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Gedächtnis und Erinnerung am Beispiel des Nationalsozialismus in Kärnten

AutorKatja Ehrenmüller
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl37 Seiten
ISBN9783956847691
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Beinahe siebzig Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen, heute leben nur noch wenige Zeitzeugen. Staaten und Organisationen haben erkannt, wie wichtig es ist, deren Erinnerungen zu dokumentieren und weitere Möglichkeiten zu schaffen, die Opfer und Geschehnisse des Nationalsozialismus ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rufen. In Kärnten gibt es zahlreiche Gedenkstätten, Friedhöfe und Projekte, welche an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, die Judenvernichtung, die Euthanasie, die Verfolgung der Kärntner Slowenen und den Nationalsozialismus gemahnen. Inwieweit sind diese Orte und Ereignisse Teil des Gedächtnisses der Kärntner Bevölkerung? Diese Arbeit behandelt verschiedene Theorien zum Begriff des Gedächtnisses, ausgehend vom Konzept des Kollektivgedächtnisses von Halbwachs bis hin zur Theorie der Erinnerungsorte von Pierre Nora. Es soll gezeigt werden, welche Orte der Erinnerung - vor allem Denkmäler und Gedenkstätten - an die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten existieren und welche Bedeutung diese für die Bevölkerung haben.

Katja Ehrenmüller, BA, BSc, wurde 1990 in Gramastetten, Oberösterreich geboren. Ihr Studium der Angewandten Kulturwissenschaft und der Angewandten Betriebswirtschaft an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt schloss die Autorin im Jahr 2013 bzw. 2014 erfo

