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2.
Veränderung – das will doch keiner! Oder vielleicht doch?
Sich elastisch und anpassungsfähig den Fragen und Herausforderungen stellen – so könnte es gehen.
»An Gott mich klammern, das ist meine Kraft!« (Augustinus) | |
»Das ist wirklich toll, sich noch mal neu einzurichten, neue Leute kennenzulernen und einen neuen Ort!« Sie hatte richtig leuchtende Augen! Doch ich dachte nur: »Ich fasse es nicht! Was bitte ist denn daran toll?« Meine Freundin ist ein Umzugsprofi. Ich habe vergessen, wie oft sie umgezogen ist, aber die Zahl ist gigantisch hoch. Als Tochter von Missionaren und als Frau eines Predigers war der regelmäßige Wechsel Teil ihres Alltags. – »Man kann Veränderungen also auch gut finden!« Dieser Gedanke hat mich zuerst einmal wirklich überrascht. Wie unterschiedlich Menschen doch Situationen und Herausforderungen erleben! »Natürlich ist manches in der neuen Wohnung nicht so ideal, da musste ich mich erst dran gewöhnen«, sagt sie. »Andererseits haben wir einen großen Garten, das ist auch schön!« Und ich dachte: »Denken vielleicht andere auch so?« Und wenn ja: Was kann mir helfen, mit der neuen Situation zurechtzukommen? Was muss ich ändern, um sie einmal ganz anders zu betrachten?
Statt mit angezogener Handbremse alles Neue skeptisch zu beäugen – neugierig darauf zuzugehen.
Statt rückwärtsgewandt vor allem zu betrauern, was nicht mehr ist – dankbar zurückzuschauen.
Statt vorher festzulegen, was auf jeden Fall passieren muss, damit es gut ist – Überraschungen erwarten.
So könnte es also gehen: Sich elastisch und anpassungsfähig den Fragen und Herausforderungen des Lebens stellen. Experten nennen das »Resilienz« oder auch »innere Stärke«. Und mit einem Mal fühle ich mich ertappt: Hatte ich nicht selbst schon des Öfteren einen Vortrag zum Thema »Innere Stärke« gehalten und ihn sogar mit vielen praktischen Beispielen gespickt? Und jetzt? War das alles nur schnöde Theorie gewesen? Oder konnte mir mein eigener Vortrag nicht auch selbst helfen, meine aktuelle Veränderung zu bewältigen?
Einige Wochen vor unserem Umzug sitze ich mit meiner Freundin Doro in unserem Wohnzimmer. Von Zeit zu Zeit haben wir solche »Standortbestimmungs-Gespräche« – und dieses Mal ist es wirklich nötig. Denn gerade beschleicht mich das Gefühl: »So geht es nicht! Das ist nicht zu schaffen!« Aber ist das wirklich so? Natürlich ist es viel: Der berufliche Neueinstieg meines Mannes inklusive einige Monate Wochenendbeziehung. Dann die Umzüge der Kinder an ihren Studienort, dazu die eigene Umzugsplanung, die Arbeit in der Redaktion und mein Reisedienst – kurzum, der ganz normale Alltag! Und obendrauf der Abschiedsschmerz, der sich immer wieder meldet. Das ist schon ein ganz schönes Paket! Irgendwie habe ich auf ihr Mitleid gehofft. Ich bekam es auch – aber nicht nur: »Christiane, deine gewohnten Strategien passen in dein bisheriges Leben. In der Zeit des Umbruchs werden sie nicht funktionieren. Wenn du weiter alles im Griff haben willst und zu jeder Zeit einen geordneten Überblick brauchst, wird es nicht klappen. Überleg also mal: Welche gewohnten und über Jahre eingeübten Mechanismen helfen dir, deine aktuellen Herausforderungen zu bewältigen? Und was musst du vielleicht verändern?« – Das hatte mir gerade noch gefehlt! Wenn mir etwas Sicherheit gibt, dann dass ich so gerne plane. Und am liebsten ist es mir natürlich, wenn dann auch möglichst alles nach Plan läuft. »Ja, das ist auch eine gute Kernkompetenz«, meinte Doro, »aber das kann und darf nicht alles sein. Du wirst auf Überraschungen gefasst sein müssen – und sie am besten gleich auch lieben lernen, damit es funktioniert. Und wer weiß: Vielleicht ist das alles doch ein echter Zugewinn für euer Leben!«
Darüber habe ich lange nachgedacht: Wie ist das? Hatte Doro recht? Lag in all dem nicht auch eine echte Chance, nicht nur äußerlich, sondern vor allem auch innerlich etwas zu verändern? Wie viel Veränderungskompetenz kann ich jetzt und heute lernen?
Kann man Veränderungskompetenz lernen? Kann man Kräfte entwickeln, die man eigentlich gar nicht für möglich hält? Sie im Leben anderer wahrzunehmen beeindruckt mich. Jetzt aber ist mit einem Mal eine ganz persönliche Lektion dran. Die Kraft nehme ich ja gerne – aber geht das nicht auch einfacher? Mehr als einmal wünsche ich mir schlicht, einfach mal eine Runde auszusetzen. Wieso müssen wir eigentlich immer lernen?
