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E-Book

Iris von Roten

Eine Frau kommt zu früh - noch immer?

AutorAnne-Sophie Keller, Yvonne-Denise Köchli
VerlagXanthippe Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783905795561
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Eine Frau kommt zu früh - noch immer? ist eine Hommage anlässlich des 100. Geburtstags von Iris von Roten (1917 - 1990) und gleichzeitig ein Plädoyer für einen tatkräftigen Feminismus, der sich wieder vermehrt einmischt. Anne-Sophie Keller zeigt anhand zahlreicher Beispiele auf, wo Iris von Rotens Forderungen noch unerfüllt sind, und unterstreicht damit die grosse Aktualität, die die feministische Vordenkerin Iris von Roten auch für die jungen Frauen im 21. Jahrhundert noch immer hat. Yvonne-Denise Köchli hat ihre Biografie Eine Frau kommt zu früh von 1992 überarbeitet und mit einer Zeittafel versehen, die darlegt, wie weit die Rezeptionsgeschichte inzwischen gediehen ist. Als Iris von Roten 1958 ihr Werk Frauen im Laufgitter publizierte, wurde sie zur meistgehassten Frau der Schweiz. In ihrem umfassenden Buch schilderte die Basler Anwältin und Journalistin die damalige Stellung der Frau ungewohnt offen, pointiert und schonungslos. Sie forderte die Gleichstellung der Frau in allen Bereichen und war damit ihrer Zeit weit voraus. In den knapp 60 Jahren seit der Veröffentlichung ist viel passiert. Mit dem Eidg. Frauenstimm- und wahlrecht (1971), mit dem Gleichstellungsartikel in der Verfassung (1981) und mit dem Gleichstellungsgesetz (1996) ist die Frau dem Mann in der Schweiz formell gleichgestellt. Die Mutterschaftsversicherung (2005), das aktuelle Eherecht (1988) und die Fristenregelung (2002) ermöglichen ihr beruflich wie privat ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von ihrer Lebenssituation. Und mit der Pille kam in den Sechzigerjahren auch die sexuelle Selbstbestimmung, die Iris von Roten so schmerzlich vermisste. Doch bei genauer Betrachtung wird klar: Die wahre Gleichstellung ist noch nicht erreicht. In der Schweiz arbeitende Frauen verdienen für gleiche Arbeit immer noch nicht gleich viel Geld wie ihre Kollegen, patriarchale Strukturen versperren ihnen den Zugang zu Kaderpositionen, von Armut und insbesondere von Altersarmut sind sie häufiger betroffen. Nach wie vor übernehmen Frauen einen Grossteil der unbezahlten Arbeit. Der Spagat zwischen Beruf und Mutterschaft gelingt viel zu wenigen. Und auf politischer Ebene bleiben sie markant untervertreten; fast in allen Gremien sind die Zahlen derzeit rückläufig. Diskriminierung erlebt Frau am eigenen Körper: Subtiler und auch offensichtlicher Sexismus geschieht täglich, weibliche Sexualität wird tabuisiert, und sogar die hart erkämpfte Fristenregelung musste vor sieben Jahren (2010) erneut verteidigt werden.

Anne-Sophie Keller (*1989) ist in Bern geboren und in Thun aufgewachsen. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Zürich. Bis 2014 schrieb sie für den "20 Minuten"- Medienverbund in den Bereichen Pop- und Jugendkultur. Nach längeren Schreibaufenthalten in Paris und im Burgund war sie zwei Jahre im Reportage-Ressort des "Migros-Magazins" tätig. Gleichzeitig veröffentlichte sie ihre Texte bei Publikationen wie "Die Zeit" und dem Online-Magazin "Vice". Anne-Sophie Keller engagiert sich für die Gleichstellung der Geschlechter, ist Mitinitiantin des Schweizer Aufschreis und Teil des Kollektivs aktivistin.ch, das feministischen Anliegen mit medienwirksamen Aktionen Aufmerksamkeit verschafft. Seit 2015 ist sie regelmässig Gast auf Podien zu feministischen Fragen - etwa bei Terre des Femmes oder dem Literaturhaus Basel. Seit dem Abschluss ihres Journalismus-Studiums Anfang 2017 ist sie als freischaffende Kolumnistin, Autorin und Bloggerin tätig. Yvonne-Denise Köchli Sie ist die Verlegerin des Xanthippe Verlags.

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Leseprobe

2. «Wie es den Frauen in der Liebe und ihrem Drum und Dran ergeht»

Warum die weibliche Sexualität noch immer tabuisiert wird und Verhütung ein männerdiktiertes Thema bleibt, wie aus dem weiblichen Körper Kapital geschlagen wird und Pornos unser Sexualverhalten beeinflussen.

