Von Klaus H. Kober, Lauf
Unser Nachbar Österreich hat gerade die Impfpflicht eingeführt. In Deutschland wird hierüber seit einiger Zeit heftig und kontrovers diskutiert. Die Ampelkoalitionäre wollen hierzu einen Gesetzentwurf vorlegen. Nichtdestotrotz: die Ansichten hierzu sind quer durch alle Parteien unterschiedlich.
Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme vom 24. Juni 2019 zur Frage „Impfen als Pflicht?“ (Deutscher Ethikrat, 2019) vier Bedingungen genannt, die vor Einführung einer Impfpflicht erfüllt sein müssen:
– der Begriff der Impfpflicht muss erstens angesichts seiner Mehrdeutigkeit und im Wissen um die Existenz unterschiedlicher Regulationsinstrumente präzisiert werden.
– Zweitens müssen die Besonderheiten derjenigen Personengruppen angemessen berücksichtigt werden, bei denen gegenwärtig die größten Impflücken bestehen.
– Zum Dritten müssen die wichtigsten Barrieren identifiziert werden, die einer Erhöhung der Impfquote bislang im Wege stehen.
– Und viertens muss die tatsächliche Eignung der empfohlenen Maßnahmen für das Erreichen des jeweils angestrebten Zieles überprüft werden.
In seiner Analyse kam der Deutsche Ethikrat zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer generellen Impfpflicht zum damaligen Zeitpunkt vor dem Hintergrund von Angemessenheit, Eignung und Verhältnismäßigkeit (noch) nicht angebracht erschien. Vielmehr konstatierte er, dass gesetzliche Zwänge nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen sollten. Seine Empfehlung lautete daher, niedrigschwellige Maßnahmen (wie z. B. umfassendere Aufklärungs- und Impfangebote, die Einführung von Impf-Erinnerungssystemen in Haus- und Kinderarztpraxen oder die Einrichtung eines strukturierten nationalen Impfregisters) vorrangig umzusetzen. Lediglich eine mit Tätigkeitsverboten sanktionierbare Impfpflicht für Berufsgruppen in besonderer Verantwortung, respektive Personal im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen, befürwortete der Deutsche Ethikrat damals mit Ausnahme eines Mitgliedes.
Sind mit Blick auf die Coronapandemie also nun die Voraussetzungen gegeben, um von einer gesetzlichen Impfplicht als Ultima Ratio Gebrauch zu machen? Oder gibt es einfachere Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der Impfquoten bei COVID-19 führen können?
Die Klaus H. Kober Managementberatung hatte bereits 2015 im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlandes eine Vorstudie zum Aufbau eines Impf-Informations- Systems erstellt. 2018 erarbeitete ein interdisziplinäres Expertenteam unter Leitung von Dr. Jürgen Rissland, Virologe und Leitender Oberarzt des Instituts für Virologie an der Universität des Saarlands, eine Konzeptstudie zum gleichen Thema. Die Studie wurde vom BMBF gefördert. Ziel der Konzeptstudie war, sowohl die wissenschaftlichen und technischen als auch die ökonomischen und datenschutzrechtlichen Grundlagen zum Aufbau eines Impf-Informationssystems zu erarbeiten. Im Ergebnis liegt ein umsetzungsreifes Konzept vor.
Zur pilothaften Umsetzung im Saarland kam es leider bis heute nicht, weil das Bundesland sich außerstande sah, trotz entsprechender Gespräche mit der Landesregierung (bis auf die Ebene der damaligen Ministerpräsidentin) den 20%-Eigenanteil für die ansonsten vom Bund getragene Finanzierung für einen Zeitraum von 5 Jahren zu übernehmen. Die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung (IT WIBE) ermittelten Kosten zum Aufbau des IIS als Komplettsystem wurden damals mit ca. 5,2 Mio. EUR über 5 Jahre kalkuliert.
Was ist ein Impf-Informations-System (IIS)
Unter einem Impf-Informations-System (IIS) wird international eine zugangsgesicherte, computergestützte Datenbank verstanden, mit deren Hilfe sowohl individuelle als auch bevölkerungsbezogene Informationen über durchgeführte Schutzimpfungen gesammelt und gespeichert werden können. Dies in Bezug auf alle Alterskohorten und impfpräventablen Erkrankungen. Die Umsetzung der Ziele des Nationalen Impfplans von 2012 war ebenfalls Gegenstand des Projekts. Die folgenden beiden Abbildungen veranschaulichen den Nutzen bzw. Mehrwert eines Impf-Informations-Systems
Abb1.: Nutzen / Mehrwert eines Impf-Informations-Systems I
Quelle: Kober K., Pfannstiel M., Abschlussbericht Aufbau eines Impf-Informations-Systems für das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlandes, 2015
Die Darstellung zeigt exemplarisch Verwendungsmöglichkeiten eines IIS auf. Wichtigster Schwerpunkt für die Nutzung der Daten ist die Schaffung von Transparenz für den Impf-und Versorgungsgrad des Individuums, aber auch der Gesellschaft als Ganzes. Daneben eröffnet ein IIS die Möglichkeit für eine Anbindung an andere medizinische Register, wie z. B. das Krebsregister, und damit für eine umfassende Analyse der Präventions-Wirkungen von Impfungen. Nicht zuletzt bietet ein IIS auch die Basis für wissenschaftliche Studien als Ausgangspunkt zur Verbesserung der Impfsituation.
