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Durch Kunst der Natur nachahmen. Die Theatergeschichte Mecklenburgs von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis 1952

Die Theatergeschichte Mecklenburgs von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis 1952

AutorDietmar Langberg
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783638853156
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Theaterwissenschaft, Tanz, Note: keine, , 54 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit diesem Abriss wird der Versuch unternommen, erstmals seit 1837 einen Überblick über die mecklenburgische Theatergeschichte zu geben. Dabei wird das Theater in der Gesamtheit seiner Genres dargestellt. Der Abriss wird ergänzt durch eine Auswahl an Dokumenten, einer Chronologie, mit Texten über die Geschichte der aufgelösten Schweriner Philharmonie und des Neustrelitzer Orchesters sowie mit einer Auswahlbibliographie und einem Personenregister.

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Leseprobe

Die Professionalisierung des Theaters


 

Während es in England, Italien, Spanien, in den Niederlanden und in Frankreich jeweils eine reich differenzierte Berufstheaterkultur gab, blieb das Theater im Deutschen Reich, und damit auch in Mecklenburg, bis zum Ende des 16. Jahr-hunderts Laientheater. Aber gerade das Fehlen einer professionalen Theaterkunst machten den deutschsprachigen Raum und darüber hinaus Skandinavien und das Baltikum für Wandergesellschaften aus den genannten Ländern besonders attraktiv.

 

Zudem konnten sie dem starken Konkurrenzdruck daheim ausweichen.

 

1568 kam die erste Commedia dell’arte-Truppe aus Italien nach München. Weitere folgten und gastierten vor allem in süddeutschen Ländern. Die Italiener behielten ihre Muttersprache bei, spielten vorrangig an Höfen. Ihre Wirkung war im Gegensatz

zu der von den englischen Komödianten geringer, doch zwei Innovationen hatten für die deutsche Theaterentwicklung besondere Bedeutung: Weibliche Rollen wurden von Frauen gespielt. Die von den Italienern erfundene Kulissenbühne ermöglichte schnelle und zahlreiche Verwandlungen der Bühne. Zum Tragen kamen diese Neuerungen allerdings erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Texte der Commedia dell’arte wurden sogar noch später, und zwar zu Beginn des 18. Jahr-hunderts, ins Deutsche übertragen und gespielt.

 

Die wichtigsten Impulse zu einer eigenständigen deutschen Theaterkunst vermittel-ten die englischen Komödianten. Zwischen 1550 und 1600 soll es in England 56 Theatergesellschaften gegeben haben. Sie durften zumeist nur in London spielen. Und als 1598 das so genannte Londoner Theatermonopol nur zwei Gesellschaften privilegierte, waren alle anderen zu Gastspielen ins Ausland gezwungen. 1585 gastierten mit „Lord Leicester’s Men“ die ersten englischen Komödianten in Deutsch-land für einige Monate am Hof zu Dresden. In den Ostseeraum kamen die Engländer erstmals 1602. Herzog Philipp Julius von Wolgast hatte sie engagiert. Bis 1625 wiederholten sich ihre Gastspiele. Bevorzugtes Ziel unter den Städten war Danzig wegen seines Reichtums. Von hier aus gingen englische Komödianten 1606 nach Rostock. In der Hansestadt traten mit den „Marggrefen von Brondenborgk Diener Engelsche Commedianten“ die ersten Berufsschauspieler auf. Übrigens waren alle Engländer, worauf der Name dieser Truppe verweist, sehr auf die Protektion eines hohen Adligen bedacht, um nicht als Vagabunden angesehen zu werden. Auch das übernahmen später die deutschen Gesellschaften.

 

Mit Datum vom 31. März 1606 baten die Komödianten den Rostocker Rat um ein Zeugnis, das ihnen am gleichen Tag noch ausgestellt wurde. In diesem heißt es, „dass jegenwertige brieffzeiger, Englische Musici und Commedianten alhie bei uns uff unsere erlaubnis underschiedliche, sowohl Geist- als auch weltliche Geschichten Commedienweise repraesentiret, auch daneben sich einer zierlichen, lieblichen und anmutigen Musica gebrauchet“ hätten“16.

 

Und auch eines der Stücke ist bekannt, das diese Gesellschaft in Rostock spielte:

 

Eine sehr klägliche Tragödia von Tito Andronico und der hoffertigen Kayserinn, darinnen denckwürdige Actiones sich befinden. Diese „denckwürdigen Actiones“ seien hier keineswegs verschwiegen, sondern aufgelistet:

 

1. der Kaiser verjagt seine Frau und macht eine Negerin zu seiner Geliebten;

2. der Mann der Andronica wird im Wald ermordet;

3. zwei Söhne der Kaiserin schlagen der Andronica die Hände ab und reißen ihr die Zunge raus;

4. Andronicus muss sich selbst die rechte Hand mit einem Beil abschlagen;

5. die zwei Söhne des Andronicus werden hingerichtet und ihre Köpfe dem Vater gebracht, der fast wahnsinnig wird;

6. ein Bote wird gehängt;

7. die Kaiserin bringt eine schwarze Missgeburt zur Welt;

8. der Intrigant Moria wird erhängt;

9. Titus Andronicus tötet zwei Söhne des Kaisers wie Schweine;

10.  Kaiser und Kaiserin essen die Köpfe der Söhne, die ihnen schmecken;

11.  Andronicus ersticht seine Tochter und die Kaiserin;

12.  der Kaiser ersticht Andronicus;

13.  Vespasian ersticht den Kaiser.17

 

Bei der „kläglichen Tragödia“ handelte es sich offensichtlich um eine Bearbeitung von William Shakespeares Tragödie Titus Andronicus, dem wohl blutrünstigsten Stück des Briten. Die englischen Komödianten boten nicht nur solche Spektakel, die die meisten

 

modernistischen Inszenierungen unserer Tage wie Kinderspiele erscheinen lassen.

