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Magische Orte - Zur Lyrik von Johannes Bobrowski

AutorTobias Sandkuhl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl90 Seiten
ISBN9783656211488
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: 'Ich [...] hab ein ungebrochenes Vertrauen zur Wirksamkeit des Gedichts, - vielleicht nicht 'des Gedichts', sondern des VERSES, der wahrscheinlich wieder mehr Zauberspruch, Beschwörungsformel wird werden müssen.' Diesen Satz schreibt Johannes Bobrowski am 04.03.1959 an Peter Jokostra. Dieser Bezug von Autor, Text und Magie findet sich beispielsweise auch bei Marianne Krüll: '<> wurde Thomas Mann von seinen Kindern genannt.' So beginnt sie ihre Biografie der Familie Mann. Sie lässt diese Begebenheit zwar unkommentiert, erwähnt aber direkt vorher, dass die Manns eine ungeheure Faszination auf sie ausüben und impliziert somit einen Zusammenhang zwischen dem Schriftsteller Thomas Mann, seiner Rolle als 'Zauberer' und ihrer persönlichen Faszination von der Familie Mann. Dies ist nicht die einzige literaturwissenschaftliche Arbeit, die zumindest auf sprachlicher Ebene eine Verknüpfung zwischen Autoren und Magiern bzw. Zauberern schafft. Viele dieser Arbeiten verzichten allerdings darauf, sich weiterführend mit der titelgebenden 'magischen' Materie auseinanderzusetzen. Es bleibt der Eindruck beim Leser, es geht gar nicht darum Autoren bzw. Literatur und Magier bzw. Magie zu betrachten, sondern die Bezeichnung 'Magier' oder 'magisch' für das entsprechende Werk wird nur gewählt, weil so am besten etwas bezeichnet werden kann, für das es kein anderes, besseres oder präziseres Wort gibt. So kommt auch im Titel dieser Arbeit der Begriff 'magisch' vor, benutzt in dem Wissen, dass dieser Begriff nicht unproblematisch ist und daher definiert und erklärt werden muss. Zusätzlich zu den Definitionen der Begriffe Magie und Ort, soll die Frage geklärt werden, was diese mit Bobrowski und seiner Lyrik zu tun haben. Dazu werden Gedichte aus den Gedichtbänden 'Sarmatische Zeit', 'Schattenland Ströme' und 'Wetterzeichen' analysiert. Zur Einordnung und Klärung der Bedeutung des magischen Ortes wird aber auch auf nicht zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte des Autors eingegangen, da sie für die Entwicklung des Themas von Bobrowski durchaus von Bedeutung sind. Bobrowski hat nicht nur Natur- bzw. Landschaftsgedichte geschrieben, sondern auch einige Personengedichte. In diesen spielt die Landschaft zum Teil auch eine Rolle, sie werden in dieser Arbeit allerdings weniger berücksichtigt. Es geht nicht um das Erfassen der gesamten Lyrik von Johannes Bobrowski, sondern um die besondere bzw. 'magische' Bedeutung der Natur und Landschaft, zusammengefasst im Begriff des...

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Leseprobe

3. Der magische Ort in der Kindheit und im Nachlass


 

Die bisherigen Ausführungen zur Vita von Bobrowski, der Bedeutung des Ortes Sarmatien für ihn, desweiteren die Definitionen der Begriffe ,magischer Ort’, Aura und Mythos, sowie die Übersicht über die lyrische Tradition der naturmagischen Schule, zeigen einen Großteil des theoretischen Grundgerüst der Lyrik von Bobrowski auf. Sie bilden das Fundament, ohne das ein Verständnis der gesamten Bedeutungstiefe der verschiedenen Ebenen seiner Lyrik nicht gelingen kann.

 

Die ersten beiden behandelten Gedichte bieten zum einen Einblick in die frühe Lyrik von Bobrowski, die während der Kriegsgefangenschaft entstand, und zum anderen einen Einblick in seine Verarbeitung klassischer mythischer Geschichten. Daher wird zunächst das 1945 entstandene und zu Lebzeiten nicht veröffentlichte Gedicht ,Heimatlied’ betrachtet. Heimatlied

 

3.1 Heimatlieder - Erinnerungen an die Kindheit


 

Heimatlied

 

Lied meiner Heimat! Du aus Glück

gefügtes! Darin singt

die Flur, von Wald und Fluß umringt -

es lang tönt das zurück,

so lange noch! Das ruft und winkt

zurück, von Wald und Fluß umringt,

und ruft das Herz zurück.

