Die geschichtlichen Wurzeln
Ein rastloser Vogel zwischen Himmel und Erde
Eine Erklärung zur Entstehung der vielen Tausend Inseln gibt eine Legende der Bisaya, der Bewohner der zentralen Philippinen, wo das Meer von unzähligen, dicht nebeneinander liegenden Landflecken übersät ist.
Am Anfang gab es in friedlichem Abstand zueinander nur Himmel und Wasser. Ein einsamer Vogel flog zwischen den beiden Elementen umher. Doch das ruhelose Flattern erschöpfte den Vogel und er sehnte sich nach einem Stück festen Landes. Listig nutzte er seine Freundschaft zu beiden Naturgewalten, um deren Harmonie zu stören. Sein Intrigenspiel begann damit, dass er dem Himmel von finsteren Plänen des Meeres berichtete: Es wolle seine Fluten anschwellen lassen und den Himmel bedrohen. Dieser prahlte gegenüber dem Vogel damit, dass er einen Steinregen nach unten schleudern werde, um den vermeintlichen Kontrahenten Respekt zu lehren. Dem Vogel gefiel die himmlische Strategie wohl, besonders nachdem er sie dem Meer verraten hatte. Denn dort wurde die Warnung ernst genommen. Die Fluten stiegen an, immer höher, bis sie die Wolken berührten. Da machte auch der Himmel seine Drohung wahr und bombardierte das Meer mit Gewittern und Felsbrocken, die schließlich die Fluten niederdrückten und besiegten. Der schlaue Vogel, wo immer er sich während der Schlacht der Giganten aufgehalten haben mag, sah das Ergebnis mit größter Genugtuung: Die Elemente hatten sich wieder beruhigt und in ihre angestammten Reviere zurückgezogen. Und die Felsen waren zu Inseln im Meer geworden. Auf diesen konnte der Vogel endlich, wann immer er wollte, zur Ruhe kommen.
Erste Siedler, Vorfahren der heutigen „Ureinwohner“ (ab ca. 250.000 v. Chr.)
Die ersten Filipinos
Wann Menschen in dieser bis heute von ungestümen Naturgewalten geprägten Welt aus Wasser und Land aufgetaucht sind, kann nur ungefähr datiert werden. Auf weit über 250.000 Jahre wird das Alter der Relikte aus dem Cagayan Valley und der Provinz Batangas auf Nordluzon geschätzt. Offensichtlich stammen diese von Homininen (Homo erectus) und Verwandten des Peking-Menschen. Ihrer Jagdbeute, wie Zwergelefanten und Wollnashörner, folgend, sollen sie über Landbrücken aus Asien gekommen sein. Als „Wiege der philippinischen Zivilisation“ galt lange die Insel Palawan. Dort, in den Tabon-Höhlen nahe dem heutigen Städtchen Quezon, wurden Knochen und Werkzeuge entdeckt, die bestätigen, dass Homo sapiens schon vor mindestens 40.000 Jahren im Südwesten des Archipels gelebt haben muss. Im Jahr 2007 aber fanden Wissenschaftler im Norden der Insel Luzon in der Callao-Höhle Skelettstücke eines Menschen, der vor 67.000 Jahren gestorben sein soll. Während des Paläolithikums könnten die „ersten Filipinos“ wie der „Tabon Man“, dessen 22.000 Jahre altes Schädelfragment im National Museum in Manila zu bestaunen ist, vom asiatischen Festland aus eingewandert sein. Den negritos („kleine Schwarze“), wie später die Spanier die dunkelhäutigen, kleinwüchsigen und kraushaarigen Bewohner nannten, folgten ab 3000 v. Chr. aus Innerasien – womöglich aus dem Kaukasus und der Mongolei stammende – Seefahrer. Es waren Proto- oder Altmalaien, die vor etwa 6000 Jahren über Taiwan die Philippinen und Indonesien besiedelten.
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Wie diese Batak-Familie auf Palawan sind die Indigenen Nachfahren der ersten Filipinos
Einwanderung zu Wasser und zu Lande (ab ca. 1000 v. Chr.)
Um 1000 v. Chr. wird eine zweite Ankunftsperiode von Protomalaien angenommen, die jungsteinzeitliche Lebensformen wie Sesshaftigkeit, Ackerbau, Nassreiskultur und neue Werkzeugtechniken einführten. Für die erfahrenen Bootsbauer und Seeleute stellten die Gewässer kein großes Hindernis dar. Nach Überflutung der Landverbindungen sind sie von Borneo und Sulawesi aus in seetüchtigen Booten nach Nordosten und Norden vorgestoßen. Sie ließen sich an den Inselküsten nieder und vertrieben die dort befindlichen negritos ins Landesinnere.
