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E-Book

Kabinengeflüster

Meine verrückten Erlebnisse als Fußballreporter

AutorPit Gottschalk
VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl229 Seiten
ISBN9783837521559
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Dieses Buch ist keine Autobiografie. Und auch keine Abrechnung. Sondern eine Liebeserklärung an den Sportjournalismus als Berufung. Der bekannte Sportjournalist Pit Gottschalk erzählt pointiert aus seinem Reporterleben. Und das war ziemlich abwechslungsreich. Mal amüsant wie die Interviewtermine mit Diego Maradona und Recep Erdogan, mal skurril wie beim Elfmeter-Duell mit Andy Möller, dann wieder dramatisch wie beim Attentat auf die BVB-Spieler. Der Rauswurf von Lothar Matthäus aus der Nationalmannschaft, der erzwungene Abschied von Thomas Tuchel beim BVB - Gottschalk war nicht nur dabei, sondern mittendrin. Außergewöhnliche Situationen gab es viele. Gottschalk vermittelt ihre Hintergründe spannend und humorvoll, aber nicht als Selbstzweck. Vielmehr beschäftigt er sich immer auch mit den sich verändernden Realitäten im (Fußball-)Sport und in den Medien. Und positioniert sich darin als Journalist, dem es nicht nur um die Nachricht, sondern vor allem um die Wahrheit geht.

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Leseprobe

Ausgetuchelt


Vom Attentat bis zum Zeitungsinterview: Warum Tuchel gehen musste


Lange Zeit haben sie bei Borussia Dortmund gerätselt, warum ihr Trainer Thomas Tuchel so misstrauisch wurde, sobald Journalisten ihre Fragen stellen und die Abschrift des Gesprächs zum Gegenlesen vorlegen wollten. Eigentlich kann da nichts schiefgehen.

Wenn das Interview dem Befragten nicht gefällt, darf er seine Sätze im Nachgang präzisieren, einen Geistesblitz ausschmücken oder Antworten umformulieren. Im Notfall könnte er, was selten vorkommt, den gesamten Dialog sperren und nicht zur Veröffentlichung freigeben.

Thomas Tuchel, der BVB-Trainer, wollte trotzdem kein niedergeschriebenes Interview liefern. Diejenigen, die es gut mit ihm meinen, sagen: In der verknappten Wiedergabe würde er seine komplexen Gedanken nicht genügend dargelegt sehen. Die anderen: „Er hat einen an der Waffel.“

Als Sportchef im Revier konnte ich in seinem Verhalten keine Drolligkeit erkennen, sondern genau das: Unprofessionalität. Ottmar Hitzfeld, einer seiner Vorgänger, hatte auch in den schwierigsten Phasen beim BVB immer Rede und Antwort gestanden. Sogar bei kritischen Fragen.

Seine Maxime lautete: Journalisten nicht die Bestätigung geben, dass man als Trainer getroffen oder geschwächt ist. Er setzte ein Pokergesicht auf, blickte in die Augen und antwortete. Sein Freund Jörg Berger formulierte es so: „Man darf seinen Kopf verlieren, aber nicht sein Gesicht.“

Als Journalist ist man hin- und hergerissen. Einerseits will man jeden Trainer fair behandeln und nicht jedem Wort glauben, dass man aus der Mannschaft erfährt. Andererseits: Wie will man Trainer verstehen, die sich nur oberflächlich im Fernsehen und in Pressekonferenzen äußern?

„Es kann sein, dass Sie morgen früh um zehn einen fest vereinbarten Termin mit ihm haben“, erklärte man mir auf der BVB-Geschäftsstelle, als ich noch neu war. „Und dann kommen Sie, und er erinnert sich nicht einmal an den Termin. Er sagt dann: Den Termin hat es nie gegeben.“

Wie nähert man sich als Journalist einem solchen Menschen? Sein Berater Olaf Meinking, ein Anwalt aus Hamburg, ließ jede Anfrage unbeantwortet. Sogar Mitte 2016, als die ersten Gerüchte aufkamen, das Verhältnis der Vereinsspitze zum Trainer sei nicht mehr das beste.

