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E-Book

Gesundheitsreformen in Deutschland

Geschichte - Intentionen - Konfliktlinien

AutorFranz Knieps, Hartmut Reiners
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl388 Seiten
ISBN9783456954332
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Seit über 25 Jahren gehört der Begriff «Gesundheitsreform» zum deutschen Sprachgut. Dabei soll gar nicht die Gesundheit der Deutschen reformiert werden, sondern die Strukturen des Gesundheitswesens. Dieser riesige Wirtschaftszweig mit 300 Milliarden Euro Umsatz und über fünf Millionen Beschäftigten wird aus guten Gründen nicht über den Markt, sondern über Politik und Recht gesteuert. Veränderungen in und an diesem System treffen auf gewachsene Strukturen, und wirtschaftliche Interessen und sind daher stets heftig umstritten. Dieses Buch schildert den ökonomischen und rechtlichen Rahmen von Gesundheitsreformen, die Entwicklung der GKV von einer Lohnersatzkasse zur Finanzierungsgrundlage der größten Dienstleistungsbranche unserer Volkswirtschaft sowie die Abläufe von Reformen der GKV seit 1988 mit folgenden thematischen Schwerpunkten: Organisation und Finanzierung der GKV, Umfang der GKV-Leistungen, Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern, Struktur der medizinischen Versorgungseinrichtungen, Arzneimittelversorgung, Pflegeversicherung. In einem Anhang werden alle relevanten Gesetze zur GKV seit 1949 aufgelistet. Die Verfasser, die beide fast 30 Jahre das deutsche Gesundheitswesens aktiv mitgestaltet haben, geben Einblicke in Erfahrungen aus dem «Maschinenraum» der Gesundheitspolitik.

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Kapitelübersicht
  1. Gesundheitsreformen in Deutschland
  2. Einleitung: Die Reform des Gesundheitswesens – eine unendliche Geschichte
  3. 1..Ökonomische, rechtliche und politische Parameter der GKV
  4. 2..Von Bismarck bis Blüm: Die ersten 100.Jahre der GKV
  5. 3..Reformen der Organisation und Finanzierung der GKV
  6. 4..Reformen im Leistungsrecht der GKV
  7. 5..Reformen der Vergütungssysteme für.Ärzte und Krankenhäuser
  8. 6..Reformen der Versorgungs­strukturen im Gesundheitswesen
  9. 7..Die Reformen in der Arzneimittelversorgung
  10. 8..Kurze Geschichte der Pflegeversicherung
  11. 9..Ausblick: Nach der Reform ist vor der Reform – Umsetzung des Koalitionsvertrages und Herausforderungen für die Gesundheitspolitik der Zukunft
  12. Anhang: Gesetze zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung seit 1949
  13. Literatur
  14. Abkürzungen/Register/Über die Autoren
Leseprobe
2. Von Bismarck bis Blüm: Die ersten 100 Jahre der GKV (S. 51-52)

Die Geburtsstunde der gesetzlichen Krankenversicherung wird gemeinhin auf den 15. Juni 1883 datiert. An diesem Tag wurde in der Umsetzung der Kaiserlichen Sozialbotschaft vom 17. November 1881, die eine umfassende Absicherung der gewerblichen Arbeiter gegen die Risiken Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter ankündigte und vor allem Gewerkschaften und Sozialdemokratie den sozialen Nährboden entziehen wollte, die Krankenversicherung der Arbeiter verabschiedet. Dieses Datum mag sozialgeschichtlich bedeutsam sein, das Gesetz greift jedoch ältere Traditionen freiwilliger, gemeinde- oder gewerberechtlich verpflichtender Absicherungssystem auf, die bei der Knappschaft bis in das Hochmittelalter zurückreichen (Ebsen 2012: 725). Diese stützten sich auf freiwillige Leistungen von Arbeitgebern, freiwilligen Zusammenschlüssen von Berufsgruppen oder kommunal- oder landesrechtlich angeordneten Sicherungsformen, die häufig zur «polizeylichen» Armenfürsorge gehörten.

Das heutige System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat nur noch wenig gemeinsam mit der Krankenversicherung, die 1883 erstmals reichseinheitlich und generell verpflichtend eingeführt wurde. Sie hat sich von einer Pflichtkasse für Arbeiter und kleine Angestellte in Fabriken und größeren Handwerksbetrieben, die damals zusammen mit ihren Familien nur knapp zehn Prozent der Bevölkerung repräsentierten, zu einer Volksversicherung entwickelt, die für die medizinische Versorgung von fast 90 Prozent der Bevölkerung sorgt. Ihre Leistungsausgaben bestanden anfangs zu über 50 Prozent aus Lohnersatzleistungen (Kranken- und Sterbegeld) und beliefen sich 1885 auf 0,24 Prozent der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung. 2013 gingen 95 Prozent der 183 Milliarden Euro umfassenden Leistungsausgaben der GKV in die medizinische Versorgung, und das Gesundheitswesen hat sich mit 5,1 Millionen Beschäftigten zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt, der über elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet. Diese sich über 100 Jahre erstreckende Entwicklung ist einerseits das Ergebnis sozioökonomischer Umwälzungen von der Klassen- zur Zivilgesellschaft mit einem Wohlfahrtsstaat, der sich zum unverzichtbaren Bestandteil der volkswirtschaftlichen Infrastruktur entwickelt hat. Zum zweiten geht sie einher mit der Wandlung der Medizin von einem wirtschaftlich unbedeutenden Gewerbe mit teilweise zweifelhaftem Ruf zu einer riesigen Industrie mit großem Wachstumspotenzial. Der historische Reifeprozess der GKV bestand aus mehreren Etappen, die man wie folgt zeitlich eingrenzen kann11:

· 1883–1918: In den Gründerjahren der GKV ging es vor allem um ihre Etablierung als Teil eines Sozialversicherungssystems für Arbeiter und kleine Industrieangestellte, die ihren vorläufigen Abschluss in der 1912 im Reichstag verabschiedeten und seit 1914 geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) fand.

· 1919–1933: Im Zuge der Industrialisierung und den damit verbundenen Umwälzungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur entwickelte sich die GKV mehr und mehr zur Volksversicherung. Der versicherungspflichtige Personenkreis und die Leistungen zur medizinischen Versorgung wurden erweitert, die niedergelassenen Ärzte wurden über die Kassenärztlichen Vereinigungen an das öffentlich-rechtliche GKV-System gebunden.

· 1933–1945: Die Ersatzkassen wurden in das GKV-System integriert, wenngleich mit eigenen Vertrags- und Vergütungssystemen. Die Selbstverwaltungsorgane wurden mit dem NS-System und dessen Führerprinzip «gleichgeschaltet». · 1945–1966: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die gegliederte GKV und das Kassenarztsystem in Westdeutschland nach altem Muster restauriert, aber nicht reformiert. In der Sowjetzone bzw. der DDR wurde ein staatliches Versorgungssystem für alle Bürger eingeführt.
Inhaltsverzeichnis
Gesundheitsreformen in Deutschland2
Inhalt6
Einleitung: Die Reform des Gesundheitswesens – eine unendliche Geschichte8
1..Ökonomische, rechtliche und politische Parameter der GKV20
1.1 Zur politischen Ökonomie des deutschen Gesundheitswesens22
1.1.1 Weshalb wird das Gesundheitswesen
23
1.1.2 Besonderheiten des deutschen Gesundheitswesens32
1.2 Das Spannungsfeld zwischen Solidarausgleich und Sozialrecht38
1.3 Ablauf und Dramaturgie von GKV-Reformen43
2..Von Bismarck bis Blüm: Die ersten 100.Jahre der GKV52
2.1 Von der Kaiserlichen Botschaft zur Reichs­versicherungsordnung: Die Gründerjahre der GKV von 1881–191854
2.2 Die GKV in der Weimarer Republik65
2.3 Die GKV unter dem Nationalsozialismus69
2.4 Die GKV in den Nachkriegsjahren: Restauration und Reformstau71
2.5 Die GKV unter der sozialliberalen Koalition: Expansion und Kostendämpfung78
2.6 Das Gesundheits-Reformgesetz: Norbert Blüms Kampf mit dem Lobbyismus85
2.7 Das Gesundheitswesen der DDR und die Folgen des Einigungsvertrags91
3..Reformen der Organisation und Finanzierung der GKV102
3.1 Lahnstein und die Folgen: Von der berufsständischen zur wettbewerblichen Gliederung der GKV103
3.1.1 Verwerfungen in der berufsständisch gegliederten GKV104
3.1.2 Die ordnungspolitische Debatte zur Struktur der GKV in den 1980er-Jahren109
3.1.3 Konzepte zur Organisationsreform der GKV112
3.1.4 Der Kompromiss von Lahnstein und das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG)118
3.1.5 Die Umsetzung der Beschlüsse von Lahnstein121
3.2 Die neue Wettbewerbsordnung der GKV und die Folgen123
3.2.1 Die Lücken des RSA124
3.2.2 Die Probleme in den neuen Ländern und das GKV-Finanzstärkungsgesetz127
3.2.3 Der Streit um den «morbiditätsorientierten RSA» (M-RSA)129
3.3 Zwischenspiel: Der Streit um die Kopfpauschale133
3.4 Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz: Gesundheitsfonds, Zusatzbeitrag und allgemeine Krankenversicherungspflicht138
3.4.1 Die Suche nach einem Kompromiss und der Gesundheitsfonds139
3.4.2 Gesundheitsfonds und M-RSA als Kernstück des GKV-WSG144
3.4.3 Konvergenzklausel und Zusatzbeitrag: Fallen der eigenen Ideologie149
3.4.4 Ansätze zur Organisationsreform der GKV: Beitragseinzug, Insolvenzfähigkeit von Krankenkassen, Bildung eines Spitzenverbandes152
3.4.5 Der Basistarif in der PKV: Totgeburt oder Trojanisches Pferd?154
3.5 «Weiter so» statt Übergang zu einem integrierten Krankenversicherungssystem: Reformen zur Finanzierung der GKV nach dem GKV-WSG159
