1 Intro
Der Mensch ist ein sehr komplexes, individuelles Wesen, mit all seinen Verletzlichkeiten und Erfahrungen, die zum Teil weit in seine Prägungsphase hineinreichen. Individuell auch schon deswegen, weil wir alle kulturell, intellektuell, emotional usw. auf unterschiedlichste Weise geprägt sind.
Manchmal sitze ich im Auto, in der S-Bahn oder im Flugzeug, beobachte Menschen und frage mich, wie diese unterschiedlichsten Interessen, Egoismen, persönlichen Voraussetzungen, individuellen emotionalen Zustände überhaupt so zusammenwirken, dass unsere Gesellschaft auch nur halbwegs funktioniert – wenn es denn so ist.
Einen Teil dieser Antwort findet man in psychologischen oder psychoanalytischen Theorien, die von übergreifenden Ordnungsprinzipien ausgehen, sei es bei den Sozialpsychologen, Motivationsforschern, in Untersuchungen zur moralischen Entwicklung von Kindern, sei es bei Sigmund Freud oder C. G. Jung, bei Letzterem zum Beispiel in der Lehre von den kollektiven Archetypen, die unser Bewusstsein beeinflussen. Also ist der Mensch doch nicht so individuell?
Ich will an dieser Stelle in keine psychologische Theorie eintauchen, auch wenn ich später auf die eine oder andere zurückkommen werde. Denn eigentlich geht es in diesem Buch um eine Vision. Um die Vision, was unser Leben auf einen guten Weg bringt. Man könnte mit dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt einwenden: »Wer Visionen hat, muss zum Arzt«, aber ich meine: »Wer keine hat – auch.«
Ein Beispiel: Als ich im Jahre 1982 den Song U.S.A für mein erstes Album schrieb, war ich noch nie dort gewesen. Erst in den Jahren 1985/1986 lebte ich zwei Jahre lang in New York und gelegentlich in Los Angeles. Ebenso durchquerte ich die USA auf diversen Promotion-Touren. Doch ohne je vorher dort gewesen zu sein, konnte ich in diesem Songtext diese Nation auf den Punkt bringen.
Zweites Beispiel: Ich war – man glaubt es kaum – tatsächlich noch nie im Weltall. Dennoch gelang es mir mit meinem bisher größten Erfolg »Major Tom«, das Lebensgefühl der Astro-/Kosmonauten zu treffen. Ich weiß dies, da ich mittlerweile einige der Jungs persönlich getroffen habe, die da oben waren. Von Prof. Ernst Messerschmid, Gerhard Thiele über Miroslaw Hermaszewski bis hin zu Ed Buckbee.
Und noch ein drittes und letztes Beispiel: Der Text zu dem Song »Die Wüste lebt« entstand 1981. Er ist heute (leider) aktueller denn je.
Vor diesem Hintergrund wage ich mich also an ein bereits von vielen Seiten beleuchtetes Thema der Psychologie heran. Dabei handelt es sich um das Thema »Selbstwert« mit all seinen Facetten.
Ich bin überzeugt, dass ich Ihnen dieses Thema und die vielfach damit verbundenen Probleme, untermauert mit meinen sehr persönlichen Erfahrungen, auf eine Weise nahebringen kann, in der Sie sich selbst wiederfinden, so dass Sie angeregt werden, einige meiner Gedanken und Erkenntnisse auch auf sich zu beziehen. Vielleicht sehen Sie nach der Lektüre dieses Buches sogar das eine oder andere in Ihrem Leben anders und sind bereit, was Sie schon lange stört, an sich zu ändern. Aber das bleibt natürlich einzig und alleine Ihnen überlassen. Dazu gehe ich offen – und, wie ich glaube, auch ehrlich – auf Sie als Leser zu und bedanke mich schon jetzt für diese nonverbale Kommunikation und wiederum daraus folgend – Ihre Offenheit.
Es dauerte lange, bis ich endlich begriff, wie es dazu kam, dass ich als deutscher Musiker mit unnachahmlichen Erfolgen weltweit nach sieben Jahren auf der Überholspur, in denen ich von nahezu allen geliebt und gefeiert wurde, relativ schonungslos wieder down to earth landete. Vorbei war es mit »völlig losgelöst von der Erde«: Ich war körperlich und psychisch an meine Grenzen gestoßen und kündigte ad hoc alle meine nationalen wie internationalen Verträge – und das, obwohl ich in den Hot-100-Billboard-Charts 1989 mit dem Titel »The different story« ein weiteres Mal ganz oben eingestiegen war – alles andere als selbstverständlich für einen europäischen – insbesondere einen deutschen – Künstler!
Der von mir gewählte, freiwillige Ausstieg aus dem Geschäft und das zu einem Zeitpunkt, an dem es so richtig »brummte«, war beides: überlebensnotwendig und gleichzeitig ein schmerzhafter Schnitt. Denn wer mich kennt, weiß, wie sehr ich diesen Beruf und meine Musik liebe.
Aber es musste sein, und womöglich wäre es zu diesem Buch gar nicht mehr gekommen, wenn ich nicht so konsequent gegen den Strom geschwommen wäre und entsprechend gehandelt hätte.
Meinen damaligen inneren und körperlichen Zusammenbruch nannten Mediziner »Burnout«. Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts war das noch kein geläufiger Begriff.
Ich selbst aber stieg tiefer in meine Situation ein. Zuerst in einer Art Selbsttherapie, bis ich nach einer gewissen Zeit spürte, dass ich ohne professionelle Hilfe nicht weiterkomme.
