KAPITEL 1
HEINRICH BARTHS LEBENSWEG
BIS ZUR GROSSEN REISE
Der jahrelange Weggenosse von Moslems, der mit Fürsten wie ein moderner Botschafter verhandelte, wuchs unter dem an Wolken und Nebel reichen Himmel der alten Hafenstadt Hamburg auf. Giebelhäuser der Seehandelsleute säumten die Straßen. Fischhändler, Schiffsbauer und Stellmacher waren die Nachbarn. Tiefe protestantische Gottesfurcht und strenge Pflichterfüllung in geregeltem Lernablauf für die Jüngeren erfüllten die geistige Welt in dem sich industrialisierenden Abendland. Die ersten Photographier-Ungetüme kamen auf den Markt. Vater Barth gab das Geld, damit der Sohn Heinrich auf einer Bildungsreise ums Mittelmeer diese letzte Neuigkeit zur Verfügung hatte.
Heinrichs Geburtsjahr war das Todesjahr Napoleons. Goethe war damals schon 72 Jahre alt, Alexander von Humboldt 52, Caspar David Friedrich 47. David Livingstone war ein Junge von 8 Jahren, der, wie viele seines Alters damals, in einer englischen Baumwollspinnerei Geld verdienen musste. Kurz bevor Heinrich Barth nach Tripolis kam, um zu seiner großen Reise aufzubrechen, erschien das Kommunistische Manifest von Friedrich Engels und Karl Marx. Revolutionen erschütterten Europa, und während der Krimkrieg tobte, hatte Heinrich Barth Mühe, sich in Timbuktu zu behaupten.
Trotz der spärlichen Kontakte mit Europa ist es interessant, in den Briefen zu verfolgen, was sich von den so fernen Ereignissen dennoch darin spiegelt.
Das meiste, was wir von Heinrich Barths Lebensweg wissen, überlieferte sein Schwager Gustav von Schubert (Kgl. Sächs. General-Lieutenant z. D.) in »Heinrich Barth, der Bahnbrecher der deutschen Afrikaforschung. Ein Lebens- und Charakterbild, auf Grund von ungedruckten Quellen entworfen«, Berlin 1897.
Die Eltern entstammten beide dem Handwerker-Milieu. Der Vater, im Thüringer Wald zu Hause, wurde, früh verwaist, von einem in Hamburg ansässigen Onkel mit 14 Jahren aufgenommen. Seit 1801 wohnte er am Hopfenmarkt. Er war als Knochenhauer (Schlachtermeister) tätig, danach Kaufmann in überseeischen Geschäften. Er galt als »streng solider, sparsamer, rechtschaffener, dabei wagemutiger und tätiger Mann.« Die Mutter war eine Schuhmacherstochter aus Hannover, »eine schlichte und häusliche Frau«. Sie überlebte ihren Mann um sechs Jahre.
Von vier Kindern der Familie war Heinrich, am 16.9.1821 geboren, das dritte. Eine der beiden Töchter heiratete Gustav von Schubert, des späteren Forschers ersten Biographen und Erben von dessen Nachlass.
Als Heinrich Barth ihn kennenlernte, meinte er in seiner impulsiven Art: »Wenn Sie meine Schwester nicht glücklich machen, schieße ich Sie tot!«
Der Vater wünschte im Sohn »strenge Moralität, Gewissenhaftigkeit, peinliche Ordnungsliebe, Sinn für Häuslichkeit und Familienleben zu wecken.« Da er zu Wohlstand gelangte, konnte er Heinrich eine gute Erziehung angedeihen lassen, seine ersten Bildungsreisen finanzieren und auch zu den Kosten der Hauptexpedition beitragen.
Mit elf Jahren kam Heinrich 1832 auf die angesehene Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums. Mit den Klassenkameraden hatte er kaum Kontakt. Seine Liebe galt einer eigenen Bücherei. Er arbeitete die wichtigsten Schriftsteller des griechischen und römischen Altertums durch, sprach mit 14 fließend englisch und begann danach mit dem Studium des Arabischen.
Der verschlossene junge Mann entwickelte früh ein ausgeprägtes Selbstgefühl. Es fehlte die »nach außen hin sichtbare Lebensfreude.« Nach Erlangung des Reifezeugnisses (1839) begann er im gleichen Jahr das Universitätsstudium zu Berlin (bis 1844). Er studierte Altertumswissenschaft, Germanistik, Jura, Handelsgeschichte und Geographie (bei Carl Ritter). Eine erste Reise (1840/1841) führte durch Italien und verstärkte seine Neigung zur Archäologie. »Es bildete sich in mir der Plan aus, dieses Bassin (das Mittelmeer) womöglich in seinem ganzen Umfang zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigener Anschauung kennenzulernen«, schrieb er 1849. Als Student pflegte er wenig Kontakt mit den Kommilitonen. Er war kein »flotter Bursch« wie Gustav Nachtigal.
