Studienarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1, Universität Wien (Germanistik), Veranstaltung: Proseminar Nibelungenlied, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Nibelungenlied wird Brünhild meist als funktionale Type ohne jegliches Identifikationspotential gesehen, deren Darstellung als starke Frau in einer männlich dominierten Gesellschaft einen bestimmten Zweck für Männer zu erfüllen hat. Das grundsätzlich in die Forschung zu integrieren ist sicher essentiell, aber ein literarisches Werk, selbst, wenn es Jahrhunderte zählt, sollte doch immer auch als Kunst betrachtet werden. Schreiben ist nie nur ein Prozess, der abbildet, was der/die AutorIn abbilden will, sondern ebenso etwas Dynamisches, das, zumindest teilweise, ein Eigenleben führt und gerade dieses bindet LeserInnen über Generationen. Nun mögen diese Aussage des Werkes als Werk und die vom Publikum auszufüllenden Leerstellen bei mittelalterlicher Literatur etwas weniger stark durchdringen, aber vorhanden, so meine ich, sind sie doch. Deshalb habe ich mir, im Gegensatz zu Theorien, welche nordische Sagenquellen miteinbeziehen, erlaubt, nahe am Text selbst zu bleiben, den Autor und seine etwaigen Zwecke, die er verfolgt haben mag, etwas in den Hintergrund zu rücken und Wirkungen, welche die Figuren, hier insbesondere Brünhild, während des Lesens in mir ausgelöst haben, gelten zu lassen bzw. ihnen nachzugehen. Nachdem ich diese durch zitierte Textstellen versucht habe abzustützen, mit teilweise älteren und auch neueren Interpretationsansätzen zu vergleichen und in Kontrast zu setzen, hat sich, zumindest für mich, eine Sichtweise auf das Nibelungenlied, im Speziellen auf Brünhilds Verfall, ergeben, die mir bei hastiger Lektüre so nicht in den Sinn gekommen wäre, bei konzentriertem Lesen aber kaum noch anders vorzustellen möglich ist. Brünhild stellt eine Figur dar, welche nicht nur die Stärken beider Geschlechter vereint, sondern auch Archaisch-Mythisches mit Mittelalterlich-Modernem kombiniert, eine Art weiblichen Übermenschen, eine Frau, die befremdet. Es müssen von den Wormsern alle zur Verfügung stehenden Waffen und Tricks aufgewendet werden, um sie allmählich besiegen zu können. Ihre betrügerische Unterwerfung erfolgt stufenweise und impliziert alle Ebenen von Macht: politische, militärische, gesellschaftliche und schlussendlich, nachdem alle ihre Vermeidungs- und Aufschubsstrategien erschöpft sind, sogar die Macht über den eigenen Körper und Geist.
Sandra Folie hat Deutsche Philologie, Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien studiert. Seit Februar 2016 ist sie DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien, wo sie über Labels zeitgenössischer 'Frauenliteratur' promoviert.
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