Wie ich meine
Opferhaltung erkannte
und aufgeben konnte
Wer glaubt, dass einem im Leben etwas geschehen könne, ohne dass man selbst etwas dazu beigetragen hat, lebt in einer Opferhaltung. Opfer empfinden das Leben zumeist als ungerecht. Sie haben ihre Macht und ihre Verantwortung abgegeben und sind sich ihrer Schöpferkraft nicht mehr bewusst. Ich kenne diese Opferhaltung sehr gut aus meinem eigenen Leben. In der Vergangenheit erlebte ich viele Situationen, in denen ich mich vollkommen als Opfer der jeweiligen Umstände empfand, und ich suchte überall die Ursache dafür, außer in mir selbst.
In diesem Kapitel möchte ich dich teilhaben lassen an meinem Weg heraus aus dieser Opferhaltung. Vielleicht hilft es dir, zu sehen, dass auch ich nicht als »Spiegelmeisterin« vom Himmel gefallen bin, sondern den harten Weg der Selbsterkenntnis gehen musste.
Im Alter von 24 Jahren wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert. Mit dieser Erkrankung änderte sich eine Menge in meinem Leben. Zum einen gab es den finanziellen Aspekt. Zur Zeit meiner Erkrankung war ich als Arzthelferin in einer gynäkologischen Praxis tätig und von meinem Gehalt finanziell abhängig. Aufgrund der Diagnose war ich jedoch für meinen damaligen Chef wirtschaftlich nicht mehr tragbar und wurde fristlos entlassen. Die Entlassung kam damals für mich sehr überraschend, denn noch am Vorabend hatte mich mein Chef im Krankenhaus besucht. Und auf meine Frage »Wie regeln wir das mit der Bestrahlung und den Arbeitszeiten?« hat mein Chef geantwortet: »Thea, machen Sie sich keine Gedanken, erholen Sie sich erst einmal, alles Weitere klären wir später.« Seine Klärung war die fristlose Kündigung, die zum Zeitpunkt des Gesprächs schon in meinem Briefkasten lag, denn einen Tag später brachte sie mir meine Freundin ins Krankenhaus mit. Ich weiß nicht mehr, was mich damals mehr enttäuschte: die Kündigung selbst oder die Art, wie sie mich erreichte.
»Darauf, wie mein Chef sich verhält, habe ich keinen Einfluss. Auch kann ich nichts dafür, dass ich an Krebs erkrankt bin.« So dachte ich damals. »Ein anderer oder etwas anderes ist schuld. Die Familiengene sind schuld daran, dass ich an Krebs erkrankt bin. Der Chef ist schuld daran, dass ich jetzt arbeitslos bin.«
Da die gesetzliche Krankenkasse erst nach sechs Wochen Kranksein Krankengeld zahlte und vorher der Arbeitgeber dafür zuständig gewesen wäre, musste ich die fristlose Kündigung in eine fristgerechte Kündigung umwandeln lassen. Ich versuchte, »im Guten« mit meinem Chef zu sprechen, und bat ihn um die Umwandlung der Kündigung. Ich bat ihn sogar darum, den Job behalten zu dürfen. Seine Antwort war: »Thea, Sie wissen, mit Ihrer Diagnose muss ich Sie nach Hause schicken, wenn Sie zum Beispiel Fieber haben. Eine gesunde Arzthelferin kann auch mit Fieber arbeiten. Sie wissen selbst, wie das mit Krebs ist: Erst wenn man fünf Jahre überlebt hat, kann man von Heilung sprechen.« Dann zählte er mir ein paar Krebspatienten auf, die damals bei ihm in ärztlicher Behandlung waren: »Thea, kennen Sie Frau X noch? Sie hat jetzt nach drei Jahren schon wieder etwas. Und Frau Y auch, die schafft es wohl nicht. Bei Frau Z sieht es ebenfalls schlecht aus. Und, Thea, ich weiß nicht, ob Sie es schaffen werden.«
Somit war das Thema »Job behalten« vom Tisch. Die Umwandlung der Kündigung in eine fristgerechte war für ihn auch nicht machbar. Ich weiß bis heute nicht, ob er einfach große Angst um sein Geld hatte oder ob es andere Gründe für sein Handeln gab.
Nach dem Gespräch war ich ziemlich kraftlos und hätte in meiner Opferhaltung auf alles verzichtet, aber meine Freunde ließen das nicht zu und motivierten und unterstützten mich. So kam mein Fall vor das Arbeitsgericht, und mein damaliger Chef musste in der Folge meine fristlose Kündigung in eine fristgerechte umwandeln und somit weitere 6 Wochen mein Gehalt zahlen. Die fristgerechte Kündigung im Krankheitsfalle war rechtens, denn es handelte sich um einen Betrieb mit weniger als 6 Mitarbeitern.
Ich könnte »ewig« in dieser Weise weiterschreiben, denn ich habe etliche Opfergeschichten aus meinem Leben auf Lager. Nicht nur im Arbeitsbereich und in Sachen Gesundheit hatte ich meine Probleme. Auch in Liebesbeziehungen sowie im Freundes- und Bekanntenkreis gab es jede Menge Umstände und Menschen, mit denen ich nicht einverstanden war. Ich kritisierte, bewertete, verurteilte, beneidete usw. Ich erlebte insgesamt viele negative Emotionen, die ich nicht haben wollte. Ich fühlte mich dadurch oft unfrei und hilflos. Die meiste Zeit über war ich damit beschäftigt, mich und andere (jedoch nie die Betreffenden direkt) zu fragen, warum die anderen so waren, wie sie waren, und warum sie so handelten, wie sie handelten.