Manchmal beschleicht mich auch die Angst: »Wenn ich das hier schon nicht schaffe, was mache ich, wenn irgendwann größere Herausforderungen auf mich zukommen?« Ein ernüchternder Gedanke, der auch deutlich macht, dass innere Stärke nicht eine Art Teflon-Schicht ist, die, wenn man sie einmal erworben hat, sich dann für alle Zeiten auf meine Seele legt. Kein Schutzschild also, durch den von jetzt an alles an mir abperlt, sondern wohl eher ein dynamischer Prozess, der erst in der Herausforderung entsteht und sich weiterentwickelt. Niemand wird mit diesen Kräften geboren und wer es einmal geschafft hat, ist nicht automatisch geschützt. Und: Diese Kraft wächst immer erst in der Krise selber, ähnlich wie ich nötige Abwehrkräfte erst bekomme, wenn ich bestimmten Krankheitserregern ausgesetzt war.
Heute würde ich ganz vorsichtig zu sagen wagen: Ja, es verändert sich etwas in der Art und Weise, wie ich mit diesen Fragen umgehe. Nicht als fester Besitz und auch nicht so, dass ich den Eindruck hätte, ab sofort alles im Griff zu haben. Es sind weniger gewisse, als vielmehr tastende Schritte nach vorn. Und trotzdem gehe ich sie. Dieses »Trotzdem« hängt für mich stark mit der Frage zusammen: »Wozu machen wir das? Noch einmal alles hinter uns lassen und neu anfangen?« Wir haben uns dafür entschieden, mit diesem Wechsel einen Beitrag dazu zu leisten, in unterschiedlicher Art und Weise »die Bibel zu den Menschen zu bringen«! Daran möchte ich auch jetzt festhalten – wenn auch im Moment nur mit dem Kopf. Denn vermutlich geht es nur so. Und ich fange an, diese Schritte der inneren Stärke für meinen Weg der Veränderung noch einmal ganz neu durchzubuchstabieren.
| »Ich fange an, diese Schritte der inneren Stärke für meinen Weg der Veränderung noch einmal ganz neu durchzubuchstabieren.« |
Das werden wir schon schaffen: Optimismus
Ein wesentliches Merkmal innerer Stärke ist eine optimistische Grundhaltung. Nein, es ist nicht alles nur toll – aber auch nicht so schlecht, wie ich es mir manchmal einrede. Schnell wird bei ungewollten Veränderungen das Alte glorifiziert. Doch bei Tageslicht betrachtet, gab es da auch nicht nur Gutes. Jetzt einen Stopp zu setzen, statt weiter zu grübeln und mir zu überlegen: »Was ist jetzt eigentlich gut?« Oder auch: »Wie vieles haben wir auch schon gemeistert! Darf uns das nicht zuversichtlich machen, dass wir es auch jetzt schaffen?«, kann äußerst hilfreich sein. Welchen Gedanken gebe ich Raum in meinem Leben? Wie wäre es denn, wenn ich ihn den zuversichtlichen schenke? Das bedeutet ja nicht, das Schwierige schönzureden. Aber es dominiert auf diese Weise nicht mehr alles.
Nimm das Leben, wie es ist: Akzeptanz
Ich zähle nicht, was ich verloren habe, sondern was mir geblieben ist! Veränderungen und ein vielleicht schmerzhafter Abschied stehen schnell unter dem Vorzeichen: »Das habe ich jetzt alles nicht mehr! Darauf muss ich verzichten!« Wenn ich so denke, mache ich innerlich immer wieder einen Rückzieher und arbeite mich an meinen inneren Widerständen ab: »Was habe ich mir nur dabei gedacht? Jetzt kann ich nicht mehr zurück. Die Würfel sind gefallen – die Entscheidung ist getroffen.« Doch irgendwann stelle ich mir die Frage: »Was passiert, wenn ich so weitermache?« Natürlich kann ich das tun, aber dann werde ich in der neuen Situation nie ankommen. Darum versuche ich ganz langsam das Annehmen einzuüben, indem ich mir immer wieder einmal sage: »Hier bin ich – und hier möchte ich auch sein!« Klingt gut – war und ist aber ein längerer Weg. Vor allem ist es zunächst ein Weg, den ich mit dem Kopf zurücklege. Fühlen tue ich es noch nicht. Und doch – irgendwie verändert sich auch etwas in meiner Gefühlswelt, wenn auch nicht schlagartig.
Eine neue Normalität: Neue Ziele setzen
Es gibt Situationen, in denen sich von einem auf den anderen Tag alles schlagartig verändert. Darauf kann ich mich nicht vorbereiten, das lässt sich nicht trainieren. Ziele, die wir uns gesteckt haben, passen auf einmal nicht mehr. Sehr genau erinnere ich mich an einen Fernsehabend in der Familie. Es ist Dezember 2010 und wir schauen »Wetten, dass ..?« Vor der nächsten Wette gibt es ein Interview mit einem sportlichen und sehr sympathischen jungen Mann. Doch wenige Momente später verunglückt Samuel Koch vor laufender Kamera und ist seitdem querschnittsgelähmt. Von jetzt auf gleich haben sich all seine Pläne zerschlagen. Heute führt er ein ganz anderes Leben, als er es sich vorgestellt hat. Doch das wirklich Erstaunliche daran ist, dass er sagt, er sei »dankbar«. Mittlerweile tourt er im Rollstuhl als Schauspieler und Buchautor durch die ganze Republik. Eine neue Normalität – und was für eine! Doch die wäre ohne neue Ziele nicht möglich gewesen.
Raus aus dem Schneckenhaus: Die Opferrolle...