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E-Book

In 80 Tagen um die Welt

AutorHelge Timmerberg
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644103016
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«Auf den Rücken eines Elefanten bekommt mich übrigens keiner mehr, solange es noch alternative Fortbewegungsmittel gibt, und was die ausgiebigen Schiffspassagen angeht, die bei meinem hochgeschätzten Vorbild eine so große Rolle spielen: Da muß ich ebenfalls passen. Die Romantik der christlichen Seefahrt ist in den Häfen zu finden, nicht dazwischen. Nee, Herr Verne, da werden wir nachbessern müssen. Aber noch etwas unterscheidet uns wesentlich: Einer von uns ist nie losgefahren. Und ich bin das nicht.» «Marco Polo und Thomas Cook würden dieses Buch lieben.» Stern «Um Abenteuerluft zu schnuppern, muß man nicht unbedingt wegfahren. Man kann auch einfach Helge Timmerberg lesen.» Cosmopolitan

Helge Timmerberg, geboren 1952 in Dorfitter (Hessen), ist Abenteurer, Journalist und Reiseschriftsteller. Er schreibt Reportagen aus allen Teilen der Welt, unter anderem für «Stern», «Die Zeit», «Merian» und «Playboy». Sibylle Berg über ihn: «Den ersten richtig großen und tiefen Neid empfand ich, als ich Helge Timmerberg kennenlernte. Er war in meiner Generation der beste Schreiber Deutschlands und der freieste Mensch, den ich jemals getroffen habe.»

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Leseprobe

1. Kapitel


Berlin – München


Das Wohnzimmer der einsamen Männer

Die Welt ist rund und kunterbunt, aber hin und wieder auch ungesund. Schon mal mit ’nem Heißluftballon geflogen? Sie lösen die Leinen, und das Ding geht nach oben wie ein Fahrstuhl. Ab fünf Meter beginnt die Höhenangst, ab fünfzig Meter die helle Panik. Der Korb, in dessen Rand ich meine Hände krallte, vermittelte die Sicherheit eines fliegenden Katzenklos. Vom Wind verweht und schockerstarrt, hoffte ich schwer, daß der Herr Pilot wußte, was er tat. Der Herr Pilot trug einen Cordanzug und war einer der reichsten Männer Deutschlands, weil er eine der reichsten Frauen Deutschlands geheiratet hatte. Der Schlaumeier zog an Schnüren und regulierte die Gaszufuhr für ein Feuerchen, das zwischen uns und dem Ballon brannte. Milliardenschwer entschwebte er mit mir auf die Augenhöhe von Wildgänsen. Und was ist, wenn jetzt so ein Schwarm auf Hitchcock macht? Krieg der Vögel. Eine Wolke spitzer Schnäbel jagt dem Ballon hinterher, und am Horizont dräut eine Gewitterfront. Wie man wieder runterkommt, erklärte der Cordpilot so: «Landung heißt bei uns kontrollierter Absturz.» Was soll’s, wenn es schiefgeht, reisen wir halt nicht in achtzig Tagen, sondern in achtzig Leben um die Welt. Der Korb knallt auf den Boden und kippt um. Du knallst gegen den Korb und kippst mit um. Danach ist die Ray Ban kaputt. Das ist Landen mit dem Heißluftballon.

Auf den Rücken eines Elefanten bekommt mich übrigens auch niemand mehr, solange es noch alternative Fortbewegungsmittel gibt, und was die ausgiebigen Schiffspassagen angeht, die bei meinem hochgeschätzten Vorbild eine so große Rolle spielen: Da muß ich ebenfalls passen. Die Romantik der christlichen Seefahrt ist in den Häfen zu finden, nicht dazwischen. Das Meer selbst ist langweilig oder, andere Möglichkeit, so romantisch wie Dauerkotzen. Oder, noch ’ne Möglichkeit, zu teuer. Zehnmal so teuer wie Fliegen. Nee, Herr Verne, da werden wir nachbessern müssen.

