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100 Tage Schonfrist

Bundespolitik und Landtagswahlen im Schatten der Großen Koalition

AutorHelge Batt, Jens Tenscher
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl298 Seiten
ISBN9783531909028
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
Der Sammelband analysiert die Umbruchphase in der Zeit zwischen Bundestagswahl 2005 und Landtagswahlen 2006 umfassend. Dazu werden Perspektiven der Regierungs-, Parlamentarismus-, Parteien- und Wahl(kampf)forschung) sowie bundes- und landespolitische Sichtweisen zusammen geführt.

Dr. Jens Tenscher ist Juniorprofessor am Institut für Sozialwissenschaften (Abteilung Politikwissenschaft) der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau
Dr. Helge Batt ist Akademischer Rat am Institut für Sozialwissenschaften (Abteilung Politikwissenschaft) der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau

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Leseprobe
2 100 Tage Schonfrist – nichts als ein Mythos? (S. 9)

Markante Zeitpunkte fordern die Beobachter aus Wissenschaft und Medien in besonderem Maße heraus, das Handeln politischer Akteure zu analysieren. Sie liefern den Anlass, die Arbeit und die Tätigkeit von Regierungschefs, Regierungen, Parlamenten und Parteien zu bilanzieren. Dabei interessiert, wie diese Akteure bei der Bewältigung der anstehenden Probleme eines Landes, bei der Erfüllung eines Regierungsprogramms oder eines Koalitionsvertrages und anderer, von außen an die Akteure herangetragenen Anforderungen abschneiden. Ganz besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Zeitspanne der ersten 100 Tage einer neuen Regierung zu.

Es mag willkürlich erscheinen, gerade 100 Tage als Markstein für eine erste Beurteilung einer neuen Regierung heranzuziehen. Mit großer Sicherheit kann nach zwei Jahren oder – wie in Demokratien üblich – zum Ende einer Legislaturperiode mehr darüber gesagt werden, ob neue Führungskräfte in politischen Herrschaftsfunktionen ihre Aufgaben erfolgreich erfüllt haben. Dass schon nach 100 Tagen eine erste Zwischenbilanz gezogen wird, lässt sich historisch erklären.

Der erste, dem eine entsprechende 100tägige Schonfrist zugebilligt wurde, war der USamerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, der diese Zeit nach seinen Wahlerfolgen in den 1930er Jahren als notwendig erachtete, bis der Erfolg der radikalen Wirtschaftsreformen des von ihm initiierten „New Deals" die damit verbundenen Belastungen und Zumutungen übersteigen würde. In diesen ersten knapp drei Monaten seinen Amtszeit, die in die Geschichte als „The Hundred Days" (J. Alter 2006) eingegangen sind, setzte Roosevelt zusammen mit dem Kongress mehr Gesetze in Kraft, um die amerikanische Wirtschaftskrise zu bekämpfen, als viele andere US-Präsidenten in ihrer gesamten Präsidentschaft.

Ihm nachfolgende USPräsidenten, insbesondere John F. Kennedy, knüpften konsequenterweise an den Mythos der ersten 100 Tage an, der sich auch im Nachkriegsdeutschland zu einer politischen Gepflogenheit entwickelte. So stellen die ersten 100 Tage mittlerweile einen Meilenstein in der Amtszeit der Regierenden dar, eine magische Grenze mit – insbesondere für außen stehende Beobachter – hoher symbolischer, aber – für die politischen Akteure selbst – eben auch politikpraktischer Bedeutung (vgl. u.a. G. Pitronaci 2005, I. von Holly 2006: 155).

Zum einen gelten die ersten 100 Tage als Anlauf- und Orientierungsphase für die frisch ins Amt Gewählten. Sie sind eine Schonzeit und eine Periode des „Waffenstillstands", in der sich die politische Konkurrenten ebenso wie die journalistisch Beobachtenden vergleichsweise „milde" und zurückhaltend zeigen, in deren Verlauf eine neue Regierung sich in ihre Arbeit einfinden, sich einarbeiten, Routinen entwickeln, den Faden der Regierungstätigkeit aufnehmen, die politische Agenda aufstellen, Personalentscheidungen treffen und erste Entscheidungen auf den Weg bringen kann.

Regierungshandeln ist ein komplexer Prozess und Entscheidungen benötigen in aller Regel eine gewisse Vorlaufzeit, um hinsichtlich ihrer Qualität und ihres Erfolgs beurteilt werden zu können. Die ersten 100 Tage sollen diesbezüglich zur weithin „unbedrängten" personellen wie inhaltlichen Findung und Vorbereitung politischer Vorhaben dienen. So zumindest sieht es das stillschweigende Abkommen zwischen Regierenden, politischen Gegnern, Massenmedien und Wählern vor, wenngleich sich nicht alle und nicht zu jeder Zeit daran zu halten scheinen.

