Obwohl die Zahl der Arbeitslosen schon dauerhaft bei über 4 Mio. liegt, beklagen sich viele Unternehmen über nicht zu besetzende Stellen. Nach einer Umfrage des Institutes für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2001 konnten 29,7 % der Unternehmen offene Stellen nicht besetzen. Hierbei muß jedoch erwähnt werden, daß weitere 30,3 % der Befragten keine freien Stellen angeboten haben. Bei einem Prozentsatz von 38 % der Unternehmen, die keine Probleme bei der Stellenbesetzung hatten, hat somit fast jedes zweite suchende Unternehmen Schwierigkeiten bei der Personalakquisition.[10]
Dieser Arbeitskräftemangel kann auf die Inhomogenität des Gutes Arbeit zurückgeführt werden. Auch bei einem Arbeitskräfteüberhang auf dem Gesamtmarkt kann es in einzelnen Segmenten zu einem Mangel kommen, der auf regionale, demographische oder qualifikationsbezogene Effekte zurückgeführt werden kann.[11]
Bereits auf mittlerer Sicht wird auf dem Sektor der Fachkräfte mit einer deutlichen Verschärfung des Mangels an Arbeitskräften gerechnet. Dabei fällt besonders auf, daß Akademiker mit einer Arbeitslosenquote von 2,6 % im Jahr 2000 das mit Abstand niedrigste Arbeitslosigkeitsrisiko trugen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit spricht in Westdeutschland bei dieser Gruppe fast schon von Vollbeschäftigung.[12]
Unter Fachkräften sollen im Rahmen dieser Arbeit alle Absolventen in wirtschaftsrelevanten Studiengängen, wie beispielsweise Betriebswirtschaft, Ingenieurwesen oder Informatik, verstanden werden. Eine Vielzahl der Unternehmen konzentriert sich bei der Personalsuche besonders auf die sogenannten High Potentials.[13] Seebacher/Ecker definieren High Potentials als Hochschulabgänger sowie Mitarbeiter im Alter zwischen 22 und 35 Jahren mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten.[14] Prange/Schnädter hingegen definieren High Potentials als Studenten mit überdurchschnittlichen Noten, hohen Aktivitäten neben der Hochschule und Auslandserfahrung.[15] Unabhängig von der gewählten Definition umfaßt dieser Personenkreis lediglich 5-10 % der Absolventen eines Jahrgangs und ist daher besonders stark umkämpft.[16]
Für die Unternehmen stellen jedoch nicht nur Hochschulabsolventen das Potential für Fach- und Führungsaufgaben dar. Auch andere Gruppen, wie etwa besonders qualifizierte Auszubildende, können geeignetes Personal für derartige Aufgaben liefern. Aufgrund von sich ständig ändernden Anforderungen sind ab einem gewissen Qualifikationsniveau ohnehin regelmäßige Weiterbildungen erforderlich. Daher liegt es nahe, bereits seit längerem bekannte Mitarbeiter mittels Finanzierung einer Aufstiegsfortbildung zum einen über die gebotene Entwicklungsperspektive an das Unternehmen zu binden und zum anderen zu einer qualifizierten Fachkraft heranzubilden.[17]
Im folgenden sollen die Gründe für den prognostizierten Fachkräftemangel analysiert und mögliche Einwände dagegen diskutiert werden.
Als Gründe für eine deutliche Verschärfung des Fachkräftemangels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten können sowohl angebotsseitige als auch nachfrageseitige Effekte angeführt werden.
Auf der Nachfrageseite wird bis 2010 eine Verschiebung der Qualifikationsanforderungen prognostiziert. Während 1995 noch 63,8 % der Erwerbstätigen qualifizierte Fachtätigkeiten, Fachtätigkeiten mit Führungsaufgaben und hochqualifizierte Tätigkeiten ausführten, soll dieser Anteil bis 2010 auf 70,7 % ansteigen, was einer Steigerung von immerhin 10 % entspricht.[18]
Gleichzeitig ist mit einem Rückgang an Fachkräften auf der Angebotsseite zu rechnen. Bedingt durch eine deutliche Abnahme der Fertilitätsraten in nahezu allen Industrienationen – speziell in Italien, Spanien, Österreich und Deutschland – steht ein demographischer Wandel bevor.[19]
Das statistische Bundesamt hat mehrere Szenarien aufgestellt, am gebräuchlichsten ist dabei eine Variante mit folgenden Annahmen:[20]
Steigerung der Geburtenziffer von derzeit 1,35 Kindern je Frau auf 1,4 im Jahr 2010, von da an Konstanz (2,1 wären für eine gleichbleibende Bevölkerungszahl erforderlich)
Anstieg der Lebenserwartung um sechs Jahre für Jungen und 5,5 Jahre für Mädchen bis zum Jahre 2050
Nettozuwanderung von 200.000 Personen pro Jahr
Daraus ergibt sich ein Rückgang der Bevölkerung von derzeit 82,8 Mio. auf 75,1 Mio im Jahr 2050. Im gleichen Zeitraum sinkt der Anteil der 15 bis unter 65 jährigen von 55,5 Mio. auf 44,0 Mio., während die Zahl der über 65 jährigen von 15,3 Mio. auf 22,2 Mio. ansteigen wird.