 

Das Repertoire war breit gefächert und bot Stücke von Shakespeare (Hamlet, Lear),

 

Ben Jonson (The Silent Woman), Beaumont/Fletscher, Marlow (Faust), Kyd (Spanish Tragedy) und von anderen Autoren des Elisabethanischen Theaters. Musik. wie das Zeugnis des Rostocker Rates beweist, wurde viel gespielt. Aber die Engländer hatten in den ersten Jahren eine Sprachbarriere zu überwinden. Die deutschen Zuschauer verstanden, bis auf wenige Ausnahmen, kein Englisch. Deshalb konzentrierten sich die Komödianten auf äußere Aktionen, verdeutlichten durch ausdrucksstarke Gestik und Mimik das Geschehen. Als Dolmetscher agierte der Narr, eine der Hauptfiguren des englischen Theaters. Die aufgelisteten „denckwürdigen Actiones“ zeigte man trickreich auf der Bühne. Große Fechtszenen, artistische Einlagen bis hin zu Tier-dressuren sowie Kostüme und Verkleidungen trugen zu einem sinnlichen Vergnügen bei. Dieses wurde ab 1605 noch dadurch gesteigert, indem die Engländer immer mehr die deutsche Sprache benutzten. Zudem integrierten sie deutsche Darsteller

 

in ihre Gesellschaften. 1606 in Rostock spielten sie wahrscheinlich noch in ihrer Muttersprache, der Narr dolmetschte, so gut er konnte.

 

Der bereits zweimal erwähnte Narr, er wurde zumeist vom Leiter der Schauspiel-gesellschaft gegeben, war eine dominierende Figur. Zum einen trat er als witzig-

geistreicher Narr (fool) auf, zum anderen gab es ihn als grotesken Tölpel (clown).

 

Die Narrenszenen standen oftmals nur in einem lockeren Zusammenhang mit der Handlung und hatten nicht selten den Charakter von Einlagen. Manches Mal ritten die Fools oder Clowns hoch zu Ross ein. Sie trugen zu große Kleidung, um die

komische Wirkung zu steigern. Der Narr hatte viele Namen: Pickelhering, Jan Bouset, Hans Knapkäse, Junker Hans von Stockfisch. Die deutschen Komödianten nannten ihn später zumeist Hanswurst.

 

Der Narr verstieß mit seinem Verhalten, mit seiner Körpersprache gegen alle Konventionen. Ihn interessierte nur das Materielle. Mit seiner Vorliebe für das Saufen, Fressen und Ausscheiden ähnelte er den komischen Figuren der Fastnacht-spiele, was seine Popularität nur erhöhte.

 

Der Heldendarsteller dagegen musste sich in Gefühls- und Körperbeherrschung präsentieren. In allen Wechselfällen des Glücks, auch in tiefster Trauer oder im stärksten Zorn, gab er kaum seine Beherrschung auf. Sein Gegenspieler, ob nun ein Tyrann, ein Wahnsinniger oder ein hasserfüllter Rivale, lebte alle Emotionen aus. Er rannte über die Bühne, schlug mit dem Kopf gegen eine Säule, dabei durfte Blut fließen, oder er wälzte sich auf dem Boden.

 

Solche Rollenbilder entsprachen dem barocken Zeitgeist, der auf die Affektbeherr-schung zielte. Überlegung, Berechnung, Selbstbeherrschung, Kenntnis der mensch-

 

lichen Grundtypen galten als wesentliche Voraussetzungen für Erfolg. Die englischen und nach 1650 die deutschen Komödianten versinnbildlichten diese Ideale auf dem Theater für ein breites Publikum. Nicht zuletzt genossen sie deshalb die Gunst von Adel und Kirche. Erst mit dem Aufkommen des Pietismus nach 1680 sollte sich das entscheidend ändern.

 

Die Bühne der englischen Komödianten unterteilte sich in eine Haupt- und eine Vorderbühne, die vielleicht durch einen Vorhang getrennt waren. Die Vorderbühne war für Außenszenen gedacht, die Hauptbühne symbolisierte Innenräume, vom privaten Zimmer bis zum Thronsaal. Es wurde mit Versenkungen gearbeitet. Bald mussten die Engländer auf Drängen des Publikums die modernere Kulissenbühne der Italiener übernehmen.

 

An den Höfen genossen die englischen Komödianten große Wertschätzung, was sich natürlich auch in der Bezahlung ausdrückte. Meist spielten sie dort mehrere Monate. Erhielten sie Urlaub, suchten sie in den Städten nach Auftrittsmöglichkeiten, die ihnen jedoch nur zu Markt- und Messezeiten eingeräumt wurden. In Rostock durften sie in der Pfingstzeit spielen. Der Rat bestimmte die Eintrittspreise, verlangte Abga-ben für Waisen- und Armenhäuser und bestand darauf, dass sich die Komödianten in Wirtshäusern beköstigten. Somit war ein Rückfluss eines Teils der Einnahmen ge-sichert....

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