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E-Book

Der Islam in Deutschland

Eine Bestandsaufnahme

AutorMathias Rohe
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
ReiheBeck Paperback 6253
Seitenanzahl446 Seiten
ISBN9783406726996
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

Seit Jahrzehnten leben Muslime in Deutschland, und doch werden sie von vielen als fremd, ja als Bedrohung empfunden. Mathias Rohe leistet mit seiner fundierten Bestandsaufnahme zum Islam in Deutschland einen Beitrag zur Versachlichung.
Das Buch beschreibt die Geschichte des Islams in Deutschland und die Vielfalt muslimischen Lebens in der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich der Islam im deutschen Alltag entfalten kann: Welche Hürden gibt es für Moscheen, Minarette, Gebetsrufe oder religiöse Kleiderordnungen? Wie lassen sich die Ritualvorschriften – etwa Fasten, Beschneidung, Schächten – beachten? Sind islamische Normen mit deutschem Recht vereinbar? Abschließend fragt der Autor nach Perspektiven des Zusammenlebens in Zeiten von Flüchtlingen, muslimischreligiösem Extremismus und Islamfeindlichkeit.



<p>Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler, ist Professor f&uuml;r B&uuml;rgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universit&auml;t Erlangen-N&uuml;rnberg sowie Gr&uuml;ndungsdirektor des Erlanger Zentrums f&uuml;r Islam und Recht in Europa.</p>

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Leseprobe

II. Kreuzzüge und Kulturtransfer


Deutlich intensiver wirkten die Vorgänge, die sich ab dem Jahr 1095 mit mehr als 200 Jahren Kreuzzugsgeschichte verbinden.[14] Zwar gab es auch zuvor Kontakte über Pilgerreisen wie die im Jahre 1064 vom Bischof Gunther von Bamberg geführte Gruppe von mehr als siebentausend Pilgern,[15] doch wurden sie durch die Kreuzzüge auf politischer wie kultureller Ebene erheblich ausgeweitet. Selbst wenn die Begegnungen weitab von Deutschland stattfanden, schlugen sich jedoch auch hierzulande Kämpfe, Feindbilder, aber ebenso Anerkennung und Kulturtransfer nieder.

Die wechselseitigen Bilder waren ambivalent. Einerseits beruhten sie auf wiederholten unfriedlichen Begegnungen und religiös-ideologischen Gegensätzen. Der Islam wurde dabei über lange Zeit als christliche Häresie verstanden.[16] Erst später wuchs die Erkenntnis, dass es sich um eine neue eigenständige Religion handelte, wenngleich sie auf Vorläuferreligionen wie Judentum und Christentum intensiv Bezug nimmt und sich selbst als deren Fortsetzung und Korrektur versteht.[17]

Francesco Gabrieli hat die psychologische Grundierung der darauf aufbauenden Sichten des westlichen Mittelalters so zugespitzt: Das westliche Mittelalter habe Aufstieg und Ausbreitung des Islam

als diabolischen Riß durch das Herz der christlichen Kirche [betrachtet], nachdem sie kaum drei Jahrhunderte früher über das Heidentum gesiegt hatte, als perverses, von einem barbarischen Volk heraufbeschworenes Schisma.

Die zentrale Aussage der Botschaft Muammads, die strikte Behauptung des Monotheismus gegenüber althergebrachtem Polytheismus, wurde für Gefühl und Urteil der Christenheit verdunkelt von ihrer antitrinitarischen[18] Polemik sowie vor allem von der erklärten prophetischen und messianischen Identität des Stifters des neuen Glaubens. Daher wurden das Erscheinen der Araber im Mittelmeerbecken, die Verstümmelung des byzantinischen Reiches und das rasche Verschwinden der Latinität Nordafrikas vor allem von den Zeitgenossen, aber auch von den mittelalterlichen Menschen als religiöse Katastrophe angesehen (…).[19]

Solche Ablehnung hat sich an manchen Stellen fratzenhaft in der sakralen Kunst der spanischen und französischen Romanik niedergeschlagen,[20] ähnlich wie spätere Darstellungen in der deutschen und europäischen Gotik, in denen Juden äußerst grob herabgewürdigt wurden. Zur Unterstützung der Kreuzzugsidee wurden Epen und Gedichte geschaffen wie etwa die Adaption des französischen Rolandsepos über die Kämpfe in Spanien im späten 8. Jahrhundert im Rolandslied des Pfaffen Konrad um 1170. Dichter wie Friedrich von Hausen (gest. 1190 auf dem Kreuzzug in Kleinasien) schufen Kreuzlieder, Neidhart von Reuental (erste Hälfte 13. Jahrhundert) und Tannhäuser (gest. nach 1265) beschrieben in Kreuzzugsklagen aber auch Beschwernisse und Entbehrungen des Kreuzzugs.[21]