Auch bei der Route, wenn wir schon mal beim Mekkern sind, lohnt es sich hier und da, nicht in Ihre Fußstapfen zu treten. Was zur Hölle soll ich in Singapur? Bangkok ist gegenwärtig die Drehscheibe für Weltreisende in Südostasien. Ab Hongkong sitzen wir dann wieder in einem Boot. Aber noch etwas unterscheidet uns wesentlich: Einer von uns ist nie losgefahren. Und ich bin das nicht.

 

Den einen läßt der Herr in seinen Träumen reisen, die anderen schickt er in den ICE. 230 km/​h, aber das Betriebsgeräusch eines Puschen, Schienen statt Schicksal, und man kann sich bewegen. Ein großer Vorteil gegenüber dem Fliegen: Die ICE s fahren stündlich. Ich muß mich also nicht stressen. Und kann’s mir noch mal überlegen. Denn ich habe Angst. Ich will nicht los. Irgend etwas wird auf dieser Reise geschehen, irgend etwas, dem ich nicht gewachsen bin. Das sagt mir mein Gefühl. Eine Vorahnung? Ich schließe die Augen, um mich in das Gefühl fallen zu lassen. Ich hoffe auf Bilder. Und es kommt tatsächlich eins.

Ich sehe ein Gefängnis in Ägypten. Ein ziemlich mieses Loch mit Ratten und Ketten. Das Bild verflüchtigt sich wieder. Ein zweites steigt auf. Ein Bus in den Bergen von Laos. Schlechte Reifen auf schlechten Straßen, überladen und zu schnell in den Kurven. Ich öffne die Augen und weiß nicht, was das soll. Tief in mir spricht etwas, und ich verstehe es nicht. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, denke ich. Entweder du bleibst sitzen. Oder du stehst auf. Entscheide dich. Ich kann es nicht. Denn die Warnung ist genauso stark wie die Chance, die vor mir liegt. Eine Weltreise, immerhin. Ich flippe seit Jahrzehnten kreuz und quer über diesen Planeten, aber noch nie habe ich ihn mit einer Reise umrundet. Keine Zeit, kein Geld, keine Gelegenheit. Jetzt sind alle Türen offen, und jetzt sagt irgend so ein Arsch in mir: NEIN! BLEIB SITZEN! Ich suche nach einem Kompromiß, nach einer dritten Möglichkeit. Ein bißchen aufstehen, ein bißchen sitzenbleiben – gibt es das? Ja, man nennt es «probeweise». Geh einfach los, bis zum Taxistand kannst du es dir ja noch mal überlegen, und wenn du im Taxi sitzt, überlegst du es dir bis zum Bahnhof, und auf dem Bahnsteig bleibt wahrscheinlich auch noch Zeit, um eine anständige Entscheidung zu treffen.

Ich stehe auf, schnappe meinen Rucksack und gehe zur Tür. In der Tür drehe ich mich um. Was ich sehe, läßt mich nicht zur Salzsäule erstarren, so ist es nicht. Aber ähnlich. An der Wand hinter meinem Schreibtisch hängen Fotos und ein Filmplakat. Also Freunde und Idole. Zu den Freunden zählt ein Yogi aus Südindien, ein Yogi aus Nepal, eine Schriftstellerin aus Zürich, eine Sängerin, eine Malerin und Omar, vor dem Hotel «CTM» in Marrakesch. Die Idole sind Hermann Hesse und Klaus Kinski. Hesse klein, Kinski groß. Mit Cowboyhut und stahlblauen Augen. Normalerweise stahlblau. Jetzt scheinen sie an Farbe zu verlieren, zu verblassen, nicht nur die Augen von Klausi-Mausi, wie ich Kinski gerne nenne, wenn ich mit ihm alleine bin, alle Gesichter an der Wand wirken, als läge Nebel über ihnen. Und es ist mir, als würde ich ihre Botschaft verstehen:

«Du wirst uns nie wiedersehen, wenn du jetzt gehst.»