 

Das Dorf am Waldrand ausgestreut, wo sich der Fluß hinwand, von Wiesenböden muterneut, ein vielgefältelt Band, umsäumt vom grünen Wiesenland - Da blieb das Sonnenschiff vertäut lang stehen überm Land.

 

Hier war der Wald, dort ging der Fluß, dazwischen stand das enge Haus, stieg Jahr für Jahr ein Blumengruß hell über alle Zäune aus.

Da stellten sich vor Überfluß Kirschbäume in des Sommersblaus Umarmung vor dem Fenster drauß hinunter bis zum Fluß.

 

Der lag im hohen Mittagsglast, vom heißen Ufersand bedrängt, und reglos, ohne Hast ein Fisch im Lichten stand, ein Schuppenglanz im Mittagsglast - Da schwieg das Ufer weit ins Land, randvoll von Sonnenlast.

 

Und auf den Wiesen lag

das Heu in Schwaden hingeschnitten.

Da stelzte lieb und hofgetreu

der Storch einher inmitten,

und Schnepf’ und Rebhuhn tauchten scheu

ins Ährenfeld ein, und das Heu

lag duftend hingeschnitten.

 

Und Sommerregen kam mit Eil’

aus Bottichen geschossen.

Da war der Hof in kleiner Weil’ von Wassern überflossen für Gäns’ und Entenvolk. Doch steil aufschrie der Hahn! Da kam geschossen herab ein goldner Sonnenpfeil.

 

Am Abend, wenn die Ernte kam einschwankend in die Scheuer

und bald der Wind als Zehrung nahm

Rauch vom Kartoffelfeuer

und armemüd und rückenlahm

die Kinder aus dem Feuer

Kartoffeln scharrten; schwarz, doch teuer

wie Äpfel nicht und Jahrmarktskram.

 

Und Tür und Fenster schwiegen lang

mit Dämmerung verhangen,

und in den Stuben waren blank

die Lampen aufgegangen.

Da schien der Abend ewig lang, wenn spät noch von der Fensterbank die Mägdelieder klangen.

 

Und überm Fluß und überm Sand, wo kärglich Buschwerk sich erhob, ein schmaler dunkelgrüner Rand, begann die Ebene. Da stob der Wind dahin das weite Land. Nur fern ein Weidenstumpf erhob sich schwarz und ausgebrannt.

 

Der Himmel aber stieg, ein Berg aus lauter Dunkelheit, und fern verging das Flammenwerk der letzten Sonne. Schwarzes Kleid verbarg die Felder stundenweit, und einsam, wolkenüberschneit, fuhr hin der Mond, ein Zwerg.

 

Und seitab zog der Strom dahin.

Da fand der Fluß sein Ziel.

Doch lang noch in den Wassern hin trieb grün sein Wellenspiel.

Da war kein Ufer nah, darin sich Glück fing, und es fiel des grünen Flusses Wellenspiel zum Grund hinab - Dann zog dahin der Strom allein, dahin.

 

Oh Lied, oh Lied! sing selig fort!

Mein Herz folgt deinem Sang, geht Jahr für Jahr auch grau, verdorrt und frierend noch und bang und fern von Näh’ und Liebeswort - sing unter Tränen fort und fort, beseligt, lebenslang.[112]

 

Das Gedicht besteht aus 13 Strophen und beschreibt eine sommerliche Dorf- und Landidylle. In den Strophen eins bis drei wird zunächst die Natur der Gegend beschrieben. Die folgende Strophe verdeutlicht, dass es ein heißer Sommertag ist, ehe in der fünften Strophe die getane bäuerliche Arbeit besungen wird und örtliche Vögel wie Storch und Rebhuhn genannt werden. In der sechsten Strophe unterbricht ein Regenschauer den Sonnentag und sorgt für Abkühlung beim Kleinvieh des Bauernhofs, bis der Hahnenschrei das Ende des Regengusses verkündet und die Sonne wieder hervorkommt. Die Strophen sieben bis neun beschreiben den Abend, als zentrales Ereignis steht das Kartoffelfeuer, in dem die Kinder Kartoffeln grillen. Ab der zehnten Strophe beginnt das Idyllische allerdings ein wenig zu bröckeln, allzu düster bricht die Nacht herein (Strophe 11: ,ein Berg / aus lauter Dunkelheit, / und fern verging das Flammenwerk / der letzten Sonne. Schwarzes Kleid’). Schon in den letzten beiden Versen der vorherigen Strophe sorgt der einzelne ausgebrannte Weidenstumpf für die Assoziation von Verlust und Einsamkeit, die aber entfernt von der geschilderten Idylle ist. Deutlich wird das dann in der zwölften Strophe am Strom: ,Dann zog dahin / der Strom allein, dahin.’ In der elften Strophe wurde schon der Mond als ,einsam’ beschrieben. In der letzten Strophe wird dann deutlich, dass das Lyrische Ich fern der besungenen Heimat ist.

