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E-Book

Georg Friedrich Händel

AutorMichael Heinemann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644401990
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Die Liebe Georg Friedrich Händels (1685-1759) gehörte der Oper, bevor er zum populären Klassiker des Oratoriums wurde. In beiden Gattungen blieb er einem Stil treu, den er in Italien gelernt hatte und nach 1712 in England nicht mehr prinzipiell veränderte. Die große Geste des Musiktheaters prägte auch sein Leben: Sein Auftreten war grandios, sein Scheitern nicht minder. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Michael Heinemann, geboren 1959 in Bergisch Gladbach. Studium von Kirchenmusik, Musikpädagogik und Orgel in Köln, von Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Köln, Bonn und Berlin. Dr. phil. 1991, Habilitation 1997. Seit 2000 Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik «Carl Maria von Weber» Dresden. Zahlreiche Bücher und Editionen zur Musikgeschichte des 16.-20. Jahrhunderts, mehr als 100 Aufsätze in Sammelbänden und Fachzeitschriften. Lebt in Radebeul. Für die Reihe rowohlts monographien schrieb er die Bände «Heinrich Schütz» (1994, rm 50490) und «Georg Friedrich Händel» (2004, rm 50648).

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Leseprobe

Händel aus Halle


Die Mutter aus protestantischem Pfarrhaus, der Vater Arzt: Es ist ein gediegener bürgerlicher Wohlstand, in dem Georg Friedrich Händel aufwächst und von dem sein Geburtshaus, als Gedenkstätte erhalten, noch heute eine Vorstellung vermittelt. Das weitläufige, repräsentative Haus «Zum gelben Hirsch», im Hofbeamtenviertel der sächsischen Nebenresidenz Halle gelegen, hatte Georg Händel 1666 erworben, nachdem er, bereits seit zwei Jahrzehnten als Chirurg im nahen Giebichenstein praktizierend, einige Jahre vorher zum «Fürstl. Sächs. Magdeburg. Geheimen Cammerdiener und Leib Chirurgo» ernannt worden war. Herzog August von Sachsen wollte seinen Leibarzt in der Nähe wissen.

Der vorteilhaften Entwicklung im Beruf entsprach zunächst auch die private. 1622 geboren, hatte Georg Händel 1643 eine Familie gegründet, und angesichts der Umstände jener Zeit konnte es als glückliche Fügung verstanden werden, dass nur eines ihrer sechs Kinder die frühen Jahre nicht überlebte. Erst die Pest, die im Winterhalbjahr 1681/82 in Halle grassierte, brachte größeres Unglück auch der Familie Händel. Doch scheint der Tod der ersten Ehefrau Anna und des ältesten Sohnes den Lebensmut des nunmehr bereits sechzigjährigen Georg Händel kaum getrübt zu haben: 1683 heiratete er Dorothea Taust, die Tochter des Giebichensteiner Pfarrers, und am 24. Februar 1685 wurde das erste Kind aus der Ehe mit der fast dreißig Jahre jüngeren Frau auf den Namen Georg Friedrich getauft. Ihm sollten 1687 und 1690 zwei Schwestern folgen, bei deren Taufe die Landesfürstinnen Pate standen – ein weiteres Zeichen der Wertschätzung, die der Arzt in höfischen Kreisen genoss.