Wiederum über See kamen später die sogenannten Jung- oder Deuteromalaien. In großen Auslegerbooten, balanghai oder barangay genannt, erreichten sie ab 300 v. Chr. die Philippinen und waren den alteingesessenen Völkern technologisch überlegen. Das Ende der Steinzeit war gekommen, die Neusiedler führten Metallverarbeitung, Webkunst und eine mit dem Sanskrit verwandte Schrift auf dem Malaiischen Archipel ein. Auch die Gesellschaftsstruktur erfuhr grundlegende Änderungen. Entsprechend der „Bootshierarchie“ organisierten die Jungmalaien ihre 30 bis 100 Familien starken Verwandtschaftsgruppen. Noch heute heißt die philippinische Dorf- oder Stadtteilgemeinde barangay. Damals bestimmte eine regelrechte Klassengesellschaft das soziale Leben. Der datu oder Häuptling hatte die oberste Stellung inne, sie leitete sich ab von der Position des Bootsführers der Einwandererflotten. Nachfolgend in der Rangordnung standen die maharlika, aus heutiger Sicht „Adlige“. Sie unterstützten den datu, wo immer es nötig war. Die Mehrheit des Stammes war den timagua zuzurechnen, den freien Gemeinen, die sich in die Obhut eines datu und in die Pflicht ihm gegenüber begaben. Ganz unten in der Rangfolge lebten die alipin oder uripin, deren Status mit dem von Schuldknechten vergleichbar ist. Die Spanier betrachteten sie sogar als Sklaven, vor allem, nachdem sie beobachtet hatten, dass die alipin – zu denen nicht selten auch gefangen genommene Europäer zählten – verkauft wurden. Generell war der Aufstieg von einer unteren in eine höhere Klasse möglich, vererbt wurden weder Klassenzugehörigkeit noch gesellschaftlicher Rang.
Häuptlingswesen und Hierarchie prägten das Sozialwesen. Aber auch das Fehlen von Privateigentum und -überschuss, der es einer Klasse oder einem Individuum erlaubt hätte, sich auf Kosten anderer zu bereichern, zeichnete diese frühen Gemeinschaften aus. Das Land gehörte den Menschen, die es bebauten, also dem Verband, der Großfamilie. So war jede Einheit (barangay) größtenteils selbstversorgend und unabhängig. Abgesehen von Mindanao-Völkern gründeten nur die kriegerischen Stämme im Bergland des Nordens untereinander Schutzverbände. Dort ist bis heute eine ziemlich homogene Kulturgruppe lebendig, die ihre Traditionen lange Zeit gegen spätere Kolonisatoren schützen konnte.
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Balanghai – große Auslegerboote sind seit Jahrtausenden bewährte Fahrzeuge auf philippinischen Gewässern
Inseln unter dem Halbmond
Während der ersten nachchristlichen Jahrhunderte trafen immer häufiger seefahrende Händler aus China und nach der Jahrtausendwende auch aus dem in Sumatra gegründeten buddhistischen Srivijaya-Reich ein. Mit Holz, Gewürzen, Baumwolle, Baumharz, Honig, Perlen und Sklaven liefen die Schiffe aus, nachdem sie die Produkte der Partnerländer wie Seide, Metall- und Keramikwaren in den Häfen rund um die Sulusee, an den Küsten von Mindoro und Luzon gelöscht hatten.
Bereits im 12. Jahrhundert hatten auf Luzon arabische Händler an der Mündung des Pasig das Fischerdorf Maynilad zu einem wirtschaftlich und strategisch wichtigen Ort erkoren. Damit hatte die „Lehre des Propheten“ die Philippinen noch vor Sumatra und Borneo erreicht. Als der Islam im 14. Jahrhundert im Osten des heutigen Malaysia Fuß fasste, ließ der Gelehrte Karim al-Makdum 1380 auf der Sulu-Insel Simunul die erste Moschee auf philippinischem Boden bauen. Der Missionar Abu Bakr aus Johore in Ostmalaysia rief rund 50 Jahre später auf Jolo ein Sultanat aus. Damit war dem Islam das Tor zum Archipel geöffnet, durch das 1475 Sharif Muhammad Kabungsuwan, stolzer Nachfahre des Propheten Mohammed (570–632), nach Mindanao vordrang. Er heiratete die Tochter eines lokalen Fürsten, was ihm die Islamisierung mehrerer Stämme und die Gründung des Sultanats von Maguindanao erleichterte.
Interessant ist, dass zuvor keine der großen asiatischen Religionsbewegungen wie Hinduismus und Buddhismus in den Philippinen Fuß fassen konnte. Ein Grund war sicher das bislang fehlende Machtmonopol eines Alleinherrschers, der einer neuen Geistesströmung notfalls mit Gewalt Zutritt hätte verschaffen können. Angesichts der selbstgenügsamen, isolierten Kulturgruppen in weiten Teilen der Region hatte eine Missionierung von außen, wenn sie denn friedlich bleiben sollte, kaum Chancen. Gerade im Vergleich mit den christlichen Eroberern ist es bemerkenswert, dass die ersten muslimischen Kolonisatoren in den...