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E-Book

Morphium, Cannabis und Cocain

Medizin und Rezepte des Kaiserhauses

AutorKatrin Unterreiner, Sabine Fellner
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783902862358
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ein enthüllender Bericht über 'geheime Krankheiten.' Eine packende Sozialgeschichte aus neuer Sicht. Neueste wissenschaftliche Dokumente sowie Analysen historischer Rezepte werfen erstmals ein Licht auf den Umgang mit den Volksseuchen Syphilis, Gonorrhoe und Tuberkulose im 19. Jahrhundert. Das Kaiserhaus in Wien war davon ebenso betroffen wie das aufstrebende Bürgertum, der einfache Soldat oder die Prostituierte. Während die Mitglieder des Wiener Hofes auf exklusive Arzneimittel, die Morphium, Codein, Cocain und Cannabis enthielten, zurückgreifen konnten, blieb der Unterschicht meist nur der Gang zu Kurpfuschern, die in Zeitungsinseraten diskrete Heilung versprachen. So begünstigten Prüderie und falsch verstandene Scham unseriöse Heilmethoden. Legende und Wahrheit über die Drogensucht Kronprinz Rudolfs sowie weiterer Mitglieder des Kaiserhauses Spannende Einblicke in die Heilmethoden und Arzneimittel des 19. Jahrhunderts Gesellschaftliche Hintergründe Aufarbeitung neuer Quellen und Archive Erstmalige Analyse der Rezepturen für Kaiserhaus, Adel, Bürgertum und Arbeiterklasse

Sabine Fellner, Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien und an der Sorbonne in Paris. Mitarbeit bei zahlreichen Ausstellungen. 1999-2000 Neukonzeption des österreichischen Tabakmuseums und bis 2003 Kuratorin des Museums. Seit 2003 Kuratorin der Kunstsammlung Austria Tabak und als freie Autorin und Kuratorin tätig. Zahlreiche Publikationen zum Thema Alltagskultur und zur österreichischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Publikationen bei Amalthea: 'Morphium, Cannabis und Cocain' und 'Frühere Verhältnisse'. Studium der Kunstgeschichte sowie Geschichte an der Universität Wien. 2000 bis 2007 wissenschaftliche Leiterin der Kaiserappartements der Wiener Hofburg und Kuratorin des 2004 eröffneten Sisi Museums. Kuratorin zahlreicher Ausstellungen sowie Publikationen zur Wiener Hofburg sowie Alltagskultur des Wiener Hofes. Autorin der 2005 und 2006 erschienenen Biographien 'Sisi - Mythos und Wahrheit' und 'Kaiser Franz Joseph - Mythos und Wahrheit'. Letzte Publikationen bei Amalthea: 'Morphium, Cannabis und Cocain' und 'Frühere Verhältnisse'.

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Leseprobe

Erzherzog Otto –
Quecksilber gegen Syphilis


Erzherzog Otto wurde am 21. April 1865 als zweiter Sohn Erzherzog Karl Ludwigs und Maria Annunziatas von Bourbon-Sizilien in Graz geboren. Karl Ludwig war als jüngerer Bruder Kaiser Franz Josephs nach dem Tod des Kronprinzen 1889 zwar der Erste in der Thronfolge, dennoch wurde von Beginn an sein ältester Sohn Franz Ferdinand als Thronfolger gehandelt. 1896 verstarb Karl Ludwig an einer Infektion, nachdem er auf einer Pilgerreise ins Heilige Land verseuchtes Jordanwasser getrunken hatte.

»Bolla«, wie Otto im Familienkreis genannt wurde, verlebte eine unbeschwerte Jugend, absolvierte die vorgegebene militärische Laufbahn und lebte ab 1885 als Offizier des 8. Ulanenregiments in Klagenfurt. 1886 heiratete er die sächsische Königstochter Maria Josefa, nachdem sein älterer Bruder Franz Ferdinand sich geweigert hatte, die in seinen Augen unattraktive Prinzessin zu ehelichen. Um die peinliche Situation, die Franz Ferdinand mit seiner Weigerung heraufbeschworen hatte, zu entschärfen, wurde Otto, wie Erzherzog Leopold (später Leopold Wölfling) in seinen Memoiren schilderte, »… unter Alkohol gehalten, was ja nicht schwer zu erreichen war … und machte einen offiziellen Antrag, den Josefas Vater sofort annahm, womit er nicht mehr rückgängig zu machen war42