Abbildung 1: Bevölkerungsstatistik Deutschlands bis 2050
Quelle: Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2050, 10. koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung, Wiesbaden, 2003, eigene Darstellung
Wie ersichtlich kommt es zwar erst nach 2020 zum Rückgang der Gesamtbevölkerung, bereits in den kommenden Jahren wird jedoch der Anteil der 15 bis 64 jährigen zurückgehen und sich die Altersstruktur innerhalb dieser Gruppe nach oben verschieben. Die Zahl der 20-30 jährigen nimmt ab, was sich möglicherweise nachteilig auf die Fachkräfterekrutierung und die Innovationsfähigkeit auswirken wird.
Als Einwand ist dem entgegenzusetzen, daß durch geeignete Maßnahmen das Angebot an Fach- und Führungskräften möglicherweise erhöht werden kann.
Die vielleicht naheliegendste Möglichkeit wäre ein deutlicher Anstieg der Geburtenrate, wofür jedoch momentan keine Anzeichen vorhanden sind.[21] Selbst wenn eine auf dieses Ziel ausgerichtete Familienpolitik mit entsprechenden finanziellen Anreizen betrieben würde, ist es mehr als fraglich, ob diese Maßnahmen die Geburtenrate signifikant erhöhen würden. Voraussichtlich stände der Aufwand in keinem ökonomisch vertretbaren Verhältnis zum Erfolg.
Einen erfolgsversprechenderen Ansatz für die Familienpolitik bietet die Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Diese lag für die 15 bis unter 65-jährigen im Jahr 2003 bei 65,1 % im Vergleich zu 79,2 % bei der männlichen Bevölkerung.[22] Hier könnte durch eine weitere Verbreitung von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen eine Annäherung der beiden Werte erreicht werden. Bereits in den letzten 30 Jahren nahm in den alten Bundesländern der Anteil erwerbstätiger Frauen stark zu, Schätzungen sagen auch für die Zukunft einen weiteren Anstieg voraus.[23]
Desweiteren könnte eine Verkürzung der Ausbildungszeiten diskutiert werden. Stehen junge Menschen dem Arbeitsmarkt früher zu Verfügung, steigt folglich die Erwerbsquote an. Schon seit längerem wird so zum Beispiel auch für Westdeutschland die Verkürzung des Schulbesuchs bis zum Abitur auf zwölf Jahre erörtert. Auch die Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudenten versucht, Anreize in diese Richtung zu geben. Zwar führen verkürzte Erstausbildungszeiten zu mehr jüngeren Arbeitskräften, angesichts der prognostizierten steigenden Qualifikationsanforderungen, könnte ein kürzerer Ausbildungszeitraum aber kontraproduktiv sein.[24]
Ein ähnlicher Ansatz bei der älteren Generation ist die Erhöhung des effektiven Rentenalters. Durch die derzeitige jugendzentrierte Personalpolitik beginnen ältere Arbeitnehmer schon mit Anfang 50 sich gedanklich auf den vorgezogenen Ruhestand vorzubereiten.[25] Entsprechend lag das durchschnittliche Renteneintrittsalter 2001 in Westdeutschland bei 60,5 Jahren und in Ostdeutschland sogar nur bei 58,6 Jahren, also deutlich unter dem gesetzlich vorgesehenen Renteneintrittsalter von 65 Jahren.[26] Um dieses Ziel zu erreichen sind neben Maßnahmen des Gesetzgebers aber auch Anstrengungen der Unternehmen nötig, ältere Arbeitnehmer an die aktuellen qualifikatorischen Anforderungen anzupassen.[27]
Durch erhöhte Qualifizierungsanstrengungen könnte den sinkenden Jahrgangsstärken ebenfalls in gewissem Maße entgegengewirkt werden. Während bis Anfang der 90er Jahre eine Bildungsexpansion den Strukturwandel hin zu anspruchsvolleren Tätigkeiten entscheidend mitgetragen hat, muß seitdem jedoch in weiten Teilen von einer Bildungsstagnation gesprochen werden. Abgesehen von weiter ansteigenden Akademikerquoten hat sich der Anteil von Personen mit Lehr- oder Fachschulabschluß nicht weiter erhöht. Auch der Anteil der Personen ohne Berufsabschluß ist weitestgehend konstant geblieben, dementsprechend besitzt in Westdeutschland momentan etwa ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung...