Stift auf einem gedruckten LebenslaufEine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Suche nach einer Arbeitsstelle, ganz gleich ob zu Beginn der Karriere oder bei einem Wechsel des Anstellungsverhältnisses, ist für viele Menschen das Bewerbungsgespräch. Mittlerweile gibt es viele unterschiedliche Ansätze und Methoden, die Unternehmen zurate ziehen, um neue Mitarbeiter zu akquirieren und im übertragenen Sinne die Spreu vom Weizen zu trennen. Während dazu in seltenen Fällen Methoden wie Potenzialanalysen, Einstellungstests und Assessment Center gewählt werden, ist es in den meisten Fällen immer noch das klassische Vorstellungsgespräch, auf das sich der Bewerber mit Anstellungswunsch einstellen muss. In einem persönlichen Gespräch können grundsätzlich keine spezifischen, quantitativen Messgrößen erfasst werden, wie es in Tests und im Assessment Center möglich ist. Trotzdem zeichnet sich das Bewerbungsgespräch besonders dadurch aus, dass die Personaler den potenziellen Mitarbeiter in einem freien Gespräch auf sozialer wie fachlicher Ebene testen und kennenlernen können. Immer ist eine intensive Vorbereitung auf beiden Seiten der Schlüssel zum Erfolg. Dabei gehören additiv zu einer fachlichen Kompetenz auch die sogenannten Soft Skills, die ein wirkungsvolles und überzeugendes Auftreten ermöglichen.

Ein Test hingegen ist immer standardisiert, was zwar statistische Vorteile bietet, für den Recruiter aber auch Einschränkungen bedeutet, insofern, dass er nicht auf jeden Bewerber individuell eingehen kann. So kann es zwischen Bewerbungsgesprächen große Unterschiede geben, aber auch können verschiedene Unternehmen unter einem Bewerbungsgespräch sehr Unterschiedliches verstehen. Während noch immer viele Firmen die steife Variante eines strukturierten Interviews zwischen zwei Personen einsetzen, welches viele Bewerber aufgrund des verhörartigen Charakters fürchten, gibt es mittlerweile eine breite Palette an unterschiedlichen kreativen Formen und Varianten eines persönlichen Bewerbungsgesprächs, die immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Die vielen frei im Internet verfügbaren Ratgeber versprechen, dass mit ihrer Hilfe alle Fragen von Personalern gemeistert werden können. Sie gehen meist davon aus, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Stressinterview handeln wird. Der Recruiter wird dabei also sehr schnell zur Sache kommen und eine herausfordernde Frage nach der anderen stellen. Fragen wie „Warum meinen Sie, dass Sie zu unserem Unternehmen passen?“ oder auch spontane Denkaufgaben können dazu gehören. Der Zweck solcher Nachforschungen ist es, schnell Bewerber zu erkennen, die plötzlichen Stresssituationen gewachsen sind oder auch einfach herauszufinden, welche Problemlösungsstrategien die andere Person anwendet. Im Geschäftsalltag kann es jederzeit zu komplizierten oder stressigen Momenten kommen. Ein Anhaltspunkt bezüglich der Stress-Fitness des potenziellen Mitarbeiters kann für eine Einstellungsentscheidung bedeutend sein. Mittlerweile gehen viele Unternehmen allerdings von einem solchen Ansatz weg. Zu groß ist die Gefahr, den potenziellen Mitarbeiter mit einem zu strukturierten Aufbau des Gesprächs abzuschrecken und das Unternehmen als 0815-Headhunter abzustempeln. Daher werden immer neue Arten von Interviewstrukturen angewandt, die nach außen verdeutlichen sollen, dass sich das Unternehmen intensiv mit den Personalauswahlverfahren auseinandersetzt.

Gruppeninterviews sind in Deutschland noch relativ unbekannt, aber einige Start-ups nutzen sie bereits als Teil ihres Recruiting-Prozesses. Eine der Möglichkeiten, für ein solches unbefangenes Setting bietet ein Pokertisch. Für den Recruiter ergibt sich hier die Gelegenheit, alle individuellen Charakteristiken durch ein Kartenspiel mit potenziellen Bewerbern aufzudecken. Geduld und soziale Interaktionen, aber auch die spezifische Veranlagung, wie mit Gewinnen und Verlusten umgegangen wird, sind nur eine kleine Auswahl der Werte, die am Pokertisch zutage gefördert werden. Auch in anderen Settings kann bei Gruppeninterviews erkannt werden, wie sich die Bewerber in direkter Konkurrenz verhalten. Dazu zählen durchaus klassische Team-Building-Maßnahmen wie der Gang über heiße Kohlen, ein gemeinsamer Floßbau, Geocaching oder Rafting. In den Vereinigten Staaten bieten viele Football Clubs darüber hinaus sogenannte Recruiting Barbeques an. Dazu werden einige der Rekruten zu einem Grill-Event eingeladen, bei dem sie in entspannterer Umgebung kennengelernt werden, aber selbst auch die Verantwortlichen des Clubs kennenlernen, um einen gegenseitiges Matching sicherzustellen, welches gerade im Sport besonders wichtig ist. In der Arbeitswelt in Deutschland findet diese Form des Bewerbungsgesprächs häufig im Rahmen eines gemeinsamen Mittagessens statt. Manch ein Unternehmen, insbesondere im Süddeutschen Raum, lädt die Bewerber glatt zum gemeinsamen Afterwork-Event im Biergarten ein, um diese direkt in Interaktion mit dem Team zu sehen.