Otto lebte nun mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in Klagenfurt, doch die Ehe der beiden verlief denkbar schlecht. Josefa war streng gläubig und fromm, der Erzherzog ein Lebemann und Frauenheld. Der »schöne Erzherzog«, wie der attraktive, charmante und lebenslustige Otto in Wien genannt wurde, sorgte für allerlei Skandale, einen davon verewigte Kaiserin Elisabeth sogar in einem ihrer Gedichte. Nachdem Otto im Zuge eines Trinkgelages Bilder des Kaiserpaares durchs Fenster in den Straßenmist geworfen hatte, zog er spät nächtens mit seinen betrunkenen Zechkumpanen zu seinem Haus und wollte in das Schlafzimmer seiner Frau eindringen, um seinen Freunden »eine Nonne« zu zeigen.

»In der Kneipe welch ein Toben,
Zechen und Pokalgeklirr!
Gibt das Beispiel doch von oben
Der Erzherzog-Offizier
.

Tische, Stühle müssen springen
Und in tausend Trümmer geh’n
Gläser rings in Scherben klingen,
Alles auf dem Kopfe steh’n
.

»Nun zum Schlusse sollst du auch fliegen,
Kaiser mir und Ohm zugleich,
mit der Frau Gemahlin liegen
In dem Dreck dort unten weich!«

Sagt’s, und beide Bilder flogen
Aus dem Fenster in den Kot
–wenn die Fama nicht gelogen–
zu des Bürgermeisters Not
.

Doch hier endet nicht die Roheit
Der besoffnen Heldenschar;
»Folgt mir« ruft die trunkne Hoheit
»Reuen soll’s Euch nicht, fürwahr!

Führen will ich euch nachhause
In mein kaiserlich Quartier;
Und nach unserm guten Schmause
Seht Ihr Schönes noch bei mir!

Dort, im leichten Nachtgewande,
Liegt im großen Ehebett
Meine Frau vom Sachsenlande;
Und, auf Ehr’, sie ist ganz nett!«43

Skandale und Affären


Für einen Skandal sorgte auch Ottos Auftritt im Hotel Sacher, eine der ersten Adressen der Wiener Gesellschaft. Hier traf man sich nicht nur zum Tee oder zu politischen Gesprächen, sondern das Sacher war auch für seine Separées bekannt, in denen man ungestört mit der Dame seines Herzens dinieren oder soupieren konnte. Im Zuge eines Gelages erschien Otto eines Tages mit nichts anderem als einem Säbel bekleidet im Korridor des Hotels und erschreckte mit diesem freizügigen Auftritt die Gäste. Darunter befanden sich auch der britische Botschafter und seine Gemahlin, die dermaßen entsetzt über den Auftritt des Erzherzogs waren, dass der Botschafter zuerst im Außenministerium und beim Polizeipräsidenten eine offizielle Beschwerde einlegte. Nachdem er jedoch keine Reaktion erhielt, suchte er schließlich sogar um eine Audienz bei Kaiser Franz Joseph an und berichtete ihm den Vorfall. Franz Joseph verfügte einen zweimonatigen Arrest Ottos in einem oberösterreichischen Kloster. Eugen Ketterl, der Leibkammerdiener des Kaisers, hielt in seinen Memoiren fest, dass der erzwungene Aufenthalt des Erzherzogs im Kloster jedoch »nicht sehr tragisch« verlief, sondern nur der Wein-keller darunter litt, denn »als der erlauchte Häftling wieder der Welt zurückgegeben wurde, wies das Weinlager klaffende Lücken auf44

Den größten Unmut erregte Otto jedoch mit einem Vorfall, der sogar politische Konsequenzen hatte. Eines Tages begegnete der Erzherzog mit einigen Freunden einem Leichenzug und sprang übermütig mit seinem Pferd über den Sarg hinweg. Der Trauerzug war dermaßen empört, dass man dem Erzherzog sogar Steine nachwarf. Am 17. Februar 1888 brachte der deutschnationale und später sozialdemokratische Politiker Engelbert Pernerstorfer den Vorfall sogar im Parlament vor. Kurz darauf wurde er von Unbekannten zusammengeschlagen, die Polizei konnte jedoch die Schuldigen nicht ausfindig machen. Erst viele Jahre später offenbarte ein Brief, den Kronprinzessin Stephanie veröffentlichte, dass sogar Kronprinz Rudolf in die Angelegenheit verwickelt war. So schrieb er am 5. März 1888 an seine Gemahlin: »Die Polizei hat mir schlechte Stunden bereitet, sie haben Spuren entdeckt und auch das Regiment, von welchem die Prügel ausgegangen sind! Die Leute konnten sie nicht finden, denn wir haben den einen in Südungarn, den anderen in der Herzegowina angebaut. Es hat meine ganze Frechheit dazugehört, um mich und Bolla aus allem zu salvieren.«45

