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Mailbox voll, Akku leer. Müssen wir jetzt reden?

Wie die digitale Revolution unsere Gesellschaft verändert

AutorNorbert Peter
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl210 Seiten
ISBN9783991001157
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Facebook beim Essen. Simsen statt Plaudern. Googeln statt Nachfragen. Kommunikation reicht heute tief in alle Lebensbereiche hinein. Manche von uns macht sie angeblich sogar süchtig. Aber das passiert natürlich nur den anderen. Wiegen die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten deren Nachteile noch auf? Sie erleichtern uns viele Abläufe, aber um den Preis der Entmündigung. Nicht nur, dass wir an Konzentrationsfähigkeit verlieren, weil die Vielzahl an Abläufen uns überfordert, die Breite an Themen nur durch den Verlust an Tiefe zu bewältigen ist - wir delegieren auch erlernte Fähigkeiten an technische Geräte. Und für die dadurch frei werdenden Kapazitäten gibt es zum Glück YouTube ... Steckt die Menschheit nur temporär in der lustvollen Dauer-Kommunikationsfalle fest oder haben wir es mit einer beunruhigenden Entwicklung zu tun? Kabarettist und Kommunikationswissenschaftler Norbert Peter zeigt in seinem neuen Buch die Komplexität und die Absurdität der modernen, multimedialen Gesellschaft auf - wie gewohnt aus satirischem Blickwinkel. Das Lachen bleibt uns dabei aber mehr als einmal im Halse stecken.

Norbert Peter, geboren 1967 in Wien, ist studierter Kommunikationswissenschaftler und Politologe, seit 1995 erfolgreicher Kabarettist und Kabarett-Programm-Schreiber (Kabarett-Duo Peter & Teutscher, später Peter & Tekal), Journalist, Verfasser von satirischen Kolumnen in Zeitschriften und auf Websites sowie Co-Autor von Ich lass mich doch nicht verarzten!, 2012 bei Braumüller erschienen. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Wien.

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Leseprobe

Als die Menschen die Angst verloren


Die Kinder der Revolution


Srđa Popović kann sich noch gut erinnern. Es war im Juli 2009, als 15 junge Ägypter sein Zentrum für gewaltfreien Widerstand in Belgrad aufsuchten. Die meisten von ihnen waren Anfang Zwanzig, gehörten Oppositionsbewegungen wie „6. April“ und „Kifaya“ an oder hatten bereits in die verschiedensten Gruppen hineingeschnuppert. Sie alle waren wütend darüber, dass Ägypten seit Jahrzehnten von einem autoritären Regime samt seiner Clique von Geschäftsleuten beherrscht wurde; dass es keine freie Meinungsäußerung gab und dass Bürgerrechte von der Polizei mit Füßen getreten wurden. Und sie alle wollten etwas daran ändern. Popović erinnert sich an den Humor seiner ägyptischen Gäste, ihren Einfallsreichtum und ihre Entschlossenheit. Und daran, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hatten: „Sie waren gut vorbereitet, als sie zu uns kamen. Sie wussten viel über Mahatma Gandhi, über Martin Luther King, und sie hatten sich eingehend mit den Bürgerrechtsbewegungen beschäftigt.“