Das Mitleid anderer Opfer war mir sicher. Wir konnten stundenlang zusammen über die anderen schimpfen und uns in unser Unglück hineinsteigern: »Wie ungerecht ist doch die Welt!« Dadurch veränderte sich natürlich nichts zum Besseren! Als ich dann irgendwann von meinem Leid und vom Jammern wirklich genug hatte, fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft: »Warum ist das eigentlich so? Wie funktioniert die Welt? Was macht krank, was heilt, was erschafft Lebenssituationen?«
»Und wenn der Schüler bereit ist, dann ist auch der Meister nicht fern«, lautet ein altes Zen-Wort, und so war es auch bei mir. Ich traf eine sehr weise Frau, und in einem Gespräch zur Klärung meiner Lebensprobleme sagte sie mir unter anderem Folgendes:
»Du brauchst keinen Trost, sondern eine Veränderung deines Seins! Die meisten Menschen leiden unter einem unwirklichen Selbst und sind bereit, das Unglück auf jeden abzuwälzen, der sich gerade in der Nähe befindet. Das ist nicht der richtige Weg, deine Lage zu verändern.
Du kannst dir nur von innen begegnen. Du kannst andere Menschen nicht kennen. Du kannst einen Teil von dir in ihnen wahrnehmen, mehr nicht! Wenn du also jemanden als egoistisch bezeichnest, dann danke ihm auf der Stelle, denn er hat dir geholfen, dein eigenes Ego zu sehen. Menschen spiegeln sich dir, aber nur, damit du dich finden kannst. Sei du selbst!
Das ist alles, was du brauchst, um dich glücklich und erfüllt zu fühlen. Lebe spontan und unbeständig. Lebe gefährlich, lebe ohne Angst vor der sogenannten Hölle und ohne Gier nach dem sogenannten Himmel, lebe einfach. Gehe den Prozess des Zeugeseins. Die Reise zur Zufriedenheit fängt immer bei dir und deinem eigenen Ego an. Und wenn du deinen inneren Spiegel gefunden hast, können Wunder geschehen.«
Damals, 1988, konnte ich noch nicht viel mit dem Gesagten anfangen, denn ich verstand gar nicht, was die weise Frau mir sagen wollte.
Außerdem zeigte sie gar kein Mitleid mit mir. Schlimmer noch, ihre Worte klangen so, als ob ich mir meine Situation selbst erschaffen hätte! »Du brauchst keinen Trost …«
Wollte ich das als Opfer hören? Nein. Da waren mir die Menschen viel lieber, die mir nach dem Mund redeten und ein bisschen Mitleid mit mir hatten. Ich erlebte also weiterhin ähnliche Lebenssituationen wie schon in all den Jahren zuvor. Die gleichen Konflikte, die gleichen Themen, lediglich die Menschen waren andere. Ich beachtete immer noch überwiegend die Aktionen der anderen, anstatt meine Reaktionen auf ihre Aktionen zu überprüfen.
Aber wir müssen nicht immer alles sofort verstehen, Gott sei Dank. Das Universum gibt uns nicht auf, unser eigenes höheres Selbst kennt den Weg, und so kommen immer wieder neue Zeichen in unser Leben. Ein Zeichen war für mich ein Satz in dem Buch »Gespräche mit Gott« von Neale Donald Walsch. Dort heißt es: »Dein Heilsein ist nicht abhängig von der Aktion des anderen, sondern von deiner Reaktion auf seine Aktion.«
Endlich verstand ich, dass ich mich bloß um meine eigenen Reaktionen zu kümmern brauchte. Ich begriff das erste Mal, was die weise Frau mir damals mit den Worten »Gehe den Prozess des Zeugeseins« sagen wollte. Somit begann ich, mich und meine Reaktionen zu beobachten, und irgendwann stellte ich fest: »Wohin ich auch schaue, ich sehe immer nur mich selbst.«
Auch verstand ich die Worte »Du kannst dir nur von innen begegnen. Du kannst andere Menschen nicht kennen. Du kannst einen Teil von dir in ihnen wahrnehmen, mehr nicht! Wenn du also jemanden als egoistisch bezeichnest, dann danke ihm auf der Stelle, denn er hat dir geholfen, dein eigenes Ego zu sehen. Menschen spiegeln sich dir, aber nur, damit du dich finden kannst.«
Sie sprach vom Gesetz der Spiegelung. Die von ihr beschriebene Gesetzmäßigkeit ist eines der vielen universellen Gesetze, denen wir Menschen aus spiritueller Sicht auf dieser Erde unterliegen. Das Spiegelgesetz besagt, dass alles, was man sieht und erlebt, mit einem selbst zu tun hat, mehr noch, dass man alles selbst erschafft. Wie hat man es erschaffen? Hier greifen mehrere Gesetzmäßigkeiten ineinander. Den Zusammenhang werde ich zum besseren Verständnis im nächsten Kapitel »Über das Gesetz der Spiegelung« ausführlich erklären.
Auf jeden Fall...