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Werkstoffangebot für den Leichtbau
2.1 Werkstoffe
Hans Peter Degischer
Kurzfassung
Die Kategorien der Konstruktionswerkstoffe – Metalle, Keramik, Polymere und Verbundwerkstoffe – unterscheiden sich grundsätzlich im Typus der Atombindungen, aus dem die wesentlichsten Eigenschaften resultieren. Die elastische Verformbarkeit bis zur Elastizitätsgrenze wird beschrieben und die gewichtsbezogenen, spezifischen Materialkennwerte definiert, die auch auf den Werkstoffpreis bezogen werden. Aus der plastischen Verformbarkeit der Metalle werden die Verfestigungsmechanismen abgeleitet, mit denen die Streck- bzw. Dehngrenzen in weiten Bereichen verändert werden können. Erhöhte Temperaturen verursachen Diffusionsvorgänge und damit Kriechverformung unterhalb der Elastizitätsgrenze. Wechselbelastungen im elastischen Bereich und nahe der Dehngrenze rufen Materialschädigungen hervor, die den Einsatzbereich der Werkstoffe wesentlich beschränken. Die Bruchzähigkeit begrenzt die zulässige Spannung und Defektgröße der Werkstoffe, besonders die der Keramiken. Verschleiß und Korrosion verursachen Materialabtrag und vermindern dadurch die dauerhafte Belastbarkeit der Werkstoffe. Die mechanischen Belastbarkeitsgrenzen der Werkstoffe werden auf das spezifische Gewicht bezogen, um das Werkstoffangebot für den Leichtbau bewerten zu können. Das Eigenschaftsprofil der Werkstoffe wird durch die Formgebung und Weiterverarbeitung eingestellt, somit ist die Werkstoffauswahl ein integrativer Prozess zwischen Konstruktion, Werkstoffanforderungen, Formgebung, wirtschaftlichem Nutzen und ökologischen Auswirkungen.
2.1.1 Einleitung
Die Vielfalt der Werkstoffe hat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts enorm zugenommen. Es wird geschätzt, dass derzeit an die 100 000 verschiedene Werkstoffe zur Produktherstellung angeboten werden. Grundsätzlich sind keramische von metallischen Materialien und von Kunststoffen zu unterscheiden, aus welchen es noch die Kombinationen in Verbundwerkstoffen gibt [1–4]. Unter Verbundwerkstoffen werden jene verstanden, die mit makroskopischen Eigenschaften wie homogene Materialien beschrieben werden können, zum Unterschied zu Werkstoffverbunden, die durch Fügetechniken erzeugt werden (siehe Abschnitt 4.2). Die Konstruktionswerkstoffe müssen vor allem mechanischen Belastungen [5] standhalten (Tabelle 2.1.1); dazu kommen Belastungen des Umfelds, wie beispielsweise Temperatur und korrosive Medien. Zu beachten sind aber auch innere Spannungen in den Materialien aus dem Fertigungsprozess, die sich den äußeren Belastungen überlagern. Tabelle 2.1.1 führt die wichtigsten Prüfmethoden, Kennwerte und ihre Symbole an, die das Eigenschaftsprofil eines Werkstoffs charakterisieren. Im Leichtbau müssen die Gebrauchseigenschaften bei möglichst geringer Masse des konstruktiv erforderlichen Werkstoffs erbracht werden.
Abb 2.1.1 Beispiel der Werkstoffvielfalt in einem PKW (Audi A2, Baujahr 2000) mit 900 kg Leergewicht [6].
Den unterschiedlichen Bauteilbeanspruchungen wird in zunehmendem Maße durch den Einsatz verschiedener Werkstoffe in Mischbauweisen Rechnung getragen (siehe Abschnitt 4.2). Der praktisch realisierte Werkstoffmix wird am Beispiel eines PKW in Abb. 2.1.1 gezeigt, das beispielhaft den Leichtbau einsetzte [6]. Mehr als die Hälfte des Gewichts entfällt auf Leichtwerkstoffe, nahezu gleich viel auf Kunststoffe wie Leichtmetalle. Fahrzeugbereiche, die hohe Festigkeit aufzuweisen haben, werden aus Stahl gefertigt. Fe-Basiswerkstoffe (Stähle und Gusseisen) betragen insgesamt ein Drittel des Gesamtgewichts. Die Dominanz der Leichtwerkstoffe ist aus den Volumenanteilen erkennbar: mehr als doppelt soviel Polymere wie Leichtmetalle, die wiederum mehr als das doppelte Volumen der Fe-Werkstoffe einnehmen.
Die Bedeutung der Werkstoffe ist nicht nur aus der produzierten Masse zu schließen, sondern auch über das produzierte Volumen, aber noch mehr über die damit verbundene Wertschöpfung. Das beträchtliche Wachstum der industriellen Werkstoffproduktion in den vergangenen 100 Jahren ist in Abb. 2.1.2 dargestellt. Die Werkstoffmasse wuchs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa um das 25-Fache, worauf sie sich in der zweiten Hälfte noch verdoppelte. Die Masse der er zeugten Kunststoffe liegt nun mehr als eine Größenordnung unter der der Stähle, aber volumenmäßig liegen sie gleich auf. Die Wertschöpfung der Kunststoffe und der Al-Werkstoffe beträgt etwa gleich viel, liegt aber eine Größenordnung unter der der Stähle. Die Sekundäraluminiumproduktion läuft dem primären Aluminiumwachstum 15 bis 20 Jahre hinterher (siehe Abschnitt 5.1). Die Leichtmetalle Mg und Ti liegen in Abb. 2.1.2 um Größenordnungen unter den oben angeführten Werkstoffen. Die wesentlichsten, mechanischen Eigenschaften, die in der Literatur über Grundlagen der Werkstofftechnik [1–5] ausführlicher beschrieben werden, sind im Folgenden kurz dargestellt.
