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E-Book

Männerspagat

Wie wir mit Offenheit, Respekt und Leidenschaft die alten Rollen überwinden

AutorHajo Schumacher
VerlagEichborn AG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl255 Seiten
ISBN9783732560486
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Hajo Schumacher räumt auf mit den unsinnigen Ritualen im Geschlechterkrieg. Sein Ziel ist es, zu versöhnen statt zu spalten. Verstehen statt Scharfrichtern. Öffnen statt Panzern. Schumacher wagt den Rollentausch mit seiner Ehefrau, besucht einen Tantra-Workshop und fragt sich, welchen Vorbildern seine Söhne heute noch nacheifern können.

Hajo Schumachers Aufruf: Moderne Frauen und Männer mögen sich zusammentun, um gemeinsam gegen die dunklen Mächte des archaischen Denkens anzugehen, das überall nistet, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Partnerschaft. Im heraufziehenden Zeitalter
aggressiver Spaltungen ist Teamgeist die wichtigste Ressource.

»Ein brutal ehrliches Buch, schlau, liebevoll und Basiswissen für alle, die häufiger mit Männern zu tun haben. Hajo Schumacher betont die vielen Gemeinsamkeiten von Männern und Frauen. Gut so. Respekt und Leidenschaft, Mitgefühl und Offenheit kennen kein Geschlecht.«
Bibiana Steinhaus, Deutschlands erste und einzige Bundesliga-Schiedsrichterin



Dr. Hajo Schumacher, geboren 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie. Von 1990 bis 2000 arbeitete er beim Spiegel, von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur von Max. Er ist Journalist, TV-Moderator und Autor zahlreicher Bücher. Bei Eichborn erschienen zuletzt die beiden Bestseller Restlaufzeit und Solange du deine Füße auf meinen Tisch legst. Hajo Schumacher lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Berlin. Sein Motto: lieben zu lernen und lernen zu lieben. Informationen zu Lesungen, Vorträgen und Auftritten gibt es unter www.hajoschumacher.de

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Leseprobe

Wir müssen reden


Als ich zum ersten Mal eine Frau sein durfte, erschrak ich über mich. Meine Stimme kiekste, ich trippelte in einem ziemlich knappen Sommerkleid, das mir meine Frau zum Ausleiern überlassen hatte. Meine Hände wedelten unsicher, abwehrend, albern. Ungewohnte Zugluft von unten. Ich war so wenig Dame wie Daphne aus Manche mögen’s heiß in einer Aufführung unseres Schultheaters 1972. Wie geht das, Frau sein?

Meine Ehefrau sollte zugleich einen Mann spielen. Sie hatte Karohemd und Jeans angelegt, ging breitbeinig und -schultrig, deutete andauernd Ausspucken an und griff sich abwechselnd in den Schritt und zum Revolver. Clint Eastwood hätte einen solchen Vogel vor lauter Verachtung nicht mal erschossen. Mannsein ist offenbar auch nicht leicht.

Mit der fröhlichen Verzweiflung von Langzeitverheirateten hatten wir uns in ein Paarseminar gewagt. Der Rollentausch war als ernstes Spiel gedacht. Wir sollten nicht groß analysieren, kritisieren oder freudianisieren, auf keinen Fall herumjuxen, sondern einfach ehrlich wahrnehmen, was es mit uns machen würde, ein paar Minuten ins andere Geschlecht zu schlüpfen. Erste Erkenntnis: Manche Paare scheiterten kichernd. Sie drangen gar nicht erst in tiefere Gefühlswelten vor, sondern ironisierten ihre Unsicherheiten weg.

Wir hatten immerhin geschafft, ernst zu bleiben. Und das Resultat war verblüffend: Als Frau empfand ich mich schlagartig ängstlicher, aber schicker, verletzlicher, andererseits aber auch sicherer in mir und meinem Körper. Meiner Frau erging es nahezu spiegelbildlich: Sie fühlte sich körperlich stärker, aber psychisch labiler, ungehobelter und ebenfalls ziemlich verletzlich. Gemeinsam verspürten wir eine immense Unsicherheit. Was war da passiert?

Willkommen, ihr spannenden Fragen.

