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Müll - Die gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen

Die öffentliche Diskussion über Abfall in Deutschland und Frankreich

AutorReiner Keller
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl329 Seiten
ISBN9783531917313
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Verschiedenste Personen und Institutionen haben durch ihre Unterstützung die vorliegende Untersuchung ermöglicht: die TU München durch ein Promotio- stipendium, Prof. Dr. Karl-Werner Brand durch seine ermutigende Betreuung, die Befragten durch ihre Auskunftsbereitschaft, die Angestellten in den v- schiedenen Organisationen durch ihre Hilfe bei der Recherche, die Freundinnen und Freunde in Deutschland und Frankreich auf ihre je individuelle Weise, - gelika Poferl durch Aufmunterung und Kritik. Ihnen allen danke ich herzlich. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, Angelika und - vor allen - der kiche- den Marlene Sarah. Einleitung 'Wie man den Menschen in der Vergangenheit ethische Grundregeln und den - griff der körperlichen Reinlichkeit beibringen mußte, so ist jetzt der Moment - kommen, wo man ihn zur Mülldisziplin erziehen muß' (aus einem Leserbrief an den Spiegel, 13. 12. 1971). In der vorliegenden Untersuchung wird im Rückgriff auf einen diskursanalytischen Ansatz die öffentliche Diskussion über das 'Hausmüllproblem' in der Bundesre- blik Deutschland und in Frankreich im Zeitraum von 1970 - 1995 vergleichend analysiert. Die Arbeit ist in acht Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel stellt den theoretischen Bezugsrahmen der Untersuchung vor. Dabei wird die Bedeutung und Entwicklung der Praxis des industriegesellschaftlichen Umgangs mit Abfällen diskutiert. Die öffentlichen Auseinandersetzungen über den 'angemessenen' - gang mit Abfällen werden in einer Theorie der Institutionalisierung ökologischer Kommunikation verortet. Daran anschließend wird im zweiten Kapitel die disku- analytische Perspektive der Arbeit entwickelt. Der konzeptuelle Rahmen und das konkrete methodische Vorgehen werden erläutert.

Dr. Reiner Keller ist Professor für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau.

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Leseprobe
8 Die gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen: Zusammenfassung (S. 300-301)

Die vorliegende Studie hat sich aus diskursanalytischer Perspektive mit der öffentlichen Diskussion über das ‚Hausmüllproblem‘ in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich befaßt. Abfall ist nicht nur ein materiales Problem der wohlhabenden Industriegesellschaften, sondern auch eine relativ bestimmte Kategorie, die auf der Ebene gesellschaftlicher Symbolsysteme als potentielle Gefährdung oder Störung gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen wahrgenommen wird. Das heißt einerseits, daß Gesellschaften sich durch die Ausgrenzung bzw. die Kontrolle von Abfall stabilisieren.

Auf der anderen Seite eignet sich die Mobilisierung von alternativen Abfalldefinitionen zur Infragestellung etablierter gesellschaftlicher Ordnungsgefüge. Innerhalb von modernen Gesellschaften konkurrieren typischerweise unterschiedliche Ordnungs- und damit auch Abfallvorstellungen, die in der Diskussion über Umweltverschmutzung in exemplarischer Form gebündelt werden. Umweltkonflikte, und insbesondere Auseinandersetzungen über die Definition und Bedeutung von Abfall, können als Prozesse der gesellschaftlichen Konstruktion des Wertvollen verstanden werden, in denen die Verhältnisse von Gesellschaft, materieller Kultur und Natur ausgehandelt und damit gesellschaftliche Umweltkulturen erzeugt werden.

Eine soziologische Theorie der Institutionalisierung von Umweltkulturen führt länderspezifische Unterschiede des Stellenwertes der ‚Umweltfrage‘ nicht auf nationale (kulturelle) Traditionen zurück, sondern begreift sie als Ergebnis aktueller Bedeutungskämpfe zwischen kollektiven Akteuren; deren Ressourcen und Chancen, öffentliches Gehör zu finden, werden durch das bestehende Institutionengefüge und die daran gekoppelten ‚Definitionsverhältnisse‘ bestimmt.

Die öffentliche Diskussion über das ‚Hausmüllproblem‘ ist Ausdruck von diskursförmig organisierten Prozessen ökologischer Kommunikation, in denen gesellschaftliche ‚Umweltkulturen‘ institutionalisiert bzw. transformiert werden. Sie umfaßt Kommunikationen kollektiver Akteure aus Wirtschaft, Politik, Administration, Umweltbewegung, Wissenschaft und Medien, die auf Umwelt referieren. Diese Akteure sind in Bedeutungskämpfe über legitime Repräsentationen der Welt, implizierte institutionelle Ordnungen und soziokulturelle Praktiken verstrickt. ‚(Umwelt-)Kultur‘ bezeichnet so ein Diskursfeld bzw. einen Prozeß, in dem Werte, Normen und Deutungsmuster zwischen den erwähnten Akteuren verhandelt werden.

