Kapitel 02 Respektvoller Kampf
Am Montag, eine halbe Stunde vor dem Workshop ist Joe im Lehrerzimmer, um Salome-Grace abzuholen und letzte Details zu besprechen. Er unterhält sich gerade, als Salome-Grace herein kommt.
Beide begrüßen sich freundlich. „Alles klar Salome-Grace?“, will Joe von ihr wissen. „Ich war pünktlich und bin es noch.“
„Ich denke schon. Wir haben noch 10 Minuten. Ich trinke noch einen Kaffee“, geht zur Küchenzeile und schenkt sich einen Becher ein.
Ein Kollege regt sich auf, dass ein anderer Jahrgang mit Notebooks ausgestattet werden soll und er seine Mittel für eine Exkursion nicht bekommen hat.
Ein anderer Kollege darauf: „Dein Jahrgang hat doch schon Notebooks. Erinnerst Du dich, als Du 3 Jahre dafür gekämpft hast, dass die Regale in Deine Physiksammlung kommen. Wir hörten uns das immer wieder an und Du meckerst immer noch über die damalige Regelung und die Entscheidung.
Spontan fragt Joe „Kennt ihr den?“
„Zwei Mönche waren unterwegs auf der Wanderschaft. Eines Tages gelangten sie an einen Fluss, dessen Ufer durch eine Regenperiode aufgeweicht war. Dort stand eine junge Frau in schönen, teuren Kleidern. Offenbar war sie im Begriff den Fluss zu überqueren. Da das Wasser sehr tief war, hätte sie ihn nicht durchwaten können, ohne dabei ihre Kleider zu beschädigen. Ohne zu zögern ging der ältere Mönch auf die Frau zu, hob sie auf seine Schultern und watete mit ihr durch das Wasser. Auf dem gegenüber liegenden Flussufer setzte er sie trockenen Fußes ab. Nachdem der jüngere Mönch ebenfalls den Fluss überquert hatte, setzten die beiden ihre Wanderung fort. Eine Stunde später fing der Jüngere an, den älteren Klosterbruder zu kritisieren: Bist du dir im Klaren, dass du nicht korrekt gehandelt hast, denn wie du weißt, ist es untersagt, näheren Kontakt mit Frauen zu haben oder mit ihnen zu sprechen. Und du hast sie sogar berührt. Wieso hast du gegen diese Regel verstoßen? Der Mönch, der die Frau über den Fluss getragen hatte, hörte sich die Vorwürfe des anderen mit Bedacht an. Dann antwortete er ruhig: Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt. Wie erklärst du dir, dass du sie noch immer mit dir herumträgst?“
Die Kollegen lachen, bis auf den ärgerlichen von den dreien. Auch Salome-Grace muss schmunzelt. Joe schaut sie an und gibt ihr mit dem Kopf ein Zeichen zu gehen. Sie lächelt und beide brechen auf. Einer der Kollegen ruft hinterher. „Denk dran Joe! Ein Mönch darf keine Frauen berühren. Auch nicht bei Entspannungstechniken.“
„Gut, dass Du mich dran erinnerst. Ich hatte mich gerade schon darauf vorbereitet und mich gefreut über sie herzufallen. Die Schüler werden aber alles protokollieren.“
Auf dem Weg zum Klassenraum sagt Salome-Grace: „Du meinst, dass er den Ärger noch nachträgt?!“
„Ja, so könnte es sein. Das Loslassen ist eine der schwierigsten Lernaufgaben. Wenn ich recht liege, dann lernen wir diese erst auf der 3. Erleuchtungsstufe.“
„Und auf welcher bist Du Joe?“
„Das sage ich Dir, wenn wir heil aus dem Workshop rauskommen.“
„Etwas Sorgen mache ich mir schon. Ich habe am Wochenende noch viel gelesen und vieles verstanden, aber es ist eben nicht mein Thema.“
Joe bleibt stehen und schaut sie an. Verdutzt bleibt auch sie stehen und schaut ihn fragend an.
„Wie fühlst Du dich Salome-Grace?“
„Was soll das jetzt wieder. Ein bisschen mulmig.“
„Siehst Du. Oder besser gesagt, fühlst Du. Das ist heute dann Lampenfieber. Wir haben eine Premiere. Du und ich zusammen auf der großen Bühne. Das kriegen wir hin! Vertraue mir!“
Joe geht weiter und Salome-Grace bleibt stehen.
„Das ist es ja. Ich vertraue auf dich und werde noch mulmiger.“
Joe dreht sich um und geht die Schritte bis zu ihr zurück.
„Hey. Ich bin mir sicher, dass es schrecklich wird. Für eine Lehrprobe oder das Zweite Staatsexamen würde es nicht reichen. Lass Deine Sorgen fallen und lege Dein Herz in meine Hände“, er hält seine beiden Hände vor sie, als würde er darin Wasser fürs Gesicht waschen auffangen wollen. Salome-Grace wird ruhiger.
„Glaube mir eines, - wenn ich einen Zweifel daran hätte, mit einer der fähigsten Lehrinnen in dieses Löwenaquarium zu gehen, dann würde ich jetzt Angst haben. Ich fühle mich aber sicher mit Dir zusammen. Du bist nicht nur eine studierte Lehrerin, sondern hast das Herz am rechten Fleck, das notwendige Wissen und einen Co-Referenten, der weiß mit Stress, Gelassenheit und Kids umzugehen. Ohne dich würde ich da nicht einfach reingehen. Gemeinsam sind wir ein gutes Team.“
Salome-Grace lächelt.
