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E-Book

Undercover-Dschihadistin

Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte

AutorAnna Erelle
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783426436370
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Journalistin Anna Erelle recherchiert in den sozialen Netzwerken, mit welchen Methoden radikale islamistische Organisationen in Europa Jugendliche für den Krieg in Syrien und dem Irak anwerben. Unter dem Deckmantel der jungen Konvertitin Melodie nimmt sie auf Facebook Kontakt mit einem Kommandanten im Islamischen Staat auf, dem gerissenen Rekrutierer Abu Bilel. Er ermuntert sie, nach Syrien zu reisen, und malt ihr ein verlockendes Leben an seiner Seite aus. Über vier Wochen korrespondiert Melodie mit Abu Bilel und entlockt ihm Informationen über Strategien des Islamischen Staats und das Söldnerleben in der Kampfzone. Dabei wird ihr erst allmählich klar, in welche Gefahr sie sich begibt. Ein brisanter Aufdecker, der unter die Haut geht.

Anna Erelle ist das Pseudonym einer französischen Journalistin, die nach der Veröffentlichung ihres Buchs über die Rekrutierungsmethoden islamistischer Milizen mit der Fatwa bedroht ist. Sie lebt unter Polizeischutz und kann ihre wahre Identität nicht preisgeben.

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Leseprobe

Sonntagabend


Sympathy for the devil von den Rolling Stones dröhnt durch mein Wohnzimmer und klingt wie eine böse Vorahnung. Ich schalte den Computer ein und finde neue Nachrichten von Bilel. Mir bleibt kaum die Zeit, sie zu lesen, denn er ist online und wendet sich sofort an meine virtuelle Marionette. Schon in seinen ersten Posts spürt man seine aufdringliche Hartnäckigkeit. In jeder dritten Zeile fordert mich der Söldner Gottes auf, Facebook zu verlassen und ihn via Skype zu kontaktieren, ein Chat, der die Vorzüge von Bild und Ton miteinander verbindet. Ist dieses Drängen eine Vorsichtsmaßnahme? Will er wissen, mit wem er es zu tun hat? Oder will er sich einfach nur mit eigenen Augen davon überzeugen, ob sein neuer Fang auch nach seinem Geschmack ist? Ich stelle mich dumm. Melodie fragt ihn also ganz naiv:

»Wieso willst du skypen?«

»Unterhaltungen über Skype sind viel sicherer. Wenn du verstehst, was ich meine, Schwester …«

Nein, ich verstehe nicht. Er beendet seinen Satz mit einem Smiley. Ein kleines, rundliches gelbes Gesicht, das mir zuzwinkert. Das ist absurd. Er ist absurd. Auf seinem Profil schwört er, »dem Islamischen Staat treu ergeben zu sein«. Also schneide ich das Thema direkt an.

»Du arbeitest für den IS. Welchen Posten hast du dort inne? In Frankreich behauptet man ja, eure Organisation sei nicht die stärkste …«

Als Melodie kann ich es mir nicht verkneifen, ihm einen Seitenhieb zu verpassen. Auch ich »verschönere« meine Äußerung mit einem Smiley. Dieses Mal hat das kleine Gesicht vor Scham rote Bäckchen. Bilel beeilt sich, mir voller Stolz zu antworten. Er will entschlossen und überzeugend wirken: Der IS verkörpere den Gipfel der Macht, nicht nur in Syrien, sondern weltweit. Aus aller Herren Länder kämen Kämpfer, um sich ihren Heeren anzuschließen. Aber nicht nur das, wenn man meinem Gesprächspartner glauben will, der sich so charmant wie pädagogisch präsentiert.

»Es gibt drei Typen von Kämpfern: die an der Front, die Selbstmordattentäter und jene, die nach Frankreich zurückkehren, um die Ungläubigen zu bestrafen.«

»Zu bestrafen? Wie?«

»Du weißt schon … Wie Mohamed …«

Bilel bezieht sich auf Mohamed Merah, den irren Attentäter von Toulouse. Doch Melodie versteht nicht.