Srđa Popović ist Experte für unblutige Revolutionen. Er war Mitbegründer der serbischen Studentenbewegung „Otpor!“ (Widerstand), die Ende der neunziger Jahre gegen den Autokraten Slobodan Milošević kämpfte. Auch nach dem Sturz des serbischen Regimes im Oktober 2000 blieb Popović dem Widerstands-Business treu – zunächst nur aus Nostalgie, doch bald als Vollzeitbeschäftigung. Denn Demokratiebewegungen in anderen Ländern waren vom serbischen Beispiel fasziniert und fragten um Rat. Zusammen mit einem ehemaligen Mitstreiter gründete Popović das Non-Profit-Beratungsinstitut „Canvas“. Die Experten von „Canvas“ arbeiteten mit den Aktivisten der „Orangen Revolution“ um Julia Timoschenko in der Ukraine zusammen und den Aktivisten der „Rosenrevolution“ in Georgien, mit Bewegungen auf den Malediven, in Zimbabwe, im Libanon und zuletzt mit der Occupy-Bewegung in den USA. „Welche politische Ausrichtung diese Gruppen haben und ob sie gegen Diktaturen kämpfen oder nicht, spielt keine Rolle. Voraussetzung ist, dass sie nichts mit Gewalt zu tun haben. Und wir werden nur auf Anfrage aktiv: Sie müssen sich an uns wenden“, sagt Popović. „Bringing down a Dictator“ hieß der Film über „Otpor!“ und den Sturz Miloševićs, der 2002 herauskam und in 18 Sprachen übersetzt wurde, auch ins Arabische. Bei vielen Oppositionsbewegungen in aller Welt tauchte die Faust, das Logo von „Otpor!“, auf – so auch bei Ägyptens „6. April“. „Sie hatten es schon als Symbol gewählt, bevor Mitglieder ihrer Gruppe bei uns in Belgrad waren.“

Die Aktivisten aus Ägypten besuchten in Serbien mehrere Medien und nahmen am „Canvas“-Workshop teil. Dort erfuhren sie, wie man sich organisiert, wie man ohne Gewalt auf Repression antwortet, wie man zivilen Ungehorsam leistet, wie man die Bevölkerung für seine Kampagnen gewinnt, und wie man bei alldem seine eigene Angst überwindet. „Wir geben den Leuten nur grundsätzliche Werkzeuge mit auf den Weg“, erklärt Popović. „Wir coachen sie nicht bei ihren Aktionen. Das wäre auch ein großer Fehler. Ich bin kein Ukrainer oder Ägypter. Sie wissen selber viel besser, wie sie in ihren Gesellschaften vorgehen müssen.“ Nach zwei Wochen fuhren die Ägypter wieder nach Hause, und der Kontakt zu „Canvas“ brach ab.

Fast ein Jahr später, im April 2010, stand Srđa Popović an einem Belgrader Zeitungsstand und betrachtete die Seite eins des Boulevardblattes „Alo!“. Darauf war das Bild einer Demonstrantin mit Kopftuch zu sehen, die eine Fahne mit dem Symbol einer Faust hochhielt. „Die Faust erschüttert Ägypten!“, titelte „Alo!“. „Ich wusste, jetzt testen sie ihre Stärke und die Reaktion der Staatsmacht“, sagt Popović. „Bevor man ins Wasser springt, streckt man den Fuß hinein, um zu sehen, ob es nicht zu heiß oder zu kalt ist.“ Die Jugendbewegung „6. April“ und andere ägyptische Gruppen hatten zu Protesten aufgerufen, die dieses Mal ein ganzes Monat über immer wieder aufflammten. Die Polizei reagierte wie üblich mit Tränengas und Knüppeln. Noch blieb die Zahl der Demonstranten klein, noch war der Funke nicht übergesprungen. Doch die Opposition konnte bereits einen ersten kleinen moralischen Sieg erringen. Mubaraks „Nationaldemokratische Partei“ NDP musste sich öffentlich für ihren Abgeordneten Nashaat al-Qasas entschuldigen. Der hatte zuvor gefordert, die Demonstranten zu erschießen. Das ging den meisten Ägyptern ganz klar zu weit, und die Oppositionsgruppen wussten das zu nutzen: Sie gingen nun auf die Straße mit Plakaten, die große Zielscheiben zeigten und die Worte „Erschießt uns!“. „Otpor!“ hätte es zehn Jahre zuvor in Serbien nicht besser machen können. „6. April“ und die anderen nutzten ihre Kreativität, um die Ruchlosigkeit des Regimes aufzuzeigen und zugleich mit Witz dessen Einschüchterungsmaßnahmen zu unterlaufen. Und dabei griffen sie offenbar auch in Srđa Popovićs Widerstands-Werkzeugkasten.