„Wir sind jetzt ganz auf uns gestellt und mit den Kindern alleine. Besser gesagt, zu Dreißigst oder so. Kein Vorgesetzter, kein Kollege schaut zu.
Es wird ganz bestimmt sein, dass ich die Aufmerksamkeit auf mich ziehe, wenn Du in meiner Begleitung reinkommst. Das liegt nicht daran, dass ich eine Show abspule. Das ist natürlich, weil es von der Norm abweicht. Zudem kennen mich die meisten und es besteht eine emotionale Beziehung zwischen ihnen und mir. Ich werde meine Vorteile voll ausspielen, in Wortwahl und Distanzlosigkeit. Du bist der Boss im Haus und bist ganz Du. Und dich mögen sie auch, dass habe ich nicht nur gehört, sondern gespürt. Außerdem bist Du es auch gewohnt fachfremd zu unterrichten, Du alte Häsin.“ schmunzelt er aufmunternd.
„Was wäre wohl aus Dir geworden, wenn Du wirklich Lehrer geworden wärest. Ich vertraue Dir und fühle mich jetzt bereit.“
Beide betreten den Klassenraum und gehen zum Lehrerpult. Da fängt auch schon einer an zu rufen „Joe Monk! Er ist wirklich da.“
Joe schaut sich um und nickt zu Sammy, einen der charismatischsten Jungs aus der Klasse. Auch Lea ist in der Klasse dabei, die er auch mit einem Lächeln persönlich begrüßt. Salome-Grace stellt ihre Tasche ab und wirkt jetzt wieder locker. Joe geht zur Fensterseite und stellt sich unbeteiligt hin, wobei er den Blick über die Klasse schwenkt. Einige Schüler sprechen ihn an und er gibt zu verstehen, dass die Lehrerin vorne wartet. Salome-Grace ist sehr beliebt bei den Schülern_innen, was sie ihrer natürlichen und auch teilweise strengen Art zu verdanken hat. Eine Schülerin ruft ihr zu: „Ist dieser Typ da am Fenster wirklich Mönch oder will der uns filmen?“, Sie grinst dabei, kennt sie Joe schon. Diese Klasse hatte Joe vor drei Jahren ebenfalls mit unterrichtet und die Zusammenarbeit war gegenseitig respektvoll und dabei locker.
Salome-Grace ist nun wieder in ihrem Element „Für alle, die Joe nicht schon kennen und lieben. Er ist es wirklich, nicht nur in Fleisch und Blut. Auch ich habe mitbekommen, dass er Buddha zitieren kann. Er hat sich bereit erklärt mit uns diese Woche einige Workshops durchzuführen. Ihr schiebt mal bitte die Tische an die Wände und setzt euch in einen Stuhlkreis. Wir fangen mit einer Flashlight-Runde an. Ja, ihr könnt Joe dabei Fragen stellen.“
Als der Kreis geschlossen und die Lautstärke annehmbar ist, hebt einer der Schüler die Hand und fragt: „Sollen wir jetzt alle Beten lernen?“
Salome-Grace energisch: „Du hast den Ball in der Hand?!“
„Frau Porter, darf ich anfangen?“
Salome-Grace wirft einen Stoffball zu der Schülerin, die jetzt als Einzige sprechen darf. Alle anderen haben Pause und halten sich maßvoll daran. Als sie ihre News vom Smartphone in der Klasse verbreitet hat, wirft sie den Ball zu Lea. Sie ist ein Fan von Joe und sagt nur „Ich finde es cool, dass Joe wieder da ist. Bei Jacques ist es auch lustig, aber wir brauchen mehr weiche und ruhige Anleitung. Joe macht auch Taiji“, dann wirft sie den Ball zu Joe. Er sagt nur „Danke Lea. Ich werde mein Bestes geben, nicht völlig zum Weichei gekocht zu werden. Jetzt seid ihr aber dran. Ich zeige euch später noch wo es langgehen kann.“
Salome-Grace, Joe und die Klasse besprechen den geplanten Ablauf, mit Pausen und Themenwünschen. Die erste Möglichkeit mit den Themen Diskriminierung, Mobbing etc. in Kontakt zu kommen wird durch eine Übung gegeben.
Salome-Grace bittet die Schüler sich über drei Auserwählte zu einigen, die den Raum verlassen sollen. Joe steigt mit ein: „Auch wenn das im Kloster ruhiger stattfindet, bin ich bis jetzt zufrieden mit euch.
Nachdem nun die drei Ritter draußen sind, stellt euch bitte in ein langes Spalier auf.“
Ein Schüler: „Was ist denn das für ein Teil, Spalier?“
Eine Schülerin „Ey Du Spackel, das sind zwei lange Reihen.“
Der Schüler „Bin ich Geisterkranker oder was.“
Joe und Salome-Grace sind bereits abgestimmt und verstehen sich blindlinks. Beide geben sich den Raum einzuschreiten, wenn es geboten ist. Und sie lassen es durchgehen, gehören derartige Dialoge zum Jargon der pubertierenden Jugendlichen.
„Frau Porter stellt nun einen Stuhl an das...
