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E-Book

Transnationale Philosophie

Hannah Arendt und die Zirkulationen des Politischen

AutorStefania Maffeis
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl542 Seiten
ISBN9783593440033
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Hannah Arendt und ihre Schriften werden seit jeher als unkonventionell wahrgenommen, als disziplinär schwer einzuordnen. Sie haben breite Anerkennung in vielen verschiedenen Ländern erlangt und scheinen sämtliche fach- wie kulturspezifischen Grenzen zu überschreiten. Diese Studie reflektiert die materiellen Bedingungen jener Wahrnehmungen, ihre performativen Funktionen sowie ihre historischen Transformationen, die sie zwischen Deutschland und den USA von den 1940er-Jahren bis heute durchlaufen haben. Im Zentrum der Rekonstruktion stehen Arendts Begriff des Politischen und damit korrelierend sie selbst als öffentliche Figur. Beide Ideen werden als Subjekte und Ergebnisse der Interaktionsverhältnisse zwischen der Akteurin, ihren sozialen und epistemischen Kontexten sowie der Gemeinschaft ihrer Leserinnen und Lesern wie auch Konkurrentinnen und Konkurrenten betrachtet.

Stefania Maffeis, Dr. phil., ist Privatdozentin der Philosophie an der FU Berlin. Sie forscht und lehrt im Bereich der Praktischen Politischen Philosophie.

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Leseprobe
Einleitung 'Globalisierung' ist ein unscharfer Begriff. Er verweist auf den Umstand, dass in unserer Zeit jeder Mensch potenziell mit jedem anderen auf der Welt in Beziehung stehen könnte (und dies vielleicht - auch ohne dessen Absicht oder Wissen - schon längst tut). In seiner am weitesten gefassten Bedeutung steht der Begriff 'Globalisierung' demnach für alle Formen der Überschreitung von territorialen, nationalstaatlichen Grenzen und für die Interdependenz zwischen lokalen und weltweiten Phänomenen. So betrachtet gibt es die Globalisierung schon sehr lange. Denn bereits die Errichtung der europäischen Nationalstaaten oder die Durchsetzung des Kapitalismus als vorherrschende Produktionsweise im 18. und 19. Jahrhundert ist ohne eine intensive Vernetzung der verschiedenen Regionen der Welt kaum vorstellbar. Ohne die Konkurrenzverhältnisse zwischen den einzelnen Staaten, den Imperien und ihren Kolonien, ohne den Austausch zwischen Zonen des Überschusses an Kapital und Zonen des Überschusses an Ressourcen und unbeschäftigter Bevölkerung bei fehlender Industrialisierung wäre die Weltordnung heute eine andere. Auch gab es schon immer Migrationsbewegungen von einzelnen Menschen oder ganzen Zivilisationen auf der Suche nach Schutz, Arbeit und Glück über territoriale Grenzen hinaus. Die Bildung grenzüberschreitender kultureller und gesellschaftlicher Räume kann daher als Konstante des Menschseins gelten. Gleichwohl gibt es den Begriff der Globalisierung nicht schon seit Menschengedenken. In den letzten drei, vier Jahrzehnten hat die weltweite Vernetzung der Menschheit offenbar ein neues Niveau erreicht. Seit der historischen Zäsur 1989, mit der Verbreitung der kapitalistischen Produktionsweise in (fast) allen Ländern sowie der weltweiten Vernetzung und Beschleunigung von Kommunikations- und Produktionsprozessen, wurde jener Zustand erreicht, der heute mit 'Globalisierung' im engeren Sinn gemeint ist. Es handelt sich um eine neuartige Qualität des Zusammenhangs zwischen ökonomischen, rechtlichen und gesellschaftspolitischen Instanzen, die die Beziehungen zwischen den Nationalstaaten sowie zwischen den einzelnen Bürger*innen und der Staatengemeinschaft regulieren. Ihre Legitimation beziehen diese Instanzen nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene, und ihre Souveränität bleibt für die einzelnen Länder und ihre Regierungen unantastbar. In der Folge ist in den letzten Jahrzehnten auch