1. Jesus Christus ist der Herr!
Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,11)
In dieser kurzen Formel ist eigentlich alles gesagt. Hier finden sich alle Christen aller Konfessionen wieder. Das ist der Kern der christlichen Botschaft, der Glaube, der alle verbindet, die als Christinnen und Christen den Namen Jesu Christi tragen.
Dieses Bekenntnis ist Teil eines Hymnus, den der Apostel Paulus in den 50er- oder 60er-Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. in seinem Brief an die Gemeinde von Caesarea Philippi zitiert:
Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters (Phil 2,6–11).
Das Lied besingt die Menschwerdung dessen, der Gott gleich ist, der sich erniedrigte und den Menschen gleich wurde, der im Gehorsam gegenüber Gott am Kreuz starb und zu Gott erhöht wurde. Ihm wird „der Name über alle Namen“ verliehen, ihn sollen alle Geschöpfe – Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt – anbeten und verherrlichen, durch ihn soll alles, was lebt, Gott loben.
Wird jemand im jüdischen oder christlichen Kontext als „Herr“ verehrt und bekannt, wie es im Hymnus geschieht, so ist dies entweder Gotteslästerung oder aber Verehrung dessen, dem zu Recht Anbetung entgegengebracht werden darf, nämlich Gott selbst. Gott, der Herr, ist ein einziger Gott (Dtn 6,4). Es gibt keine Götter neben ihm (Dtn 5,7). Kein Geschöpf darf als Gott angebetet werden, und kein Geschöpf kann zu einem Gott werden. Als „Herr“ (Phil 2,11), der „Gott gleich“ (Phil 2,6) ist, kann nur der angesprochen werden, der von Beginn an Herr und Heiland ist. Das Bekenntnis zu Christus als „Herr“ setzt den strengen Monotheismus Israels, das Bekenntnis zum einen und einzigen Gott, also nicht außer Kraft. Es konkretisiert diesen Glauben: Jesus Christus ist das lebendige, irdische Antlitz Gottes. Der Evangelist Johannes überliefert diesen Anspruch Jesu so: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9) – „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30).
Wirklich und wahrhaftig
Seit den ersten christlichen Jahrhunderten trifft das Christus-Bekenntnis auf vielfache Anfragen. Ist es Gottes würdig, in die Niederungen dieser Welt, sogar eines Menschenlebens, einzutreten? Gnostikern aller Zeiten ist ein solcher Gedanke zuwider: Gott und Welt seien unvereinbar, und es sei unter Gottes Würde, mit dem Materiellen in Berührung zu kommen. Wahre Gottesverehrung und wahre religiöse Existenz zielt im Verständnis eines Gnostikers darum darauf, alles Körperliche, erst recht das Schwache und Kranke, das Mittelmäßige und Unvollkommene der irdischen Existenz zu verlassen, es wenigstens mental zu überschreiten, um allein auf geistige Weise mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten. Gegen diese gnostische Versuchung steht das urchristliche Bekenntnis von der Menschwerdung Gottes, genauer und drastischer gesagt: von der Fleischwerdung (Inkarnation) des Logos. Die „Mission“ des Mensch gewordenen Gottessohnes ist nicht die Vergeistigung der geschaffenen Welt, nicht die Überwindung unserer leiblichen Existenz, sondern ihre Heilung und Vollendung.
Die Konzilien der ersten fünf Jahrhunderte (Nicäa, 325; Konstantinopel, 381; Ephesus, 431 und Chalcedon, 451) haben das Christusbekenntnis der Bibel in die Sprache und das Problembewusstsein ihrer Zeit übersetzt. Hier wurden Leitlinien entwickelt, die jede christliche Rede von Jesus, dem Christus, prägen muss. Hier entstand das sogenannte „große Glaubensbekenntnis“, das „Nicaeno-Konstantinopolitanum“. Bis heute eint dieses Glaubensbekenntnis die Christen. Im Abschnitt über Jesus Christus heißt es:
Wir glauben … an den einen Herrn Jesus Christus, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel herabgekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.
Wie das Christus-Lied des Philipperbriefes, so ist auch dieses Bekenntnis keine neutrale, distanziert vorgetragene Theorie, sondern gebeteter Glaube, verwurzelt im gemeinsamen Bekenntnis. Das Credo ist keine neutrale Information, sondern ein Glaubenszeugnis – ein Zeugnis allerdings, das durch harte gedankliche Auseinandersetzung gegangen ist und bis heute geht. Denn Christus-Glaube ist Logos-Glaube: Glaube, der das Verstehen, das Nachdenken, die intellektuelle Anstrengung sucht und fordert. Auch die Sprache von Gebet und Gottesdienst ist verständige Sprache, nicht Überschwang des Gefühls, das den Geliebten mit überbordenden Metaphern belegt und ihn „in den Himmel lobt“.
