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E-Book

Expeditionen eines englischen Gentleman

AutorEvelyn Waugh
VerlagDiogenes
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783257608816
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Krönung von Haile Selassie zog 1930 ein schillerndes Publikum nach Addis Abeba. Mitten unter ihnen: ?Times?-Sonderkorrespondent Evelyn Waugh. Es ist ein Anlass wie geschaffen für die satirische Feder des Eng­länders. Er mokiert sich über europäische Diplomaten und liefert das Porträt einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft, die weit weg von zu Hause, in Abessinien, ihre pompösen Feste feiert.

Evelyn Waugh, geboren 1903 in Hampstead, war Maler, Lehrer, Reporter und Kunsttischler, bis er in der Schriftstellerei sein Metier fand und zu einem der wichtigsten englischen Autoren des 20. Jahrhunderts wurde. Im Krieg diente Waugh als Offizier. Waugh, der seit seiner Studienzeit eine Neigung zu dandyhafter Extravaganz pflegte, liebte es, das Publikum durch kontroverse Äußerungen zu provozieren. Er starb 1966 in Taunton, Somerset.

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Leseprobe

{32}II


Tatsächlich muss ich immer wieder an Alice im Wunderland denken, wenn ich nach einer historischen Parallele für die Verhältnisse in Addis Abeba suche. Es gibt noch andere: Israel unter König Saul, das Schottland des Shakespeare’schen Macbeth, die Hohe Pforte, wie sie in den diplomatischen Depeschen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts erscheint, doch nur in Alice findet man jene besondere Atmosphäre einer galvanisierten und verfremdeten Realität, wo Tiere Uhren in den Westentaschen tragen, Majestäten auf dem Krocket-Rasen neben dem Scharfrichter einherschreiten und eine Gerichtsverhandlung damit endet, dass plötzlich ein Kartenspiel durch die Luft segelt. Wie kann man den verrückten Zauber dieser äthiopischen Tage erzählen, lebendig werden lassen?

Zunächst einmal möchte ich ein Bild der Szenerie vermitteln. Addis Abeba ist eine neue Stadt, so neu, dass nichts an ihr wirklich fertig aussieht. Vor vierzig Jahren erwählte Menelik der Große dieses Feldlager im Hochland und nannte den Ort »Neue Blume«. Bis dahin hatte die Regierung je nach Versorgungslage zwischen den alten, von Priestern beherrschten Städten des Nordens gependelt, doch das spirituelle Zentrum war immer Axum, so wie sich die französischen Könige an Reims orientiert hatten. Menelik {33}war der erste König, der mit der Axumer Krönungstradition brach, worunter seinerzeit sogar sein enormes militärisches Prestige litt. Zeitgenössische Autoren sehen in diesem Bruch ein Zeichen von Schwäche. Tatsächlich war dies ein notwendiges Element seiner Politik. Menelik war nicht mehr bloß König der christlichen amharischen Hochlandbewohner, sondern Beherrscher eines großen Reichs, das im Westen die schwarzen heidnischen Shangalla einschloss, im Osten die nomadischen kannibalischen Danakil, im Südosten die von Somaliern bewohnte Ogaden-Wüste und im Süden den großen fruchtbaren Landgürtel, der von den mohammedanischen Galla gehalten wurde.

