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E-Book

Womo ? Einen Spiegel erwischt es immer

Mit dem Wohnmobil zu den Höhepunkten aller 16 Bundesländer

AutorMatthias Kehle
VerlagGmeiner-Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl241 Seiten
ISBN9783839258781
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mit dem Wohnmobil unternehmen Matthias Kehle und seine Frau Anja eine ungewöhnliche Reise. Eigentlich sind sie Automuffel, doch nun fahren sie drei Wochen lang quer durch Deutschland, um die höchsten Berge aller 16 Bundesländer zu bezwingen. Von ihren Erfahrungen mit dem »Womo«, von ihren Begegnungen mit Menschen, Landschaften und touristischen Glanzlichtern erzählt Kehle in seinem unterhaltsamen, skurrilen und schrägen Reisebericht, der gewürzt ist mit zahlreichen Bildern, Infos und Tipps. Wie holprig die Reise wird und was alles unterwegs passiert - das ist das Überraschungspaket der Tour.

Matthias Kehle, geboren 1967, lebt in Karlsruhe. Germanistik- und Soziologiestudium in Karlsruhe und Heidelberg. Seit 2001 ist er freier Schriftsteller und Journalist. Der Autor veröffentlichte zahlreiche erfolgreiche Sach- und Reisebücher sowie viel gelobte Erzähl- und Gedichtbände, zuletzt legte er 2016 einen Kurzgeschichtenband vor. Kehle erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Schwäbischen Literaturpreis 2015 und Thaddäus-Troll-Preis 2013. Er ist Mitglied im deutschen PEN, Kurator diverser Literaturtage und 2009 bis 2013 Landesvorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). www.matthias-kehle.de

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Szenen einer Ehe

Eigentlich beginnt man keine Geschichte mit »eigentlich«, aber eigentlich sind wir ein friedliches Ehepaar im mittleren Alter. Doch bevor wir in Urlaub fahren, werden wir nervös. Um nicht zu sagen: aufgeregt. Was daran liegt, dass für mich die Packerei eine Wissenschaft für sich ist, bei der am Ende drei prall gefüllte und wohl sortierte Koffer sowie ein bis zwei randvoll bepackte Klappkisten im Arbeitszimmer stehen. Ich bin Freiberufler, habe also Zeit, weshalb das Packen meine Aufgabe ist. Im Prinzip. Außerdem packe ich strategisch. Im Prinzip. Und ich beginne mit dem Packen drei Tage vor der Reise. Dabei spiele ich in meinem Kopf einen kompletten Urlaubstagesablauf durch. Ein zusätzliches mentales Ordnungsprinzip ist, dass ich trenne zwischen Kleidung, Ausrüstung und Lebensmitteln. Kleidung wird zuletzt gepackt, Ausrüstung zuerst.

Ein Tag, auch ein Reisetag, beginnt mit dem Aufstehen. Man braucht dann Zahnbürste, Zahnpasta und Waschzeug. Also überprüfte ich meinen Kulturbeutel auf Vollständigkeit und deponierte ihn als Erstes im Arbeitszimmer. Dann fiel mir Kaffee ein. Kaffee fällt nicht unter die Rubrik »Lebensmittel«, sondern »Ausrüstung«. Zweimal zwei Becher trinken wir am Morgen. Das Idealmaß hierfür sind 37 Gramm Pulver, so hat es meine Frau einmal ermittelt. Das bedeutet, dass wir zwei Päckchen Kaffee mitnehmen mussten. Im Prinzip, denn eigentlich kann man Kaffee überall in Deutschland kaufen. Supermärkte sollte es sogar in der Uckermark geben. Im Zusammenhang mit Kaffee fielen mir Thermoskanne und Filter ein. Also deponierte ich im Arbeitszimmer einen Vorrat an Kaffee, Filtertüten, eine Thermoskanne sowie den Trangia-Spirituskocher samt Campingkoch­töpfen und -pfannen.