die Organisation, Regulierung und Bedeutung von globalen Ordnungen der Politik, der Ökonomie, des Rechtswesens und der Kultur ins Zentrum zahlreicher Studien zur Globalisierung aus unterschiedlichen Disziplinen der Gesellschaftswissenschaften gerückt. Kann aber auch von einer Globalisierung der Philosophie gesprochen werden? Und, wenn ja, wie könnte man sich dieser Entwicklung nähern, und warum wäre es wichtig, dies zu tun? Hierzu muss zunächst geklärt werden, was unter 'Philosophie' zu verstehen ist. Denn, ganz allgemein, als Übung im Denken verstanden, könnte man meinen, die Philosophie kenne keine territorialen Grenzen. Meine Auffassung von Philosophie sperrt sich jedoch gegen die Idee, dass es ein Denken gebe, das von den sozialen, (geo-)politischen und ökonomischen Gegebenheiten völlig unbeeinflusst ist. Vielmehr betrachte ich Philosophie als eine im Hier und Jetzt verankerte Institution, als spezifische kulturelle Produktionsweise, die in einer globalisierten Welt situiert ist und sich daher mit besonderen - territorialen wie symbolischen - Grenzen konfrontiert sieht. Die Philosophie steht in einem ganz bestimmten Verhältnis zu diesen Grenzen: sei es, dass immer wieder ein Kraftakt unternommen wird, um diese zu überschreiten, sei es, dass die Philosophie an der Ausgestaltung eben dieser Grenzen aktiv beteiligt ist. Ich bin daher der Meinung, dass die Beziehungen des Denkens zu den territorialen und sozialen Entitäten, innerhalb und jenseits derer es stattfindet, der Rede wert sind. Dieses Buch ist in diesem Sinn dem Phänomen der philosophischen Globalisierung gewidmet. Die politische Philosophie hat das Phänomen 'Globalisierung' schon längst zu ihrem Schwerpunkt gemacht. Sie gilt als relativ junges Forschungsgebiet und wird hauptsächlich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: Die frühen Texte, die zu Beginn der 1990er Jahre erschienen, favorisierten eine normative Herangehensweise und fragten nach ethischen und rechtlichen Grundsätzen für globale Problemfelder wie etwa Krieg und Frieden, Menschenrechte, Welthandel und Klimaschutz. Im Laufe derselben Jahrzehnte wurden die normativen um kritisch-reflexive Ansätze erweitert. Mit diesen wurden klassische, im Zeitalter der Nationalstaaten entstandene Begriffe der politischen Philosophie wie Staatsbürgerschaft, Souveränität und Demokratie aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive rekonstruiert und in einem kosmopolitischen Sinne neu konzipiert (vgl. als Überblick Hutchings 1999 und Kreide/ Niederberger 2016a für den angloamerikanischen bzw. deutschen Sprachraum). Ich wähle in meiner Untersuchung eine andere Perspektive, indem ich danach frage, auf welche Art und Weise und unter welchen Bedingungen und mit welchen Effekten im Hinblick auf die Konstruktion transnationaler Räume sich ein Denken der politischen Globalisierung entwickeln konnte. Globalisierung wird somit zugleich als Subjekt, als Lage und als Praxis der gegenwärtigen Philosophie hinterfragt. Diese Art der Reflexion einer Philosophin über die Philosophie ist meines Erachtens aus drei Gründen notwendig. Es lockt zunächst ein hermeneutischer Gewinn. Politische Theorien und Begriffe sind oft das Ergebnis von Auseinandersetzungen, bei denen nicht nur bestimmte Argumente, sondern auch politische Visionen und Positionen debattiert werden. Deshalb kann auch die Bedeutung von politischen Theorien nicht angemessen verstanden werden, wenn die Funktion dieser Theorien in ihren Entstehungskontexten und/oder im gegenwärtigen Kontext nicht berücksichtigt und reflektiert wird. Das gilt sowohl für die klassischen Begriffe der politischen Theorien wie 'Nation' oder 'Staatsbürgerschaft', die bereits einen Prozess der Revision und der genealogischen Reflexion durchlaufen haben, wie auch für die aktuellen Versuche, politische Ordnungen jenseits