie Foht jahrelang seine zweifelhaften Finanzgeschäfte betreiben, ohne dass es jemandem auffiel? Eine einfache Antwort gibt es nicht. »Der frühere Intendant Udo Reiter hat eben einfach weggeschaut. Das war der einfachste Weg«, sagt ein Leipziger MDR-Insider. Die Intendantin, die einen wesentlichen Anteil an der Aufklärung gehabt haben soll, schweigt lieber. »Zu laufenden Ermittlungsverfahren möchte und kann ich nichts sagen. Das ist Sache der Gerichte«, sagt die Juristin und lächelt ein wenig verlegen. Schließlich leitete sie selbst die juristische Direktion über viele Jahre. Kann ihr das alles entgangen sein? Manche zweifeln. Andere im Sender berichten, ihr Vorgänger, Udo Reiter, der Dauerintendant, soll angeblich seine langjährige Stellvertreterin kurzgehalten haben. Obwohl sie als Justiziarin fungierte, hätte sie offenbar wenig Einblick in das gehabt, was hinter den Kulissen tatsächlich gespielt wurde.
Reiter, einst Exportschlager des Bayerischen Rundfunks für den »wilden Osten«, war Gründungsintendant des MDR. Er regierte wie ein von Gottes Gnaden entsandter König über sein Drei-Länder-Reich. Öffentliche Selbstkritik war dem Bayer, der in seiner Heimat mit der Gründung des Radio-Informationskanals B 5 aktuell bundesweit Aufsehen erregt hatte, fremd. Der gelernte Germanist, der einst über den expressionistischen Lyriker Jakob van Hoddis promovierte, war ohnehin nie ein Wirtschaftsfachmann. Das kam den Gebührenzahler teuer zu stehen. Denn der MDR hatte sich mit einer Ecuador-Staatsanleihe mächtig verzockt. Die Wette auf die ecuadorianische Währung Sucre erwies sich als finanzakrobatische Fehlleistung. Der Schaden für den Gebührenzahler belief sich, wie Reiter kleinlaut zugeben musste, auf 2,6 Millionen Mark.3 »Wir waren etwas risikobereiter, als wir es mit öffentlichen Geldern hätten sein dürfen«, musste Reiter bekennen.
Als Folge des Finanzskandals wurde der damalige MDR-Verwaltungsdirektor Rolf Markner suspendiert. Reiter wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Er durfte weiter im Amt bleiben. Ein politischer Fehler.
Denn unter Reiter sollten noch viele Skandale folgen. So wurde später der frühere MDR-Sportchef Wilfried Mohren wegen Bestechlichkeit auf Bewährung verurteilt. Der Kinderkanal in Erfurt wurde von kriminellen Mitarbeitern um viele Millionen Euro betrogen. Zu allem Überfluss machte Reiter auch noch nach einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff durch einen unwürdigen Witz über Muslime per Kurznachrichtendienst Twitter von sich reden, der für Aufregung sorgte.4
Ganze zwei Dekaden blieb Reiter auf seinem Leipziger Chefsessel. Vielleicht schützte ihn sein politisches Netzwerk, wie manche vermuten? Vielleicht schützte den gebürtigen Lindauer eine konsequente Politik des Wegschauens? Es ist schon seltsam und fragwürdig, dass die Aufsichtsgremien, die eigentlich im Auftrag der Gebührenzahler agieren sollten, es nicht geschafft haben, diese jahrelange Fehlbesetzung zu verhindern. Am Ende wurde Reiter 2011 durch den Megaskandal um seinen Unterhaltungschef Udo Foht indirekt zum Rücktritt gezwungen. Besenrein wollte er »seinen« Sender übergeben. Genau das Gegenteil war der Fall. Reiter hinterließ einen Sender, dessen Ruf bis heute schwer beschädigt ist. MDR-Insider sprechen selbstironisch von einem »Saustall« in Anspielung auf das Schlachthofgelände als Firmenzentrale.
Heute residiert im Büro von Udo Reiter, so groß wie ein Tanzsaal, seine frühere Stellvertreterin Wille. Ihr ist das pompöse Büro im ersten Stock des früheren Leipziger Fleischbüros eher peinlich, berichten enge Mitarbeiter. Karola Wille kann ihre Iris so verdrehen, dass fast nur noch ihre weißen Augäpfel erkennbar sind. In solchen Momenten gibt sie ihrem Gegenüber das Gefühl, dass sie am liebsten verschwinden möchte. Vielleicht ist das kunstvolle Verdrehen der Augen ein Schutz, den sie sich zugelegt hat? Denn zum Augenverdrehen gab es in der ostdeutschen Rundfunkanstalt in der Vergangenheit viel, sehr viel Anlass.
Die willensstarke Intendantin ist nun angetreten, im offenbar korruptesten Sender der Republik aufzuräumen. Mit 575 Millionen Euro finanzieren die Gebühren die Drei-Länder-Anstalt. Das ist eine hohe Verantwortung für Karola Wille, die seit mehr als zwei Dekaden im Sold des MDR steht. »Wir sind jetzt dabei, gründlich im Sender aufzuräumen, um Korruption und Vetternwirtschaft für die Zukunft auszuschließen«, sagt mir die 53-Jährige und rollt mal wieder mit den Augen.
Die Medienjuristin meint es ernst. Das haben die rund 2 000 festen und 2 000 freien Mitarbeiter bereits zu spüren bekommen. »Ich baue den MDR in allen Bereichen um, so werden wichtige Funktionen voneinander getrennt«, sagt sie. Um einen kriminellen Missbrauch von Gebührengeldern auszuschließen, wurde außerdem das Vier-Augen-Prinzip gestärkt und eine neue, transparente Herstellungsordnung eingeführt. Darüber hinaus hat sie fast alle Führungspositionen neu besetzt. »Wir setzen beim MDR auf ein wirksames internes Kontrollsystem«, beteuert die einstige DDR-Juristin. Ihr Credo ist klar: Kontrollversagen macht Missbräuche möglich.
Die in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geborene Juristin war einst SED-Mitglied. Die Wendezeit überstand sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leipziger Universität. Heute ist sie dort Honorarprofessorin. Zum MDR kam sie 1991 schlicht über eine Bewerbung. Schnell stieg die ehrgeizige Sächsin auf, die sich am liebsten im heimischen Garten am Stadtrand Leipzigs erholt. Fleiß und Geradlinigkeit werden ihr nachgesagt. Das sind Tugenden, die der MDR bitter nötig hat. Denn der Umbau der Drei-Länder-Anstalt hat gerade erst begonnen. In fünf Jahren soll der MDR wieder mal besenrein sein. Dann steht ihre Wiederwahl an.
Ob die humorvolle Anstaltschefin die ihr gestellten Aufgaben meistern kann, ist unterdessen offen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Biotop des Missbrauchs – und der MDR ein ganz besonderes. »Hier gibt es eine Kultur des Organisierens, des gegenseitigen Deckens und sogar eine Art Beschaffungskriminalität«, sagt mir eine MDR-Führungskraft in Leipzig im Vertrauen. »Frau Wille war von Anfang an dabei. Die ganze Schuld auf Reiter schieben zu wollen ist nicht richtig«, sagt ein früherer MDR-Mitarbeiter, der die heutige Intendantin aus ihrer Zeit als Verwaltungsdirektorin kennt.
Die Skandale reißen nicht ab. Erst im Mai 2012 hatte der vom MDR eingesetzte frühere Kommissar Ingmar Weitemeier, einst Chef des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern und jetzt freier Sicherheitsberater, einen weiteren Fall entdeckt. Reinhard Mirmseker, bislang...