Neben dieser politikpraktischen Bedeutung stehen die ersten 100 Tage zum anderen auch für einen symbolischen Zeitraum, mit dessen Ablauf eine erste Bilanz der Tätigkeit einer neuen Regierung durch Medien und Opposition gezogen wird, wohl wissend, dass diese Zeit eigentlich für eine neue politische Führung zu kurz ist, um sich einarbeiten und erste Entscheidungen treffen zu können.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
100 Tage Schonfrist nach der Bundestagswahl 2005? Mythos und Zwischenbilanz8
1 Einleitung8
2 100 Tage Schonfrist – nichts als ein Mythos?10
3 Zum Inhalt des Bandes12
4 Fazit19
5 Literatur19
NACH DER BUNDESTAGSWAHL REGIERUNG,MEDIEN, ÖFFENTLICHE MEINUNG22
Zur Schonung gezwungen? Politischer Attentismus nach der Bundestagswahl 200524
Auf dem Weg zur Großen Koalition: Regierungsbildung in Deutschland 200528
1 Einleitung: Regierungsbildung als Koalitionsbildung28
2 Regierungsbildung im politischen System Deutschlands29
3 Die Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl 200532
4 Folgen der Regierungsbildung 2005 für Parteien- und Regierungssystem42
5 Ausblick49
6 Literatur51
Regierungswechsel = Stimmungswechsel? Pragmatischer Realismus nach der Bundestagswahl56
1 Einleitung: Große Koalitionen und die Furcht vor großen Lösungen56
2 Regierungsbildung: 100 Tage Schonfrist – auch in der Bevölkerung58
3 Regierungsalltag: Gute Zeiten, schlechte Zeiten64
4 Fazit: Pragmatischer Realismus71
5 Literatur72
„100 Tage Medien-Schonfrist“? Regierungen in der Medienberichterstattung nach Bundestagswahlen74
1 Die Bedeutung der Massenmedien für Regierungen74
2 Datengrundlage76
3 Keine Medien-Schonfrist für Rot-Grün 1998 und 200277
4 Die Große Koalition schonte sich selbst81
5 Zusammenfassung88
6 Literaturverzeichnis89
LANDTAGSWAHLEN IN ZEITEN DER GROßEN KOALITION92
Landtagswahlen 2006 im Zeichen der Großen Koalition: Eine vergleichende Betrachtung94
1 Einleitung94
2 Die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Parteien95
3 Vergleichende Betrachtung der Wahlergebnisse96
4 Fazit106
5 Literatur107
Große Koalition – kleine Wahlkämpfe? Die Parteienkampagnen zu den Landtagswahlen 2006 im Vergleich108
1 Einleitung108
2 Kampagnenprofessionalisierung nach Wahl110
3 Parteienkampagnen im Vergleich115
4 Fazit132
5 Literaturverzeichnis135
Die baden-württembergische Landtagswahl 2006 im Einflussfeld der Bundespolitik: Auswirkungen und Rückwirkungen140
1 Einleitung140
2 Die Ausgangslage auf Landesebene: schwierige Amtsübergabe und kontroverser Regierungskurs141
3 Die Ausgangslage auf Bundesebene: unerwarteter Rückenwind144
4 Der Ausgang der Landtagswahl und seine Ursachen145
5 Bundespolitische Konsequenzen der Landtagswahl: Die verpasste Chance für Schwarz- Grün150
6 Fazit: Überwindung der Lagergrenzen steht noch aus152
7 Literatur152
Die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2006 und ihre bundespolitische Bedeutung156
1 Einleitung156
2 Ver- oder Entflechtung von Bundes- und Landespolitik in Landtagswahlen?157
3 Wahlen in Rheinland-Pfalz159
4 Der Wahlkampf und die Landtagswahl 2006164
5 Der Vergleich der Bundestags- und Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2005/ 2006 und die bundespolitischen Komponenten der Wahl 2006169
6 Fazit: Bundespolitische Wirkungen der Landtagswahl 2006172
7 Literatur173
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2006: Der landespolitische Parteienwettbewerb und der ( ungewöhnlich kleine) Schatten der Bundespolitik178
1 Einleitung178
2 Die Grundlagen des Parteienwettbewerbs in Sachsen-Anhalt180
3 Der Machtwechsel 2002: Das Ende des „Magdeburger Modells“185
4 Die Landtagswahl 2006: Der vorsehbare Sieg der Großen Koalition188
5 Fazit192
6 Literatur194
NACH DEN LANDTAGSWAHLEN REGIERUNG, PARTEIEN, ÖFFENTLICHE MEINUNG198
Von Schröder zu Merkel – eine Frage des (Regierungs-) Stils? Zu den Machtressourcen der Bundeskanzlerin in einer Großen Koalition200
1 Regierungsstil und Politische Führung200
2 Große Koalitionen im Vergleich201
3 Institutioneller Kontext und Regierungsstil202
4 Regierungsstil und Person209
5 Kanzlerin Merkel – Selbstüberwachung und stille Moderation213
6 Literatur214
Weder stark noch schwach – aber nicht groß: Die Große Koalition und ihre Reformpolitik216
1 Einleitung216
2 Reformen in zentralen Politikfeldern217
3 Die drei Phasen der Reformpolitik 2005 bis 2007233
4 Der Mangel an weitergehender Reformpolitik238
5 Fazit241
6 Literatur244
Entkopplung und Schwund: Parteien seit der Bundestagswahl 2005248
1 Einleitung248
2 Ungeniale Elefanten: Die Große Koalition250
3 Die Quellen versiegen: Die CDU/CSU252
4 Partei der Abschiede: Die SPD258
5 Oppositionsglück unter der Großen Koalition: Die FDP262
6 Unterwegs zu neuen Ufern? Die Grünen267
7 Fragile Verbrüderung: Die Linkspartei272
8 Verengung und Verlust – ein Ausblick279
Literatur280
Das Bündnis der Artgleichen: Eine kritische Zwischenbilanz der Großen Koalition aus journalistischer Sicht284
1 Einleitung284
2 Monate der Harmonie285
3 2006, das Jahr des Austarierens287
4 Der außenpolitische Rahmen288
5 Koalition ohne Identität290
6 Das ungefühlte Gemeinsame291
7 Der Aufbau künftiger Bruchstellen293
8 Projekt oder Pausenzeichen?294
AUTORENVERZEICHNIS297
Autorenverzeichnis300

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