Endlich hatten wir Nachschub bekommen vom wichtigsten Rohstoff jeder Beziehung. Die halbe Nacht lang sprachen wir über unsere Rollenbilder, über biologisches, soziales, ethisches Geschlecht, über Erwartungen, vor allem die unausgesprochenen. Wir, die wir uns nach Jahrzehnten des Geschlechterkampfs als aufgeklärte und halbwegs gleichgestellte Menschen bezeichnet hätten, sahen uns heillos in Klischees, Stereotypen und Fehlannahmen gefangen, mehr Voodoo als Wissen. Wir wussten erschreckend wenig vom Leben des anderen. Gleichzeitig spürte ich: Ich mag keine Zeit mehr vertrödeln mit ritualisierten Rechthabe-Debatten, wer das bessere, starke, schwache, überflüssige Geschlecht sei.

Und es wurde noch spannender. Am nächsten Tag sollten wir einen Geschlechtsakt andeuten, mit vertauschten Rollen. Give it to me, Baby! Der gegenseitige Respekt wuchs rapide. Meine tapfer pumpende Frau bekam erstmals eine Idee davon, warum Männer angeblich unentwegt an Sex denken, nur während des Sexes nicht – der elende Leistungsdruck. Ich, der ewige Mehrleister, wurde wiederum mehrfach ermahnt, einfach mal stillzuhalten. Hört man ja auch nicht so oft, wenn man jahrzehntelang ambitioniertes Dienstleisten gewohnt ist. Mehr dazu später.

Das Seminar war ein voller Erfolg. Ich war aufs Rabiateste aus der Komfortzone der gefühlten Wahrheiten katapultiert worden. Ich liebe diese Momente des Durcheinanders, die mich seither auf meiner Expedition zu meiner Männlichkeit begleiten. Die Reise begann sehr ungeplant mit drei Todesfällen und einem Tantra-Seminar, führte über Trumpputinerdogan und #MeToo zu – mir. Seither grabe, bohre, fühle ich dem Mysterium Mann hinterher: Wann ist ein Mann ein Mann? Was kann er? Was will er? Was darf er? Was taugt er als Partner? Wie erzieht er? Was wird gebraucht? Was kann weg? Das zu fragen ist hart. Und peinlich. Oft aber auch ganz lustig.

Ich dachte ja mal, mit Männern kenne ich mich halbwegs aus. Weil ich selbst einer bin, weil ich zwei Söhne zu anständigen Menschen zu erziehen versuche, weil ich als Sohn, Bruder, Kindergartenjunge, Schüler, Student, Angestellter, Chef, Freund, Freiberufler, Vater, Gatte, Liebhaber, Versorger und Spottobjekt manche Varianten des Männerspagats kennengelernt habe. Ich dachte tatsächlich, dass all die Übergriffe, Anzüglichkeiten, Straftaten, Machtmissbrauch und Dienstreisen-Bademanteleien eher Einzelfälle seien. Aber dafür sind es zu viele. Zugleich erhebt sich weltweit eine Gegenbewegung, ein Schwarm der Minderheiten, der die einzig wahre Mehrheit bildet.

Genau das ist die Realität, die uns fordert, dieses Durcheinander von Evolution und Genen, Religion und Machtsystemen, Traditionen und Glaubenssätzen, Moden und Mindfucks, Aufbegehren und Beleidigtsein. Wir wünschen uns Ordnung, aber Chaos und Widersprüche regieren. Kein Entkommen, wir haben scheinbar Selbstverständlichstes zu hinterfragen. Höchste Zeit zum Aufräumen von Routinen und Konventionen, gelassen und mit Mitgefühl. Es ist halt ganz schön viel, was sich da in den Jahren zwischen Suzie Quatro und Princess Nokia bei mir angestaut hat. Womöglich schaffen wir es sogar, aus dem Morast der Schuldzuweisungen herauszufinden, um die wichtigen Fragen zu bearbeiten: Was haben wir gelernt? Was machen wir künftig besser? Wie geht es gemeinsam weiter?

So jedenfalls nicht. Denn es wird ja nicht übersichtlicher. Bislang hatte ich Gleichstellung für einen unumkehrbaren Prozess gehalten, der je nach Weltgegend nur in verschiedenen Geschwindigkeiten abläuft. Sogar in Saudi-Arabien tut sich ja was. Doch plötzlich scheint die Emanzipation rückwärts zu laufen; ob in Washington oder Kabul, in Moskau oder Ankara, bei AfD oder IS – überall pöbeln und prügeln Männer und krallen sich an die Macht. Die anderen fühlen anschwellende Verhaltensunsicherheit und ducken sich hinter Sarkasmus, Distanz, passiver Aggressivität. Schon wieder. Immer noch. Waren wir vor fünfzig Jahren nicht mit anderen Zielen gestartet?