 

Der in den Strophen eins bis elf genannte Fluss ist die Jura, nahe Bobrowskis Feriendorf Motzischken. [113]  Dazu passt, dass in Strophe zwölf dann vom ,Strom’ die Rede ist, hiermit ist die Memel gemeint [114], denn die Jura fließt in die Memel, welche der deutlich größere Fluss ist und somit als Strom bezeichnet wird. Zum Dörfchen Motzischken schreibt Albrecht: „Die verstreuten Häuser am aufgelassenen Haltepunkt in Motzischken sind zumeist aus Holz, manche bunt, mit Ställen, Veranden, viel Grün, Obstbäumen.“[115] Folglich eine Landschaft, die als idyllisch beschrieben werden kann. Aber auch wenn durch die Kenntnis von Bobrowskis Biographie zu klären ist, welcher Ort hier gemeint ist, bleibt doch festzuhalten, dass der reale Ort nicht explizit genannt wird und das Gedicht grundsätzlich auch eine allgemeine Bedeutung hat.[116]

 

Albrecht hebt diesen idyllischen Charakter des Gedichtes hervor: „Wir sind in Bobrowskis Arkadien. Bilder, die uns in die Kindheit scheinen.“ [117]  Der Begriff Arkadien passt recht gut, er ist an Vergil angelehnt und bezeichnet in der Realität eine Gegend in Griechenland auf der Halbinsel Peloponnes, die bergig ist und in der ein raues Klima herrscht. Bei Vergil allerdings wird daraus ein „Traumland mythischer Frühzeit, in dem ewiger Friede und ewiger Frühling herrschen, es weder Besitz noch Neid gab, Götter und Menschen vereint lebten und die Natur selbst an den Freuden und Sorgen der Menschen teilnahm.“ [118]  Folglich ein magischer und idyllischer Ort, wobei der Begriff Idylle auch negativ wertend verstanden werden kann, als , Weltflucht’ oder ,Rückzug aus der Wirklichkeit’. Der Begriff sollte aber nicht generell wertend aufgefasst werden, denn die Definition der Idylle in der Antike, besagt zunächst einmal, dass Idylle ein „unschuldiges Land- und Hirtenleben und mit ihm ein mit der Natur in Einklang stehendes Dasein des Menschen“ [119]  beschreibt. Dabei ist die Funktion der Idylle, gegenüber einer als negativ empfundenen Realität, eine fiktive heile Welt zu schaffen. Dadurch wird aber auch die Unzulänglichkeit der Realität deutlich gemacht. Die Idylle steht somit in enger Beziehung zur Utopie. Weiterhin stellt Rankl auch eine Wort-Assonanz zwischen den Begriffen Arkadien und Sarmatien fest. [120]  Das konstitutive Merkmal der Idylle ist die Statik. Damit ist auch der Versuch verbunden, die Zeit aus der menschlichen Existenz auszuschließen [121], sowie die Vergänglichkeit des Menschen bzw. seine Sterblichkeit. Weiterhin sind für die Idylle die beiden Pole Natur und Mensch kennzeichnend, wobei die Natur zum „Nutzen und Vergnügen des Menschen“ [122] da ist. Literaturwissenschaftlich kann auch vom ,locus amoenus’ (lieblicher Ort) gesprochen werden. Der locus amoenus ist als Topos schon in der Literatur der Antike bekannt.

 

Für das Gedicht ,Heimatlied’ trifft diese Einordnung sicherlich weitestgehend zu, allerdings herrscht keine komplette Statik im Gedicht. Es ist zwar vom langen Sonnentag (Strophe 2) die Rede und vom ,ewig’ langen Abend (Strophe 9), letztendlich wird aber nur ein Tag in der idyllischen Heimat beschrieben und das Gedicht endet in der Nacht mit dem einsam dahinziehenden Strom (Strophe 11-12). Der Verlust der Heimat und der Idylle ist recht deutlich und wird in der letzten Strophe auch ganz klar angesprochen: ,geht Jahr für Jahr auch grau, verdorrt / und frierend noch und bang / und fern von Näh’ und Liebeswort -’. Ewig währt nicht die Idylle selbst, sondern nur das Lied über die Heimat: ,sing unter Tränen fort und fort, / beseligt, lebenslang.’

 

Dieses Ende erklärt sich unter Berücksichtigung der Zeit und des Entstehungsortes des Gedichtes. Es...

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