Soziologische Forschungsbeiträge untersuchen, inwiefern die Wahl Obamas ein Hinweis auf das Ende des Rassismus in der amerikanischen Politik sein könnte
Mitten im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf steht die Bedeutung Barack Obamas und seiner Präsidentschaft erneut im Fokus des Interesses. War Obamas Wahl der von vielen vorausgesagte, entscheidende Wendepunkt für die amerikanische Politik und die Rassenbeziehungen? In einer von Springer veröffentlichen Sonderausgabe von Qualitative Sociology: The Obamas and the New Politics of Race,1 versucht eine Reihe von Experten auf dem Gebiet kritischer Rassentheorie eine Antwort auf diese Frage zu finden. Die sechs Beiträge in dieser Sonderausgabe sind hochaktuelle, soziologisch kritische Arbeiten zum Thema Rasse, Rassismus und Politik mit Blick auf Barack Obamas Präsidentschaft . Alle Beiträge sind auf SpringerLink frei geschaltet und können kostenfrei gelesen werden.
Mit der Frage, wie das Konzept „Familie“ benutzt wurde, um soziale Ungleichheit generell und Rassenungleichheit im Besonderen zu beleuchten wie auch zu verschleiern, setzt sich der Beitrag von Patricia Hill Collins auseinander. In ihrem Artikel „Just another American story? The first Black First Family“2 zeigt die ehemalige Präsidentin der American Sociological Association, wie es der Familie Obama gelungen ist, die Themen Rasse, Geschlecht, Arbeit und Gleichberechtigung wieder in den Fokus der politischen Diskussion zu rücken, indem sie ihre ‘Familiengeschichten‘ während des Wahlkampfs 2008 und in den Jahre nach der Wahl in den Mittelpunkt stellten. Und dies zu einer Zeit, in der solche Diskussionen durchaus riskant erscheinen.
Die öffentliche Debatte über Obamas Staatsbürgerschaft und Legitimität als Präsident analysiert Professor Matthew Hughey von der Mississippi State University in seinem Artikel „Show me your papers! Obama’s birth and the whiteness of belonging“3. Hughey identifiziert den sogenannten ‚birtherism‘ – den Glauben, dass Obama aufgrund seiner Geburt nicht für das Präsidentenamt qualifiziert ist – als Auffassung in der Praxis, die durch die Geschichte der Sklaverei entstanden ist. Hughey geht davon aus, dass sich vieles von dem, was an der Rassen- und Rassismuspolitik ‚neu‘ ist, an Diskussionen zu Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit, Authentizität und Identität orientiert. Er kommt zu dem Schluss, dass Obama zwar durchaus legaler Staatsbürger sein mag, viele ihn aber dennoch als eher zweifelhaften Amerikaner sehen. Somit wird die Frage, wer der „echte“ Obama ist, auch bei den Wahlen 2012 ein Thema bleiben.
Im Artikel „Mutts like me: multiracial students‘ perception of Barack Obama“4 geht Professor Michael Jeffries vom Wellesley College der Frage nach, wie andere gemischtrassige US-Amerikaner Obamas Identität, Rasse und Zugehörigkeit sehen. Aus seinen Interviews mit gemischtrassigen Studenten schließt Jeffries, dass die Befragten nicht an einen ‚post-racial idealism‘, eine Art post-ethnischen Idealismus, glauben und Obamas Wahl für sie auch nicht das Ende des Rassismus signalisiert. Die Mehrzahl der Befragten sieht Obama vielmehr als Schwarzen, obgleich seine gemischtrassige Herkunft natürlich unbestritten ist. Jeffries kommt zum Ergebnis, dass aus der Rassenforschung des neunzehnten Jahrhunderts entstandene Rassenschemata auch heute noch erhebliche Auswirkungen auf verbreitete Vorstellungen von Rasse haben.
Die Wahl Barack Obamas und seine erneute Kandidatur für die Wahl im November 2012 gibt Anlass zu Diskussionen, ob und inwieweit sich der Rassenbegriff und die Rassenbeziehungen verändert haben, innerhalb und außerhalb der Wahlthematik. Mit einem synoptischen Aufsatz der Gasteditoren Simone Brown und Ben Carrington von der University of Texas, Austin, zur vielfältigen Bedeutung von Barack Obama und seiner Familie in einem Zeitalter, das sich möglicherweise vom Thema Rasse frei gemacht hat, macht die Juni-Ausgabe von Qualitative Sociology deutlich, wie wichtig kritische soziologische Analysen für das Verständnis zeitgenössischer Rassenpolitik in den Vereinigten Staaten sind. Wer sich dafür interessiert, wie sich die kulturelle Rassenpolitik auf die Präsidentschaftswahlen 2008 ausgewirkt hat und welchen Einfluss sie auf die aktuelle Wahl und die Zukunft der Rassen in den Vereinigten Staaten hat, sollte diese Ausgabe unbedingt lesen.
Quellen
1. Qualitative Sociology, Special issue: The Obamas and the New Politics of Race, Vol. 35, No.2. Das Sonderheft ist freigeschaltet unter: http://www.springerlink.com/content/0162-0436/35/2/.
2. Collins PH (2012). Just another American story? The first Black First Family. Qualitative Sociology; DOI 10.1007/s11133-012-9225-5.
3. Hughey MW (2012). Show me your papers! Obama’s birth and the whiteness of belonging. Qualitative Sociology; DOI 10.1007/s11133-012-9224-6.
4. Jeffries MP (2012). ‘Mutts like me’: multiracial students’ perceptions of Barack Obama. Qualitative Sociology; DOI 10.1007/s11133-012-9226-4.
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