In ihrem Kampf um Anerkennung greifen die Akteure auf diejenigen sozialen und kulturellen Deutungsmuster zurück, von denen sie sich eine hohe öffentliche Resonanz, d.h. ein großes Mobilisierungs- und Legitimitätspotential erwarten. Dieser Rückgriff ist seinerseits nicht beliebig, sondern folgt etablierten symbolisch-semantischen Strukturierungen gesellschaftlicher Konfliktfelder. Nationale Unterschiede zwischen gesellschaftlichen ‚Umweltkulturen‘ lassen sich damit als aktive Herstellungsleistung kollektiver Akteure im Rückgriff auf tradierte und neue resonanzfähige Interpretationsmuster begreifen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Die diskursive Konstruktion der Umweltwirklichkeit10
Vorwort zur zweiten Auflage10
Literatur16
Vorbemerkung18
Einleitung19
1 Der Müll der Gesellschaft21
1.1 Müll, Produktion, Konsum22
Strukturelle Grundlagen der Abfallentstehung22
Die Beschleunigung der Ding-Zirkulation in der Konsumgesellschaft23
Kapitalistisch-industrielle Beschleunigung: Konsum als Strategie26
Sozialstrukturelle und soziokulturelle Modernisierung: Konsum als Folge27
1.2 Abfall und symbolische Ordnung30
Moderne und Abfall30
Abfall als Schmutz: Der Kampf um die ‚richtige‘ Ordnung der Dinge32
1.3 Müll und ökologische Kommunikation36
Der Begriff der ‚ökologischen Kommunikation‘36
Ökologische Kommunikation und ‚länderspezifische Umweltkulturen‘37
2 Hausmüll als Thema öffentlicher Diskurse39
2.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung39
2.2 Der Ansatz der Diskursanalyse43
Der Diskursbegriff43
Interpretationsrepertoire und story line46
Rahmen47
Akteure49
Diskursive Praktiken50
Massenmedien und öffentliche Diskurse51
2.3 Die methodische Anlage der Untersuchung52
Der Ländervergleich53
Datenerhebung55
Das bundesdeutsche Pressesample56
Das französische Pressesample57
Akteursdokumente58
Experteninterviews59
Datenauswertung60
3 Umwelt und Abfall in der Presseberichterstattung62
3.1 Inhaltliche Entwicklung und Struktur der Umweltberichterstattung63
Die bundesdeutsche und die französische Umweltberichterstattung63
3.2 Faktoren der Selektivität der Berichterstattung66
Die Bedeutung kultureller Resonanzen69
4 Eine kurze Geschichte des Mülls71
4.1 Die Umwertung der Werte im Zeichen der Hygiene71
4.2 Hausmüll in Deutschland75
4.3 Hausmüll in Frankreich81
4.4 Aktuelle Situation der Abfallwirtschaft85
5 Chronik einer angekündigten Katastrophe: Die bundesdeutsche Abfalldiskussion94
5.1 Nicht im Dreck ersticken!95
Die administrative Sicherstellung ordnungsgemäßer Abfallentsorgung97
Streit der Experten und allgemeine Kulturkritik98
Das öffentliche Katastrophenszenario des Mülls100
Das „hemmungslose ‚Ex und Hopp‘-Prinzip“101
Der Konsument als ‚Umweltfeind‘103
Die Machbarkeit technischer Lösungen104
Sieg der ‚Vernunft‘: Ein „Meilenstein“ der Abfallbeseitigung105
5.2 Rohstoff am falschen Ort105
Neue Leitziele einer „echten Abfallwirtschaft“106
„Erschließung der Müllhalden“107
Ökologische „Grenzen der Marktwirtschaft“?109
5.3 Maxime: Umweltschutz!110
„Lex ALDI“ und der Verpackungs-Kampf: Mehrweg contra Einweg111
Kein „Dirigismus“113
„Ein Sieg der Wirtschafts-Lobby“114
5.4 Vom Abfall her denken: „Die umweltpolitische Aufgabe der Dekade“116
5.4.1 Abfallbeseitigung unter Risikoverdacht119
„Risiko Müllverbrennung“120
Die Formierung der Müllbewegung120
Gegen die „Atomkraftwerke der 90er Jahre“121
„Eine Gesellschaft des Weniger“125
Die Sicherheit moderner Abfallbeseitigung126
Eine verantwortbare Technik127
Die Technische Anleitung Siedlungsabfall als Schlüssel zur Konfliktlösung?128
5.4.2 ‚Ex und Hopp‘ am Ende?131
Die Verpackungsverordnung132
„Sturm gegen Töpfers Abfallpläne“ und Einstieg in die „große Verwertung“134
„Mogelpackung“138
5.4.3 (K)Ein Abschied von der Wegwerfgesellschaft140
Das Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz142
Produktverantwortung als Abfallverwertungsverantwortung144
Produktverantwortung als Abfallvermeidungsverantwortung146
Gefährdung des „Standorts Deutschland“147
„Die Produkte von heute sind der Müll von morgen“150
5.5 Zusammenfassung154
6 Chronik eines angekündigten Sieges: Die französische Abfalldiskussion155
