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Mord am Lech

ein jüdisch-bayerischer Kriminalfall aus dem Jahr 1862

AutorYehuda Shenef
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783744808408
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Im Sommer 1862 wurde der junge jüdische Juwelier Ludwig Elieser Bach aus Kriegshaber in Unterbergen bei Augsburg ermordet und ausgeraubt. Die Leiche entsorgte der Täter auf einer Kiesinsel im wasserarmen Lech, wo sie schon am nächsten Morgen gefunden wurde. Die Spur führt schnell in das benachbarte Dorf, wo das Opfer nachmittags zuletzt von mehreren Zeugen gesehen wurde. Der mehrfach vorbestrafte Täter war sehr schnell ermittelt, versuchte dann jedoch den Raubmord mit antisemitischen Vorwürfen gegen den Toten zu rechtfertigen, um seine Haut zu retten. So unterstellte er, dass die Juden im Falle seiner Hinrichtung seinen Leichnam kaufen wollten, um an sein Blut zu kommen. Das Buch berichtet ausführlich über den authentischen Fall, der damals weit überregionale Aufmerksamkeit erregte und zahlreiche Gerichtsschreiber zum Prozess nach München lockte. Ausführlich rekonstruiert werden Lebensumstände von Opfer und Täter, ihr familiäres und gesellschaftliches Umfeld in der Endphase des souveränen bayerischen Königreiches, in der Moderne und Emanzipation, aber auch der Antisemitismus entstanden. Mit akribischen Recherchen und einer Fülle authentischer Zeugnisse gelingt es, auf nüchterne Weise Motive und Ursachen zu ergründen, den Zeitgeist zu erfassen und den Leser zum Zeitzeugen zu machen. Zur Abrundung gibt es Einblicke über die Stellung der Juden in der deutschen Kriminalistik des 19. Jahrhunderts, in welcher manche, auch heute noch verbreitete Vorurteile an Hand von amtlichen Statistiken in objektiven Licht erscheinen.

Yehuda Shenef, Journalist, Linguist, Historiker und Autor

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Leseprobe

Der Mordfall Bach im Spiegel der Presse


Im Sommer 1862 wurde der aus Kriegshaber kommende Juwelier und Uhrmacher Ludwig Bach in Unterbergen bei Mering von Mathias Brunnhuber ermordet. Brunnhuber hatte Bach in seine Kammer gelockt, ihn heimtückisch ermordet und ausgeraubt und die Leiche in den Lech geworfen. Das längst vergessene Verbrechen erregte größtes Aufsehen.

Elf Tage nach der Tat berichteten fast alle Tageszeitungen in Bayern davon. Der Wortlaut stimmte weitgehend überein, im Lindauer Tagblatt, im Würzburger Anzeiger, in der Kemptner Zeitung, der Passauer Zeitung, der Pfälzer Zeitung, der Neuen Augsburger Zeitung, dem Münchner „Volksfreund“ und vielen anderen Blättern:

„Ein dieser Tage entdeckter Raubmord macht großes Aufsehen. Der Sachverhalt ist folgender: Am 13. d. M. sah ein Bürger von Prittriching, der eine Stunde unterhalb des Dorfes auf seinem Felde mit Arbeit beschäftigt war, im Lechfluss auf einer Sandbank einen gefüllten Sack liegen, der mit einem Riemen zugebunden war. Er zog ihn ans Ufer und öffnete ihn. Zu seinem nicht geringen Schrecken kamen ihm zwei bestiefelte Füße entgegen. Mit Hülfe eines herbeigerufenen, in der Nähe arbeitenden Mannes den Sack vollständig leerend, hatten sie den frischen Leichnam eines erwachsenen noch jugendlichen Mannes vor sich. Er war vollständig angekleidet, nur die Kopfbedeckung fehlte. In der Rocktasche fand sich ein leerer Geldsack, und in der linken Westentasche eine alte silberne Sackuhr mit zerbrochenem Glase; unter seinen Kleidern aber in einem auf bloßen Leibe getragenen Jäckchen entdeckte man 2 silberne neue Sackuhren und 2 ditto Halsketten. An dem Halse zeigte sich eine breite und tiefe, nach gerichtsärztlichem Ausspruche absolut tödliche Wunde. Er war, wie die Nachforschungen bald ergaben, der 19jährige Israelite Ludwig Bach, Sohn einer Witwe aus Kriegshaber. Er schien in der Nacht vom 12. auf den 13. in einem Hause ermordet und beraubt, und dann in den Lech geführt oder getragen worden zu sein. Zwei dringend verdächtige, ledige Burschen, Brüder aus Unterbergen, sind bereits verhaftet.“

