Der Herr, unser Anfang und Grund, Er gründet uns
»WAS VON ANFANG an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbar; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus« (1 Joh 1,1–3).
1. »Was von Anfang an war …« Was vor und nach mir und den Dingen war, der Herr der Zeit, »das Alpha und das Omega, der ist und der war und der kommt« (Apg 1,8) … »der Erste und der Letzte, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält und mitten unter den sieben goldenen Leuchtern einhergeht« (2,1), »der tot war und wieder lebendig wurde« (2,8), »der das scharfe, zweischneidige Schwert trägt« (2,12), »der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen und Beine wie Golderz« (2,18), »der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat« (3,1), der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand mehr schließen kann, der schließt, so dass niemand mehr öffnen kann« (3,7), »das Amen, der treue und zuverlässige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes« (3,14).
Betrachten wir diesen Herrn der Zeiten, des Anfangs und des Endes, mithilfe dieser prägnanten Visionen seines Geheimnisses (1,10 –18; 4,1–11). Und beten wir ihn dabei schweigend und mit Worten an: »Würdig bist du, unser Herr und Gott, Herrlichkeit zu empfangen und Ehre und Macht. Denn du bist es, der die Welt erschaffen hat, durch deinen Willen war sie und wurde sie erschaffen« (4,11). Oder rufen wir den Herrn mit derselben Geste der Anbetung bei den Namen an, die seine erwartungsvolle Kirche ihm gibt: O Weisheit, O Adonai und Fürst des Hauses Israel, O Spross aus der Wurzel Jesse, O Schlüssel Davids, O aufstrahlendes Licht aus der Höhe, O König der Völker, den sie alle ersehnten, O Immanuel, du König und Meister …
2. »Was von Anfang an war« führt uns zu dem grandiosen Anfang von Allem: »Im Anfang war das Wort« ( Joh 1,1); »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1). »Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung … Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand« (Kol 1,15 –17). Rufen wir uns im Lichte dieses Anfangs unsere eigenen »Anfänge« ins Gedächtnis: den Anfang in Gott, den Anfang unseres christlichen Lebens, den Anfang unserer Berufung. Spüren wir den Blick des Herrn, der auf diese Anfänge unseres Lebens gerichtet ist, diesen Blick, der gründet, aufbaut und festigt.
3. Zu Beginn seiner Geistlichen Übungen stellt Ignatius uns vor Jesus Christus, unseren Herrn, Schöpfer und Erlöser: »Der Mensch ist dazu geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben, ihn zu ehren und ihm zu dienen, und auf diese Weise seine Seele zu retten; die anderen Dinge auf dem Antlitz der Erde sind für den Menschen geschaffen, damit sie ihm beim Verfolgen des Ziels, für das er geschaffen wurde, helfen mögen. Folglich soll der Mensch sie soweit gebrauchen, als sie ihn an sein Ziel bringen, und sich davon trennen, wenn sie ihn dabei behindern. Deshalb ist es nötig, dass wir uns darum bemühen, allen erschaffenen Dingen, das heißt allem, was wir frei wählen dürfen und was uns nicht verboten ist, grundsätzlich offen zu begegnen; sodass wir nicht mehr Gesundheit als Krankheit, nicht mehr Reichtum als Armut, nicht mehr Ehre als Verachtung wünschen sowie nicht lieber länger als kürzer leben wollen, und folglich mit allen anderen Dingen genauso verfahren. So wünschen und wählen wir einzig das, was uns am ehesten an das Ziel führt, für das wir geschaffen sind« (Ejercicios Espirituales 23, im Folgenden abgekürzt mit EE).
An diesem Anfang, auf diesem Prinzip und Fundament, wo uns der heilige Ignatius die inneren Einstellungen erklärt, die uns als Erlöste und nach Erlösung Strebende eigen sein sollten, schauen wir unter seiner Anleitung auf Christus, unseren Schöpfer und Retter. Und mit dem Konzept der grundsätzlichen Offenheit, der abwägenden Großzügigkeit bei der Wahl der Option, »die uns am ehesten an das Ziel führt«, erleben wir »Christus, der stets größer ist«, den »Deus semper maior«, den »intimior intimo meo«.4
4. Für den ersten Exerzitientag schlage ich Folgendes vor: Nehmen Sie Ihren Sendungsauftrag an, betrachten Sie sich dadurch als eingesetzt und vertrauen Sie wieder darauf, dass derselbe Herr, der Sie geschaffen und erlöst hat, Sie jetzt dazu beruft, »offen zu bleiben« und innerhalb Ihres Sendungsauftrags nach der abwägenden Großzügigkeit des größeren Dienstes zu streben.
