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Mythos Trümmerfrauen

Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes

AutorLeonie Treber
VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl483 Seiten
ISBN9783837512762
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Die 'Trümmerfrau' gehört zum festen Repertoire nahezu jeder historischen Darstellung der Nachkriegszeit, ganz gleich, ob in TV- und Printmedien, in Schulbüchern oder in Ausstellungen der historischen Museen. Seit Anfang der 1950er Jahre bis in unsere unmittelbare Gegenwart kam es darüber hinaus in den unterschiedlichsten Städten immer wieder zur Errichtung von 'Trümmerfrauen'-Denkmälern. Leonie Treber hat erstmals die überlieferten Fakten geprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass die 'Trümmerfrauen' ein Mythos sind; es gibt nur ganz wenige Belege dafür, dass tatsächlich Frauen im Krieg und in der Nachkriegszeit Bombentrümmer beseitigt haben. Wie für Mythen gemeinhin üblich, handelt es sich bei den heute verbreiteten stereotypen 'Trümmerfrauen'-Narrativen jedoch keineswegs um reine Lügen, vielmehr enthalten sie einige Brocken Wahrheit, die jedoch mitunter verfälscht und aus dem Kontext gerissen sind bzw. Wesentliches verschweigen. Die Autorin stellt dar, wie die Enttrümmerung der deutschen Städte tatsächlich stattgefunden hat. Meist waren professionelle Firmen mit technischem Großgerät und Fachkräften die Hauptakteure bei der Trümmerräumung. Und sie zeigt, wie der Mythos 'Trümmerfrau' mit all seinen Facetten entstanden ist. Die Grundlagen für den Mythos der 'Trümmerfrau' wurde bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit gelegt. Eine Analyse der zeitgenössischen Presseerzeugnisse von 1945 bis 1949 legt die dabei entworfenen Bilder offen und fragt nach dem Ursprung des 'Trümmerfrauen'-Begriffs. Die Traditionslinien der 'Trümmerfrauen' reichen in der DDR bis ins Jahr 1945 zurück und sind seitdem niemals abgebrochen, sondern kontinuierlich gepflegt worden. Die lange und stabile Tradierung der 'Trümmerfrau' in der Erinnerungskultur der DDR trug somit wesentlich dazu bei, dass sich aus den getrennten und zum Teil diametral gegenüberliegenden Erinnerungssträngen der BRD und der DDR schließlich der gesamtdeutsche Erinnerungsort der 'Trümmerfrau' flechten ließ.

Leonie Treber hat Geschichte, Soziologie und Germanistik an der TU Darmstadt studiert und absolvierte anschließend ein Lektoratsvolontariat beim Primus Verlag. Danach promovierte sie mit der vorliegenden Arbeit am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Duisburg-Essen. Das Promotionsprojekt wurde durch die DFG gefördert. Momentan arbeitet Leonie Treber im Bereich des Wissenschaftsmanagement an der TU Darmstadt.

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Leseprobe

Einleitung


Am 24. Mai 2012 titelte die Frankfurter Rundschau in großen Lettern »Stunde der Trümmergirls«.1 Von »Girls« handelte der dazugehörige Artikel nicht wirklich und mit realen »Trümmern« hatte er rein gar nichts zu tun. Gleichwohl hätte die Redaktion kaum ein eindrücklicheres Bild für ihren Leitartikel finden können. Worum es darin eigentlich ging, darüber gab der Untertitel etwas mehr Aufschluss: »Oskar Lafontaine ist weg, die Linke zerlegt sich weiter. Ein Frauenkollektiv meldet sich zum Wiederaufbau.«2 Hintergrund der Schlagzeile war demnach die aktuelle parteipolitische Krise der Linkspartei: Nach gerade verlorenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie internen Streitigkeiten und Affären lag die Partei fast vollständig zerstört am Boden. Zu allem Übel hatte Lafontaine, einer der Gründungsväter der Partei, seine in Aussicht gestellte Kandidatur für die Parteiführung nun auch noch zurückgezogen. Für einen Neubeginn stand er nicht mehr zur Verfügung. Als Reaktion darauf hatten die 34-jährige Katja Kipping, stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, und die 1972 geborene Katharina Schwabedissen, gescheiterte NRW-Spitzenkandidatin, erklärt, »sie wollten die Linkspartei als weibliches Führungsduo aus der Krise führen«.3 Was eine ganze Reihe von vor allem männlichen Spitzenfunktionären – allen voran Oskar Lafontaine – mutmaßlich zerstört hatte, wollten die beiden jungen Frauen also wieder aufbauen. Ausgelöst durch eine Pressekonferenz, auf der die Politikerinnen ihre politischen Ambitionen verkündeten, waren sie von der Frankfurter Rundschau zu den »Trümmergirls« der Linken ernannt worden. Diese kleine semantische Abweichung konnte sich die Redaktion ohne weiteres erlauben, denn ansonsten saß der Vergleich: Genauso wie die »Trümmerfrauen« nach dem Zweiten Weltkrieg selbstlos damit begonnen hatten, die Trümmer zu räumen, die der Krieg der Männer hinterlassen hatte, genauso wollten jetzt die »Trümmergirls« der Linken die Ärmel hochkrempeln, um ihrer Partei zu neuer Blüte zu verhelfen.

