Weiterentwicklung der politischen Urteilsfähigkeit

Von der Politikverdrossenheit zur Bürgerverdrossenheit

Qualität der deutschen Demokratie leidet unter niedrigem Niveau der politischen Diskussion in der Öffentlichkeit | Experten analysieren die Wechselwirkungen und nehmen Bürger in die Pflicht

Die politische Alltagskultur in Deutschland muss sich ändern. Davon sind die beiden Wissenschaftler Christian Boeser und Karin Schnebel überzeugt: In Gesprächen über Politik müsste man die Komplexität ernst nehmen und dürfte den Akteuren – in erster Linie den Politikern – nicht schon im Vorfeld jede Seriosität absprechen. Denn wenn die Bürger sich ihrer Verantwortung nicht stellten, werde aus Politikverdrossenheit der Bürger schnell eine Bürgerverdrossenheit der Politiker, die sich dadurch noch weiter abschotten würden. Das Ergebnis: eine feige Politik, die ineffektiv ist und der Demokratie schadet. Wie sich diese Abwärtsspirale durch mehr Niveau in politischen Alltagsgesprächen aufhalten lässt, beschreiben die beiden Autoren in ihrer Streitschrift „Über „dumme Bürger“ und „feige Politiker““, die gerade bei Springer VS erschienen ist.

Negativ besetzte Stammtischparolen haben einen relevanten Einfluss auf den politischen Diskurs und führen deshalb unweigerlich zu „schlechter Politik“, glaubt Christian Boeser: „Halten die Bürger nichts von ihren Politikern, werden die Politiker verdrossen und mutloser, weil sie die Erfahrung machen, dass mutige Entscheidungen nicht honoriert werden. Je mutloser diese sind, desto weniger halten die Bürger von ihnen.“ Verantwortlich für diese Entwicklung sind nach Ansicht der beiden Autoren verschiedene Aspekte: Einerseits beruhen die politischen Alltagsgespräche der Bürger oftmals auf verallgemeinernden pauschalen Aussagen, sich widersprechenden Idealvorstellungen oder Unkenntnis. Aber auch die Art und Weise, wie Politiker über die Bürger denken und eine vorherrschende „Angst vor dem Statement“ in Politik und Medien sowie in der politischen Bildung und schließlich beim Bürger selbst, tragen dazu bei.

Den Nährboden für Stammtischparolen bietet nach Ansicht von Karin Schnebel der Charakter der Politik: „Es kann oftmals keine einfachen und vor allem auch keine endgültigen Lösungen geben, da viele politische Entscheidungen im Spannungsfeld verschiedener, im Widerspruch zueinander stehender Werte getroffen werden (müssen).“ Umso wichtiger sei es, dass Politiker ihren Arbeitsbereich als intellektuell spannende Herausforderung vermitteln und die Medien darauf verzichten, Politikverachtung als Verkaufsstrategie zu nutzen. Die politische Bildung solle aufhören, sich bei den Lernenden anzubiedern und stattdessen in einer Mischung aus Konfrontation und Moderation zu einer Weiterentwicklung der individuellen politischen Urteilsfähigkeit beitragen. Schließlich plädieren die Autoren dafür, dass die kritisierten „dummen Bürger“ den privaten Streit über öffentliche Themen nicht länger als Belastung empfinden sollten. Gefragt sei immer wieder, den Mut aufbringen, sich seines Verstandes auch bei politischen Themen zu bedienen.

Dr. phil. Christian Boeser ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung an der Universität Augsburg und Projektleiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern.

Dr. phil. Karin Schnebel ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Passau sowie Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Goethe-Universität Frankfurt a.M.

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www.springer.com/about+springer/media/pressreleases?SGWID=1-11002-6-1434443-0 | Pressemitteilung + Materialien zum Herunterladen
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