In dieser Betrachtung werden Sie das Bedürfnis verspüren, sich persönlich mit Ihrer Berufung auseinanderzusetzen: mit den Gefühlen der Hoffnung und der Hoffnungslosigkeit, der Illusion und der Desillusion, der Mutlosigkeit, und mit Ihren Vorurteilen. Diese möchte ich Ihnen nun anhand einiger Beispiele für »typische Phrasen aus dem pastoralen Alltag« veranschaulichen. Ich schlage vor, dass Sie sie vor den Herrn bringen und überprüfen, ob sie auf Sie zutreffen. Gerne können Sie aus Ihrem eigenen unveröffentlichten Repertoire weitere Beispiele hinzufügen, so wie sie der Herr Ihnen im Gebet eingibt:
- »Das ist nicht mein Ding.«
- »Ich habe keine Lust mehr dazu.«
- »Es gibt weitaus lohnenswertere Aufgaben als diese.«
- »Ich habe das Gefühl, dass ich mich in der Arbeit mit einer anderen Gruppe besser verwirklichen könnte.«
- »Ich glaube, ich habe Wichtigeres zu tun.«
- »Vielleicht hätte ich mehr Spaß an meiner Arbeit, wenn die Bedingungen anders wären, und zwar so: …«
Trösten wir uns mit der Erinnerung an die besondere Beziehung zwischen dem Herrn und seinen Gesandten: Keiner fühlte sich dem Auftrag des Herrn gewachsen, alle hielten sich für unzulänglich. Mose: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?« (Ex 3,11). Jesaja: »Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen« ( Jes 6,5). Jeremia: »Ach, mein Gott, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung« ( Jer 1,6). Johannes der Täufer: »Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir?« (Mt 3,14). Und denken wir an Josef, der beschloss, sich heimlich von Maria zu trennen (vgl. Mt 1,19 –20).
Dieser anfängliche Widerstand, die Unfähigkeit, die Größe des Rufs zu erfassen, die Angst vor der Sendung – all diese Reaktionen sind Zeichen des guten Geistes, vor allem dann, wenn die Berufenen nicht an diesem Punkt stehenbleiben, sondern zulassen, dass die Kraft des Herrn sich ihrer Schwäche annimmt, ihnen Beständigkeit verleiht und sie auf festen Boden stellt: »Ich werde bei dir sein und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren« (Ex 3,12). »Das hier hat deine Lippen berührt: Deine Schuld ist getilgt, deine Sünde gesühnt« ( Jes 6,7). »›Sag nicht: Ich bin noch so jung.‹ Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten« ( Jer 1, 7– 8). »Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen« (Mt 3,15). »Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist« (Mt 1,20).
Indem uns der Herr den Auftrag erteilt, gründet er uns. Er macht uns beständig, aber nicht rein funktionell, wie jemand, der irgendeine Beschäftigung oder Arbeit vergibt, sondern er stattet uns mit der Tapferkeit seines Geistes aus, welcher uns so an unsere Sendung bindet, dass sie unsere Identität dauerhaft prägt. Sich mit etwas zu identifizieren bedeutet, dass man dazugehört und dazu zu gehören bedeutet, dass man an dem, was Jesus gründet, teilhat. Und Jesus gründet uns in seiner Kirche, in seinem heiligen Volk der Gläubigen, zur Ehre des Vaters. Mag sein, dass unsere pastoralen Phrasen (s.o.) auf den gleichen Widerstand zurückgehen, den Mose, Jesaja, Johannes und andere gegen ihren Auftrag empfanden. Lassen wir doch zu, dass der Herr mit uns spricht und dass er unsere Angst, Kleinmütigkeit und egoistischen Haltungen wieder auf realistische Dimensionen zurückschraubt!
5. Jesus hat das Reich Gottes ins Leben gerufen und mit seinem Wort und seinem Leben unwiderruflich gegründet: Diese wertvolle Einladung, ihm anzugehören, können wir auf keinen Fall ausschlagen. Dazu hat er uns als Hirten seines Volkes begründet: Dies ist sein Wille für uns. In Bezug auf unser Fundament dürfen wir diese pastorale Dimension unseres Lebens nicht außer Acht lassen. Ich denke, dass uns bei der Betrachtung ein Text helfen würde, der buchstäblich dazu aufruft, sich als Hirte von Christus, unserem Herrn, neu aufbauen zu lassen. Daher lege ich Ihnen einige Passagen aus dem apostolischen Schreiben »Evangelii nuntiandi« von Papst Paul VI. ans Herz5 . Lassen wir uns davon erleuchten und denken wir in diesem Licht einmal über uns selbst nach.
Auch Jesus hat eine Mission: »Von Stadt zu Stadt, vor allem den ärmsten, zur Aufnahme oft bereitesten Menschen die Frohbotschaft von der Erfüllung der Verheißungen und des Bundes zu bringen, der von Gott angeboten wird, das ist die Aufgabe, für die Jesus nach seinen...