Um diesen so geschickt konstruierten Vergleich auf Anhieb verständlich zu machen, bedurfte es freilich keinerlei Erklärungen. Denn die Redaktion der Frankfurter Rundschau konnte getrost davon ausgehen, dass ihre Leserschaft selbst darauf kam. Schließlich nimmt die »Trümmerfrau« im kollektiven Gedächtnis der heutigen BRD einen prominenten Platz ein. Darauf hat unlängst Marita Krauss in ihrem – für das Gesamtkonzept dieser Arbeit generell sehr inspirierenden Aufsatz – »Trümmerfrauen. Visuelles Konstrukt und Realität«, verwiesen. Darin konstatiert sie, dass die »Trümmerfrau« gegenwärtig zum festen Repertoire nahezu jeder historischen Darstellung der Nachkriegszeit gehört, ganz gleich, ob in TV- und Printmedien, in Schulbüchern oder in Ausstellungen der führenden historischen Museen, wie dem DHM in Berlin. Außerdem weist sie darauf hin, dass es seit Anfang der 1950er Jahre bis in unsere unmittelbare Gegenwart in den unterschiedlichsten Städten immer wieder zur Errichtung von »Trümmerfrauen«-Denkmälern gekommen ist.4

Somit muss hinzugefügt werden, dass die »Trümmerfrau« nicht nur »längst Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden ist«,5 sondern als »spezifischer Eintrag« in demselben als deutscher Erinnerungsort gelten kann.6 Dass die »Trümmerfrau« in dem dreibändigen von Etienne Françoise und Hagen Schulze herausgegebenen Sammelwerk Deutsche Erinnerungsorte nicht vertreten ist, tut dieser Behauptung keinen Abbruch.7 Denn die beiden Herausgeber haben selbst darauf hingewiesen, dass die »Menge der Erinnerungsorte kaum überschaubar« ist und ihre Auswahl schon allein deswegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben kann.8 Diesen erheben sie auch gar nicht, sondern verstehen das ›Projekt‹ der deutschen Erinnerungsorte vielmehr als offen und erweiterbar. Anhand ihrer Definition, was unter einem Erinnerungsort zu verstehen ist, lässt sich die »Trümmerfrau« jedoch konzeptuell erfassen. In Anlehnung an Pierre Nora, der mit seinem monumentalen Werk Les Lieux des mémoire »eine beträchtliche Zahl von Bruchstücken des französischen nationalen Gedächtnisses in Form von Essays zusammengetragen hat« und damit die Forschungen u. a. zu den Deutschen Erinnerungsorten angestoßen hat, haben Françoise und Schulze Erinnerungsorte als »Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität« definiert, »die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind«. Dabei können Erinnerungsorte »ebenso materieller wie immaterieller Natur sein, zu ihnen gehören etwa reale wie mythische Gestalten und Ereignisse, Gebäude und Denkmäler, Institutionen und Begriffe, Bücher und Kunstwerke – im heutigen Sprachgebrauch ließe sich von ›Ikonen‹ sprechen. Erinnerungsorte sind sie nicht dank ihrer materiellen Gegenständlichkeit, sondern wegen ihrer symbolischen Funktion.«9 Und zu solch einem Symbol für die deutsche Nachkriegszeit gerinnt die »Trümmerfrau« in all den vorne genannten Formen populärer historischer Darstellungen.