Natürlich hatten wir im Wohnmobil, Baujahr 2016, einen integrierten Gaskocher mit zwei Kochstellen, aber das Gas könnte ausgehen, deshalb nahmen wir noch einen eigenen Kocher und einen Liter Spiritus mit. Streichhölzer kamen mir in den Sinn und zwei Feuerzeuge. Ach ja, vier Kugelschreiber, dazu mein Notizbuch und die ausgedruckten Google-Maps-Pläne mit den Fahrtrouten. Zum Frühstücken brauchen wir Teller, Becher, Besteck, Butter, Marmelade, Honig, Milch. ­Alles außer der Butter konnte ich jetzt schon im Arbeitszimmer lagern. Hätte mich jemand beobachtet, er wäre nie auf die Idee gekommen, dass dieses wuselnde Wesen, das mal aus dem Badezimmer, mal aus der Küche, mal aus dem Keller Gegenstände zusammenträgt, planmäßig agiert. Nach dem Frühstück gehen wir uns Sehenswürdigkeiten anschauen oder unternehmen eine Wanderung. Fernglas, Digitalkamera, Ladegeräte, Sonnenbrille, Regenschutz, mehrere unterschiedliche Taschenmesser sowie ein Swiss-Tool fielen mir ein. Und Kleiderbügel, um nasse Wäsche aufzuhängen. Waschmittel in der Tube, Spülmittel, Geschirrhandtücher. Das Chaos im Arbeitszimmer nahm zu, das in meinem Kopf ab.

Am Abend ergänzte Anja meine Ansammlung um einen Stapel Wäsche, ihren Kulturbeutel und allerhand Kleinkram. Ich fragte sie ab, ob sie alles hatte: Fön? Brauche sie nicht. Genügend Badesachen? Ja, sogar meine habe sie gerichtet. Campingstühle? Habe sie bei ihrer Freundin Monika geordert, hole sie am Donnerstag ab. Außerdem ein Klappfahrrad von Gudrun. »Wir brauchen doch kein Klappfahrrad!« »Doch«, konterte Anja, »angenommen, wir stehen etwas außerhalb einer Ortschaft, dann muss ich zum Bäcker radeln, um frische Brötchen zu holen.« Ich entgegnete, dass ich die Route so weit ausgetüftelt habe, dass das nie vorkommen sollte. Im Prinzip. Sie bestand darauf, das Klappfahrrad mitzunehmen. Aus Prinzip.

Wir schrieben Donnerstag, den 6. Juli 2017, der Abend vor dem Reisestart. Im Arbeitszimmer standen zwei gut gefüllte Koffer, zwei Klappkisten sowie zwei überdimensionierte Tragetaschen, außerdem ein Rucksack, gefüllt mit Konserven aller Art, Reis- und Nudelvorräten.­Es hätte ja sein können, dass Brandenburg so strukturschwach ist, dass wir wirklich keinen Supermarkt fänden, höchstens einen Tante-Emma-Laden, der Rotkäppchen-Sekt und Spreewaldgurken feilböte. ­Zwei Big Packs Wein aus dem Weinladen unserer Freundin Marina hatte ich auch besorgt. Guter Wein ist nördlich von Frankfurt bekannterweise nicht zu bekommen.

Mir fiel nichts mehr ein, mein Kopf war leer, ich sollte alles gepackt haben. Anja fiel ebenfalls nichts mehr ein. Wir fragten uns gegenseitig ab. Pillen? Meine Cortison-Tabletten gegen die Entzündungen in den Leisten hatte ich. Heuschnupfen-Tabletten, Mittel gegen Durchfall, ein Antiallergikum, Anti-Pilz-Salbe, Rasierwasser, Ohrenstäbchen, Wattepads, Pflaster. Dazu das Taschenmesser mit der extrem scharfen und spitzen Schere, um Zecken aus dem Fleisch zu schneiden.

Am Freitag, den 7. Juli, um 11 Uhr sollten wir das Wohnmobil abholen. Im Industriegebiet am Karlsruher Rheinhafen stand es bereit. Ich war zufrieden, dass auch Anja alles gepackt hatte. Verfrüht, wie ich feststellte, ich hätte es eigentlich wissen müssen. Denn neben meinen sorgsam gepackten Koffern, Taschen, Kisten und dem Rucksack landeten noch: Anjas Yogamatte, zwei Klappstühle, ihre Handtasche, ein kleiner Rucksack sowie eine Kühltasche mit verderblichen Lebensmitteln, die ich allerdings schon einkalkuliert hatte. Im Keller außerdem zwei Sixpacks mit Wasser in Plastikflaschen. Eines mit, eines ohne Kohlensäure. »Anja, wir müssen alles schleppen!« Vom fünften Stock zum Taxi vor dem Haus! Am Rheinhafen mussten wir alles wieder ausladen und im Mobil verstauen! »Das ist ein Chaos, kein systematisches Packen.« Wie laut es nun wurde, verschweige ich. Man beginnt mit dem Packen mindestens zwei Tage vor Reisebeginn und steht am Morgen der Abreise völlig entspannt mit gezücktem Wohnungsschlüssel in der Hand da! So meine Idealvorstellung, meine Philosophie, basta! Dass Anja den ganzen Morgen ihren Wohnungsschlüssel suchte, den sie am Abend zuvor verlegt hatte, nachdem sie unbedingt noch mit einer Freundin zum Baggersee radeln musste, verschweige ich besser auch, denn ihre Sucherei machte mich rasend. Ich hatte einen ruhigen Abend verbracht, Deep Purple gehört und nochmal unsere Route studiert, war entspannt zu Bett gegangen, und jetzt das: Sie hatte noch nicht alles gepackt. Sie hatte ihren Schlüssel unauffindbar verlegt. Sie wühlte im Kleiderschrank, und sie zog noch allerhand Tücher und Schals hervor, die unbedingt mit mussten. Und noch eine spezielle Tagescreme für die Haut ab fünfzig. Bei mir tut es Nivea, mein Großvater ließ nichts anderes an seine zarte Haut und stieg mit neunzig faltenlos ins Grab. Völlig irre machte mich, dass sie am Freitagmorgen noch das Klappfahrrad besorgen musste.