Nicht vieles offenbart die Wahrheit, wie es um das Klima innerhalb eines Klubs steht, treffender als die Einkaufspolitik. Wir Journalisten sind in den Transferperioden besonders hellhörig und kennen die Feinheiten bei der Kaderplanung.

Der Trainer möchte gerne den einen Spieler für sein System, die Scouts aber bevorzugen einen anderen, und die Vereinsspitze bewertet mit der Mischung aus Erfahrung und Zahlenverständnis, welche Verpflichtung perspektivisch und wirtschaftlich machbar oder sinnvoll sein könnte.

Mit Tuchel konnte man nicht diskutieren. Er wollte Andre Schürrle, seinen Musterschüler aus gemeinsamen Mainzer Tagen, und mit Verzögerung Ömer Toprak, den „besten Verteidiger der Liga“, wie er behauptete. Das Paket: 50 Millionen Euro schwer. Widerspruch: zwecklos.

Millionenschwere Spielerwünsche wollte Tuchel mit der unverhohlenen Drohgebärde durchsetzen, dass Dortmund mehr ihn als er Dortmund braucht. Niemand sollte ihm den Kader diktieren dürfen. Und niemand sollte Mario Götze in die Mannschaft beordern können.

Die Rückkehr des Finaltorschützen der WM 2014 war eine Herzensangelegenheit des BVB-Geschäftsführers. Hans-Joachim Watzke wollte Götze, den er 2013 quasi über Nacht an den Rivalen FC Bayern München verloren hatte, unbedingt zurück nach Dortmund holen.

Aus taktischen Gründen durfte er das nie so sagen. Schon gar nicht den Bayern. Bei einem Geheimtreffen am Düsseldorfer Flughafen hatte er dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge mit einem Trick 35 Millionen Euro für Hummels aus dem Kreuz geleiert.

Hummels wollte zwar unbedingt zu seiner Familie nach München. Aber Watzke rang ihm aus alter Verbundenheit das Versprechen ab, dass er nur bei einer entsprechend hohen Ablöse wechseln würde: „Dann siehst du, was du den Bayern wirklich wert bist.“ Hummels spielte mit.

Bewusst entkoppelte Watzke die Götze-Personalie vom Hummels-Transfer. Es lief wie auf einem Basar: Er wollte so tun, als interessiere ihn Götze nicht, um ihn günstiger zu bekommen, und spielte auf Zeit. Fast täglich telefonierte ich Details hinterher, um eine Bestätigung zu erhalten.

Unter Journalisten gilt die Parole: Transfers erfährst du immer vom abgebenden Verein – nicht vom aufnehmenden. Der Grund: Kein Manager hat ein Interesse, dass die Konkurrenz das Begehren teilt und den Preis im Bieterstreit hochtreibt. Beim Verkäuferklub ist es umgekehrt.

Watzke mauerte, so gut er konnte. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann vielleicht …“, sagte er immer wieder seelenruhig am Telefon. Noch heute frage ich mich, ob er heimlich am Handy lacht, wenn er sich aus einer solchen Situation windet.

Maximal 18 Millionen Euro wollte er für Götze zahlen und heuchelte Rummenigge deswegen Desinteresse vor. Am Ende wurden es 22 Millionen Euro, weil Watzke als verantwortlicher Chef überzeugt war: Der Götze-Transfer bringt die Mannschaft weiter.

Was Tuchel von Watzkes Wunschspieler Götze hielt, bekamen die Journalisten beim Training mit. „Wie in der C-Jugend“, kommentierte er eine Szene beim Training, wohl wissend, dass eine Gruppe von Journalisten jedes Wort mitbekam.