Der deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der 1188 auf dem Hoftag zu Mainz das Kreuz genommen hatte, verlor 1190 sein Leben auf dem Weg nach Palästina in der heutigen Osttürkei, was Ludwig Uhland im 19. Jahrhundert in seiner berühmten Ballade vom wackeren Schwaben aufgriff. Zuvor hatte Kaiser Friedrich allerdings diplomatische Kontakte mit dem Ayyubidenherrscher Saladin geknüpft, der 1173 eine Gesandtschaft zu ihm nach Aachen schickte; das gemeinsame politische Interesse dürfte sich gegen das byzantinische Reich gerichtet haben.[22] Derartige Allianzen zwischen christlichen und muslimischen Reichen gegen «interne» Rivalen haben die gemeinsame Geschichte nachhaltig geprägt, auch wenn sie nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen sind. Insgesamt mäßig erfolgreich waren die Versuche, mit Herrschern in der islamischen Welt Bündnisse zu bilden. Dazu gehörten beispielsweise die Reisen des flämischen Franziskaners Wilhelm von Rubruk an den Hof des Mongolenkhans Mitte des 13. Jahrhunderts,[23] der Gesandtschaftsaustausch mit muslimischen Rivalen des Osmanischen Reiches wie dem Ak Konyunlu-Herrscher Karayülük Osman in Ostanatolien und der Goldenen Horde in Südrussland im 15. Jahrhundert[24] oder die Reise des westfälischen Gelehrten Engelbert Kaempfer zum persischen Schah im späten 17. Jahrhundert.[25]

Orientalische Architekturformen schlugen sich nun, vielleicht als Zeichen des Triumphs, aber auch der Dankbarkeit für die Rückkehr aus dem Heiligen Land, in rheinischen Kirchtürmen nieder, so in der bedeutenden Kirche St. Paul in Worms.[26] In der Kreuzzugspropaganda wurden muslimische Krieger als Menschen dargestellt, denen nichts heilig ist, z.B. in Bildern von der angeblichen Schändung des Heiligen Grabes in Jerusalem.[27] Es sollte indes auch nicht vergessen werden, dass mit dem Aufruf zu Kreuzzügen brutale Pogrome gegen Juden einhergingen, deren alteingesessene, teils große Gemeinden etwa in Xanten, Köln, Trier, Mainz, Worms, Speyer, Straßburg und Regensburg angegriffen, geplündert und stellenweise fast völlig ausgelöscht wurden.[28] Der Vierte Kreuzzug 1203/04 richtete sich gegen die ostchristliche Metropole Konstantinopel, in der erbarmungslos geplündert und gemordet wurde.

Dennoch verbreiteten sich auch positive Vorstellungen und Nachrichten voneinander. Große Epen des Mittelalters wie der Parzival und der Willehalm in der Fassung des Wolfram von Eschenbach (gest. um 1220) stellen sich kritisch zum Kreuzzug und dem damit verbundenen Verlust von Menschenleben und betonen das auf christlicher wie muslimischer Seite vorzufindende Ideal der Ritterlichkeit.[29] Nina Berman[30] erkennt hierin eine von Begegnungen geprägte Entwicklung weg von der ursprünglichen Kreuzzugspropaganda, in welcher der edle christliche Kämpfer dem niedrigen muslimischen gegenübergestellt wurde.

Der andalusisch-muslimische Gelehrte und Mekkapilger Ibn Dschubair, den ein genuesisches Schiff nach Alexandria beförderte, berichtete im späten 12. Jahrhundert über das Leben der Muslime im Herrschaftsbereich der Kreuzfahrer («Franken»):

Unser Weg führte dauernd durch bestellte Ländereien und geordnete Siedlungen, deren Bewohner alle Muslime waren und mit den Franken angenehm lebten. (…) [Man] mischt (…) sich nicht in ihre Angelegenheiten ein, außer einer geringen Besteuerung (…). Ihre [sc: der Muslime] Herzen sind verführt worden, denn sie beobachten, wieviel mühseliger ihre Brüder in den muslimischen Regionen unter ihren eigenen Gouverneuren leben. Dies ist ein Unglücksfall für die Muslime! Die muslimische Gemeinschaft klagt über die Ungerechtigkeit eines Gutsherrn ihres eigenen Glaubens und spendet dem Verhalten seines Gegenübers und Feindes, dem fränkischen Gutsherrn, Beifall und gewöhnt sich an dessen Gerechtigkeit.[31]

Die Resonanz auf die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland im Herbst 2015 fiel in vielen Ländern der islamischen Welt übrigens ähnlich aus.

Auch Sultan Saladin, der 1187 Jerusalem eroberte, wurde – nicht zuletzt wegen seines vergleichsweise sehr rücksichtsvollen Umgangs mit christlichen Gefangenen und Untertanen – von der deutschen und europäischen Nachwelt zum «edlen Heiden» stilisiert.[32] Gotthold Ephraim Lessing hat ihm in seinem 1779 erschienenen und später weltweit rezipierten Drama «Nathan der Weise» das literarische Denkmal eines gerechten, toleranten Herrschers gesetzt, wie übrigens auch dem befreundeten jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn in der Gestalt des Nathan.[33] Im siebten Auftritt des dritten Aufzugs greift die berühmte Ringparabel den Gedanken der inneren Verwandtschaft der Religionen auf, die ihre Überzeugungskraft durch der Gläubigen Bemühen um Gutes entfalten sollen. Das Werk ist vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze über die Publikation religionskritischer Texte entstanden. Sie führte zu einem Schreibverbot über religiöse Gegenstände, das der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel über Lessing verhängte. Dieser Vorgang ist nicht untypisch für eine Zeit, in welcher der Islam als Projektionsfläche für interne Debatten genutzt wurde. 1898 ließ der deutsche Kaiser Wilhelm II. bei seinem Besuch in Damaskus Saladins Grabausstattung erneuern und legte einen goldenen Kranz...

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