In Addis Abeba, inmitten seines eigenen Volkes, fand er das neue Zentrum seiner Besitzungen, noch im Hochland gelegen, aber an dessen äußerstem Rand; unmittelbar am Fuß des Hochlands liegt das Gebiet der elenden Guraghi, jenes verachteten Volkes, das Bauarbeiter und Straßenkehrer stellt; Awash ist das Land der Galla. Addis Abeba ist der strategische Ort der Herrschaft über diese auseinanderstrebenden Besitztümer. Lij Iyasu zog eine noch radikalere Veränderung in Betracht. Sein Ziel oder das seiner Berater war es offenbar, das Reich von Harar aus umzugestalten und eine große mohammedanische Macht zu errichten, die im Falle eines Sieges über die großen europäischen Mächte die gesamte somalische Küste einschließen würde – eine über die Maßen ehrgeizige Vorstellung, die auch ohne europäische Intervention scheiterte. Die genauen Umstände seines Endes werden vielleicht nie bekannt werden, ebenso wenig, inwieweit seine Pläne überhaupt klar formuliert waren. Fest steht, dass er mit dem »verrückten Mullah« {34}in Britisch-Somaliland korrespondierte. In seinen letzten Lebensjahren soll er sich vom Christentum abgewendet haben. Die mohammedanische Herkunft seines Vaters verlieh solchen Berichten zusätzliches Gewicht, und als Beweis galt sein (angeblich in Harar aufgenommenes) Porträt, das ihn mit einem Turban zeigt. Nach Ansicht vieler Leute wurde dieses eindeutige Beweisstück jedoch in Addis Abeba von einem armenischen Fotografen fabriziert. Ob diese Einzelheiten stimmen oder nicht, fest steht, dass dieser unselige junge Mann, entgegen vielen Behauptungen, nicht wegen seines aufwendigen Lebensstils stürzte, der ihn seinen einfacheren Untertanen eher sympathisch machte, sondern wegen der Vernachlässigung dessen, was noch auf Jahre hinaus die Stärke des äthiopischen Reichs ausmachen dürf‌te – die christliche Religion und die kämpferischen Qualitäten der amharischen Hochlandbewohner. Lij Iyasu ist seit 1916 nicht mehr gesehen worden. Er soll, teilnahmslos und krankhaft übergewichtig, unter dem Schutz von Ras Kassa in Fiche leben, doch ein Reisender, der unlängst das bekannte Anwesen passierte, berichtete von einem baufälligen Dach und einem völlig zugewucherten Eingang. Die Leute sprechen nicht gern von Lij Iyasu, denn das ganze Land wird von Spitzeln überwacht, aber mehr als nur ein Europäer, dem seine Diener vertrauen, erzählte mir, dass der Name im einfachen Volk noch immer sehr angesehen sei. Lij Iyasu hat mütterlicherseits das wahre Blut Meneliks. Man bezeichnet ihn als korpulenten jungen Mann mit faszinierenden Augen, als überaus großzügig und leichtlebig. Ras Tafaris raffinierte Diplomatie scheint manchem von ihnen weit weniger majestätisch.

{35}In Äthiopien gab es keine Verfassung. Die Thronfolge wurde theoretisch durch Proklamation geregelt, in der Praxis durch Blutvergießen. Menelik hatte keine männlichen und keine legitimen Kinder. Seine Tochter war Lij Iyasus Mutter, und er selbst hatte Lij Iyasu ernannt. Dieser bestimmte keinen Nachfolger, weshalb es keinen eindeutigen Thronerben gab. Seine zweite Tochter, in deren Adern Meneliks Blut floss, herrschte als Kaiserin Zauditu, aber ihre religiösen Pf‌lichten okkupierten sie mehr als die Regierungsgeschäf‌te. Es brauchte einen Herrscher; drei, vier Adelige konnten dank ihrer Herkunft ebenfalls Ansprüche auf das Amt anmelden. Der wichtigste von ihnen war Ras Kassa, der sich aber vor allem religiösen Fragen und der Verwaltung seiner Ländereien widmete und nicht sonderlich interessiert war, größere Verpf‌lichtungen auf sich zu nehmen. Es drohte die Gefahr, dass Meneliks Reich abermals in eine Handvoll kleiner Fürstentümer zerfallen und der Kaiserthron eine Schatteneinrichtung würde. Unter diesen Bedingungen würde die abessinische Unabhängigkeit angesichts des Vordringens europäischer Handelsinteressen kaum Bestand haben. Die Ras waren sich dieser Lage sehr wohl bewusst und erkannten, dass es nur einen Mann gab, der durch Rang, Bildung, Intellekt und Ambition für den Thron geeignet war. Das war Ras Tafari. Also beschlossen sie, ihn zum Negus zu machen. In der breiten Öffentlichkeit, außerhalb seiner eigenen Provinzen, war sein Prestige gering; er zeichnete sich weder durch Blutsverwandtschaft mit Menelik noch durch bemerkenswerte militärische Taten aus. Unter den Fürsten war er primus inter pares, von ihnen dazu ausersehen, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen und zu ihrer Befriedigung durchzuführen.