Auch Carl, der jüngste Sohn Georg Händels aus erster Ehe, hatte den Arztberuf ergriffen und lebte als «Leibchirurgus» des Herzogs Johann Adolph I. von Sachsen-Weißenfels in der kaum 30 Kilometer von Halle entfernten kursächsischen Sekundogenitur. Doch auch dieser Fürst wollte sich der Dienste des Vaters als eines weithin gerühmten Mediziners versichern und ernannte Georg Händel 1688 zum Geheimen Kammerdiener, mit der Verpflichtung, «wenigstens aller Acht wochen einmal sich alhier einzufinden» und darüber hinaus auch bei Notfällen bereitzustehen. Dass Georg Friedrich Händel seinen Vater mindestens auf einer dieser Reisen nach Weißenfels begleitete, ist nur deshalb der Erwähnung wert, weil es der Herzog war, der auf das musikalische Talent des Jungen aufmerksam wurde: «Es begab sich, da der kleine Händel nach geendigtem Gottesdienst sich zum Ausgange auf der Orgel hören ließ, daß der Herzog eben in der Kirche zugegen war. Die Art zu spielen erweckte seine Aufmerksamkeit dergestalt, daß er bei der Wiederkehr aus der Kapelle seinen Kammerdiener [Carl Händel] frug, wer es gewesen, der sich auf der Orgel so wohl gehalten hätte, und erhielt zur Antwort, sein Bruder habe solches getan. Hierauf ließ ihn der Herzog rufen. Er erschien. Und nachdem Ihro Durchl. sich bei ihm nach allem erkundiget, was ein Herr, der Verstand und Geschmack besitzet, natürlicherweise erfordern kann, sagten sie zum Vater, es müsse zwar ein jeder am besten wissen, wozu er seine Kinder anführen wolle, allein meines Erachtens, fuhr der Herr fort, wäre es eine Sünde wider das gemeine Beste und die Nachkommen, wenn man die Welt eines solchen anwachsenden Geistes gleich in der Jugend beraubte.» Gewiss entspricht in diesem Bericht nicht alles den Fakten, sondern mag moralisierende Ausschmückung des Theologen John Mainwaring sein, der als erster Biograph Georg Friedrich Händels gelten kann; doch kommt dessen Mitteilungen umso größere Authentizität zu, als sie nur ein Jahr nach dem Tod Händels veröffentlicht wurden, in vielen Details auch die unmittelbare Begegnung mit dem Komponisten verraten und zudem eine zweite Legitimation erfuhren, indem Johann Mattheson sogleich eine deutsche Übersetzung dieser «Memoirs of the Life of the late G.F. Handel» vorlegte. Mattheson pflegte nicht an Kritik und Korrekturen zu sparen, wenn ihm eine Darstellung nicht den Tatsachen zu entsprechen schien, und für die Biographie Händels kann zumal er als Gewährsmann gelten: kannten sich beide doch spätestens seit 1703. Wenngleich die Beziehungen beider nicht immer frei von Rivalitäten waren, so hätte Mattheson doch keine fehlerhafte Darstellung von Leben und Verdiensten eines Kollegen geduldet, der zuzeiten auch ein enger Freund war. Mithin kommt seinen Berichten wie der kleinen Biographie Mainwarings hoher Quellenwert zu, insbesondere auch bei den Bemerkungen zum Charakter Georg Friedrich Händels.

Dass ein gesellschaftlich arrivierter Vater die künstlerischen Neigungen seines Sohnes nur bedingt fördert, dieser seinerseits aber mit einer gewissen Hartnäckigkeit seine Wünsche verfolgt, entspricht indes zu sehr Topoi der Musikerbiographik, als dass es für Händels Persönlichkeit bezeichnend wäre. Die Anekdote, dass sich der junge Händel heimlich ein Clavichord beschafft habe, auf dem er nächtens übte, findet sich mit nur geringen Varianten auch für Johann Sebastian Bach (und ganz ähnlich glaubhaft überliefert). Widerstände der Umwelt und Vorbehalte der Verwandtschaft überwinden zu müssen scheint zu jenen Verdiensten zu gehören, derer sich ein Musiker von Rang im 18. Jahrhundert glaubte rühmen zu sollen. Festzuhalten bleibt, dass Händels frühe musikalische Neigungen von den Eltern keineswegs gefördert wurden und er auf sich gestellt war, wenn es galt, neue Erfahrungen auf dem Gebiet der Musik zu sammeln.