Jesus Christus: Heil aller Menschen
Christen verstehen ihr Christus-Bekenntnis nicht metaphorisch. Sie bekennen: Jesus Christus ist der Herr, der Erlöser aller Menschen aller Zeiten, und zwar wirklich und wahrhaftig. Er ist nicht nur ein religiöses oder moralisches Vorbild, sondern in ihm ist der wahre Gott wahrhaft Mensch geworden. In ihm hat sich Gott ein für alle Mal geoffenbart und ausgesagt. Es gibt kein Heil, das er nicht schenkt, und keine Erlösung, die nicht er vermittelt.
Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: der Mensch Christus Jesus (1 Tim 2,4–5).
Das Wort vom Kreuz
Doch was hat es mit diesem „Evangelium vom Kreuz“ auf sich? Ist es nicht barer Unsinn, einen Gekreuzigten als Sohn des ewigen Gottes und als Retter der ganzen Welt zu verkündigen? Eine Zumutung für jeden denkenden Menschen?
Friedrich Nietzsche belegte das christliche „Wort vom Kreuz“ mit beißendem Spott und Verachtung. Eigentlich sei hier das Ressentiment der Schwachen, der Zukurzgekommenen, am Werk. Verlierer, die sich als gottgeliebte Opfer stilisierten und so ihre Situation schönredeten, seien religionsproduktiv geworden. In einem Punkt hatte er nicht Unrecht: Christusglaube ist tatsächlich zuerst Glaube der Verlierer, Glaube der Schwachen, denn sie sind es, die Gott erwählt hat (1 Kor 1,27). Und es stimmt: Das Wort vom Kreuz ist ein Skandal. Dies sagt bereits Paulus (1 Kor 1,23), der Apostel und Missionar des frühen Christentums, der allerdings alles gab, um genau dieses Evangelium vom Kreuz zu verkünden. Denn Paulus wusste auch: Ein Skandal ist es nur in den Augen derer, die verloren gehen. „Uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft“ (1 Kor 1,18). Die große Einsicht dieses „ersten Theologen“ der Christenheit lautet: Im Kreuz ist Heil, Leben und Hoffnung. Das Wort vom Kreuz ist eine Heilsbotschaft. Der, der am Kreuz gestorben und auferstanden ist, ist der Grund unserer Hoffnung. In ihm hat Gott die Welt mit sich versöhnt (2 Kor 5,18f). Er ist die Gabe Gottes zur Rettung der Welt.
Theologie und Mathematik
1+1+1 ist nicht 1, sondern 3, zumindest nach den Regeln der Mathematik. Dass Gott „dreifaltig einer“ sei, gilt dem aufgeklärten Rechner als barer Unsinn. Doch christliche Trinitätstheologie ist keine Mathematik.
Dass Gott existiert, könne jeder erkennen, meinte Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert. Wie er aber ist und dass er Vater, Sohn und Geist, eben „dreifaltig einer“ ist, sei nur durch die Offenbarung ersichtlich. Denn von Gott können wir nur das „wissen“, besser gesagt: bekennen, was er von sich zeigt, v. a. in Jesus Christus. Im Theologenjargon gesagt: Trinitätstheologie wurzelt, was den Weg des Verstehens angeht, in der Christologie. Gott als dreieinen bekennen kann nur, wer Jesus Christus als Selbstoffenbarung Gottes glaubt. Das Nachdenken über das Wesen Gottes setzt also beim Nachdenken über das Bekenntnis an, dass Jesus Christus der Herr ist. Gott als dreieinen zu bekennen ist nur dann wahrhaftig – nicht metaphorisch, keine Lästerung und keine ungedeckte Begriffsakrobatik – wenn Jesus von Ewigkeit her Gott ist (vgl. Joh 1,18); wenn, wer ihn sieht, den Vater sieht.
Jesus sagte …: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. … Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh 14,6.7.9).
Und an den Heiligen Geist
Unmittelbar im Anschluss an diese Worte überliefert der Evangelist Johannes, dass Jesus seinen Jüngern den Heiligen Geist verheißt: den Beistand, der die Christen im Bekenntnis zu Jesus Christus zusammenführt. Von außen betrachtet, nach menschlichen Maßstäben, ist das Wort vom Kreuz Unsinn und Jesus ein gescheiterter Illusionist. Aber aus der Kraft des Heiligen Geistes betrachtet ist er Herr und Retter des Alls. Der Heilige Geist bereitet die Augen des Glaubens für die Erkenntnis der Wahrheit, die in Jesus Christus Mensch wurde.
Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus bekennt als im Fleisch gekommen, ist aus Gott, und...