{36}Aus dieser anfangs prekären Situation baute Tafari in den folgenden Jahren seine Herrschaft allmählich aus und festigte seine Position. Er reiste nach Europa und legte großen Wert darauf, europäische Besucher mit seiner aufgeklärten Haltung zu beeindrucken. Er spielte die Rivalitäten der französischen und italienischen Gesandten gegeneinander aus und sicherte seine Position im Land, indem er das Ansehen Äthiopiens in der Welt stärkte. Er wurde in den Völkerbund aufgenommen, überall identifizierte er sich mit seinem Land, so dass Europa ihn schließlich als selbstverständlichen Herrscher betrachtete.

Gleichwohl musste er um seinen Thron kämpfen. Im Frühjahr 1930 rebellierte ein mächtiger Aristokrat namens Ras Gugsa.4 Er war der Ehemann der Kaiserin. Sie waren geschieden, unterhielten aber freundschaftliche und intime Beziehungen. Tafaris Armee warf den Aufstand nieder, und Gugsa selbst fand in den blutigen Auseinandersetzungen den Tod. Tags darauf starb plötzlich die Kaiserin, und Tafari rief sich, mit Zustimmung der anderen Fürsten, zum Kaiser aus. Als Tag der Krönung wurde der frühestmögliche Termin festgesetzt, bis zu dem alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden konnten. Die Krönungsfeierlichkeiten waren also der letzte Schritt in einer langen, gutgeplanten Strategie. Tafari, der weiterhin an seiner klugen Taktik festhielt – das heimische Publikum mit seinen außenpolitischen Erfolgen zu beeindrucken, das Ausland mit seinen innenpolitischen –, bezweckte mit dieser Zurschaustellung {37}zweierlei. Den europäischen Gästen wollte er vor Augen führen, dass Äthiopien nicht bloß ein Haufen barbarischer Stämme war, die das Ausland ausbeuten konnte, sondern ein mächtiger, organisierter, moderner Staat. Seinen eigenen Landsleuten wollte er zeigen, dass er nicht der oberste Führer eines Dutzends eigenständiger Völker war, sondern ein absoluter Monarch, der von den Monarchien und Regierungen der weiten Welt als gleichberechtigt anerkannt wurde. Und wenn seine einfachen Untertanen nicht mehr zwischen Höf‌lichkeit und Ehrung unterschieden, wenn der Eindruck entstand, dass diese prachtvoll gekleideten Delegierten (die sich ein paar Tage Urlaub von ihren ernsthaften Verpf‌lichtungen nahmen, um an einer ungewöhnlichen Festlichkeit teilzunehmen und vielleicht auch auf die Jagd zu gehen) im Namen ihrer Herrscher erschienen, um äthiopischer Macht und Größe ihre Reverenz zu erweisen – umso besser. Die verstümmelten Gefangenen von Adowa waren noch immer ungerächt. Die irritierend eilfertige Reaktion der zivilisierten Staaten kam dieser Sichtweise entgegen. »Tafari stieg erst dann in unserem Ansehen«, bemerkte der Diener eines Engländers, »als wir erfuhren, dass Ihr König seinen Sohn zur Krönung entsandte«; und niemand wird bezweifeln, dass die anderen Fürsten angesichts des Ansturms der europäischen Diplomatie noch deutlicher erkannten, dass die Führung eines modernen Staates andere Qualitäten erforderte als großen Privatbesitz und eine bis auf Salomon zurückgehende Abstammung. Doch das massenhafte Erscheinen der Europäer stand dem ersten Ziel des Kaisers eher im Wege. Die mitgebrachten Jagdgewehre...

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