Tab. 2.1.1 Beanspruchungen der Konstruktionswerkstoffe.
Abb 2.1.2 Entwicklung der Werkstoffproduktionsmengen in den vergangenen 100 Jahren in Gegenüberstellung von (a) Millionen Jahrestonnen, (b) Millionen Kubikmeter/Jahr, (c) Millionen Euro Marktwert/Jahr.
2.1.2 Werkstoffkategorien
Das spezifische Gewicht der Materialien hängt von den Atommassen und der Packungsdichte der Atome ab. Die Kunststoffe bestehen aus leichten Elementen (C, H, O, N), die über starke kovalente Bindungen Molekülketten bilden, die jedoch durch schwache Sekundärbindungen verbunden sind. Keramiken bestehen ebenfalls aus kovalent gebundenen Molekülen aus metallischen Elementen mit den leichten Elementen B, C, N und O. Die im Allgemeinen leichten Keramikmoleküle sind auch untereinander kovalent und gegebenenfalls mit elektrostatischen Ionenbindungsanteilen verbunden. Positive Ionen der metallischen Elemente ordnen sich dreidimensional periodisch in Kristallstrukturen und werden durch das Elektronengas gebunden. Ihr spezifisches Gewicht wird wesentlich durch die Atommassen bestimmt. Als Leichtmetalle werden die Legierungen mit Mg- [7], Al- [8] und Ti- [9] Basis bezeichnet (Dichte < 4,6 g/cm3). Die Atomradien der Elemente zeigen eine den Reihen des Periodensystems entsprechende Oszillation (Abb. 2.1.3). Die Elemente, die in Stählen, Mg-, Al-Legierungen und Messing legiert werden, sind markiert. Die Werkstoffkategorien begründen sich in diesen unterschiedlichen Bindungstypen wie es in Abb. 2.1.4 veranschaulicht ist. Die Moleküle der Polymere sind meist ungeordnet (amorph), können aber bereichsweise regelmäßig angeordnet (kristallin) sein. Keramiken und Metalle sind entweder amorph (glasartig) oder kristallin. Häufig in der Natur vorkommende dichtest gepackte Atomanordnungen werden in den Abb. 2.1.5a und b verglichen. Die Abb. 2.1.5c veranschaulicht die etwas weniger dicht gepackte kubisch-raumzentrierte (krz) Struktur. Mit wenigen Ausnahmen bestehen kristalline Werkstoffe aus Kristallkörnern unterschiedlicher kristallografischer Orientierung mit Durchmessern im Bereich von μm bis mm; Werkstoffe sind im Allgemeinen polykristallin.
Abb 2.1.3 Atomradien hängen von der Ordnungszahl ab. In den Stählen nehmen kleine Atome wie B, C, N Zwischengitterplätze im Fe-Gitter ein, während die anderen, markierten Elemente als Substitutionsatome aufgenommen werden können. Die Elemente in Al- und Mg-Legierungen treten nur als Substitutionsatome auf. Messing (Cu-Zn) erzielt eine signifikante Mischkristallverfestigung.
Abb 2.1.4 Bindungsarten der Werkstoffkategorien, die deren Eigenschaften prägen [3].
Abb 2.1.5 Häufige, einfache Kristallstrukturen: (a) hexagonal dichtest gepackte (hdp) Atomanordnung mit dichtest gepackten Basisebenen (Mg, α-Ti), (b) kubisch-flächenzentrierte (kfz) Struktur mit dichtest gepackten Diagonalebenen (Al, γ-Fe, Cu, Ni, Ag, Au), (c) kubisch-raumzentrierte Kristallstruktur (krz) mit relativ dicht gepackten Diagonalebenen (α-Fe, β-Ti).
Abb 2.1.6 Zusammenhang zwischen Schmelzpunkt bzw. Glasübergangstemperatur bei Polymeren und (a) E-Modul, (b) linearem, thermischen Ausdehnungskoeffizient.
Bindungstypen und Atomanordnungen begründen die physikalischen und mechanischen Eigenschaften der Werkstoffkategorien: Polymere und Keramiken leiten weder elektrischen Strom noch Wärme so gut wie Metalle; je stärker die Bindung umso höher der Schmelzpunkt und der E-Modul, desto kleiner der thermische Ausdehnungskoeffizient. Die Zusammenhänge zwischen diesen Größen sind in Abb. 2.1.6 veranschaulicht.
2.1.3 Elastizitätseigenschaften
Die elastischen Eigenschaften der Materialien begründen sich in den Bindungskräften zwischen den Atomen (Abb. 2.1.7). An den Atompositionen stehen die anziehenden und abstoßenden Kräfte im Gleichgewicht. Die Tangente des radialen Verlaufs der Atomkräfte ergibt der E-Modul, der die elastischen Dehnungen...