Quelle: Kober K., Pfannstiel M. Abschlussbericht Aufbau eines Impf-Informations-Systems für das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Saarlandes, 2015
Abbildung 2 zeigt beispielhaft, welche Unterstützung ein IIS leisten kann. Hierunter fallen die Planung von kurz- und langfristigen Impfstrategien, Hinweise auf die Schließung von Impflücken, allgemeine Empfehlungen und Handlungsbedarfe hinsichtlich des Impfgeschehens. Die hier aufgeführte Dokumentation aller Impfung beinhaltet auch einen elektronischen Impfpass.
Wie schnell kann ein IIS umgesetzt werden?
Während also aus fachlicher Sicht ein IIS nennenswerte Vorteile für das Impfwesen aufweist (und in verschiedenen europäischen Nachbarländern, wie z. B. Niederlande, seinen Mehrwert auch bereits unter Beweis gestellt hat), bleibt die Frage, wieviel Zeit für die technische Umsetzung erforderlich ist. Das für das Saarland geplante Konzept sah und sieht vor, das Rad nicht komplett neu zu erfinden, sondern auf bereits bestehende Lösungen aufzubauen.
In Frankreich kommt seit geraumer Zeit auf regionaler Ebene ein IIS-Modell zum Einsatz, dessen Konzeption viele der technischen Anforderungen bereits erfüllt. Deswegen war im Saarland von Anfang an eine Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Frankreich angedacht, deren System auf die deutschen Verhältnisse lediglich angepasst und um verschiedene Aspekte ergänzt werden sollte. Da die Verbindung zu den französischen Kollegen sowie deren Interesse an einer Kooperation mit Deutschland unverändert besteht, ist die Umsetzung eines „Basis-IIS“ – politischen Willen und die Verfügbarkeit entsprechender Finanzmittel vorausgesetzt – im Laufe weniger Wochen machbar.
Fazit
Nimmt man die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates von 2019 als Maßstab, wird klar, dass vor der Einführung von gesetzlichen Impfpflichten verhältnismäßig mildere Mittel zum Einsatz (ge)kommen (sein) sollten. Impf-Informations-Systeme sind solche Möglichkeiten und bieten überdies die Chance, für eine wissenschaftlich korrekte Datenlage hinsichtlich des Impfgeschehens in Deutschland und damit als Grundlage für gute politische Entscheidungen zu sorgen.
Demgegenüber darf man die aus einer gesetzlichen Impfpflicht erwachsenen Probleme nicht nur unter administrativen Aspekten sehen. Die daraus resultierenden Fragestellungen sind alles andere als trivial! Wie soll die Impfpflicht durchgesetzt werden bzw. wie sehen Sanktionen gegen die nicht Geimpften aus? Vermutlich wird es auch nicht ohne Ausnahmetatbestände gehen, die dann ihrerseits wieder ärztlich attestiert werden müssen. Bliebe noch die Frage, wie die Auswirkung einer „zwangsweisen Impfung“ auf die Betroffenen ist? Auch die verfassungsrechtliche Frage ist offensichtlich nicht abschließend geklärt.
Da eine gesetzliche Impfpflicht die üblicherweise erforderliche Einwilligung des Impflings in diese „Körperverletzung“ juristisch übersteigt und dabei Grundrechte berührt, empfiehlt sich eine besonders sorgfältige Abwägung dieser „Ultima Ratio“. Vielleicht erwacht die Politik ja noch und besinnt sich auf den nachhaltigen und umsetzungsreifen Ansatz der Etablierung von Impf-Informations-Systemen. Dies würde unserem Land weitere unnütze und streitige Diskussionen ersparen.
Literatur
Deutscher Ethikrat: Impfen als Pflicht? 2019, erhältlich unter: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-impfen- als-pflicht.pdf (aufgesucht am 23.01.2021).
Klaus Kober ist Berater und Experte für regionale Gesundheitsversorgung, ärztliche Bedarfsplanung und Policy Affairs Management. Schwerpunktmäßig berät er Arzneimittelhersteller, Gesundheitspolitiker, Kostenträger, Verbände, pharmazeutische Industrie, Kommunen, Behörden, Kliniken, Arztpraxen und Medizinversorgungszentren MVZ.
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