KAPITEL 1
ES REICHT – EINE BESTANDSAUFNAHME
Der Steuerdschungel scheint auf den ersten Blick undurchdringlich. Welche Kreativität beim Entwickeln neuer Steuern hier der Staat entfaltet, ist erstaunlich. Noch mehr muss man sich wundern, dass dieser Erfindungsreichtum und der stetige Anstieg der dabei vom Bürger insgesamt aufzubringenden Steuerzahlungen nur höchst selten Anlass größerer Revolutionen gewesen sind – sieht man einmal davon ab, dass es Steuern waren, die zum Befreiungskrieg der 13 nordamerikanischen Kolonien gegen das Mutterland Großbritannien geführt haben. Davor und danach kritisierten Fürsprecher der Unabhängigkeit am meisten, dass die britischen Kolonien in Amerika verpflichtet waren, Steuern an die britische Krone zu zahlen, ohne jedoch dort im Parlament mit eigenen gewählten Abgeordneten vertreten zu sein (»no taxation without representation«). Nachdem Großbritannien die Zölle u.a. auf Leder, Papier und Tee in Nordamerika erhöht hatten, kam es zur berühmten Bostoner Tea-Party am 16. Dezember 1773. An diesem Tag stürmten symbolisch als Indianer verkleidete Bostoner Bürger die vor Anker liegenden Handelsschiffe und warfen 342 Kisten Tee der britischen East India Trading Company ins Hafenbecken.
Das war Widerstand der Tat. Seitdem scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass man sich gegen Steuern anders als durch individuell zu führende Einspruchs- und Gerichtsverfahren auch politisch wehren kann. Anders ist es nicht zu erklären, dass selbst der gröbste Unsinn und die extremste Drehung an der Steuerschraube mehr oder weniger achselzuckend hingenommen werden. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten »Steuerduldungsstarre«. Dabei hat er sich dabei offensichtlich von der Biologie inspirieren lassen. Die Duldungsstarre ist ein Zustand vor allem weiblicher Säugetiere während der Begattung durch das Männchen. Dabei verharrt das Weibchen in einer für die Penetration günstigen Stellung, bis der Geschlechtsakt vollzogen ist. Beim Schwein wird die völlige Apathie durch Androsteron, das Duftdrüsensekret des Ebers, ausgelöst. Es bleibt offen, welches Duftdrüsensekret der deutsche Fiskus ausstößt, das den deutschen Bürger dazu bringt, den Akt der Besteuerung passiv hinzunehmen, ohne je auf Besserung zu hoffen oder diese einzufordern. Angesichts dieser heutigen Duldungshaltung erscheint es kaum noch nachvollziehbar, dass Queen Victoria bei Einführung einer Einkommensteuer in Großbritannien um 1850 fürchtete, mit einem vergleichsweise lächerlichen Steuersatz von 3 Prozent die Bürger gegen sich aufzubringen.
Auch heute noch werden in Deutschland Steuern erhoben, die man für eine Erfindung von Kabarettisten halten könnte. Dabei ist die Geschichte absurder Steuern so alt wie die Menschheit. Wenn es darum geht, dem Staat neue Einnahmequellen zu erschließen, kennt der Erfindungsreichtum der Bürokraten keine Grenzen. »Pecunia non olet« – Geld stinkt nicht, entgegnete im 1. Jahrhundert n. Chr. der römische Kaiser Vespasian seinem Sohn Titus, der die frisch eingeführte Latrinensteuer für unanständig hielt. Urin war damals ein begehrter Rohstoff für Gerber, und so standen an vielen Straßen große Amphoren, um die wertvolle Flüssigkeit einzusammeln.
Zum Glück hat die Urinsteuer nicht überlebt. Doch die meisten Steuern haben ein zähes Leben. Auch wenn manche inzwischen schon wieder abgeschafft wurde – wenn auch nicht immer ganz freiwillig: Die einen Steuern haben so wenig eingebracht, dass der Staat unterm Strich draufzahlen musste, bei anderen hat die europäische Gemeinschaft Druck ausgeübt, um Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.
Schauen Sie einmal auf die Tabelle 1: Diese Steuern hat der Staat seit dem Zweiten Weltkrieg abgeschafft. Trotz dieser beachtlichen Liste an aufgehobenen Steuern besteht wahrlich kein Mangel an Abgaben. Neben den großen und allseits bekannten Arten wie der Einkommensteuer (wobei die Lohnsteuer und die Kapitalertragsteuer nur Erhebungsformen der Einkommensteuer sind), der Körperschaftsteuer, der Umsatzsteuer, der Erbschaftsteuer, der Gewerbesteuer und der Grunderwerbsteuer existiert eine erhebliche Anzahl weiterer Steuern, die im Bewusstsein der Öffentlichkeit meistens nur eine untergeordnete Rolle spielen, insgesamt jedoch dem Staat schöne Zusatzeinnahmen garantieren.
Hierzu Tabelle 2: Diese Steuern nehmen Bund und Länder gemeinsam ein und teilen das Aufkommen untereinander (gemeinschaftliche Steuern).
