1 Der Sturm
Eine aufwühlende Diagnose in der Gegenwart, ein Blick in die Vergangenheit und unerwartete Hoffnungsstrahlen
Ich war die einzige Patientin in dem großen Vierbettzimmer auf der Station Orthopädie B, als Dr. Naomi Rahimi-Levene, meine neue Fachärztin für Hämatologie und Onkologie, hereinkam. Sie sah mich mit sanftem Blick an, als sie meinte, sie sei wegen der Ergebnisse meiner Knochenmarkbiopsie da – und kam direkt zur Sache.
1.1 Die Diagnose
»Sie haben Knochenmarkkrebs«, sagte sie und erklärte, dies sei eine bösartige Krebserkrankung des blutbildenden Systems im Knochenmark, die das Immunsystem lahmlegt und das Knochengewebe zerstört. »Es gibt zwar keine Heilung, aber diese Krebsart kann man behandeln«, fuhr sie fort und erklärte ruhig die Erstbehandlung, die etwa acht Monate dauern würde. Ich stellte kaum Fragen. Ihre Stimme hüllte mich ein. Die Worte »Krebs« … »keine Heilung« … »behandelbar« hallten in mir wider.
»Also bringt mein Rücken mich um«, dachte ich, während mir die höllischen Rückenschmerzen der letzten Wochen durch den Kopf gingen, welche mich überhaupt erst in die Orthopädie und zu dieser überraschenden Diagnose geführt hatten. Während Dr. Rahimi-Levene weitersprach, war ich in Gedanken bei einer Situation, die 16 Jahre her war …
Januar 1991, Delray Beach, Florida Kurz vor Beginn des Golfkriegs rief mich meine Mutter aus Südflorida an und sagte: »Ich habe Blasenkrebs. Am 16. Januar werde ich operiert und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, wenn ich mir die ganze Zeit Sorgen um dich und die Kinder in Israel mache. Könnt ihr nach Florida kommen?« Wahrscheinlich hätte sie mich nie gefragt, hätte sie nicht solche Angst vor einem Krieg und einer Bombardierung Israels durch Saddam Hussein gehabt.
»Ich komme mit den Kindern, sobald ich vier Tickets bekomme«, sagte ich prompt und wusste, wenn ich in Amerika gebraucht würde, würde das mit den vier Tickets ein Kinderspiel sein. Ein paar Tage später verließ ich meinen Arbeitsplatz, ließ meine drei Kinder, Avital, Yael und Gadi, von der Schule beurlauben und wir flogen nach New York.
Ich war mir sicher: Das alles musste einen tieferen Sinn haben, denn seit etwa fünf Jahren war ich auf einem spirituellen Weg. Ich las dazu alles, was mir in die Hände fiel, meditierte, machte Tai-Chi und war jede Woche Gastgeberin einer Meditationsgruppe, die von einer Frau geleitet wurde. Gerade las ich Dr. Bernie Siegels Bestseller »Prognose Hoffnung: Liebe, Medizin und Wunder« über außergewöhnliche Krebspatienten und wollte seine Mut machende Botschaft in die Welt tragen. Was für ein Zufall. Eine Frau aus der Meditationsgruppe empfahl mir auch Louise Hays »Gesundheit für Körper und Seele«, das mittlerweile ein Klassiker ist. Es sagte mir zwar nichts, aber ich kaufte es noch in New York, bevor wir nach West Palm Beach flogen. Einen Tag vor Moms Operation kamen wir bei meinen Eltern in Südflorida an, voller Optimismus, mit einem Gefühl der Sinnhaftigkeit und mit zwei lebensverändernden Büchern.
Nach der Operation erklärte der Arzt meinem Vater und mir, dass Moms Krebs von der aggressivsten Art war und bereits die gesamte Blase befallen hatte. Der Therapieplan sah zwei Behandlungszyklen zu je sechs Tagen vor, an denen die Blase direkt bestrahlt werden sollte. Wäre sie danach nicht vollständig krebsfrei, müsse man sie entfernen, aber meine Mutter werde leben. Ich hörte die Worte, aber tief in mir wusste ich etwas anderes. Solch eine »Vorahnung« hatte ich noch nie gehabt. Ich spürte förmlich, dass der Arzt nicht glaubte, dass die Chemotherapie erfolgreich sein würde, er war sich sicher, die Blase entfernen zu müssen, damit meine Mutter überlebte.
Als meine Mutter aufgewacht war, kam der Arzt erneut und sagte ihr dasselbe. Wieder spürte ich, dass er seinen eigenen Worten nicht glaubte. Nachdem er gegangen war, sah ich meine Mutter an und erkannte, dass auch sie es gespürt hatte. Aber ich nahm noch etwas anderes wahr, das mich wirklich schockierte.
»Du hast dich also bereits entschieden«, sagte ich zu meiner Mutter. Sie sah mich an und wusste nicht, wovon ich sprach.
»Du hast dich bereits entschieden, oder?«, sagte ich erneut. »Du hast dich entschieden, eine vorbildliche Patientin zu sein und die Chemotherapie ohne Murren durchzuziehen, weil du so tapfer bist und nicht jammerst. Und nach zwei Zyklen wirst du nicht ganz krebsfrei sein. Dann wird die Blase entfernt, damit du überlebst«, holte ich weiter aus. »Ist das nicht eine ziemliche Verschwendung?«
Ausdruckslos sah sie mich an – sie wusste nicht, worauf ich hinauswollte.