Wie in der C-Jugend – das ist so ziemlich der boshafteste Rüffel, den ein Fußballweltmeister von seinem Trainer hören kann. Und das in aller Öffentlichkeit. Wir Journalisten wissen: Wenn ein Trainer seinen Spieler so anmacht, spalten sich die Reihen in der Mannschaft. Plötzlich gibt es jene Gruppe, die sich mit dem angegriffenen Spieler solidarisiert. Und jene Gruppe, die sich bestätigt fühlt und sogar sagt: Gut, dass der Trainer endlich durchgreift. Kalt lässt diese scheinbar nebensächliche Szene niemanden.

Trotzdem blieb die irritierte Vereinsspitze ruhig. Seine erste BVB-Saison hatte Tuchel mit einer Rekordpunktzahl absolviert und immerhin Platz zwei sowie das Pokalfinale in Berlin erreicht. Man wollte die offenbar erfolgreiche Zusammenarbeit nicht gefährden. Trotz zunehmender Rangelei.

Man musste Tuchel in der neuen Saison einiges mehr durchgehen lassen. So durfte er Mats Hummels, Weltmeister und jahrelang Turm in der BVB-Abwehr, zum Abschied eine gewisse Wehleidigkeit im DFB-Pokalfinale unterstellen. Öffentlich bei einer Pressekonferenz.

Man sah zu, als der Trainer die Mannschaft mit drei verschiedenen Spielsystemen in 90 Minuten überforderte. Oder nach einer Niederlage in Frankfurt wütete: „Technisch, taktisch, mental, Bereitschaft – es fehlte alles. Unsere Leistung war ein einziges Defizit.“

Sportdirektor Michael Zorc wollte das Binnenverhältnis zu einem Trainer ohnehin niemals thematisieren. Er blieb da loyal bis zur Selbstverleugnung und hielt den Laden irgendwie zusammen. Als sein Trainer dem Chefscout Sven Mislintat Hausverbot erteilte, schwieg er bedauernd.

Die Arbeit eines Reporters muss man sich so vorstellen: Ständig hört man Spekulationen und Gerüchte, Halbwahrheiten und bewusst gesetzte Hinweise, was gerade in der Mannschaft los ist. Man darf diese Gesprächsfetzen nicht einfach veröffentlichen. Man braucht eine Bestätigung.

Die bekommt man in aller Regel nicht. Gute Vereine bauen eine Wand des Schweigens auf: Jeder weiß Bescheid, aber keiner sagt etwas. Niemand will derjenige sein, der die Mauern zum Einsturz bringt und womöglich die Saisonziele gefährdet. Nicht die Spieler. Nicht das Management.

Beim BVB war es dennoch nur eine Frage der Zeit, wann der eine Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen würde. Der Moment kam im Frühjahr 2017: das legendäre Interview mit Hans-Joachim Watzke. Nach Tuchels Reaktion auf dieses Interview war er als BVB-Trainer nicht mehr zu halten.

Zum ersten Mal erzähle ich hier die Geschichte, warum Thomas Tuchel 2017 den Verein verlassen musste. Warum der Verein sogar nach dem Pokalsieg in Berlin, dem ersten Titel seit 2012, keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sah. Aber der Reihe nach.

Dienstagabend, 11. April 2017, Viertelfinale der Champions League, Hinspiel gegen AS Monaco. Wir Reporter warteten im Stadion, als uns die WhatsApp-Nachricht von Kommunikationschef Sascha Fligge erreichte, dass etwas bei der Abfahrt am Mannschaftshotel passiert sei.

Wir rätselten über die Ursache. Ein Verkehrsunfall? Ein terroristischer Anschlag? Ich ging die Treppen hinunter zum Spielertunnel, wo normalerweise die Busse der beiden Mannschaften parken. Der von AS Monaco war da. Der vom BVB fehlte.

Inzwischen erreichte die Nachricht die Zuschauer im Stadion, dass es zu Verzögerungen beim...

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