Miss Wanda Ruth Lunsford, 26, hat sicher an ihre eigene Sterblichkeit gedacht, an dem Tag, als sie von einem spannenden Experiment berichtete.1 Stellen Sie sich zwei Ratten vor, die eine alt und grau, die andere jünger und lebhafter. Stellen Sie sich dann vor, dass man beide an der Körperseite chirurgisch zusammenfügt, indem man eine dünne Hautschicht abträgt und die offene Fläche sorgfältig zusammennäht. Durch diese Verbindung, wie bei siamesischen Zwillingen, können die Nagetiere ihren Blutkreislauf verbinden, das Blut des anderen durch die Adern strömen lassen und Körperflüssigkeiten austauschen. Miss Lunsford und ihre Kollegen wollten sehen, was passieren würde. Unter den Ratten, die diese unnatürliche Verbindung überlebten, verwandelten sich die älteren körperlich in ein Abbild ihres jüngeren Gegenstücks, als hätten sie den Jungbrunnen gefunden. Die älteren Ratten bekamen glänzenderes Fell von kräftigerer Farbe und klarere Augen und erschienen mehr wie die jüngeren Ratten, die an ihre Seite geheftet waren. Eine 400 Tage alte Ratte – das entspricht mehr oder weniger einem Menschen im mittleren Alter – lebte fast genauso lange wie das agile Gegenstück an ihrer Seite, mit dem sie verbunden war.
Als Miss Lunsford, eine Ernährungswissenschaftlerin und Graduierte der Cornell University, die im Labor des Biochemikers und Gerontologen Clive McCay arbeitete, diese Ergebnisse bei einer Konferenz vortrug, die sich mit Problemen des Alterns befasste und von der New York Academy of Medicine abgehalten wurde, konnte niemand – nicht einmal Lunsford und ihre Teamkollegen – diese Verwandlung durch „Altersumkehr“ erklären. Das war im Jahr 1955, in demselben Jahr, in dem die Food and Drug Administration den Polioimpfstoff zuließ, als das erste Mal über die Macht des Placebo-Effekts geschrieben wurde, als Albert Einstein im Alter von 77 starb und als Steve Jobs und Bill Gates geboren wurden.2
Die Prozedur von Miss Lunsford, zwei Organismen anatomisch miteinander zu verbinden, hatte bis dahin schon einen Namen – Parabiose. Aber auch wenn das nicht das erste Mal war, dass sie durchgeführt wurde, waren ihre Forschungen die ersten, die Parabiose nutzten, um den Vorgang des Alterns zu untersuchen. Und sie hatten ihre Herausforderungen. Gemäß einer Beschreibung der Forschung: „Wenn zwei Ratten nicht aneinander gewöhnt sind, dann wird eine von beiden sich in den Kopf der anderen verbeißen, bis sie stirbt.“3 Von den 69 Paaren an Ratten, die mit Lunsfords Hilfe in Clive McCays Labor zusammengenäht wurden, starben elf an einer Komplikation, die sich etwa eine oder zwei Wochen, nachdem die Partner vereint wurden, einstellte und vermutlich eine Form von Gewebeabstoßung war. Aber die Paare, die überlebten, ließen Hoffnung aufkeimen, dass man all die Gebrechen, denen wir uns gegenübersehen, umkehren könnte.
Im Februar 1956 veröffentlichten McCay, Lunsford und ein dritter Wissenschaftler aus Cornwall, Frank Pope, ihre Entdeckungen über die allgemeinen wiederherstellenden Wirkungen der Prozedur im Bulletin of the New York Academy of Medicine mit einem passenden Titel: „Experimentelle Verlängerung der Lebensdauer“ („Experimental Prolongation of Life Span“). 1960 fanden die Ergebnisse von Miss Lunsfords Untersuchungen ihren Höhepunkt in ihrer Doktorarbeit.4 Aber die Forschung startete nicht durch, wie man es angesichts der faszinierenden Ergebnisse hätte erwarten können. Sie stotterte und schlich etwa die nächsten 60 Jahre vor sich hin. Interessanterweise konnte man einen Eindruck von dem Klima bekommen, in dem diese Wissenschaftler arbeiteten, indem man den ersten Absatz ihres Forschungsberichts liest: „Bisher hat der Mensch wenig Fortschritt [bei der Erforschung des Alterns] gemacht, weil die Menschheit ihre Energien darauf konzentriert hat, die sogenannten Annehmlichkeiten des Lebens und Methoden zur Kriegsführung zu verbessern.“
Die Studien, die an Labormäusen durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass junges Blut einige Anzeichen des Alterns umkehren kann, wenn man es einer älteren Maus zuführt, was darauf hinweist, dass junges Blut „Verjüngungsfaktoren“ enthält. Diese Abbildung zeigt zwei Möglichkeiten, wie man in Studien das Altern umgekehrt hat. (A) Heterochrone Parabiose ist der Prozess, bei dem eine alte und eine junge Maus chirurgisch mit der Haut zusammengefügt werden (durch den Pfeil markiert), dadurch kann sich ihre Blutversorgung mischen, während die Haut zusammenwächst. (B) Plasma einer jungen Maus (das alle Proteine enthält) wird regelmäßig in die Schwanzvene einer alten Maus injiziert.