Doch das war erst der Anfang. Acht Monate später brach in der gesamten Region etwas los, das weitaus größer war als die bisher üblichen Kleinkundgebungen ägyptischer Studentengruppen, Intellektuellenzirkel und linker Aktivisten, und das größer war als der Sturz Miloševićs in Serbien. Eine Welle des Aufstands wogte über den arabischen Raum hinweg: von Tunesien in Nordafrika bis zum Jemen auf der arabischen Halbinsel. Die Region schien vor einer Zeitenwende zu stehen. In Europa und den USA verglich man die Umbrüche in der arabischen Welt bereits mit dem Einsturz des kommunistischen Systems in Osteuropa: Der Tahrir-Platz in Kairo wurde gleichsam zum Nikolaikirchhof in Leipzig, wo 1989 die Menschen der DDR ihren realsozialistischen Herrschern „Wir sind das Volk“ entgegengerufen hatten. Westliche Medien schrieben vom „Arabischen Frühling“ – eine Analogie zum „Prager Frühling“ 1968, als die KP-Führer der Tschechoslowakei ihr System reformieren und den Bürgern mehr Freiheit schenken wollten. Die westliche Wortschöpfung ist hoffentlich kein böses Omen für den arabischen Raum, in dem nach dem „Frühling“ die ersten „Sommergewitter“ toben. Denn das Demokratie-Experiment in der Tschechoslowakei ging 1968 schlecht aus. Es wurde von Panzern der sozialistischen „Bruderländer“ niedergewalzt.

Die arabischen „Sommergewitter“ ziehen über Syrien hinweg, wo das Regime von Bashar al-Assad den Aufstand mit Gewalt zu ersticken versucht und damit das fragile Gleichgewicht der verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen ins Wanken bringt; über das kleine Golfemirat Bahrain, wo der „Frühling“ wegen der strategischen Interessen der Nachbarstaaten und der USA nie eine große Chance hatte; über den Jemen, wo der Aufstand zwar den Präsidenten gestürzt, jedoch keinen richtigen Wandel gebracht hat; über Libyen, das nach neun Monaten bewaffneter Rebellion noch immer keinen wirklichen Frieden gefunden hat; über Ägypten, wo die permanente Revolution zu herrschen scheint, die immer wieder an die Mauern der Gegenrevolution prallt. Und irgendwo zwischen den Gewitterwolken spukt das Gespenst „islamistischer Staat“ umher. Ein Gespenst, vor dem man sich im Westen weit mehr zu fürchten scheint als in den arabischen Ländern selbst.

Gewitter können alles zerstören, sie können aber auch Erfrischung bringen – gerade in den Breiten des arabischen Raums. Und Revolutionen öffnen die Möglichkeit für Neues, das besser aber auch schlechter sein kann als das Alte. In Osteuropa kehrte nach dem Fall der KP-Regime Demokratie ein – aber nicht überall und nicht sofort. In Rumänien folgte einer blutigen Revolution zunächst eine halbautoritäre Regierung. In Russland wurde das sowjetische Einparteiensystem von einem Mehrparteiensystem abgelöst, in dem aber nur eine Führungsclique die Macht in Händen hält. Weißrussland ist nach wie vor eine Diktatur. Und in Jugoslawien, das nicht zum Herrschaftsbereich der Sowjetunion zählte und trotzdem von den Veränderungen erfasst wurde, begleitete ein besonders grausamer Krieg den Niedergang von Kommunismus und Einparteienstaat. Unterm Strich gesehen brachten die Umbrüche Osteuropa aber eine neue Phase politischer Freiheit, die besonders rasch in den Ländern eintrat, in denen die Bürgerrechtsbewegungen sehr stark waren.

Auf den ersten Blick tun sich zwischen Leipzig 1989 und Kairo 2011 durchaus Parallelen auf. So wie im kommunistischen Herrschaftsbereich waren auch die Aufstände im arabischen Raum längst überfällig. So wie in Osteuropa regierten auch dort seit Jahrzehnten erstarrte Regime, die den Menschen das Gefühl gaben, dass sie keine Luft zum Atmen hatten. Es grassierten Nepotismus, Korruption und Misswirtschaft. Wirtschaftlich...

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