6.1 Im nationalen Interesse156
Der Kampf gegen die Verschwendung156
Die Logik der Abfallentstehung und die Irrationalität der Verschwendung161
Die technische Machbarkeit rationaler Ressourcennutzung163
Kollektivinteressen und Staatsräson – Verantwortung für die Nation164
Rückständige Mentalitäten und mangelnde staatsbürgerliche Verantwortung166
6.2 Mülleimer Frankreich168
Gekränkter Nationalstolz: Frankreich – der Mülleimer Europas169
‚Nichts geht mehr‘170
6.3 Endlich die Abfälle beherrschen!173
6.3.1 Das Übel an der Wurzel gepackt175
Eine neue programmatische Offensive der Umweltpolitik175
Von der ‚kurativen‘ zur ‚präventiven‘ Abfallpolitik176
„Endlich saubere Abfälle“179
6.3.2 Die Geburtsstunde des zweiten Mülleimers181
Deutscher Irrationalismus und französisches Augenmaß181
Ein „realistisch-innovatives System zur globalen Lösung“ des Problems183
„Eine weggeworfene Verpackung ist keine Wegwerfverpackung mehr“186
Der Konsens der Akteure187
„Erste wirkliche Aktion gegen die Verschwendung“189
Stimmen der Kritik191
6.3.3 Ein neues Zeitalter des Abfallmanagements120194
Die Defizit-Bilanz der „Rapports“194
„Das Vertrauen der Staatsbürger wiederherstellen“196
Das angekündigte Ende der Müllkippen198
Breite Zustimmung und marginalisierte Kritik200
„Der Tod der Abfälle, umfangreiches Programm“201
6.3.4 „Deutschlands Mülleimer“205
Nationale Souveränität und ökologische Verantwortung205
Französische Beamtenhände im deutschen Müll207
Und drüben? Deutsche Selbstund Fremdbezichtigungen208
6.4 Zusammenfassung210
7 Politisierte und technisierte Kultur ökologischer Kommunikation: Die Abfalldiskurse in Deutschland und Frankreich im Vergleich212
7.1 Die zwei Kulturen214
7.2 Die Struktur der Abfalldebatten: Polarisierung und Hegemonie216
7.2.1 „Die Müllfrage ist eine Demokratiefrage.“133 Die polarisierte deutscheAbfalldiskussion217
Zwei konkurrierende Diskurse in der öffentlichen Debatte217
7.2.2 „Das Abfallproblem ist vor allem ein technisches Problem.“143 Die hegemoniale Struktur der französischen Abfalldiskussion239
Die hegemoniale öffentliche Präsenz eines Diskurses239
Der administrative Abfalldiskurs: Soziotechnische Modernisierung240
Das Versprechen der Beherrschung242
Nationales Interesse245
(Quasi-)Naturalisierung245
Zivilisatorisch-technische Modernität/Fortschritt/Entwicklung246
Soziotechnisch-administrative Kontrolle der (Quasi-)Natur246
Gestaltbare Natur247
Pragmatische Vernunft/mangelnder Staatsbürgersinn248
Statik und Dynamik des administrativen Abfalldiskurses248
Der marginalisierte kulturkritische Abfalldiskurs: politisch-ökologischeRestrukturierung250
7.3 Die Rahmen im Einsatz: reflexive und lineare Modernisierung251
7.3.1 Sicherheit und Unsicherheit der Abfallbeseitigung253
Das umstrittene Risiko der Abfallbeseitigung253
Politische oder technische Modernität – Das Verhältnis von Abfall und Nation256
Sicherheitsversprechen der modernisierten Entsorgungsinfrastruktur257
7.3.2 Abfall-Verantwortung259
Individualisierung und Subpolitisierung der Abfallverantwortung260
Abfallverantwortung aus Staatsräson264
7.3.3 Gesellschaft, Natur, Dinge: eine Neubestimmung gesellschaftlicher Naturverhältnisse?267
Markt oder Staat: Ein Streit um die Legitimität der Dingkultur268
Staat und Markt: Die Optimierung der Naturkontrolle271
7.4 Der öffentliche Raum der Abfalldebatten: Streitarena oder Präsentationsfeld272
7.4.1 Die Stile der Medienberichterstattung: Medien als Bühne und Akteur274
‚Aktive‘ und ‚passive‘ Bühne274
Arena und Präsentationsfeld275
7.4.2 Die öffentliche Ordnung der Äußerungen und Akteure283
Die Ordnung des Widerstreits283
Die Ordnung der Präsentation287
Die technisierte Kultur ökologischer Kommunikation als ‚Etatismus‘291
Die politische Kultur ökologischer Kommunikation zwischen ‚Synthese‘ und‚Wettbewerb‘295
7.5 Zusammenfassung298
8 Die gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen: Zusammenfassung301
Literaturverzeichnis305
Anhang318
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen318
Verzeichnis der Abkürzungen318
Verzeichnis der Interviews320
Verzeichnis zitierter Spezialperiodika321

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