Dazu bot Weißenfels vielerlei Gelegenheiten, denn das Schloss Neuaugustusburg war zu einem Zentrum des deutschsprachigen Musiktheaters und der Literatur geworden, an dem mit Johann Philipp Krieger als Leiter der Hofkapelle und Johann Beer als Konzertmeister (nachmals auch Bibliothekar) innovationsfreudige Musiker tätig waren. Vom Reichtum des Repertoires, das in Weißenfels unter Krieger gepflegt wurde, zeugt nicht nur ein jahrzehntelang geführtes Verzeichnis der dort aufgeführten geistlichen Werke, sondern auch das Œuvre des Kapellmeisters selbst, das mit einem Bestand von etwa nachweisbaren 2000 Kantaten, Kammermusik und zahlreichen Opern kaum überschaubar ist. Auch Johann Beers Bedeutung als Musiker kann nach dem Verlust großer Teile des Weißenfelser Bestandes durch einen Brand des Schlosses 1735 nur schwer ermessen werden. Unzweifelhaft aber ist sein Rang als Romancier wie als Musiktheoretiker, der in seinen mitunter stark polemisch getönten Schriften nicht nur das zeitgenössische Musikleben harsch kritisiert. Vielmehr wird er mit seinem kritischen Ansatz, «diskursiv» und nicht mehr «definitiv» schreiben zu wollen, zu einem ersten Vertreter aufklärerischen Denkens im musikalischen Schrifttum, auf den Johann Mattheson noch ein Vierteljahrhundert später gerne Bezug nehmen sollte. Den eigenen Standpunkt zu reflektieren, die Kategorie des «Geschmacks» als Instanz der Beurteilung von Kunstwerken zu konzedieren und zu entwickeln, also die subjektive Haltung des Hörers aufzuwerten, bezeichnen Positionen Beers, mit denen er zentrale Gedanken der Ästhetik des 18. Jahrhunderts vorwegnahm.

Gewiss wird man sich den jungen Händel nicht im Dialog mit den leitenden Musikern dieser künstlerisch ambitionierten Residenz vorstellen dürfen. Doch die Eindrücke, die er hier gewinnen konnte, waren andere, als sie sich Kapellknaben oder Kurrendanern einer protestantischen Kleinstadt in Mitteldeutschland üblicherweise vermittelten. Auch die Lehre Friedrich Wilhelm Zachows, der als Kantor an der Hallenser Marktkirche die erste Adresse für den musikalischen Unterricht des neun- und zehnjährigen Händel war, wird sich nicht allein auf eine Tradierung von Handwerksregeln beschränkt haben. So eng war Zachows Blick keineswegs. Vielmehr besaß er eine – so Mainwaring – «ansehnliche Sammlung italienischer und deutscher Musikalien» und zeigte seinem Schüler die unterschiedlichsten Schreibarten und Stile. Lernen verstand sich als Kopieren, und auch Georg Friedrich Händel legte einen umfangreichen Band mit Abschriften an, die eine Ahnung von der Vielseitigkeit des in jenen Jahren Gehörten geben: Die Namen von Froberger und Kerll stehen für die seinerzeit aktuellsten Trends des Komponierens für Tasteninstrumente, und dass neben den Kopien von Stücken Kriegers und Zachows auch erste eigene Werke Händels entstanden, ist anzunehmen.

Zachau besaß eine ansehnliche Sammlung italienischer und deutscher Musikalien. Er zeigte dem Händel die mannigfältige Schreib- und Setzarten verschiedener Völker, nebst eines jeden besondern Verfassers Vorzügen und Mängeln. Und damit er auch ebenso wohl in der Ausübung als in der Beschaulichkeit zunehmen mögte, schrieb er ihm öfters gewisse Aufgaben vor, solche auszuarbeiten, ließ ihn oft rare Sachen abschreiben, damit er ihresgleichen nicht nur spielen, sondern auch setzen lernete.

Mainwaring: Händel, S. 16f.

Mehr noch als die Grundlagen des strengen Satzes und ein repräsentatives Repertoire neuer Musik dürfte Händel bei seinen Aufenthalten am Weißenfelser Hof wie auch in der Schule Zachows eine freie, selbstbewusste künstlerische Haltung kennengelernt haben. Ganz im Gegensatz zu jener kleinmütigen Kantorentradition, die in weltlicher Musik zumal italienischer Provenienz einen Verfall von Kultur und Moral sah, galten auch Zachow die gestalterischen Vorgaben höfischen Musiktheaters als Anregung und Orientierung. So spiegeln seine etwa siebzig nachweisbaren Kantaten gattungsgeschichtlich den Übergang vom geistlichen Konzert auf der Basis des Bibelworts zur madrigalischen Dichtung opernhaften Zuschnitts – sich dem Neuen zu verschließen stand Zachow nicht...

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