nationalstaatlicher Grenzen begrifflich zu fassen. Zudem gibt es einen ideologiekritischen Grund für das hier vorgeschlagene selbstreflexive Verfahren. Ein Denken der Globalisierung, das nicht danach fragt, von welchem Standpunkt aus, unter welchen sozialen und intellektuellen Bedingungen es formuliert wird, an wen es sich richtet und über welche Personengruppe gesprochen wird (vielleicht sogar, ohne mit den Betroffenen zu reden), riskiert, partikulare Standpunkte und Interessen, die an die eigenen sozialen und philosophischen Positionen geknüpft sind, fälschlicherweise zu verabsolutieren und zu universalisieren. Dies birgt wiederum die Gefahr, bestehende Herrschaftsverhältnisse, die Philosophien der Globalisierung ohnehin einer kritischen Analyse unterziehen, zu bekräftigen, indem nicht transparent gemacht wird, welche asymmetrischen oder symmetrischen Beziehungen zwischen den Diskutant*innen selbst sowie zwischen ihnen und den von ihnen besprochenen Subjekten und Personengruppen bestehen. Der selbstreflexive Ansatz ist schließlich aus erkenntnistheoretischen und -politischen Gründen notwendig. Er führt zu einem Verständnis der Bedingungen und der Potenziale der philosophischen Erkenntnis, indem er deutlich macht, durch welche Prozesse und mit welchen Praktiken bestimmte Inhalte, Argumente oder Begriffe als Erkenntnisobjekte anerkannt werden, sowie wann und warum sie zum Status einer Theorie gelangen oder aber von der Gemeinschaft der Philosoph*innen revidiert und verworfen, vergessen oder erneut aufgegriffen werden. Das wiederum erweitert das Potenzial des eigenen Philosophierens, weil die Kenntnis der Grenzen des in bestimmten Kontexten Sagbaren es ermöglicht, diese Grenzen entweder bewusst zu respektieren oder sie aber in Frage zu stellen und zu attackieren. Der selbstreflexive Ansatz gründet auf einem Verständnis vom Philosophieren als sozialer Praxis, die in einer globalisierten Welt im Modus der transnationalen Ideenzirkulation vollzogen wird. Beide Prämissen, ebenso wie das methodologische Vorgehen und die verwendeten Begrifflichkeiten, werden im ersten Kapitel erläutert. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass sich dieser Ansatz selbst als Praxis oder zumindest als Übung versteht. Was damit also vorliegt, ist keine theoretische Abhandlung über die Vor- und Nachteile eines philosophischen Ansatzes, sondern seine praktische Anwendung, die es ermöglichen sollte, den Zugang selbst in actu zu überprüfen und neu zu justieren. Es geht schließlich in diesem Buch hauptsächlich darum, eine bestimmte Art des selbstreflexiven Philosophierens auszuprobieren in der Absicht, eine bisher unterbelichtete transnationale soziale Dimension der Philosophie offenzulegen sowie eine bisher wenig diskutierte selbstreflexive Methodologie und Position zu entwickeln. Der selbstreflexive Ansatz wird am Beispiel der politischen Theorie Hannah Arendts und ihrer Rezeption in (West-)Deutschland und in den USA erprobt, beginnend in den 1940er Jahren bis ins Jahr 2010 - also bis zu jenem Zeitpunkt, als die Recherchen für dieses Buch begannen. Warum wird ausgerechnet Hannah Arendts Philosophie in den Blick genommen? Als ich an dieser Habilitationsschrift zu arbeiten begann, kannte ich Arendt als politische Philosophin und wusste von der relativ unvermittelten Wiederentdeckung ihrer Werke und ihres Begriffes des Politischen nach dem Umbruch von 1989, als sich ein Denken der Transnationalität angesichts der gesellschaftspolitischen, kulturellen und wissenschaftlichen Globalisierungsprozesse gerade neu formierte. Es schien mir daher einleuchtend, dass die genealogische Rekonstruktion der Arendt-Rezeption in den zwei genannten Ländern mich meinem Ziel, die Bedingungen und Effekte einer Globalisierung der Philosophie zu hinterfragen, ein Stück näher bringen würde. Auch wusste