Viel Mühe hat der Staat auf die Rechtsgrundlagen für seine schöpfende oder besser schröpfende Tätigkeit verwendet. Für die Begründung und Erhebung der Steuern in Deutschland sorgen rund
Diese Masse von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen ermöglicht es dem Bund (vgl. Tabelle 3: Diese Steuern erhebt allein der Bund für sich), den Bundesländern (vgl. Tabelle 4: Diese Steuern stehen allein den Ländern zu) und den Gemeinden als der dritten politischen Ebene in der Bundesrepublik (vgl. Tabelle 5: Auch die Gemeinden können für sich Steuern erheben), bei den Bürgern kräftig zuzugreifen – an jedem Ort, an jedem Tag, zu jeder Stunde.
Allein schon die Summe der einzelnen Steuern ist beeindruckend, wenn nicht sogar erschreckend. Ebenso die gewaltige Transferleistung, die hier Jahr für Jahr stattfindet. So fließen derzeit mehr als 600 Milliarden Euro jährlich aus den Taschen der Bürger in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden. Nimmt man dann noch die Sozialabgaben dazu, die im Jahr 2013 insgesamt 538 Milliarden Euro betragen haben, kommt man auf 1.164 Milliarden Euro (ohne EU-Anteile) jährlich, die die öffentliche Hand einnimmt. Dies entspricht 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2.737 Milliarden Euro (2013).
Noch beschäftigen wir uns aber nicht mit der Frage, warum der Staat denn überhaupt so viel Geld von seinen Bürgern braucht – und gleichzeitig nie damit auskommt. Denn vergessen darf man nicht, dass der Staat zusätzlich zu diesen Steuereinnahmen fortlaufend neue Schulden macht. Und das auch ohne Finanzkrise und die Übernahme von Schulden maroder Banken, deren Manager derweil Millionen verdienen – ein eigener bemerkenswerter Skandal und eine besondere Form des Staatsversagens, jedoch nicht Gegenstand dieses Buches. Ganz zu schweigen von der Vergabe der Kredite an europäische Länder, denen es nach der Rettung ihrer Banken selbst schlecht geht. Nein, auch bevor diese Sondereffekte auftraten, hatte der Staat schon eine Gesamtschuld von 1.552 Milliarden Euro aufgehäuft (Stand 31.12.2007). Heute sind es bereits 2.043 Milliarden Euro (Stand 31.12.2013). Dies entspricht einer Schuldenlast von 25.286 Euro pro Kopf der Bevölkerung; 2007 waren es noch 18.871 Euro pro Kopf.
Deutlich soll an dieser Stelle nur werden, wie viel Geld der Staat derzeit jährlich braucht und in Form von Schulden als Last in die Zukunft schiebt. Damit müsste jedem klar werden, dass er von diesem Staat nicht mehr viel wird erwarten können. Schon gar nicht, dass dieser jemals weniger Geld von uns einfordern wird – sondern nur noch immer mehr, wenn wir nicht irgendwann anfangen, dem Einhalt zu gebieten.
Eindeutig zeigen diese Listen auch: Dem Staat geht es dabei nicht um eine gerechte, sondern um eine effiziente Steuererhebung. Lediglich knapp 300 Milliarden Euro werden als Ertragsteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer) erhoben; alles andere sind – von wenigen Verkehrssteuern wie der Grunderwerbsteuer einmal abgesehen – Verbrauchssteuern. Diese haben das Gerechtigkeitsproblem, dass jeder auf seinen Verbrauch die gleiche Steuer zahlt, egal wie arm oder reich er ist. Dabei dürfte es wenig trösten, dass in reichen Haushalten öfter der Schaumweinkorken knallt als in armen Haushalten – schuldet doch auch der Obdachlose immer noch seiner Gemeinde die Hundesteuer für seinen tierischen Bettelgefährten. Bei den Ertragsteuern ist die Hälfte (knapp 150 Milliarden Euro) wiederum Lohnsteuer, die von Gehältern durch den Arbeitgeber gleich einbehalten und abgeführt wird und nur wenig Möglichkeit des Entkommens bietet.
Da muss einen keine Staatsverdrossenheit plagen, sondern nur die Erkenntnis des klaren Blickes: Der Staat nimmt, wo er es nur kriegen kann.
Dies wird an der langen Liste der Bund-, Länder- und Gemeindesteuern besonders deutlich, die genüsslich die »Laster und kleinen Sünden« der Menschen besteuern, also jede Form von Alkohol, Tabak, Kaffee, Wetten sowie überhaupt jede Form des Vergnügens (!) und jede Form weiteren (vermeintlichen) Luxus, also den Hund, das Jagen und Angeln, den Energieverbrauch, die Zweitwohnung. Da der Mensch immer sündigen und immer das Bedürfnis nach ein paar Vergnügungen haben wird, dürfte dem Staat diese Bemessungsgrundlage nie ausgehen.
Und schon greift ein zweites Urgesetz: Eine einmal eingeführte Steuer bleibt...