Erneut stehe ich vor zwei Möglichkeiten: Entweder du hörst auf ’ne Wand. Oder du hörst nicht auf ’ne Wand. Ich kenne diese Angst und sollte wissen, daß sie immer übertreibt. Tripper statt Tod, Sonnenbrand statt Pest, so war es doch bisher. Das unbestimmte, aber große Gefühl, auf der Reise seinem Schicksal zu begegnen, kam am Ende immer mit einer Lappalie daher, mit einer Berufskrankheit, mit irgendeinem Scheiß, für den es sich nicht gelohnt hat, Angst durchlebt zu haben. Also einfach weitergehen. Was heißt weiter? Wie wär’s mal mit losgehen, mit raus aus der Wohnung ins Treppenhaus? Ich sehe nach, ob ich wirklich die Heizung ausgestellt habe und alle Wasserhähne zugedreht sind. Dann bin ich endlich auf der Straße. Aber kein Hochgefühl überkommt mich, kein Zauber, der allem Anfang innewohnt, weht mich an. Kein Triumph, es wieder geschafft zu haben. Im Gegenteil: On the road again fühlt sich wie eine Niederlage an. Das ist doch schon mal ein guter Anfang.

 

Am Zug geht es wie inzwischen schon gewohnt weiter. Ich steige nicht ein. Mein Bauch sagt nein. Ich lausche diesem Nein seit fünf Minuten und kann das laut Fahrplan auch noch weitere fünf Minuten tun. Was lähmt mich, womit habe ich es hier zu tun? Wirklich mit den Warnungen der Intuition? Oder ist es nur Bequemlichkeit, und ich bin einfach zu alt für so etwas? Dieser Gedanke treibt mich rein. Kaum bin ich im Zug, verschwinden die paranoiden Vorahnungen wie ein Hausgeist, der einen noch unbedingt zum Bahnhof bringen wollte. Kein Grund zur Entspannung. Die Dämonen sind heute im Staffellauf unterwegs. Die Angst hat soeben an die Liebe übergeben. Mein Herz wird schwer. Mein Herz stellt Fragen. Bist du noch immer zu schön zum Heiraten? Warum hast du sie nicht mitgenommen?

Anders als das Alter schickt die Liebe ihre Dämonen nicht schon vor der Abreise, sie wartet, bis die Räder rollen. Aber dann: Film ab, Action, kleine Rebellion der Gefühle, die durchaus größer werden kann, wenn ich nicht sofort für ein Frauenmagazin darüber schreibe. Der Vorteil des kreativen Unglücklichen gegenüber dem unkreativen Unglücklichen ist, daß er mit seinem Unglück Geld verdienen kann. Bin ich unglücklich? Ich müßte eigentlich überglücklich sein. Weil frei. Endlich frei. Für achtzig Tage, achtzig Nächte, achtzig Betten. Und achtzig ist mehr als achtzig: Die 8, dreht man sie in die Waagerechte, ist das Zeichen für Unendlichkeit, die Null dahinter verzehnfacht die Rechnung, nein, ich müßte durch den ICE tanzen vor Überglücklichkeit. Statt dessen fällt mir ein, wie schön es wäre, wenn sie jetzt ein Brot und ein gekochtes Ei aus ihrer Tasche holen würde. Sie ist so eine. Sie gehört zu diesen altmodischen Frauen mit Reiseproviant. Und dann würde sie sich über die Kreuzworträtsel hermachen, die sie sich am Bahnhof gekauft hat. Sie kauft nie Frauenmagazine. Immer bloß Kreuzworträtsel. Weil sie schlau ist. Gott, warum habe ich sie nicht mitgenommen? Weil ich auch schlau bin. Traue keinen Gefühlen – aber ist nicht die Sehnsucht nach Freiheit ebenfalls nur ein Gefühl?

Ich sitze im ICE nach München, wo ich übernachten werde, die erste von achtzig freien Nächten, und überlege, ob ich in Hannover aussteigen soll, um den Zug zurück zu nehmen. Nach Hannover denke ich dasselbe über Göttingen, aber hinter den Kasseler Bergen wird der Wunsch schwächer. Erstaunlich, welche Wirkung natürliche Grenzen auf die Seele haben, selbst wenn es nur Mittelgebirge sind. Ja,...

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