Etwas kürzer war am 25. August der „Nürnberger Anzeiger“:

„Augsburg – An dem 19jährigen israelitischen Uhrmacher Ludwig Bach aus Kriegshaber wurde vom 12. auf den 13. ein Raubmord verübt. Der Mord, durch eine Schnittwunde am Halse bewerkstelligt, muss in einem Hause aufgeführt worden sein und es wurde die Leiche in einem Sack in den Lech, eine Stunde unterhalb von Prittriching getragen, wo sie am 13. aufgefunden wurde. Der mutmaßliche Täter sitzt in Haft.“

* * *

Als Opfer des Mordes wurde der 19jährige Ludwig Bach aus Kriegshaber identifiziert und als Israelit, Uhrmacher und Sohn einer Witwe vorgestellt, der durch eine tödliche Wunde am Hals zu Tote kam. Über den oder die mutmaßlichen Täter erfuhren die Leser zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr, als dass er oder sie bereits verhaftet worden waren. Obwohl alle Tageszeitungen von dem Fall berichtet hatten, gab es bis zum Prozess keine weiteren Einzelheiten aus der Presse zu erfahren.

Ludwig Bach wurde am 14. August am gemeinsamen Friedhof der jüdischen Gemeinden von Kriegshaber, Augsburg, Pfersee und Steppach beigesetzt.

Als Monate später im darauffolgenden Frühjahr der Mord am Schwurgerichtshof42 von Oberbayern in München verhandelt wurde, war die mediale Aufmerksamkeit ungleich größer.

Zum angesetzten Prozess des Münchner Schwurgerichts am 8. und 9. März 1863 erschienen Korrespondenten recht vieler Zeitschriften. Sie verfassten mehr oder minder ausführliche, auch heute noch gut zu lesenden Berichte über den damals spektakulären Mordfall. Viele der Einzelheiten bedürfen im Abstand von 150 Jahren der Erläuterung. Dazu zählt auch die Institution der Schwurgerichte selbst. Gerichte mit den zwölf Geschworenen sind uns heute meist nur aus amerikanischen Filmen bekannt. Seit der Reform des Jahres 192443 existieren Schwurgerichte in Deutschland nur noch namentlich, da an die Stelle von Geschworenen nun Schöffen traten.

Im Königreich Bayern gehörten Schwurgerichte 1848 zu den wesentlichen „März-Forderungen“ der Liberalen, die sich eine Rechtsprechung erhofften, die weniger nach dem Gutdünken der feudalen Herrscher ausgerichtet war und stattdessen dem einstimmigen Urteil erfahrener Bürger folgen sollte, die nach ihrem praktischen Sachverstand berieten und schlussfolgerten. Installiert wurden die Schwurgerichte ab 1849 in den bisherigen Kreis- und Stadtgerichten des Königreichs, ab 1857 auch in den Bezirksgerichten, wobei sich die Zuständigkeit auf Delikte44 erstreckte, auf die nominell Todes-, Ketten- und Zuchthausstrafen, sowie Vergehen gegen das Pressegesetz standen. Letzteres sollte auch Journalisten und Verleger vor staatlicher Willkür schützen. Die an den Schwurgerichten zur Verhandlungen berufenen Geschworenen wurden freilich von den Behörden ausgewählt. In den Magistraten und Landräten wurden Listen „gesinnungsgeeigneter“ Kandidaten geführt, die man bei und nach Bedarf auswählte.

