Eine Passage durch neue Filme aus Deutschland
Im Tal der toten Augen
»Es kommt der Tag, da will die Säge sägen«
Adolf Winkelmann, »Jede Menge Kohle«
Volker Schlöndorff steht neben einem ausgebrannten Jeep in der Altstadt von Beirut und redet darüber, wie es weitergehen soll mit dem deutschen Film, »nach der ›Blechtrommel‹«. Es könnte alles etwas internationaler werden, sagt er ungefähr, aber es müßte auch irgendwie deutsch bleiben.
Die Sätze, die Volker Schöndorff in Beirut gesprochen hat, als Einleitung zu einer Vorführung von Mustern aus seinem neuen Film »Die Fälschung«, habe ich fast schon wieder vergessen. Ihr Tonfall indessen will mir nicht mehr aus dem Ohr. Wenn Volker Schlöndorff über »den deutschen Film« spricht (»nach der ›Blechtrommel‹«), klingt er wie der Vorstandsvorsitzende von VW oder Rheinstahl: Stolz in der Stimme über das Erreichte, der treuen Belegschaft ein Vorbild an untadeliger Pflichterfüllung, doch den Blick schon wieder auf die Herausforderungen der Zukunft gerichtet. Mit einem solchen Mann an der Spitze, denke ich, geht der Konzern »Deutscher Film« goldenen Zeiten entgegen. Der erste Oscar steht schon in der Vitrine, vor dem Weltniveau der erprobten deutschen Modelle Fassbinder, Wenders, Herzog, Syberberg erschauern sogar die Bosse von Hollywood.
Nach Volker Schlöndorffs kleiner Rede sieht man den Schauspieler Bruno Ganz erstens durch das vom Krieg verwüstete Beirut rennen und zweitens die Schauspielerin Hanna Schygulla heftig begehren. Das ist ein großer Moment: Maria Braun trifft das Messer im Kopf, das Traumpaar des deutschen Films könnte geboren sein, kreiert von einem wirklich berühmten Spitzenregisseur, über den einer in Italien sogar ein Buch schreibt, dessen deutsche Ausgabe ich schon heute dem Hanser Verlag ans Herz legen möchte.
Später gibt es eine Pressekonferenz, bei der kalte Platten gereicht werden und auch ein Herr von der Times aus London anwesend ist, von Volker Schlöndorffs Verleih »United Artists« eigens nach Hamburg eingeladen, um dem darbenden Inselvolk die frohe Botschaft vom Ruhm des deutschen Films (»nach der ›Blechtrommel‹«) zu überbringen. Links neben Volker Schlöndorff sitzen Frau Schygulla und Herr Ganz, denen aber niemand eine Frage stellt. Der Erfolgsregisseur präsentiert sich mit siegesgewisser Gelassenheit, hebt besonders die Mitwirkung des Kameramanns Igor Luther und des Schauspielers Ganz hervor, verbreitet Teamgeist und die Gewißheit, daß es weiter aufwärts geht.
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»Es scheint, daß wir endlich in das Jahrzehnt des Deutschen Films eintreten.«
Vincent Canby, New York Times, 20. April 1980
Die Internationalisierung macht Fortschritte: In dem Film »Looping« von Walter Bockmayer und Rolf Bührmann, der offensichtlich auf einem deutschen Rummelplatz spielt (es wird schamlos für Zigaretten der Marke Reval geworben), zählt die Schaustellerin Shelley Winters (zwei Oscars) grüne Dollarnoten in die Tageskasse, während sich ihr Gatte Hans Christian Blech nach der dämonisch-sinnenfrohen Stripperin Sydne Rome verzehrt, von der man annehmen darf, daß sie das Publikum in Itzehoe und in Freilassing zum Rasen bringt.
Früher haben Walter Bockmayer und Rolf Bührmann phantasievolle Opern-Travestien im Super-Acht-Format und das schöne Kinomärchen »Flammende Herzen« gedreht. Bei der Bundesfilmpreis-Lotterie des Jahres 1981 haben sie für »Looping« vier Hauptgewinne gezogen.
In dem Film »Ach, du lieber Harry« mit Dieter (»Didi«) Hallervorden, der von manchen Leuten für einen Komiker gehalten wird, führt ein Franzose namens Jean Girault Regie, der sich für diese Aufgabe geradezu aufdrängte, weil er schon einige der schlechtesten Filme mit Louis de Funès inszeniert hat. So könnte sich etwas anbahnen, was man beim »Filmverlag der Autoren« (warum heißt der immer noch so?) vermutlich einen Exportschlager nennen würde.
In dem mitunter wirklich sehr komischen Film »Stachel im Fleisch«, der so aussieht, als hätten ihn der späte Kurt Hoffmann und der Luis Buñuel der mexikanischen Periode gemeinsam inszeniert, stellt der Schauspieler Helmut Griem den urlaubsreifen Produzenten der Fernsehshows von »Didi« Hallervorden dar, der sich seiner Frau, seinen Kindern und seinem Goldhamster dadurch entfremdet, daß er lauter Videobänder mit Haller-vorden-Auftritten nach Sardinien mitnimmt. »Stachel im Fleisch« ist ein Film von Heidi Genée. Er kommt nicht beim »Filmverlag der Autoren« heraus.