Am liebsten hätte ich sie geschüttelt und gesagt: »Mom, was wäre denn, wenn ich morgen sterben würde? Du würdest zwar leben, aber dein Leben wäre nie mehr so wie zuvor. Gib deine Blase doch nicht einfach so auf. Entscheide dich anders.« Ich wollte ihr Denken herausfordern, wollte, dass sie mich verstand, also sagte ich: »Entscheide dich, dass ein Behandlungszyklus ausreicht, den Krebs vollkommen loszuwerden. Entscheide dich anders. Eine Chemo reicht. Was hast du zu verlieren?«
Sie sah mich an, und ich erkannte, dass sich etwas in ihrem Blick verändert hatte, als sie nur ein »Okay« von sich gab.
Ich versicherte ihr, ihr auf jede Art zu helfen, und dann sah ich, dass diese neue Entscheidung wirklich bei ihr angekommen war. Ich fühlte es.
Gemeinsam lasen wir das Buch von Dr. Siegel und arbeiteten an ihrer Einstellung. Ich führte sie mit einer Meditation durch die erste Chemotherapie, und mit Hilfe von Louise Hays »Gesundheit für Körper und Seele« machten wir uns auf die Suche nach der Ursache für ihre Erkrankung. Im Buch werden verschiedene Körperstellen und Erkrankungen spezifischen Einstellungen und Glaubenssätzen zugeordnet. Ich las Mom vor, was Hay zum Thema Krebs geschrieben hatte: er rühre aus einer »tiefen Verletzung, langem Groll, einem großen Geheimnis oder aus Kummer, den man in sich hineingefressen hatte«(2). Nachdem ich das laut vorgelesen hatte, dachte ich: »Da liegt Louise Hay aber komplett daneben. Das passt alles nicht zu meiner Mutter.« Aber als ich zu ihr sah, schluchzte sie. Sie offenbarte ein dunkles, lange gehütetes Geheimnis sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit, das fast sieben Jahrzehnte heimlich an ihr genagt hatte. Mit diesem dunklen Geheimnis wurde vieles enthüllt, das geheilt werden musste.
Ich rief einen Jugendfreund an, den New-Age-Musiker und -komponisten Steven Halpern, um ihm von der Krankheit meiner Mutter zu erzählen. Er schickte Aufnahmen seiner heilsamen Musik mit unterschwelligen Genesungsbotschaften. Mom hörte es sich oft an und stellte sich vor, dass jeder Glockenschlag eine Krebszelle in eine gesunde Zelle verwandelte. Wir erarbeiteten eine Glücksdiät, die darauf beruhte, dass man sich mit möglichst viel Positivem umgab und Spannungen und Stress mied. Ich nahm ihr das Versprechen ab, im Fernsehen oder im Kino nichts zu sehen, dass trauriger wäre als Walt Disney oder Barbra Streisand. Sie nahm alles an und verbesserte ihre Visualisierungsfähigkeit. Nach zwei Wochen kehrten meine Kinder und ich nach Israel und zu den Raketen zurück. Mom und ich telefonierten regelmäßig und arbeiteten weiter an Einstellung, Genesung, Loslassen und Vergeben.
Ein paar Wochen später fragte ich mich beim Meditieren, wie es ihr wohl gehe. Ich sah mich selbst in einer strahlenden Kristallgrotte.
Als meine Mutter ein paar Tage später anrief, sagte sie: »Rate mal, was passiert ist. Ich habe die erste Chemotherapie hinter mir, und meine Blase ist vollkommen krebsfrei. Ist das denn zu glauben? Mein Arzt kann es kaum fassen. Er ist so verunsichert und überrascht, dass er eine zweite Chemo machen will, nur für alle Fälle.«
Der Arzt wusste zwar nicht, was passiert war, aber wir beide schon! Hautnah hatte ich die Macht der Verbindung von Körper und Geist miterlebt. »Für alle Fälle« hatte sie einer zweiten Chemotherapie zugestimmt. Von diesem Tag an war meine Mutter krebsfrei, bis sie 2013 im Alter von 91 Jahren starb.
1.2 Die Heilreise beginnt
Ich hörte mich sagen: »Wenn ich Mom den Weg zeigen konnte, kann ich das auch bei mir. Wenn sie es geschafft hat – schaffe ich das auch.«
Meine Ärztin redete immer noch …
Ich spürte eine Verbindung zu ihr, Vertrauen. Spürte, dass sie an die Behandlung glaubte, die sie mir vorschlug. Sie erklärte, man werde mir sofort hohe Dosen Steroide verabreichen. Im Laufe des Tages werde der Krankenwagen mich ins nahegelegene Tel-Hashomer-Krankenhaus bringen, damit es mit der radioaktiven Behandlung losgehen könne, welche die Tumoren in meiner Wirbelsäule erheblich verkleinern und die Schmerzen lindern werde. Als die Ärztin ging, hatte ich einen Kloß im Hals. Die Worte »unheilbar« … »behandelbar« … »Krebs« … jagten mir durch den Kopf, und ich brach in Tränen aus. Eine der gemeinhin am meisten gefürchteten Situationen war gerade eingetreten: gesagt zu bekommen, man sei unheilbar an Krebs erkrankt. Und ich weinte. Ich weinte mir die Augen aus.
Als die Tränen getrocknet waren, befand ich mich in einer vollkommen anderen Welt.
Einige Gefühle, die mich überrollt hatten, waren mit den Tränen davongespült, ich fühlte mich klarer. Durch die Erfahrung mit meiner Mutter wusste ich, dass Entscheidungen gefällt werden würden, ob ich mir darüber bewusst wäre oder nicht. Ich musste mir über meine Möglichkeiten klar werden und...