In auffällig stereotyper Weise wird die »Trümmerfrau« hierbei mit dem obligatorisch vorne geknoteten Tuch auf dem Kopf und dem Hammer in der Hand bzw. in einer Eimerkette arbeitend bildlich in Szene gesetzt.10 Nicht weniger standardisiert wirken die dazu gehörigen Kommentare, die die »Trümmerfrau« in einem gleichbleibend hellen Licht erstrahlen lassen. Besonders eindrucksvoll lassen sich die Stereotype, die immer wieder aufs Neue mit der »Trümmerfrau« verknüpft werden, anhand einer Rede des Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl veranschaulichen, die verdeutlicht, dass die »Trümmerfrau« längst auch Eingang in erinnerungspolitische Reden gefunden hat. Im September 2005, also gut sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, beschwor Kohl im Rahmen einer Feierstunde, bei der er den Franz Josef Strauß-Preis verliehen bekam, folgende Erinnerungen an die »Trümmerfrauen« herauf:

»Ich kannte München noch nicht und meine erste Begegnung mit der Stadt war ein Schock, denn sie war ein einziger Trümmerhaufen. Angesichts dieses Elends sahen weder wir Kinder noch die Erwachsenen eine positive Zukunft. Doch wir haben es geschafft! Diese großartige Generation meiner Eltern, der Großeltern und vielleicht der Urgroßeltern verzweifelte trotz allem nicht. Sie sagten sich: ›Wir wollen es packen!‹ Diese mutmachende Haltung versinnbildlicht in Berlin ein Denkmal, an dem ich fast täglich vorbeifahre. Es ist ein Denkmal, das die Berliner in den 50er-Jahren den so genannten Trümmerfrauen gewidmet haben. […] Das Denkmal in Berlin erinnert an eine große Zahl von Frauen, die sich freiwillig zur Beseitigung von Trümmern meldeten. Sie wussten nicht, wann ihr Mann aus dem Krieg zurückkommen würde, ob er vermisst, gefallen oder in Kriegsgefangenschaft ist. Sie wussten nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollten. Sie waren der Verzweiflung nahe, vor allem, wenn man bedenkt, wie viele von Ihnen [sic!] zwischen März und Oktober 1945 vergewaltigt wurden. Aber Sie gaben nicht auf. Und so sind diese ›Trümmerfrauen‹ zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit geworden.«11

Genauso wie in dem von Kohl entworfenen Erinnerungsbild scheint es Erstens generell eine symbiotische Verbindung zwischen den »Trümmerfrauen« und Berlin zu geben. Kohl, der eigentlich über München spricht, verweist für sein »Trümmerfrauen«-Beispiel auf Berlin. Und dies ist ganz typisch, denn immer dann, wenn von »Trümmerfrauen« die Rede ist, wird zumeist Berlin als Referenzstadt angegeben. Dies führt zum Zweiten dazu, dass davon ausgehend ganz allgemein von einer »großen Anzahl von Frauen« die Rede ist, die scheinbar nicht nur in Berlin die Trümmer geräumt hatten, sondern überall, beispielsweise eben auch in München. Gemeldet hätten sich diese Frauen Drittens in aller Regel freiwillig, zu einem Zeitpunkt, als sie nicht wussten, ob ihr Mann jemals aus dem Krieg bzw. der Kriegsgefangenschaft nach Hause kommen würde. Dieser altruistische Aufopferungswille, der den »Trümmerfrauen« immer wieder attestiert wird, lässt sie schließlich Viertens »zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit« werden. An dieser Stelle lohnt es sich, Kohls Ausführungen noch ein Stückchen weiter zu folgen. Denn sein »Trümmerfrauen«-Exkurs hatte vor allen Dingen den Zweck »sich immer wieder zu vergegenwärtigen, woher wir kommen und wo unsere Wurzeln liegen«.12 Möchte man...

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