Neben einer primären Beschäftigung wird das Interview sekundär durchgeführt, das Unternehmen macht einen nahbaren Eindruck. Zudem stellt es sich selbst auf eine Weise dar, die es über das fachliche Renommee hinaus für Bewerber interessant macht. Dabei können Smalltalk-Fähigkeiten beobachtet werden und die Möglichkeit besteht, abzuschätzen, wie sich der Bewerber potenziell in die soziale Struktur des Unternehmens eingliedern lässt. Viele Persönlichkeitseigenschaften lassen sich bei dieser Art der indirekten Interviews ablesen, zusätzlich spart es dem Unternehmen Zeit und Kosten ein, die durch viele Einzelinterviews entstehen würden.

Teller mit Grillgut und Limettenscheiben

Ein anderer Grund, um neue Bewerbungsprozeduren einzuführen, liegt in den veränderten Ansprüchen der Bewerber der Generation Y. Entsprechend dem Employeer Branding ist daher in den letzten Jahren ein immer stärkerer Trend der Unternehmen zu beobachten, die sich bei potenziellen Mitarbeitern bewerben, anstatt dass es andersherum wäre. Explizite Abschlüsse und Bewerbungsschreiben verlieren zunehmend an Bedeutung; der persönliche Eindruck beider Parteien sowie beispielsweise ein aussagekräftiges Arbeitszeugnis werden umso wichtiger. Entsprechend gibt es immer mehr Modelle, die es ermöglichen, dass nicht nur Unternehmen passende Arbeitnehmer finden, sondern auch dass Arbeitnehmer ein Unternehmen finden, welches zu ihnen passt.

Im Personalmanagement ist dies mit privaten Beziehungen im Alltag vergleichbar. Einige Unternehmen präsentieren sich deshalb auf Messen, Kongressen oder Konferenzen, da die Veranstaltung selbst oft bereits als Werkzeug der Vorauswahl des Publikums dient. Eine andere Form, die aus Großbritannien stammt und auch in Deutschland Fuß gefasst hat, ist die des JobSpeedDatings. Besonders um schnell einen Überblick über eine große Anzahl an potenziellen Bewerbern zu bekommen oder über eine breite Palette an möglichen Arbeitgebern, eignet sich diese neue Form des Vorstellungsgesprächs besonders gut. Unternehmen und Bewerber haben nur zehn Minuten Zeit, um sich kennenzulernen sowie Erwartungen und Qualifikationen abzugleichen. Im Anschluss wird zum nächsten Tisch gewechselt. Gerade für nervöse Bewerber kann dies ein erfolgsversprechendes Modell sein: Innerhalb von zehn Minuten ist die Anzahl an Fragen begrenzt und im Anschluss hat jeder Bewerber am nächsten Tisch eine neue Chance, einen anderen Personaler von sich zu überzeugen. Natürlich liegen bei einem Job-Speed-Dating nicht die Verträge unter dem Tisch und die Bewerber können nicht mit einer direkten Anstellung rechnen. Stattdessen führt ein Match meist zu einem weiteren Gespräch, bei dem ausführlicher auf einzelne Punkte eingegangen werden kann. Trotzdem herrscht bei einem zweiten Treffen eine andere Atmosphäre, wenn sich Bewerber und Personaler bereits kennen und ein erster Eindruck so positiv ausgefallen ist, dass ein zweites Treffen überhaupt stattfindet.

 

Frauenhand hält SmartphoneEine Vorauswahl kann ebenfalls durch ein Assessment Center erfolgen oder durch die Zielgruppen-Bündelung einer Fachmesse; manche Unternehmen machen sich aber auch die Smartphone-Technologie zunutze. Verschiedene Recruiting-Apps ermöglichen es Unternehmen, Fragebögen zu erstellen, in synchronen oder asynchronen Kontakt mit den Bewerbern zu treten, optional auch inklusive Bildübertragung, oder direkten Zugriff auf verschiedene Berufsportale zu erhalten. Dies vereinfacht die Organisation von Online- und Offline-Bewerbungsgesprächen und das gesamte Personalmanagement ungemein. Selbstverständlich sind wie in allen Fällen von digitaler Softwareunterstützung datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten, die über die von klassischen Bewerbungsvorgängen hinausgehen.

Es muss sicherlich nicht immer das strukturierte Vorstellungsgespräch sein, so wie es im antiquierten Lehrbuch steht. Häufig sind es stattdessen neue Ansätze, die auf dem aktuellen Arbeitsmarkt Erfolg versprechen können. Dazu gehören neben Gruppeninterviews, Interviews in ungezwungenerem Rahmen, Job-Speed-Datings und der Nutzung von Recruiting-Apps auch noch viele weitere Möglichkeiten, die den Fokus neben der Rekrutierung des bestmöglichen Mitarbeiters auch auf die Arbeitgebermarke legt, um dem Bewerber bereits bei dem Bewerbungsgespräch zu vermitteln, wieso er zum Unternehmen passt. Die Vielfalt der heutigen Zeit bietet viele Optionen, auch abseits der Norm.

Petra Lehnert
Im Sandfeld 11b

41334 Nettetal