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Der Jakobsweg am Meer

Meine Wanderung auf dem Camino del Norte

AutorMichael Sohmen
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783748591283
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
An Landschaft und Kultur ist der Camino del Norte entlang der spanischen Nordküste so vielfältig wie kaum ein anderer Weg. Die Pilgertour führt durch Naturschutzgebiete, über kilometerlange Strände und in mittelalterliche Städte. Doch Vorsicht vor den Pilgern! Man lernt Menschen kennen, denen man im realen Leben nie begegnen würde. Die Wanderung beginnt in Begleitung eines belgischen Ex-Soldaten, der als Türsteher eines Swingerclubs arbeitet. Viele spanische Junkies und Chicas sind unterwegs sowie Pilger aus Frankreich, Deutschland und Dänemark. Auf den Schlussetappen gibt es Ärger mit dänischen Seniorinnen, bis die Tour mit einem Polizeieinsatz gegen die eigene Pilgergruppe endet. Ein Bericht über ein etwas verrücktes Abenteuer.

Michael Sohmen (Jahrgang 71) liebt italienisches Essen, Humor und spannende Geschichten. Seine Passion für das Schreiben entdeckte er auf dem Jakobsweg. Auf 'Eine Pilgerreise zum Ende der Welt' folgte das Abenteuer 'Auf dem Jakobsweg durch die weiße Hölle', in dem er als Pilger von einem plötzlichen Wintereinbruch überrascht wurde. 'Der Jakobsweg am Meer' ist sein dritter Wanderbericht. Diesmal wird die Pilgertour an der schönen Nordküste Spaniens äußerst abenteuerlich.

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Wiedersehen


2. August, Irun → San Sebastian

Nachdem ich Irun hinter mir gelassen habe, führt ein steiler Aufstieg auf ein Plateau, welches mit dem Santuario de Guadalupe gekrönt ist. Die Kirche aus dem sechzehnten Jahrhundert ist in der großen Ära der Seefahrt erbaut worden, rundum kann man das Meer sehen. Die Aussicht könnte idyllisch sein, wenn der Nebel nicht so dicht wäre und kein Nieselregen fallen würde.

Die Trübsal löst sich auf, als ich ein bewaldetes Gelände hinter mir gelassen habe und mir der Blick hinunter eine grandiose Aussicht auf einen Hafen bietet. Mächtige Lastschiffe und Ruderboote machen sich bei der Fahrt durch einen engen Kanal gegenseitig den Platz streitig.

Unterhalb von mir befindet sich eine Burgruine. Nachdem ich viele Stufen an ihr vorbei bis zum Hafen hinabgestiegen bin, zieht mich die malerische Altstadt von Pasai Donibane in ihren Bann. Deren Häuser sind so eng zusammengerückt, dass sogar die Straße darunter verschwindet. Ich wandere durch Tunnel an grün-roten Flaggen und Plakaten vorbei, die für ein autonomes Baskenland werben und erreiche eine Anlegestelle. Am Ufer ist eine Pilgerfigur aus Metall aufgestellt, die ein Ruder in der Hand hält. Ich hatte gelesen, dass man sich komfortabel mit dem Boot zur anderen Seite bringen lassen könnte. Wenn ich das täte, wäre ich ein Touregrino. So bezeichnet man Pilger, die sich per Taxi von Ort zu Ort kutschieren lassen. Andere sollen das ruhig tun, doch mein Weg ist das nicht. Meine Füße können mich noch weit tragen, zudem habe ich es nicht eilig. Ich will jeden Meter des Camino del Norte in vollen Zügen genießen. Nicht in einer überfüllten Bahn, sondern zu Fuß.

Als ich die Anlegestelle und die malerische Stadt hinter mir gelassen habe, folgt totale Ödnis. Die Neubausiedlungen sind wenig abwechslungsreich und als ich den industriell genutzten Teil des Hafens erreiche, sehe ich nur noch Schrott. Unmengen von Schrott. Aus dem, was über die See angeliefert wurde, hatte man ein gigantisches Gebirge aus Altmetall errichtet. Mit einem Güterzug wird es weitertransportiert, an dem komme ich am Ende des Geländes vorbei. Während ich auf dem Seitenstreifen der Autobahn vorangehe, führe ich ein stummes Selbstgespräch.