* * *

Eine gute Einführung in den Sachverhalt bot die im zweiten Jahrgang erschienene Tageszeitung „Münchener Omnibus“,45 die zunächst in einer Kurzmitteilung darauf hinwies, dass vom morgigen Montag an am Münchner Schwurgericht „die Anklage gegen Mathias Brunnhuber, lediger Taglöhner von Unterbergen, wegen Mordes“ verhandelt werde. Tatsächlich war der auf die beiden Verhandlungstage angesetzte Prozess der alleinige Aufmacher des Blatts und umfasste die vollständigen Titel- und Folgeseiten.

Der Bericht beginnt mit der Liste der am Prozess beteiligten Personen. Der königliche Appellations-Gerichtsrat46 Präsident Brand leitete den Prozess, der Staatsanwalt hieß Mähler und der Verteidiger des Angeklagten Schramm.

Die damals auch in Bayern noch üblichen 12 Geschworenen, die „aus der Urne hervor“ gingen, also ausgelost wurden, sind im Bericht namentlich überliefert, was uns unabhängig vom eigentlichen Sachverhalt interessante Aufschlüsse gibt. Die Zeitung nennt:

  1. Guggemos, Müller von der Reismühle47;
  2. Hof, Conditor von hier;
  3. Karrer, Ökonom von Niederlauterbach48;
  4. Zollner, Bierbrauer von Rosenheim;
  5. Forster, Lebzelter49 und Magistratsrat50 von Kraiburg;
  6. Scheicher, Schiffmeister von Neubeuern;
  7. Haunstetter, Taschnermeister von der Vorstadt Au;51
  8. Lochner, Müller von Tengling;52
  9. Kopp, Melber53 von hier;
  10. Seidl, Bäcker und Magistratsrat von hier;
  11. Fischer, Tapetenfabrikant von hier;
  12. Bauer, Wirt von Gelting.54

„Angeklagt ist Mathias Brunnhuber, 25 Jahre alt, lediger Taglöhner von Unterbergen, wegen Mordes.“

Nach der Vorstellung folgte nun der eigentliche Sachverhalt:

Am 13. August vorigen Jahres vormittags 9 ½ Uhr mähte der Söldner Ignaz Vogl von Prittriching55 am rechten Lechufer, als er auf einer Sandbank einen Getreidesack liegen sah, der zur Hälfte im Wasser, an dem oberen Teile aber jedoch ganz trocken war. Vogl watete durch den Bach und zog den Sack an Land, bei dessen Öffnung er zu seinem Schrecken eine männliche Leiche mit dem Kopfe zuunterst gewahrte. Sogleich wurde der Söldner Michael Gattinger, der in der Nähe arbeitete herbeigerufen; dieser nahm die Leiche heraus und legte sie auf den Rücken zu Boden, nachdem er die aufgebogenen Füße derselben gestreckt hatte. Der Umstand, dass schon seit mehreren Tagen der Wasserstand des Lechs nicht hoch war, rief alsbald die Meinung herbei, dass die Leiche von Unterbergen herausgebracht und in den Lech hineingeworfen wurde. In derselben wurde auch wirklich der Israelite Ludwig Bach aus Kriegshaber erkannt, der am 12. August zuletzt in Unterbergen, und dann nirgends mehr gesehen wurde. An der Leiche des Ludwig Bach u. zwar an der rechten Halsseite fand sich eine Stichwunde, welche 1“3“‘ lang56 war, 9“‘ klaffte, die vena jugularis57 sowie die carotis,58 nicht minder die Luftröhre unmittelbar ober dem Kehlkopfe durchstochen zeigte, Verletzungen, welche bei dem Umstande, dass durch sie schnelle Verblutung und damit der Tod des Ludwig Bach eintreten musste, den 1. Gerichtsarzt zu dem Ausspruch bestimmten, dass Bach an dem beschriebenen Stiche und dessen Folgen eines gewaltsamen Todes gestorben ist.

Am Dienstag, den 12. August des vorigen Jahres fuhr genannter Handelsmann Ludwig Bach morgens 9 Uhr von Kriegshaber nach Mering,59 von da über Unterbergen, Prittriching, Dünzelbach,60 usw., seinen Handelsgeschäften mit verschiedenen Gold- und Silberwaren nachzugehen. Zu diesem Zwecke hatte er sich mit verschiedenen Ringen, Broschen, Uhren,...

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