Die Frau als Objekt

Im Kindergarten hängen die Mädchen ihre rosaroten Mäntelchen an die dafür vorgesehenen Haken. Ihre Haare sind zu kunstvollen Zöpfchen geflochten oder zu einem wuscheligen Bob gefönt, versehen mit verspieltem Haarschmuck, vorzugsweise in Pastelltönen. «Nicht so laut, Sonja», mahnt eine Mutter. Und ein Vater verabschiedet sein Töchterchen mit: «Schau nicht so ernst, Schätzchen, bitte lächeln!»

Die Botschaft für die kleinen Mädchen ist eindeutig: Zurückhaltung, Lächeln und Hübschsein sind Kardinaltugenden für weibliche Wesen. Während bei Buben das Draufgängerische gern gesehen und als Zeichen für ihre Durchsetzungsfähigkeit gewertet wird, gelten Mädchen, die sich durchsetzen, schnell einmal als zickig und forsch. Und ja, die kleinen Mädchen werden schon früh sexualisiert. In der Schweiz sind knappe Bikinioberteile und gepolsterte BHs bereits für Kleinkinder erhältlich. Auf Modeplakaten sind kleine Mädchen geschminkt, als würden sie an einer Schönheitskonkurrenz teilnehmen.

Den Imperativ des ständigen Lächelns, der für die weiblichen Wesen gilt, hat schon Iris von Roten beobachtet: «Sie haben der Männerwelt überdies einen unversiegbaren Springbrunnen erotischen Charmes vorzuplätschern. Das Mittel: Lächeln, unversiegbares Lächeln. So weit sich die Männerherrschaft erstreckt, leben die Männer im ‹Lande des Lächelns›.»

Aus dem weiblichen Körper wird gnaden- und schamlos Kapital geschlagen: Auf zahlreichen Plakatsujets ist die Frau blosse Dekoration. Das ansonsten progressive Newsportal «watson» warb jüngst mit den nackten Brüsten einer Frau, auf den Plakaten der Swiss Casinos räkeln sich Damen auf dem Pokertisch, und die Convenience-Kette avec zeigt, wie sich Ex-Miss-Schweiz Kerstin Cook an den «genussvollen 17 cm» eines Hotdogs erfreut. Terre des Femmes Schweiz hat auf der Seite sexismus.ch zahlreiche weitere Beispiele gesammelt.

Geradezu absurd wird die Reduzierung auf Äusserlichkeiten, wenn Medien über Politikerinnen und Sportlerinnen berichten. Etwa, wenn es um den ergrauten Haaransatz von Doris Leuthard, das Lächeln der SP-Politikerin Mattea Meyer oder um die blonden Haare von Lara Gut geht. Also um Faktoren, die weder spannend sind noch in irgendeiner Weise relevant für die Tätigkeiten der erwähnten Frauen.

Im Berufsleben ist die Situation nicht besser. Die UBS gibt Bewerberinnen neuerdings Schminktipps und lädt sie zum Cüpli-Event ein, an dem sie lernen, wie sie sich für einen Job bei der Grossbank zu kleiden haben. Neben solch subtileren Beispielen gibt es auch die offensichtlichen: Für Hooters-Kellnerinnen gehören orangefarbene Hotpants und ein tiefer Ausschnitt zur Uniform. Die berühmten «Boxenluder» lassen sich in hautengen Kleidern von Rennfahrern mit Sekt bespritzen. Und mit den Hostessen am Autosalon prallt die Technologie von morgen auf ein Rollenbild von vorgestern.

Ein Spaziergang durch Zürich untermauert den Eindruck, dass Frauen im öffentlichen Raum nur selten handelnde Subjekte sind: Die meisten Statuen wichtiger Persönlichkeiten sind Männerfiguren. Frauenfiguren sind rar, praktisch immer namenlos – und selten bekleidet. So etwa die nackten Damenstatuen beim Zürichhorn, auf dem Sechseläutenplatz, im Arboretum, auf dem Basteiplatz, entlang der Bahnhofstrasse, auf der Landiwiese oder hinter dem Wärterhaus beim Stauffacher.

Im Kulturbereich wird der weibliche Körper seit je kapitalisiert und vermarktet. Bei weiblichen Popstars gilt oft: Je weniger Stoff sie tragen, desto besser die Plattenverkäufe. Der weibliche Körper ist zudem ein gern verwendetes Dekorations-Objekt in Videoclips – auch bei Schweizer Musikern.

Dass Frauen systematisch auf ihr Aussehen reduziert werden, lässt sich in fast jedem Bereich der Gesellschaft beobachten. Wenn Frau also bereits den ganzen Tag zum Objekt fremder Blicke gemacht wurde, ist der vermeintlich harmlose Spruch «Lächle mal!» von einem Fremden abends im Tram nur noch ermüdend. Denn die Botschaft dahinter ist klar: Du hast nett auszusehen – nicht für dich, sondern für mich, für meinen Blick.

