Bei der malignen hämatologischen Systemerkrankung Multiples Myelom (MM) können zytogenetische Aberrationen wie der Zugewinn oder die Amplifikation des Chromosoms 1q (Gain/Amp[1q]) auftreten, die die Prognose verschlechtern und die Therapie erschweren. Im Rahmen eines Symposiums anlässlich des 36. Deutschen Krebskongresses gingen die Experten Dr. Niels Weinhold, Universitätsklinikum Heidelberg, und Prof. Cyrus Khandanpour, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, der Frage nach, wie Patient*innen mit Hochrisiko-Zytogenetik effektiv behandelt werden können. Aktuelle Daten der Phase-III-Studien IKEMA und ICARIA-MM zeigen, dass Kombinationstherapien mit dem Anti-CD38-Antikörper Isatuximab (Sarclisa®) auch für Patient*innen mit rezidiviertem und refraktärem Multiplem Myelom (RRMM) und +1q-Zytogenetik das progressionsfreie Überleben verlängern können.

 

+1q verschlechtert die Prognose

Aberrationen im langen Arm von Chromosom 1 (1q), wie der Zugewinn oder die Amplifikation von 1q (+1q), gehören beim MM zu den häufigsten zytogenetischen Veränderungen: Rund 40 Prozent aller neu diagnostizierten Patient*innen weisen eine solche Aberration auf und ihr Anteil nimmt im Krankheitsverlauf bzw. mit der Anzahl der Therapielinien weiter zu.1,2 Gain(1q) ist definiert als eine zusätzliche Kopie von 1q (3 Kopien insgesamt), bei Amp(1q) liegen ≥ 2 zusätzliche Kopien vor (≥ 4 Gesamtkopien).1,3 „+1q gilt als unabhängiger Risikofaktor in neu diagnostizierten Patienten“, erklärte Dr. Weinhold. „Die Zunahme der 1q-Kopien ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert“, so Prof. Khandanpour.4

Als Schwellenwert (Cut-off) für die Vorhersage einer ungünstigen Prognose von MM-Patient*innen mit Gain/Amp(1q) wird unter anderem der Nachweis von +1q in 20 Prozent der Plasmazellen vorgeschlagen.2 Einige klinische Studien berücksichtigten allerdings +1q nicht beim Risiko-Status oder gäben keinen oder stark variierende Cut-Off-Werte an, so Dr. Weinhold. Die Studien IKEMA und ICARIA-MM mit Isatuximab-Kombinationen nutzen einen höheren Cut-Off-Wert von 30 Prozent.5

 

IKEMA und ICARIA-MM: Benefit durch Isatuximab-Kombinationen

Die Phase-III-Studien IKEMA und ICARIA-MM untersuchten Kombinationstherapien mit dem Anti-CD38-Antikörper Isatuximab mit Carfilzomib/Dexamethason (Isa-Kd) bzw. Pomalidomid/Dexamethason (Isa-Pd) in der Zweit- bzw. Drittlinie bei Patient*innen mit RRMM.6,7 In beiden Studien erreichen Patient*innen in der Dreifachkombination mit Isatuximab im Vergleich zu Kd bzw. Pd eine signifikante Verlängerung des medianen progressionsfreien Überlebens (mPFS).7,8