3.5.1 «Wildsäue» gegen «Gurkentruppe»: Der Streit in der schwarz-gelben Koalition (2009–2013) um die GKV-Finanzierung160
3.5.2 Neuauflage der Großen Koalition 2013: Senkung des allgemeinen Beitragssatzes und Neugestaltung des Zusatzbeitrages165
3.6 Die Zukunft des dualen Krankenversicherungssystems167
4..Reformen im Leistungsrecht der GKV172
4.1 Leistungsarten der GKV174
4.1.1 Behandlung von Krankheiten176
4.1.2 Leistungen zur Früherkennung und Gesundheitsvorsorge184
4.1.3 Gesundheitsförderung und Prävention185
4.1.4 Leistungen bei Schwanger- und Mutterschaft sowie zur Empfängnisverhütung189
4.2 Leistungsumfang der GKV: Sachleistungen, Zuzahlungen, Kostenerstattung und Wahlleistungen190
4.2.1 Regelungen zur Selbstbeteiligung der Versicherten191
4.2.2 Kostenerstattung und Wahltarife196
4.3 Steuerung der Leistungsqualität200
5..Reformen der Vergütungssysteme für.Ärzte und Krankenhäuser206
5.1 Die Vergütung ärztlicher Leistungen im Spannungsfeld von Gesamtvergütung und Leistungsmenge208
5.1.1 Das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992: Grundlohnorientierte Ausgabenbegrenzung und Einführung von Leistungskomplexen210
5.1.2 Das GMG vom November 2003 und das GKV-WSG vom Juli 2007: Regelleistungsvolumina und Verlagerung des Morbiditätsrisikos auf die GKV217
5.1.3 Perspektiven eines einheitlichen und leistungsgerechten Entgeltsystems225
5.2 Die Vergütung von Krankenhausbehandlung: Der lange Weg zu den DRGs231
5.2.1 Krankenhausneuordnungsgesetz von 1984 und Gesundheitsstrukturgesetz von 1992: Der schrittweise Rückzug vom Selbstkostendeckungsprinzip232
5.2.2 Die Einführung des G-DRG-Systems: Selbstblockade der Selbstverwaltung237
5.2.3 G-DRG – eine Erfolgsgeschichte?243
6..Reformen der Versorgungs­strukturen im Gesundheitswesen246
6.1 Reformen in der ambulanten Versorgung249
6.1.1 Reformen zur vertragsärztlichen Bedarfsplanung249
6.1.2 Einführung neuer Versorgungsformen in der ambulanten Versorgung: Strukturverträge, hausarztzentrierte Versorgung und MVZ257
6.2 Krankenhausstrukturreformen: Dauerbrenner «Monistik» und Zugang der Krankenhäuser zur ambulanten Versorgung266
6.2.1 Die duale Finanzierung der Krankenhäuser266
6.2.2 Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung269
6.3 Ausblick: Neue Versorgungsformen und die Verantwortung der Länder272
7..Die Reformen in der Arzneimittelversorgung276
7.1 Die Arzneimittelversorgung im Kontext von Veränderungsprozessen im deutschen Gesundheitswesen277
7.2 Schüsse aus dem Schrotgewehr – Regulierungsinstrumente der Arzneimittelversorgung280
7.2.1 Gescheiterte Versuche zur Regulierung des Angebots: Positiv- und Negativlisten280
7.2.2 Der Fetisch Selbstbeteiligung – Steuerung des Inanspruchnahmeverhaltens der Versicherten283
7.2.3 Ein erfolgreiches Konzept zur Begrenzung der Erstattungsfähigkeit – Das Festbetragssystem284
7.2.4 Neuland der Regulierung – Preisverhandlungen auf der Basis von Nutzenbewertungen286
7.2.5 Ein zweischneidiges Schwert – Rabatte über Ausschreibungen288
7.2.6 Eine Aufgabe für Sisyphos – die Steuerung des ärztlichen Verordnungsverhaltens289
7.2.7 Im Grenzbereich des Rechts – der Einsatz von Arzneimitteln jenseits des bestimmungsgemäßen Gebrauchs («off label»)290
7.3 Interessenkonflikte und Reformperspektiven291
8..Kurze Geschichte der Pflegeversicherung296
8.1 Das Pflegeversicherungsgesetz vom 26..Mai 1994297
8.2 Weiterentwicklung der Pflegeversicherung in den 2000er-Jahren302
8.3 Die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, zweite Stufe: der «Pflege-Bahr» und die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB XI308
9..Ausblick:
316
Anhang:
322
Literatur352
Abkürzungen/Register/Über die Autoren374
Namensregister378
Sachregister380
Über die Autoren388

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