Als 1972 Forscher der University of California in Irvine und der University of California in San Francisco zusammen die Lebensspannen der Duos aus alten und jungen Ratten studierten, stellten sie fest, dass die älteren Ratten drei bis fünf Monate länger lebten als die der Kontrollgruppe.5 Das war ein weiterer wichtiger Hinweis darauf, dass junges Blut die Langlebigkeit beeinflussen konnte, wenn man es in einem älteren Tier zirkulieren lässt. Aber das war ebenfalls nicht genug, um die Forschung auf diesem Gebiet zu stimulieren, und die Parabiose wurde obsolet. Jedoch erweckte Anfang des 21. Jahrhunderts ein Stammzellbiologe aus Stanford die Methode wieder zum Leben. Er arbeitete damals unter einem Mentor, der – unglaublich, aber wahr – 1955 als Teenager, während seiner Assistenzarbeit bei einem Pathologen in einem Krankenhaus in Montana, gelernt hatte, wie man Mäuse zusammennäht. Das ebnete letztlich den Weg für die heutigen Durchbrüche in der Krebsforschung, Endokrinologie und Immunologie.6, 7
2014 haben Forscher der UC San Francisco, von Stanford und Harvard unabhängig voneinander Lunsfords nettes kleines Experiment wiederholt und entdeckt, dass man das Altern in älteren Mäusen umkehren kann, indem man sie mit jüngeren zusammennäht und ihre Blutkreisläufe dadurch verbindet.8, 9, 10, 11
Was geht also tatsächlich vor sich, wenn man Alt und Jung kombiniert? Diese Prozedur aktiviert Stammzellen in den älteren Mäusen, die vorher im Ruhezustand waren. Dadurch wird die biologische Uhr zurückgedreht und den Stammzellen erlaubt, Gewebefunktionen wiederherzustellen. Stammzellen sind Mutterzellen mit dem Potenzial, zu jeder Art von Zellen im Körper zu werden – von denjenigen, die Ihr Herz schlagen lassen, bis zu Hirnzellen, die Sie schlau machen –, und die außerdem die Fähigkeit haben, sich zu erneuern oder zu vermehren. Die überraschende Schlussfolgerung aus dieser jüngsten parabiotischen Forschung ist, dass das Geheimnis, das Altern der Organe aufzuhalten, in jedem Einzelnen von uns schlummert.
Künftige Forschung wird herausfinden, wie genau dieses Phänomen der Altersumkehr funktioniert. In fast jedem untersuchten Gewebe, inklusive dem des Herzens, des Hirns und der Muskeln, scheint das Blut der jungen Mäuse die alten Organe mit neuem Leben „befeuert“ zu haben, indem es die schlafenden Stammzellen weckte, durch Substanzen, die normalerweise mit Jugend in Verbindung gebracht werden – Proteine und Wachstumsfaktoren, die besonders in jungem Blut, aber nicht in altem vorherrschend sind. Jugendliches Blut regt das Wachstum neuer Zellen im Gehirn an und in dem Bereich, der unseren Geruchssinn regelt. Es wurde auch nachgewiesen, dass es die Verdickung der Herzwände aufgrund von Alterung rückgängig macht, die Muskelstärke und Ausdauer erhöht und DNA-Schäden in Muskelstammzellen repariert. Junges Blut kann die Wiederherstellung von beschädigtem Rückenmark in älteren Mäusen fördern und Lern- und Erinnerungsvermögen verbessern. Eine Studie eines Labors in Kanada aus dem Jahr 2015 berichtete, dass gebrochene Schienbeinknochen alter Mäuse schneller und besser heilten, wenn sie mit jungen Mäusen verbunden waren statt mit Mäusen ihres eigenen Alters.12
Zu ihrer Zeit schenkte niemand der Arbeit von Miss Lunsford besondere Aufmerksamkeit, weil sie zu sehr nach Science-Fiction klang, aber in der wissenschaftlichen Welt von heute sieht jeder ganz genau hin und eine breite Strömung an aufregender neuer Forschung entsteht. Was einmal eine wenig plausible und groteske Idee war, die man schnell beiseitewischte, wurde zu einer Hypothese, die eine ernsthafte Validierung erforderlich machte. Können wir Tiere „verjüngen“? Können wir die Altersuhr zurückdrehen? Oder stellen wir nur die Funktionsfähigkeit von Gewebe wieder her und helfen dabei, Schäden zu reparieren?
Experimente am Menschen mit Plasmatransfusionen werden bereits durchgeführt. Plasma ist die klare, hellgelbe, flüssige Komponente des Blutes, die eine komplexe Mischung aus verschiedenen Substanzen und Proteinen enthält, einige davon unterstützen die Blutgerinnung. Plasma ist der größte Bestandteil des Blutes, aber es fehlt bei den klassischen Bluttransfusionen, bei denen nur die roten Blutzellen zum Einsatz kommen. Aus...