Somit begann die Suche nach dem geeigneten Psychotherapeuten, denn nicht jeder Therapeut passt zu jedem Patienten. Es dauerte zwei (!) Jahre, bis ich den richtigen gefunden hatte. Deswegen der »richtige«, weil ich mich durch seine väterliche Art verstanden und nicht bewertet fühlte. Mag sein, dass es damit zu tun hatte, dass ich meinen Vater persönlich nie gekannt habe.
Dieser Psychologe machte mir erst einmal klar, dass all das Geschehene nichts mit Glück, Pech oder anderen schicksalhaften Mächten zu tun hatte, sondern vielmehr hausgemacht war: der Erfolg UND der Misserfolg. Klingt abenteuerlich, werden Sie sagen. Stimmt aber. Doch der Schlüssel, das Geschehene wirklich zu begreifen, hängt mit dem Thema zusammen, das für mich seit geraumer Zeit und jetzt auch in diesem Buch absolut im Vordergrund steht: Letztlich laufen alle Spuren beim Selbstwert zusammen, bei dem Gefühl, sich selbst etwas wert zu sein. Das ist der Code, das ist der Schlüssel für alles!
Ob Sie erfolgreich sind, ob Sie glücklich oder unglücklich verheiratet sind, ob Sie mehr ins Verliebtsein verliebt sind oder wirkliche Nähe zulassen können, ob Sie mit Ihren Projekten scheitern oder Ihr Erfolg durch die Decke geht. Das alles lässt sich aus einer Art Formel ableiten, auf die ich später noch zu sprechen komme: Selbstwert=(M)m8=Erfolg.
Ich begriff übrigens ziemlich schnell, dass einem bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstwert schnell das Prinzip »Wer hat Schuld?« in den Sinn kommt, weil diese Frage zu beantworten so herrlich leicht und bequem erscheint. Aber immer nur nach »Schuld« zu fragen, ob sie nun bei einem selbst liegt oder den anderen, hilft überhaupt nicht weiter. Das Zauberwort heißt dagegen Eigenverantwortung, was auch mir auf meiner Suche nach dem verlorenen Selbstwert enorm weiterhalf.
Nach einer schweren Kindheit, geprägt von Gewalt im Elternhaus und Kinderheim, später bei der Oma aufgewachsen, wurde mir ein wesentliches Merkmal für ein gesundes Selbstwertgefühl nicht mit auf den Weg gegeben: das Urvertrauen. Psychologen rätseln bis heute, ob dieses Manko reparabel ist, ob man es auch zu einem späteren Zeitpunkt wiederherstellen kann oder zumindest kompensieren.
Als ich zum Botschafter des Deutschen Kinderschutzbundes ernannt wurde, machte ich Schluss mit Halbwahrheiten und gab ein öffentliches Statement ab, warum ich authentisch für diese Aufgabe stehe. Ich schloss diese Begründung mit den Worten: »Die blauen Flecken, die Schmerzen, die Prügel, die ich als Kind abbekommen habe, das klingt hart, aber sie heilen, sie gehen vorbei. Was bleibt und was dich dein ganzes Leben begleitet, in jeder Sequenz, ist der bereits in der Kindheit niedergeprügelte Selbstwert, und das geschieht nicht nur durch körperliche Gewalt, sondern noch schlimmer: durch Worte der Geringschätzung, die so weit gehen, sich nur noch als ein ›Nichts‹ zu fühlen, als ›ungewollt‹, ›wertlos‹ und so weiter. Mit dem Widerhall solcher Worte geht man als Kind in die Schule, auf den Sportplatz und in die Pubertät – nicht ganz so einfach.«
Bei mir war damit der Grundstein für einen in manchen Phasen des Lebens komplett außer Gefecht gesetzten Selbstwert gelegt. Erst in den Jahren der Therapie wurde mir klar, dass ein weiterer erfolgreicher Lebensweg, und damit meine ich nicht nur beruflichen Erfolg, zwingend auf einem gesunden Selbstwert beruhen muss.
Somit ist an meiner Lebensgeschichte – da besonders plakativ, besonders schwarz/weiß, besonders öffentlich – die Bedeutung eines gesunden Selbstwerts besonders gut abzulesen.
Ich stehe als prominenter Protagonist für die Entschlüsselung dieses persönlichen Codes, denn ich habe selbst erfahren, wie der Selbstwert zu reparieren ist. Dennoch ist meine Erfahrung auf jeden von uns anwendbar. Wenn Sie sich dem Thema öffnen, werden Sie merken, dass Sie unter Umständen so manches Verhaltensmuster bei sich gar nicht vermutet hätten. Befand sich Ihre Persönlichkeitsstruktur doch so angenehm geparkt im toten Winkel Ihres Lebens. Das Unterbewusste hat – vereinfacht ausgedrückt – so tief liegende Schichten, da lassen sich ein paar Trojaner in Ihrem persönlichen Netzwerk leicht verstecken. Doch erst, wenn Sie hinschauen, entschlüsseln und das annehmen, was Ihnen widerfahren ist, können Sie Selbstzweifel, Sorgen und Ängste ablegen und zu einem gesunden Selbstwert gelangen.
Als ich kürzlich von einer Journalistin auf mein offenes Interview in der »Bild am Sonntag« angesprochen wurde, in dem ich erzählte, dass ich in der Kindheit über Jahre geprügelt wurde und dass es mir erst nach Jahrzehnten geglückt war, meiner Mutter zu verzeihen, zollte sie mir höchsten Respekt. »Das ist groß«, meinte sie. Danke für das...