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 2.3, Autobiografisches Gedächtnis: Harald Welzer greift bei seinen Überlegungen den Begriff des kollektiven Gedächtnisses von Halbwachs auf, ebenso den Gedächtnisbegriff bei Aleida und Jan Assmann sowie Untersuchungen aus der Neurowissenschaft und der Psychologie. Biologische Reife, psychologische Entwicklung und soziale Umwelt spielen in seinen Überlegungen eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des Gedächtnisses: Welzer spricht von einem autobiografischen Gedächtnis, das sich im sozialen Umfeld entwickelt (vgl. 2002a, S. 15ff.). Welzer kritisiert den Begriff des Kollektivgedächtnisses von Halbwachs, denn er sei unscharf und ungenau. Anstatt von einem kollektiven Gedächtnis zu reden, solle dieses in verschiedene, differenzierte Gedächtnisformen gegliedert werden. Als eine teilweise gelungene Unterteilung des Gedächtnisses in verschiedene Formen sieht Welzer die Unterscheidung von individuellem, kollektivem, kulturellem und kommunikativem Gedächtnis bei Aleida und Jan Assmann. Laut Welzer ist diese jedoch noch immer unzureichend: Die Grenzen des kollektiven Gedächtnisses seien unscharf, das individuelle Gedächtnis sei ungenau definiert (vgl. 2002b, S. 230f.). Gemäß Welzer geht der Gedächtnisbegriff von Aleida und Jan Assmann auf die kommunikative Praxis von Gruppen und Gesellschaften ein, nicht aber darauf, wie sich das kommunikative Gedächtnis auf Seite des Individuums verhält (2002a, S. 15). Er betrachtet dieses aus Sicht der Einzelperson und spricht von einem autobiografischen Gedächtnis, das sich durch soziale Interaktionen entwickelt und auch nur beim Kontakt zu anderen auflebt. Das autobiografische Gedächtnis hat die Aufgabe, unsere Erinnerungen anzuordnen und so zu beschreiben, dass sie dem gegenwärtigen Ich entsprechen (vgl. ibd., S. 208-222). Welzer geht von neurowissenschaftlichen Überlegungen aus und weist auf die zentrale Bedeutung von Emotionen für das Gedächtnis hin. Diese sind als Bewertungen zu sehen, die Erfahrungen mit Werten verbinden und erst dadurch subjektiv sinnvolles Handeln erlauben. Da diese Bewertungen vom Körper vermittelt werden, ist es notwendig, das individuelle Gedächtnis in Bezug auf die organischen Verbindungen zu betrachten. Gemäß Welzer müssen also neurowissenschaftliche Befunde berücksichtigt werden, um den Aufbau des Gedächtnisses zu begründen. Folglich hält er es für sinnvoll, zwischen einem bewussten - kulturellen - Gedächtnis und einem unbewussten - sozialen - Gedächtnis zu unterscheiden (vgl. ibd., 2002b, S. 230). 2.4, Formierung sozialer Gedächtnisse: Von einem sozialen Gedächtnis ist auch bei Gerd Sebald und Jan Weyand (2011) die Rede. Sie entwickelten eine relativ junge soziologische Theorie und sprechen von der Formierung sozialer Gedächtnisse. Sebald und Weyand gründen ihre Überlegungen unter anderem auf die Unterscheidung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis nach Aleida und Jan Assmann sowie die Betrachtung des Gedächtnisses in Bezug auf das Individuum nach Welzer. Sie bauen auf der Theorie der sozialen Rahmen und den Aspekten der Rekonstruktivität und Funktionalität von Halbwachs auf (vgl. Sebald/Weyand, 2011, S. 175-178.). Sebald und Weyand definieren soziale Gedächtnisse als 'das soziale Vermögen, Vergangenes gegenwärtig verfügbar zu halten bzw. zu machen' (ibd., S. 174). Individuen und soziale Systeme können die Vergangenheit in der Gegenwart rekonstruieren. Dabei hängt die Erinnerung nicht nur vom rekonstruierten Bild der Vergangenheit ab, sondern auch von den sozialen Bedingungen der Gegenwart. Diese legen fest, wie sich Individuen und soziale Gruppen erinnern können. Sebald und Weyand bezeichnen die sozialen Bedingungen und den Prozess, diese zu strukturieren, als Formierung sozialer Gedächtnisse. Diese Theorie baut grundlegend auf Halbwachs auf, Sebald und Weyand kritisieren jedoch die Interaktionsbasiertheit in ihrer ursprünglichen Form: Diese sei in der modernen Zeit nicht mehr vertretbar. Als zentrales Problem sehen Sebald und Weyand die Annahme, dass die sozialen Rahmen des Gedächtnisses eine Folge der Interaktion in Kollektiven seien. Ursprünglich ermöglichten kollektive Erfahrungen sowie ähnliches Erleben und Handeln innerhalb einer sozialen Gruppe gesellschaftliche Integration. In der Moderne tritt an die Stelle dieser Ähnlichkeit von Ereignissen etwas anderes: Menschen als Funktionsträger fühlen sich voneinander abhängig und integrieren sich in der Gesellschaft aufgrund dieser gegenseitigen Abhängigkeit, die durch Medien, insbesondere durch Geld, vermittelt wird (vgl. ibd., S. 177f.). Soziale Beziehungen in der modernen Zeit sind laut Sebald und Weyand weniger an kulturelle, politische und gesellschaftliche Traditionen gebunden; Personen definieren sich viel mehr durch die Funktionen, in die sie integriert werden, wie Staatsbürger, Arbeitskraft und/oder Rechtsperson. Diese funktionale Differenzierung formt zahlreiche soziale Gedächtnisse in verschiedenen Gesellschaftsschichten, Handlungsbereichen und Milieus. Es kommt zu einer Pluralisierung der Lebensvorstellungen von Individuen und Gruppen, wodurch sich wiederum soziale Gedächtnisse formieren (vgl. ibd., S. 181). Deswegen vertreten Sebald und Weyand den Standpunkt, dass soziale Gedächtnisse in der Moderne nicht mehr nur durch Interaktion in kollektiven Gruppen entstehen können. Die sozialen Bedingungen lassen sich nach ihrer Funktion in Variation und Selektion unterscheiden. Durch Variation können die Möglichkeiten an Verknüpfungen von Vergangenheit und Gegenwart vergrößert oder deren Struktur verändert werden. Durch Selektion werden Regeln zur Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit geschaffen. Sie lässt bestimmte Verbindungen zu und schließt andere aus. Die Relevanz von Handlungen, Denkweisen und Sprechmustern ändert sich bei verschiedenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und bildet somit den Kern der Selektion. Die Veränderung der sozialen Bedingungen verstärkt sich durch den Wandel von Erfahrungshorizonten über die Generationen hinweg. Die Rekonstruktion von Gewesenem ist nach Sebald und Weyand auf Medien angewiesen, die an Vergangenes erinnern. Diese geben die Vergangenheit aber nicht neutral wieder, sondern formieren, selektieren und strukturieren sie neu. Soziale Gedächtnisse sind also von der Struktur der Medien abhängig. Wenn an etwas erinnert wird, tritt damit gleichzeitig die Frage nach der Authentizität dieser Erinnerung auf. Bei der Rekonstruktion der Vergangenheit wird versucht, Beweise für diese Authentizität vorzuweisen, mit dem Ziel, die Vergangenheit korrekt abzubilden. Da jedoch jede Erinnerung aus der Sicht der Gegenwart wiedergegeben wird, werden lediglich Konstrukte geschaffen. Erinnerungen werden auf diese Konstrukte hin abgeändert und formiert. Dieser Gegenwartsbezug führt auch dazu, dass bei Erzählungen und Diskursen die Erinnerungen variieren: Es kommt zu Neuinterpretationen, Umgestaltung und Veränderungen (vgl. ibd., S. 180-186). Sebald und Weyand führen die Überlegungen bezüglich kollektivem, kulturellem, kommunikativem und autobiografischem Gedächtnis weiter. Sie versuchen, diese an veränderte Bedingungen in der Moderne anzupassen und begründen die Bezeichnung der Formierung sozialer Gedächtnisse.
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