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Einen Tag nach Volker Schlöndorffs Mustervorführung in Hamburg bittet die Firma United Artists zu einem Abendessen »im kleinen Kreis« mit dem Künstler. Da das Mahl in einem der besseren Hamburger Restaurants stattfindet, folge ich der Einladung bedenkenlos. »Free food, free drinks, free press«, heißt es in einem Film von Robert Aldrich. Ich sitze dem Künstler gegenüber, der mich kühl mustert, weil er sich seit Jahren von mir verfolgt fühlt. Sein kennerisches Studium der Weinkarte bringt uns näher.
Ich mag Volker Schlöndorff nicht, wenn er über den deutschen Film (»nach der ›Blechtrommel‹«) so selbstgerecht spricht wie vor ein paar Jahren über den »Durchbruch«, der nun endlich für den deutschen Film zu erzielen sei, als ginge es um die Schlacht von El Alamein: An der Spitze ihrer siegreichen Truppen stoßen Katharina Blum, Christa Klages und andere Spezialeinheiten der von Schlöndorff, Margarethe von Trotta und Reinhard Hauff erfolgreich geführten »Bioskop«-Armee bis nach Hollywood vor. Zum Flankenschutz wurde das Strafbataillon der Filmkritiker verpflichtet. Tod allen Deserteuren!
Ich beginne, Volker Schlöndorff zu mögen, wenn er wirklich über seine Arbeit redet. Da ist einer, der sein Handwerk noch ernsthaft gelernt hat, damals bei Melville und Malle, der eine große Liebe zum Metier besitzt, der nicht nur fürchterlich eitel sein kann, sondern auch anrührend großzügig. Bei den Dreharbeiten zur »Fälschung« (nach dem Roman von Nicolas Born) im Libanon ließ er es geschehen, daß einer seiner Darsteller, der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski, parallel zur eigentlichen Arbeit einen eigenen Film realisierte und sich den deutschamerikanischen Aufwand listig zunutze machte. Dieser Art von improvisierter Piraterie gehört Schlöndorffs Sympathie, auch wenn er es schon kommen sieht, daß manche Leute den billigen Skolimowski-Film besser finden könnten als den teuren Schlöndorff-Film.
Später am Abend erschien an unserem Tisch ein dürrer Mensch, der sogleich nach einem Bier verlangte, was man in solchen Lokalen nicht gerne sieht, besonders, wenn der Gast im legeren Instandbesetzer-Look erscheint. So bedeutete ein strenger Oberkellner dem vermeintlichen Eindringling, woanders könnte er seinen Durst gewiß auch löschen. Da der Gast Marius Müller-Westernhagen hieß und seit dem Film »Theo gegen den Rest der Welt« der populärste Filmschauspieler der Republik ist, kann man aus dieser Episode vielleicht lernen, daß es mit dem Star-System hierzulande noch nicht zum besten bestellt ist.
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Wenn über deutsche Filme verhandelt wird, ist fast ausschließlich von den Regisseuren (meist Filmemacher genannt) die Rede. Jeder Debütant, der es schafft, etwas abzuliefern, was mit einem Film auch nur entfernte Ähnlichkeit hat, kann auf die wohlwollende Aufmerksamkeit der Medien rechnen. Die meisten Kritiker, die ja auch nicht mehr vom Kritisieren verstehen als die meisten Filmemacher vom Filmemachen, begreifen sich längst als Heger und Pfleger dieser wunderbaren Pflanze »Deutscher Film«. Daß man über Qualitätsunterschiede lieber nicht mehr reden soll, hat Alexander Kluge dekretiert, mit einem Satz, der wohl zum erstenmal auf dem von der Parole »Wir müssen uns auf die Socken machen« geprägten Hamburger Filmfest von 1979 fiel. Und nun drängen sich im Tal der toten Augen die Blinden und murmeln Kluges Beschwörungsformel: »Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.«
Der progressive Glamour, der sich mit Vokabeln wie Filmfest, Filmhaus, Filmarbeiter offenbar verbindet, hat den Drang zu einer Existenz als Filmemacher dramatisch erhöht. Wer früher Schornsteinfeger oder Herzchirurg werden wollte, tritt heute lieber dem Verband der Nachwuchsfilmer bei, wo er viele andere Nachwuchsfilmer trifft, die auch noch nie eine Kamera in der Hand hatten, das Handwerk verachten, aber genau wissen, wie man an Förderungsgelder kommen kann.
Ein anderer Weg, praktisch mühelos zu Geld und Medienruhm zu kommen, führt über die regionalen Filmbüros von Hamburg und Nordrhein-Westfalen, die nach dem Grundsatz der »Selbstverwaltung« (lies: Selbstbedienung) funktionieren sollen. In Hamburg vergibt sogar ein »Nicht-Filmemacher-Gremium« (also Leute, die von der Sache nichts verstehen) einen Teil der Mittel. So geschieht es, daß Menschen, die noch nie etwas mit Film zu tun hatten, eine bedeutende sechsstellige Summe zur Herstellung eines abendfüllenden Spielfilms bekommen. Nicht einmal einen Kurzfilm oder eine Assistenz muß man nachweisen. Hoffentlich läßt die Lufthansa ihre Flugzeuge nicht demnächst von Leuten fliegen, die sich eben mal mit dem Berufswunsch »Pilot« beim Pförtner melden.
In Nordrhein-Westfalen geht es vollends wie beim Kaninchenzüchterverband zu. Man kann das nachlesen in der TAZ vom 2. Oktober 1980, wo der Streit um die Fleischtöpfe des Filmbüros mit solchen Sätzen dokumentiert wird: »Mit diesen...