Die Bevölkerung war vom rücksichtslosen Leben des Erzherzogs immer empörter, bald machten auch Gerüchte die Runde, er hätte den Tod eines Unteroffiziers der Dragoner verschuldet, in dem er ihn bei einem Zechgelage in Enns zwang, bis zur Bewusstlosigkeit Schnaps zu trinken, um ihm danach noch weiter Alkohol in die Kehle zu schütten, woraufhin der junge Mann verstarb.46

Unabhängig davon, ob diese Geschichten den Tatsachen entsprechen, beeinflussten sie jedenfalls die öffentliche Meinung: »Er kneipte in voller Uniform in den verrufensten Lokalen mit feilen Dirnen oder veranstaltete wüste Gelage in den abgeschlossenen Räumen einzelner Hotels, wo es in einer Weise zuging, die das schamloseste aus der Zeit des tiefsten Verfalles des römischen Kaisertums vollends in den Schatten stellte.«47

Auch aus seinen zahlreichen Affären und Liebschaften machte Otto keinen Hehl und stellte den Damen seines Wohlgefallens auch ungeniert nach. Doch nicht alle erlagen dem Charme des Erzherzogs – so etwa die erfolgreiche Sängerin des Theaters an der Wien Ilka Pálmay, die in ihren Memoiren schilderte, wie Otto ungeniert mit ihr flirtete: »Er tat das zumeist in der Weise, daß er sich mit den beiden Ellenbogen auf die Logenbrüstung stützte, das Opernglas zwischen beide Hände nahm und mir darunter weg mit dem kleinen Finger Kußhände zuwarf.«48 Da Fräulein Pálmay bereits mit Eugen Kinsky liiert war, der sie schließlich auch heiratete, war sie an einer Affaire mit dem Erzherzog nicht interessiert und brach den Kontakt ab. Die begehrte und schöne Solotänzerin der Hofoper Marie Schleinzer verliebte sich hingegen Hals über Kopf in den Erzherzog. In diesem Fall handelte es sich allerdings nicht um eine unbedeutende Affaire, sondern um eine längere Liaison, Vertraute des Kronprinzen sprachen sogar von seiner großen Liebe. Marie Schleinzer lebte mehrere Jahre mit dem Erzherzog sowie den gemeinsamen zwei Kindern, Alfred und Hilde, die er als seine Kinder anerkannte, in einer Villa, die er ihr in der Anton-Frank-Gasse im 18. Bezirk in Wien gekauft hatte. Den Sommer verbrachte das Paar in einem einfachen Landhaus in der Veitsch in der Steiermark, das auf den Namen Ottos Büchsenspanners gemietet wurde. Dennoch litt Marie Schleinzer unter dem Makel, die Mätresse eines Habsburgers zu sein und heiratete schließlich Dr. Julius Hortenau, der als praktischer Arzt in Abbazia lebte. Anlässlich ihrer Hochzeit wurde Julius Hortenau zum »Edlen von Hortenau« erhoben und vererbte diesen Titel auch an seinen Stiefsohn Alfred. Das Paar lebte nun in Abbazia, Marie Schleinzer blieb dem Erzherzog jedoch bis zu seinem Tode eng verbunden. Ottos Frau, Erzherzogin Maria Josefa, wusste vom außerehelichen Familienleben ihres Mannes, ein enger Vertrauter Ottos, Baron Kielmannsegg, schilderte in seinen Memoiren sogar, dass Otto mit der hyperklerikalen Erziehung der ehelichen Kinder nicht einverstanden war und seiner Frau einmal sagte: »meine Kinder werden viel besser erzogen als die deinen.«49

»… aber die Kleine könnte es grausen …«


Ottos ausschweifendes Leben blieb nicht ohne Folgen. Nach 1900 zeigten sich beim Erzherzog erste Beschwerden – offiziell litt er an Kehlkopfentzündung – bald...

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