Isatuximab-Kombinationen auch bei +1q effektiv

Subgruppenanalysen der IKEMA- und ICARIA-MM-Studie weisen darauf hin, dass auch Patient*innen mit der prognostisch ungünstigen Aberration +1q von Isatuximab-Kombinationen profitieren können.9,10 In der IKEMA-Studie schnitten Patient*innen unter Isa-Kd mit und ohne +1q-Status ähnlich gut ab – es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Subgruppen. Untersucht wurden Patient*innen ohne +1q oder mit +1q (≥ 3 Kopien mit oder ohne weitere chromosomale Hochrisiko-Aberrationen [HRCA]) sowie Patient*innen mit isoliertem +1q (≥ 3 Kopien ohne weitere HRCA). Bei Patient*innen ohne +1q betrug das mPFS unter Isa-Kd 41,7 Monate (vs. 20,3 Monate unter Kd; HR 0,55), bei Patient*innen mit +1q 25,8 Monate (vs. 16,2 Monate unter Kd; HR 0,58) und bei Patient*innen mit isoliertem +1q Status lag es bei 38,2 Monaten (vs. 16,2 Monaten unter Kd; HR 0,50).11 „Die Isa-Kd-Kombination scheint den negativen Effekt von +1q zu revertieren.“, sagte Prof. Khandanpour. Dieser Trend konnte zuvor bereits auch in einer retrospektiven Auswertung der ICARIA-MM-Daten belegt werden – auch hier zeigte sich unter Isa-Pd ein ähnlich langes mPFS, unabhängig davon, ob ein +1q-Status (≥ 3 Kopien mit oder ohne weitere HRCA) vorlag oder nicht (11,6 vs. 9,5 Monate; HR 1,19); im Pd-Arm war das mPFS bei Patient*innen mit +1q allerdings deutlich kürzer (3,8 vs. 9,8 Monate; HR 2,20).5

 

Anti-CD38-Antikörper mit unterschiedlichen Wirkmechanismen

Isatuximab unterscheidet sich in seinem Wirkmechanismus von Daratumumab, dem anderen zugelassenen Anti-CD38-Antikörper, erklärte Prof. Khandanpour. Während die Isatuximab-Kombinationen auch bei +1q-Status wirksam sind, gibt es zu Daratumumab bisher nur limitierte Effektivitätsdaten für RRMM-Patient*innen mit +1qA.1,5 Möglicherweise könnten die abweichenden Resultate bei Patient*innen mit +1q auf die unterschiedlichen Wirkmechanismen der beiden Anti-CD38-Antikörper zurückzuführen sein.5 Isatuximab bindet an das allosterische Zentrum von CD38 und hemmt multimodal die Hydrolase- und Zyklaseaktivität von CD38,12-1 während Daratumumab an ein anderes Epitop bindet und nur teilweise die Zyklaseaktivität inhibiert, die Hydrolaseaktivität jedoch verstärkt.14,15 „Isatuximab blockiert die Hydrolaseaktivität, dieser Wirkmechanismus ist für Daratumumab nicht bekannt. Die Hydrolaseaktivität fördert eine immunsuppressive Umgebung und bewirkt, dass T-Zellen und – vor allem – natürliche Killer (NK)-Zellen blockiert werden. Daher könnte die bessere Funktion der NK-Zellen unter Isatuximab möglicherweise eine Rolle für die bessere Wirksamkeit auch bei +1q spielen“, erklärte Prof. Khandanpour.

Quelle: Symposium „Herausfordernde Therapiesituationen beim Multiplen Myelom“ am 21. Februar
2024 im Rahmen des 36. Deutschen Krebskongresses (DKK) in Berlin, veranstaltet von Sanofi.

Referenzen
1 Bisht K et al. Exp Rev Haem 2021; 14: 1099–1114
2 Hanamura I. Cancers 2021; 13: 256
3 D’Agostino M et al. IMW 2021; Abstract 1062754
4 D’Agostino M et al. IMW 2021; Abstract 1083801
5 Martin T et al. Haematologica 2022; 107: 2485–2491
6 Moreau P et al. Lancet 2021; 397: 2361–2371
7 Attal M et al. Lancet 2019; 394: 2096–2107
8 Martin T et al. Blood Cancer J 2023;13(1):72.
9 Spicka I et al. J Clin Oncol 2021; 39 (s15): 8042
10 Harrison SJ et al. Br J Haematol 2021; 194: 120–131
11 Facon T et al. Hematol Oncol 2024; 42(2): e3258
12 Yang L et al. Chem Bio Chem 2019(20):2485–93
13 Deckert J et al. Clin Cancer Res 2014;20(17):4574–83
14 Martin TG et al. Cells 2019;8(12):1522
15 van de Donk NW et al. Immunol Rev 2016;270(1):95–112

A Es gibt keine Head-to-Head-Studien zwischen Isatuximab und Daratumumab, ein direkter Vergleich ist nicht möglich.

 

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