Auf 10.30 Uhr bestellten wir ein Taxi »mit extra viel Stauraum«. Um 10.15 Uhr stand es vor der Haustür. Mit einem serbokroatisch-deutsch radebrechenden Fahrer. Wir schleppten alles nach unten, derweil der Taxifahrer eine Zigarette rauchte. Der Fahrer und ich luden ein. Anja kam mit dem Klapprad. »Das nehme ich nicht mit«, sagte der Taxifahrer. »Das nehmen Sie sehr wohl mit«, sagte Anja, »wir haben ein Taxi mit viel Stauraum bestellt.« »Aber keines für Fahrrad.« Anja versuchte das Rad zusammengeklappt ins Taxi zu pressen. Der Taxifahrer rebellierte. Ich rebellierte: »Das Scheiß-Rad bleibt hier!« Nun: Wir waren aufgeregt, wir wurden laut. Ich nannte sie hysterisch. »Dann gehen wir halt nicht in Urlaub«, donnerte ich. Ich setzte mich aufs Mäuerchen des Vorgartens und resignierte. Der Taxifahrer rauchte eine Zigarette, während Anja das Taxi wieder komplett auslud und unser Gepäck so umschichtete, dass auch dieses verfluchte Klappfahrrad unterkam. Derweil lief das Taxameter. Was wohl im Kopf des Taxifahrers vorging? Vermutlich, dass unsere Ehe den Urlaub nicht überstehen würde. Dabei war ich Anja gegenüber in dem knappen Vierteljahrhundert unserer Beziehung vorher nur einmal laut geworden, sehr laut sogar. Ein einziges Mal! Als sie nämlich freudestrahlend auf einer Schneebrücke stand, die von einem reißenden Bach unterspült war.

Bei welchem Betrag das Taxameter stand, als wir endlich losfuhren, habe ich vergessen. Ich gab dem Taxifahrer aber 5 Euro Trinkgeld. Beim Ausladen zwischen all den Wohnmobilen stellte er die für mich völlig unverständliche, ja groteske Frage: »Ziehen Sie um?«

In den folgenden eineinhalb Stunden zweifelte ich, ob aus unserer Tour noch irgendetwas werden würde. Eine Ehefrau, die sich plötzlich und unerwartet als hysterisch und renitent herausstellte, und ein Wohnmobil mit Macken. Der freundliche Vermieter wies uns in den Gebrauch ein: Während der Fahrt immer alle Fächer verschlossen halten. Der Kühlschrank hat einen Sicherheitsverschluss. Die Badtür wird von einem starken Magneten geschlossen gehalten und darf während der Fahrt keinesfalls offen stehen. Während der Fahrt müssen auch alle Fenster geschlossen sein, vor allem die Dachfenster. Sonst pustet sie der Fahrtwind weg. Er demonstrierte, wie der Kühlschrank zu betreiben war: Während der Fahrt auf Batterie umstellen. Sofern externer Strom vorhanden ist, also auf einem Campingplatz, diesen verwenden, ansonsten die Gaskühlung nutzen: Der nette Vermieter führte vor, wie diese Gaskühlung funktionierte: Temperaturregler reindrücken, Zünder betätigen, Regler noch so lange gedrückt halten, bis die rote Markierung in den grünen Bereich gewandert ist. Außerdem, ganz wichtig: Die Wasserpumpe nur dann anschalten, wenn wirklich fließendes Brauchwasser benötigt wird. Er versuchte uns vorzuführen, wie das funktioniert, doch kein Tropfen Wasser kam aus dem Hahn der...

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