Gegen den Druck, ständig perfekt aussehen zu müssen, haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Musikerinnen gewehrt. Alicia Keys hat sich dazu entschieden, sich nicht mehr zu schminken – weder für ihre Auftritte noch für Shootings. Colbie Caillat zeigt in ihrem Videoclip zum Lied «Try», wie sie sich abschminkt und wie sie ohne Photoshop wirklich aussieht. Adele liess sich derweil für das Cover des Musikmagazins «Rolling Stone» ohne Make-up ablichten. Der Ungeschminkt-Trend ist so neu aber nicht: Hierzulande zeigte die «Schweizer Illustrierte» bereits 2014 alle damaligen Miss-Schweiz-Kandidatinnen in natura.

Auf den roten Teppichen macht seit 2015 die Kampagne #AskHerMore die Runde. «Frag sie mehr» bezieht sich auf den Umstand, dass weibliche Hollywood-Stars meist danach gefragt werden, welche Designer-Robe sie gerade tragen. Ihren männlichen Kollegen hingegen werden Fragen zu ihren neusten Filmen gestellt.

Fluch und Segen der Pille

Eine besonders grosse Tragweite erhält die Diskriminierung, wenn es um die reproduktive Selbstbestimmung geht: Unser Verhütungsstandard sieht vor, dass sich bereits junge Frauen monatlich mit Hormonen vollpumpen. Doch die Pille verändert den Körper einer Frau massgeblich; die Liste der Nebenwirkungen ist lang. Gängig sind: Gewichtszunahme, Migräneanfälle, Zwischenblutungen, verstärkter Ausfluss, Spannungen in den Brüsten und eine hohe Anfälligkeit für Scheidenpilze.

Doch auch Depressionen, Thrombosen, Leberschäden, Lungenarterienembolien oder gar Fälle von Gelbsucht sind bekannt. Zudem erhöht die Einnahme der Pille die Risiken für Gebärmutterhals- und Brustkrebs. Bei manchen Frauen setzt eine sogenannte Post-Pillen-Sterilität ein: Nach mehrjähriger Einnahme und anschliessendem Absetzen der Pille können sie nicht mehr schwanger werden. Auch das Risiko von Fehlgeburten ist erhöht.

In der Schweiz machte der Fall um eine junge Schaffhauserin Schlagzeilen. Céline P. erhielt 2008 die Antibabypille Yasmin verschrieben – über mögliche Nebenwirkungen wurde sie nicht informiert. Am 20. März 2008 brach sie im Bad zusammen. Der Grund: eine Lungenembolie. Durch den Sauerstoffmangel im Hirn wurde die junge Frau zum Pflegefall. Sie kann bis heute weder gehen noch sprechen. Die Familie verklagte den Pharmamulti Bayer auf 5,3 Millionen Franken Schadenersatz sowie 400 000 Franken Genugtuung. Doch die Klage wurde abgewiesen: «Dem Pharmaunternehmen kann in Bezug auf eine Produktehaftpflicht nicht vorgeworfen werden, in der Patienteninformation mangelhaft über die Risiken von ‹Yasmin› informiert zu haben», schreibt das Bundesgericht in seinem Urteil.

In Deutschland klagte Felicitas R., die fast an einer Lungenembolie gestorben wäre, als eine der ersten Deutschen gegen Bayer. Weitere Klagen wurden in den USA, in Frankreich und in Kanada eingereicht. Laut «spiegel.de» machte Bayer 2014 allein mit Yasmin einen weltweiten Umsatz von 768 Millionen Euro. Auf der anderen Seite dieser Rechnung stehen Hunderte von pillenbedingten Krankheitsfällen – einige von ihnen endeten tödlich.

Es wird zu selten und zu wenig über die Nebenwirkungen der Pille berichtet. Auch Gynäkologinnen und Gynäkologen informieren oft nicht ausreichend. Viele Frauen leiden beispielsweise nach Einnahme der Pille unter einem geschwächten Lustempfinden. Eine Studie der Universität Kopenhagen (2016) stellte zudem einen bedeutenden Zusammenhang zwischen der Pille und Depressionen fest. Untersucht wurden die Krankenakten von einer Million Mädchen und Frauen. Frauen, die die Pille aus Östrogen und Gestagen einnahmen, waren zu 23 Prozent häufiger wegen Depressionen in Behandlung.

Laut Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut, verhüten rund 100 000 Frauen in der Schweiz mit Yasmin. Viele Frauen entscheiden sich jedoch zunehmend gegen die hormonelle Verhütung. Dies bestätigen Zahlen des Schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse sowie des Verbands der forschenden pharmazeutischen Firmen in der Schweiz Interpharma. Man spricht von einer «Pillenmüdigkeit». Auf einen Facebook-Post der Schreibenden zu diesem Thema meldeten sich prompt zahlreiche Frauen mit ihren Erfahrungsberichten. Hier eine Auswahl:

Anne-Careen Stoltze (39): «Ich habe seit ich 16 war die Pille genommen und bekam mit 23 einen gutartigen Tumor in der Brust. Als Ursache nannte mir die Chirurgin die Pille. Ich habe seitdem mit der Kupferspirale...

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