»Welchen Mohamed meinst du? Und wie bestraft er die Leute?«

»Du lebst doch in Toulouse, oder? Der Attentäter auf dem Motorroller, sagt dir das nichts? … Die wichtigste Regel lautet, die Feinde Allahs in Furcht und Schrecken zu versetzen.«

»Aber Merah hat Kinder getötet … Ein Kind verkörpert Unschuld, Reinheit; ein Kind kann nicht der Feind von irgendjemandem sein …«

»Wie naiv du bist, Melodie … Du liebst Kinder? Eines Tages wirst du welche haben, inschallah. Weißt du, hier warten viele Waisen auf eine Mutter. Die Schwestern des IS kümmern sich tagtäglich um sie, sie leisten Großes. Du würdest dich gut mit ihnen verstehen, ihr seid euch sehr ähnlich.«

Bilel weicht geschickt aus. Seine Methode: Er versucht, Melodie, die er überhaupt nicht kennt, mit seinen sanften Gesängen einzulullen. Das Thema spielt im Grunde keine Rolle; er führt sie dahin, wo er sie haben will. Da Melodie ihre Zuneigung für Kinder hat durchblicken lassen, flüstert er ihr die Idee ein, sie könne die Mutterstelle übernehmen. Die Diskussion über Mohamed Merah hat sie schon vergessen. Die Vorstellung, sich denjenigen zu widmen, die trauriger sind als sie selbst, zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Als wenn das Leid anderer ihr helfen könnte, ihr eigenes zu vertreiben. Seit einiger Zeit hat sie in der dunkelgrauen Welt, die sie umgibt, den Boden unter den Füßen verloren. Egal, was sie unternimmt, sie hat das Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben, ihre Zeit zu verschwenden. Irgendwie vergeudete Liebesmüh. Wahres Glück ist für sie ein seltenes und vergängliches Gefühl, und sie erinnert sich kaum mehr, wie viel Kraft es einem geben kann. Melodie fühlt sich allein und hat dieses Leben satt, in dem sie keine Zukunft für sich sieht. Für mich ist sie jemand, der noch dabei ist, seine Persönlichkeit zu finden, ein sich verloren fühlender Teenager mit einer schwierigen Vergangenheit, die zu viele Narben hinterlassen hat. Sie sucht ein Ziel.

Und wenn Bilel und seine schönen Reden genau diesen kleinen Hoffnungsschimmer verkörpern würden, der ihr wieder Lebensmut gibt? Der Mörder versucht, seine Beweggründe für den Dschihad darzulegen. Wie ein Vertreter, der, bevor er mit seiner Demonstration beginnt, die Schwächen und Erwartungen seines Opfers zu erfassen sucht. Für ihn repräsentiert Melodie ein typisches Profil im Netz. Sobald er sie in eine Kategorie eingeordnet hat, muss er ihr nur noch mit seiner sonoren, überzeugenden Stimme die entsprechende Antwort bieten. Bilel ist wie ein »böser Geist«. Und noch dazu ein Verkaufsgenie, das sich hütet, sie zu fragen, ob sie ihren Dschihad führen will, sondern wissen möchte, was sie sich von einer Teilnahme verspräche. Aber dieser kleine Unterschied ist nicht unwichtig. Bilel weiß noch so gut wie gar nichts über Melodie. Weder ihr Alter noch die Farbe ihrer Augen oder etwas über ihre familiäre Situation. Das scheint ihn nicht zu stören. Als wenn ein einziges, wesentliches Detail genügte, um sie für ihn interessant zu machen: ihr Übertritt zum Islam.

Und Bilel ist davon überzeugt, dass Melodies Glaube stark genug ist, um sie zu ihm in das gefährlichste Land der Welt zu locken. Er schert sich um nichts anderes als um ihre Meinung zu den Dschihadisten. Ich habe das Gefühl, von einem Meinungsforscher durchleuchtet zu werden, und unterfüttere Melodies Antwort mit Äußerungen, die ich mir aus diversen Reportagen zu sozialen Brennpunkten in französischen Vororten gemerkt habe.