ich, dass Arendt infolge ihrer Flucht- und Exilerfahrung eine Form des Philosophierens zwischen verschiedenen Welten und Sprachen, insbesondere der deutschen und der amerikanischen, bewusst pflegte, was ein weiterer Grund dafür war, sie als besonders geeignetes Beispiel für die Untersuchung der philosophischen Praxis der transnationalen Ideenzirkulation anzusehen. Was ich damals nicht wusste: Arendt hat auch einen eigenen Begriff des Politischen als transnationalen Raum und als transnationale Form des Handelns in der Auseinandersetzung mit ihren unterschiedlichen lokalen diskursiven Feldern entwickelt. Auch wusste ich nicht, dass in der Figur, im Standpunkt von 'Hannah Arendt' ein unmittelbares Korrelat dieses transnationalen Politik-Begriffes existierte, das mit ihrer Theorie durch verschiedene Zeiten und Kontexte wanderte und dazu beitrug, ein transnationales Politikverständnis sowie dafür geeignete epistemische Räume zu definieren. Schließlich erwies sich das Beispiel Arendt als geradezu unerlässlich, um die Konstituierungsprozesse eines Denkens der Globalisierung und von transnationalen philosophischen und sozialen Räumen im angloamerikanischen und europäischen Kontext zu erschließen. Die Beschränkung auf die zwei genannten Länder war primär methodisch motiviert, denn eine tiefgreifende Untersuchung der globalen Arendt-Rezeption im Rahmen einer einzigen Studie hätte nicht geleistet werden können. (West-)Deutschland und die USA wählte ich als Hauptreferenzorte der Autorin. Die Untersuchung der Arendt-Rezeption im gleichen geographischen Raum bis in die gegenwärtige Zeit ermöglichte es mir, historische Kontinuitäten und Brüche der Ideenzirkulation zu erkunden, allerdings um den Preis, die vielfältige und differenzierte Aneignung von Arendt in vielen anderen Ländern und Sprachräumen außer Acht lassen zu müssen. Nach einem ersten einführenden, programmatischen und methodologischen Kapitel ist die Studie in zwei Teilen mit zusammen Kapiteln organisiert. Im ersten und längsten Teil rekonstruiere ich die Wanderungen und Etappen der politischen Theorie Hannah Arendts zwischen (West-)Deutschland und den USA, beginnend mit der Phase ihrer philosophischen und politischen Formation in den 1920er Jahren bis zu ihrem Todesjahr 1975. Hier wird Arendt zugleich als Akteurin als auch als Objekt ihrer philosophischen transnationalen Praxis in Augenschein genommen. Ihre theoretischen Überlegungen zum Begriff des Politischen sowie ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen und Standpunkte werden als Subjekte und Resultate der Interaktionsverhältnisse zwischen der Akteurin Arendt, ihren unterschiedlichen sozialen und epistemischen Kontexten sowie der Gemeinschaft ihrer Leser*innen und Konkurrent*innen betrachtet. Im zweiten Teil wird Arendt nur noch als Figur und Idee ihres Rezeptionsfeldes untersucht. Hier werden die Prozesse der Anerkennung Arendts als politische Philosophin, die in den zwei Ländern sehr unterschiedlich verliefen, und der Transnationalisierung ihrer Philosophie und Figur von 1975 bis 2010 rekonstruiert. Innerhalb der Arendt-Forschung handelt es sich bei meinem Ansatz um eine recht ungewöhnliche Vorgehensweise und Lektüre. Weder wird eine Suche nach mit Arendt verwandten Philosophien und Denktraditionen, also eine reine Geistes- und Ideengeschichte betrieben, noch wird ein ausschließlich systematischer Versuch der Aktualisierung ihrer politischen Theorie der Globalisierung unternommen. Beide Lesarten würden die sozialen und historischen Entstehungs- und Zirkulationsbedingungen von Arendts Theorien unberücksichtigt lassen. Es wird hingegen gezeigt, dass Arendts Werk und dessen Rezeption einem Verständnis der Globalisierung als Subjekt, als Lage und als Praxis der Philosophie dienlich sein können.
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