Das Phänomen der toxischen Männlichkeit ist nicht neu. Seit Kant und Fichte wird maskuline Unzulänglichkeit konstatiert, mal mit dem tückischen Mitleid der Feministin (Susan Faludi: Männer: Das betrogene Geschlecht), mal mit dem Sezierblick des Neurologen (Gerald Hüther: Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn), aber immer im Krisengestus, ob früher von Horst-Eberhard Richter (Die Krise der Männlichkeit) oder heute bei Robert W. Connell (Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten). Seit ich auf der Welt bin, verfolgt mich die Erzählung von Rettungsfrauen und Täter- oder Trottelmännern. Heute fragen Feministinnen, wozu die Welt überhaupt Männer brauche.

1982 forderte Ina Deter »neue Männer« fürs Land, aber das war auch schon Unsinn. Woher sollen die neuen kommen? Greencards für George Clooney, Barack Obama, Emmanuel Macron, Justin Trudeau? »Neu erfinden« ist eine der gewaltigsten Lügen des 21. Jahrhunderts. Nein, neue Männer gibt es nicht. Wir werden mit den alten klarkommen müssen, mit Exemplaren wie mir, die sich im Spagat eingerichtet haben, ohne sich dort übermäßig wohlzufühlen. Ich soll kochen, die Kinder ins Bett bringen und feuriger Liebhaber sein, mutig führen und empathisch zuhören, morgens Kickboxen, abends Yoga, viel Geld verdienen, aber Work mit Life balancieren, ein Sixpack vorzeigen, während ich ein Vier-Gänge-Menü mit guter Butter zaubere, und nach dem Holzhacken beim Paarseminar Frau spielen. Kein Problem, kriege ich halbwegs hin.

Aber ich habe diese Auf- und Abwertungsfloskeln satt, die Barths genauso wie die Schwarzers. Kann es sein, dass Super-Machos und Turbo-Feministinnen in einer unheimlichen Hysteriesymbiose vereint sind? Denn ohne die einen hätten die anderen nichts zu meckern.

Bevor wir uns erfolglos zu neuen Männern und Frauen umerziehen, sollten wir zunächst ein neues Miteinander versuchen. Und das beginnt mit einem klaren Wort. Wir müssen reden, nicht über-, sondern miteinander. Jeder Mann für sich, über seine Erwartungen, Träume, Verletzungen, Macken. Wir Männer müssen miteinander reden, zum Beispiel über unseren Helden- und Rivalitätsfimmel, warum uns Schwule eine irre Angst machen und was die Ursachen für diese unfassbar anstrengenden Hasslieberituale mit den Frauen sind. Und dann müssen wir mit unseren Nächsten reden, Eltern, Kindern, Partnern, ohne Konfrontationsreflexe, offen, ehrlich, verständnisvoll. Klingt so simpel. Und wird doch zu selten versucht. Denn gutes Reden braucht keine Glückskeksweisheiten aus der Mars/Venus-Klasse, sondern den Mut des Redenden und die Empathie des Zuhörenden. Nur im Gespräch können wir die Schützengräben zuschütten, aus denen seit Jahrzehnten Verletzte krabbeln, ohne dass wir große kulturelle Fortschritte gemacht hätten.

Reden gilt nicht als Domäne der Männer. Aber man kann sich da ranüben, zum Beispiel mit kalkulierten Abenteuern wie Paarseminaren. Klar schieben wir vorher tierische Panik, was uns wohl erwarten mag. Die anderen aber auch. Man nennt es Spannung. Sofort bäumen sich die ersten Dämonen auf, Angst, Schuld, No-Gos, Glaubenssätze. Die Kunst besteht darin, diese Dämonen nicht gleich wegzuschieben, sondern zu betrachten und zu erkennen: Aha, so funktioniere ich also. Nicht schön, aber Realität. Was kann schon passieren? Wir haben Spaß. Wir finden neuen Gesprächsstoff. Und wir lernen was.

Die Frauen – Entschuldigung fürs Verallgemeinern – haben in den letzten fünfzig Jahren dank des Feminismus sehr viel mehr über sich geredet und Unbekanntes erkundet, ihre Schmerzen, ihre Wünsche. Sie haben sich viel umarmt. Gut so. Wir Männer standen mit verschränkten Armen daneben und haben spöttisch bis ängstlich beteuert, dass wir so was nicht brauchen. Vielleicht doch: Denn Reden hilft, sogar Männern. Und Zuhören hilft ebenfalls, auch Frauen. Mein...

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