Ich hätte mir die fünf Kilometer der totalen Monotonie mit einer kurzen Bootsfahrt ersparen können. Doch auf der allerersten Etappe des Caminos so einen Kompromiss einzugehen, schien mir absurd. Wäre mir jedoch klar gewesen, was ich mir durch diesen Umweg eingebrockt habe, wäre eine Überfahrt die bessere Entscheidung gewesen.

Während die Temperaturen ansteigen, gestaltet es sich schwierig, einen geeigneten Weg vom Hafen durch Vorstadtsiedlungen bis zum heutigen Ziel zu finden. Als ich den Sandstrand endlich vor mir sehe, fällt eine Last von mir. Ich bin angekommen. Es ist San Sebastian mit seiner schier endlosen Strandpromenade. Leider darf ich es mir nicht erlauben, eine längere Pause einzulegen und die Sonne zu genießen. Die Erinnerung an den gestrigen Pilgeransturm treibt mich vorwärts. Mein Umweg hat mich viel Zeit gekostet und vermutlich bin ich schon zu spät. Wenn ich mich beeile, kann ich in der Unterkunft vielleicht noch den letzten Platz erwischen.

Nach meinen Informationen gibt es für Pilger nur die Jugendherberge, diese befindet sich erst ganz am Ende von San Sebastian. Nach unzähligen Schritten die Promenade entlang und nach einem Tunnel weist der gelbe Pfeil nach links, bergauf. Nach wenigen Metern entdecke ich schon den gesuchten Hinweis an einem Gebäude. Die Herberge. Ich bin angekommen. Doch ich hätte mir Zeit lassen können, denn die Herberge ist noch nicht geöffnet und bis auf eine kleine Schülergruppe wartet niemand.

Nachdem ich mich eingerichtet habe, nehme ich Kontakt zu Javi auf. Den spanischen Pilger habe ich auf dem Camino Francés kennengelernt. Er wohnt in San Sebastian, nicht weit von der Herberge und er verspricht, in wenigen Minuten mit dem Auto hier zu sein. Ich warte am Eingang, als plötzlich eine Kolonne von Polizeiautos vorbeifährt. Die Straße wird abgesperrt. Eine Stunde lang passiert nichts, danach rauschen Radfahrer vorbei. Es folgen unzählige. Mal fährt ein einzelner den Berg hinab, mal eine größere Gruppe. Während die Leute am Rand applaudieren, denke ich an Javi. Irgendwo steht er mit seinem Auto an den Absperrungen und kommt nicht durch. Nach zwei Stunden ist der Spuk fast vorbei, lustig dekorierte Kettcars und Dreiräder fahren vorbei und nach einem kurzen Seifenkistenrennen wird die Absperrung aufgehoben. Die Clásica San Sebastián ist beendet.

Nach dem Zwischenfall und einer verspäteten Begrüßung begebe ich mich mit Javi an die Küste, um den Strandbesuch nachzuholen und das sonnige Wetter zu genießen. Nach einer Abkühlung im Meer lasse ich mich von seinem besonderen Tipp überzeugen, den Monte Igueldo am Ende der Küste zu besichtigen. Mit der Bergbahn geht es hinauf, auf dem Plateau befindet sich ein umfangreicher Themenpark. Man kann mit dem Boot auf einem Wasserlauf rund um den Hügel fahren, etwas weiter sind Fahrgeschäfte und Stände aufgebaut. Bevor wir uns dem leiblichen Wohl widmen, führt Javi mich auf eine Terrasse.

»Es ist der schönste aller Jakobswege. Auf den folgenden 800 Kilometern wirst du das Meer stets auf deiner rechten Seite sehen.« Er weist zum bewaldeten Gebirge. Dunkles Grün, so weit das Auge reicht. In der Tiefe hört man die Brandung gegen die Felsen hämmern und sieht Wellen, die sich in weißer Gischt aufbäumen. Vom diesem Hügel hat man eine wunderbare Fernsicht.

Nach dem sagenhaften Blick auf die kommende Etappe gehen wir weiter. Javi zeigt zur Altstadt und weist eine Anhöhe hinauf. Dort thront ein mächtiges Gebäude mit zwei Türmen.