»Ich habe gehört, was Israel den palästinensischen Kindern antut. Ich habe Dutzende schrecklicher Videos gesehen, in denen tote Babys gezeigt wurden. Ich bin auf Facebook einigen deiner Brüder gefolgt, die dort in Syrien am Dschihad teilnehmen. Manche Mudschaheddin tun Gutes und andere Schlechtes, also, ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll …«

»Denk nur Gutes! Ich selbst bin ein großer Mudschahed. Ich widme mich schon seit langem der Religion, und ich sage dir: Ich kann sehr, sehr milde zu denen sein, die ich liebe, und sehr, sehr hart zu den Ungläubigen. Ich hoffe, du bist keine von ihnen …«

»Wie könnte ich? Ich bin doch zum Islam konvertiert …«

»Das ist gut, aber nicht genug … Sich damit zufriedenzugeben, fünfmal am Tag zu beten und den Ramadan einzuhalten, reicht nicht aus. Ein guter Moslem, so will es der Prophet, sollte nach Syrien kommen und der Sache Gottes dienen.«

»Aber ich kann doch nicht meine Familie hier zurücklassen und alles aufgeben …«

»Falsch … Daraus schließe ich, dass du Kapitalistin bist.«

Melodie ist nicht sonderlich gebildet. Der Begriff sagt ihr nicht viel. Und außerdem, was hat das mit ihrer Familie zu tun? Sie weiß nicht, worauf Bilel hinauswill. Schon bald wird er ihr erklären, dass sie sich nur an die religiösen Gesetze des Islam, die Scharia (jene radikale islamische Doktrin, die lediglich von einer Minderheit des Landes angewandt wird) halten und der Konsumgesellschaft, in der sie groß geworden ist, den Rücken kehren muss. Bilel äußert sich zu diesem Punkt unmissverständlich: Melodie soll sich nicht den Gesetzen ihres Landes unterwerfen. Von nun an sind die Vorschriften des radikalen Islam verbindlich. Der »durch und durch reine« Islam, den er gewählt hat. Natürlich ahnt die naive Melodie nichts davon. Sie fällt auf alles herein. Sie erkennt nicht einmal den Widerspruch in Bilels Aussage, der zwar die Konsumgesellschaft attackiert, während sein Äußeres, von seiner Ray-Ban-Sonnenbrille bis hin zu seinen modischen Nikes, deren exaktes Abbild ist.

»Kapitalismus, das ist doch diese Geschichte mit Angebot und Nachfrage, die sich die Waage halten müssen, so was in der Richtung, oder? LOL

»Der Kapitalismus, meine Kleine, ist das Krebsgeschwür, an dem die ganze Welt leidet. Während du dir MTV-Clips ansiehst und Snickers mampfst, dir Jackie-und-Jill-DVDs kaufst und mal bei Foot Lockers vorbeischaust, sterben hier tagtäglich Dutzende der Unseren, damit wir glücklich in einem Staat leben können, der nur uns, den Muslimen, gehört. Während wir unser Leben riskieren, vergeudet ihr eure Tage mit Nichtigkeiten. Religiös zu sein bedeutet, aktiv für die Durchsetzung dieser Werte zu kämpfen. Es tut mir leid für dich, Melodie, weil ich spüre, dass du eine schöne Seele hast, aber wenn du unter all diesen Kāfir weiterlebst, wirst du später in der Hölle schmoren. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, hast du davon schon mal gehört?«

Und jetzt zitiert er auch noch Marx! Kennt er sich tatsächlich mit der marxistischen Lehre und der Idee des Klassenkampfes aus? Oder bedient er sich einfach nur vorgefertigter Klischees, die er anderswo gehört hat? Ich muss kurz an Guitone denken, den »Pressesprecher« des IS, der gerne Sachen von Lacoste trägt. Melodie ist sprachlos angesichts des Wegs, den Bilel den Kāfir verspricht. Ihr westliches Leben scheint ihr nicht sehr hoffnungsvoll. Aber ist ihr Dasein wirklich so schwarz, verglichen mit der prekären Lage in Syrien, die ihr Bilel so betrübt beschreibt? Ihr Chat-Partner will, dass die Angst, die er ihr einflößt, ihren Glauben beherrscht. Er sät erste Zweifel in ihr und weckt gleichzeitig starke Schuldgefühle.

Dieser Abu Bilel ist diabolisch. Ich betrachte sein Profilbild....

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