Ohne sich irgendwie ablenken zu lassen, arbeitete er auf das früh erkannte Lebensziel hin: »Zu sehen, wie man von Stunde zu Stunde … tiefer … in die Wissenschaft eindringt, … ist ein unendliches Vergnügen. Freilich kann es in … Egoismus … ausarten … Ich habe ein ungeheures Streben in mir …, den Menschen etwas zu nutzen, sie anzuregen …, das ist mein einziges Streben … In diesem Bewusstsein sehe ich, … dass mich die meisten verkennen, dass mich andere schändlich verleumden … Ich bin zu stolz, mich vor anderen, vor oft erbärmlichen Menschen zu rechtfertigen … Mir kommt es allein … auf meine innere Tüchtigkeit an, um so den Menschen so viel wie möglich nützen zu können, wofür ich dann freilich Anerkennung und womöglich etwas Ruhm ernten möchte.«
Noch zehn Jahre später musste sein Schwager, bei Heinrichs wenig erfolgreichem Bemühen um eine angemessene Lebensstellung, seinem Tagebuch anvertrauen: »Er ist bei allem Gemüt zu schroff … und ohne Weltklugheit …, ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.«
Seine Doktorarbeit mit dem Prädikat »Doctrina conspicua« (durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet) war den Handelsbeziehungen des alten Korinth gewidmet (1844).
Danach folgte eine weitere Studienreise ums Mittelmeer (von Spanien über Marokko, nach Ägypten und weiter nach Konstantinopel und Griechenland, wie damals allein üblich, vorwiegend zu Pferd), aus der ein heute nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenes, aufschlussreiches Werk hervorging: »Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 1845, 1846 und 1847« (Berlin 1849, 556 S.). Er führte eine umfangreiche Reisebibliothek mit. Eine Ausgabe des Koran und des Herodot waren seine »Baedeker« auf dieser und der Großen Reise.
Die Unternehmung verlief nicht ohne Zwischenfälle. Im Juni 1846 wurde er im unruhigen libysch-ägyptischen Grenzgebiet von beutelustigen Arabern überrumpelt. »Obgleich ich an Mut vielleicht nur eine zu starke Portion besitze, fehlte mir doch die Erfahrung und Übung, um mit Erfolg … in solcher Einsamkeit auf die Dauer meine Sache durchzuführen«, notierte er. Am 7. Juni wurde er angeschossen. Der kostbare Photoapparat samt Platten ging zu Bruch. »Ich stürzte mich in wilder Verzweiflung mit meinem Säbel auf die Angreifer … Ich war entschlossen, bis zum letzten Augenblick mich zu wehren und mich dann selbst zu töten.«
Halb verhungert, nach nächtlichen Gewaltritten und Verlust fast aller seiner Aufzeichnungen, gelangte er am 17. Juni 1846 nach Alexandria. Eine Kugel fand sich 1865, bei der Sektion des Verstorbenen, im linken Oberschenkel eingekapselt.
Vom Vater wieder mit Geld versehen, setzte Heinrich die Reise fort. Im Dezember 1847 war er wieder daheim. 14.000 Taler waren verausgabt worden. Die Reise hatte seiner Persönlichkeit den »Stempel des Gebieterischen, Abgeschlossenen und Asketischen aufgedrückt.« (W. Koner).
Die Universität Berlin nahm 1848 den Bericht über diese erste große Reise zur Habilitation an. Da Heinrich Barth als Privatdozent 1849 mit Vorlesungen über die »Bodengestaltung Afrikas« wenig Erfolg hatte, auch sein Mittelmeerwerk in der aufgeregten Revolutionszeit schlechten Absatz fand, ergriff er impulsiv die unvermutet auftauchende Möglichkeit einer neuen und noch ausgedehnteren Reise.
James Richardson bedrückte der Mangel an wissenschaftlicher Durchbildung, als das Londoner Foreign Office ihn mit der Durchführung der Sahara-Sudan-Expedition beauftragte. Der vielseitig interessierte preußische Gesandte zu London, von Bunsen, stellte über die Berliner Universität (C. Ritter) die Verbindung mit dem Privatdozenten Heinrich Barth her, der sogleich am 5. Oktober 1849 zusagte. Aber der besorgte Vater weigerte sich, die von jedem Teilnehmer aufzubringenden 200 Pfund zur Bestreitung der Privatbedürfnisse zuzuschießen, »… wenn ihm nicht für die Zeit nach seiner Rückkehr eine Professur mit 800 preuß. Talern garantiert würde.« (Prothero, 1958).
Der gehorsame Sohn sagte ab. August Petermann, der Begründer der heute noch erscheinenden, weit bekannten »Petermanns Geographische Mitteilungen« zu Gotha, damals Astronom an der Londoner Sternwarte, vermittelte nun Adolf Overweg. Die englische Regierung verpflichtete ihn und auch Barth, dem es gelang, den Vater umzustimmen. Der preußische Kultusminister erteilte den erbetenen »wenigstens zweijährigen Urlaub.«
Der Expeditions-Vertrag wurde zu London am 30.11.1849 abgeschlossen. Die beiden Deutschen reisten aber nicht als Angestellte der britischen Regierung.
Das Foreign Office formulierte folgendes Programm:
1. Weg,...