»Dies war früher der Bischofssitz. Es ist mit Abstand das größte Gebäude und wird heute als Schule genutzt«, erzählt er und zeigt weiter in die Ferne, zum Ende der Stadt. »Dort befindet sich die teuerste Privatwohnung von ganz Spanien. Die ist nichts Besonderes, doch San Sebastian ist die begehrteste Stadt unter den Spaniern. Sogar der einstige Diktator General Franco hatte hier seine Sommerresidenz errichtet.«

»Wie wäre es mit Bier?«, frage ich ihn. Ich hatte genügend über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt erfahren, mittlerweile setzt die Dämmerung ein.

»Okay«, antwortet er und wir begeben uns zu einer der Jahrmarkt-Buden. »Ich gebe die erste Runde aus, du die zweite.«

Er reicht mir einen Plastikbecher mit Bier, bis zum Rand gefüllt und frei von Schaum. So, wie es sich auf dem Jakobsweg gehört. »Wie war die erste Etappe?«

»Derzeit sind unglaublich viele Pilger unterwegs«, antworte ich. Zum Glück kann ich mich mit Javi fließend in Englisch verständigen.

»Das wundert mich nicht. Im Juli und August sind viele auf dem Camino del Norte unterwegs, die eigentlich gar keine Pilger sind. Viele wandern nicht und sitzen nur am Strand.«

Während ich wie verabredet das zweite Bier besorge, entschuldigt er sich, dass er nicht viel über den Küstenweg sagen könnte, da er ihn noch nicht unternommen hätte. Derweil meldet sich mein Hunger, da ich ohne Frühstück gestartet bin und mich auf dem Weg nur mit einer Tortilla gestärkt hatte. Wir verlassen den Hügel, schlendern durch die Innenstadt und sehen uns nach Restaurants um. Meine Hoffnung, jenes auf dem Jakobsweg beliebte Pilgermenü für 10 Euro auf einer Speisekarte zu entdecken, erfüllt sich nicht. Selbst die preisgünstige Alternative namens Plato combinado wäre mir recht, doch auch die gibt es nirgends. Stattdessen wird Essen zu Preisen ab 18 Euro aufwärts angeboten und zwar ein Getränk. Wir klappern das neunte Restaurant ab und können uns für kein Angebot entscheiden. Zudem hatte uns keine der Lokalitäten wirklich angesprochen, da wir an diesem lauwarmen Abend gerne draußen sitzen würden.

»Ein preisgünstiges Lokal kenne ich leider auch nicht. Im Baskenland ist alles viel teurer als in anderen spanischen Regionen«, klärt er mich auf.

Als wir um die Ecke biegen, entdecken wir ein Restaurant. Es hat eine Glasfassade und davor eine Terrasse, auf der ein Tisch unbesetzt ist. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der wir draußen sitzen können. Es wird ein Menü beworben, das mit Aufpreis auf der Terraza 20 Euro kosten würde. Mittlerweile ist mir klar, dass eine Suche nach etwas Preisgünstigerem in dieser Stadt eine Illusion ist.

»Wie wäre es hier?«, fragt er und ich nicke kurzentschlossen.

»Es gibt für Donostia typische Spezialitäten«, sagt er nach einem Blick auf die Karte und übersetzt die Auswahlmöglichkeiten, da ich daraus nicht schlau werde. Wir entscheiden uns für Gemüselasagne als Vorspeise. Als Hauptgericht wählt er Gambas und als Dessert Eiscreme, ich entscheide mich für Lamm und Flan als Nachspeise. Wenn ich Glück habe, ist es nicht der Fertigpudding, sondern die besonders leckere Spezialität Crema Catalana.

Nachdem Javi die Bestellung aufgegeben hat, bin ich neugierig, was es mit der Bezeichnung Donostia auf sich hat. Den Namen hatte ich häufiger gelesen, dessen Bedeutung hatte sich mir bisher noch nicht erschlossen.

»Donostia ist der baskische Name von San Sebastian.«

»Aha.« So einfach. Ich frage ihn: »Kannst du baskisch?«

»Ein wenig. Nachdem ich mit meinen Eltern ins Baskenland umgezogen war, hatte ich an der Schule begonnen, die Sprache zu lernen. Es gibt fast niemanden, der damit als Muttersprache aufgewachsen ist. Denn zur Zeit der Franco-Diktatur war baskisch streng verboten und auch...

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